55 Pancavudha-Jataka: Die Erzählung von Pancavudha
Dies erzählte der Meister, da er im Jetavana weilte, mit Bezug auf einen Mönch, der in seinem Streben nachgelassen hatte. Als ihn nämlich der Meister anredete und fragte:
„Ist es wahr, Mönch, dass Du in Deinem Streben nachgelassen hast“?
und die Antwort erhielt:
„Es ist wahr, Herr“,
sprach er:
„Früher, Mönch, haben Weise, die mit ihrer ganzen Kraft stetig bestrebt waren, zur endgültigen Erkenntnis vorzudringen, ein Königreich für sich gewinnen können“.
Und nach diesen Worten erzählte er folgende Begebenheit aus der Vergangenheit. Als einst in Benares König Brahmadatta regierte, wurde der Bodhisattva im Schoß der ersten Gemahlin dieses Königs wiedergeboren. Am Tage seiner Namens hatte der König zunächst achthundert Brahmanen bewirtet und mit Geschenken bedacht. Dann fragte er diese nach den Vorzeichen für die künftige Entwicklung des Prinzen. Nachdem die kundigen Brahmanen die Konstellation der Gestirne betrachtet und daraus das Zusammentreffen der Vorzeichen gelesen hatten, antworteten sie dem König:
„Mit Tugend erfüllt, großer König, wird der Prinz nach Eurem Tod zur Macht. Als der die fünf Waffen Beherrschende wird er dereinst bekannt und berühmt sein und der erste Mann auf dem Jambu[1]-Erdteil werden“.
Als der König die Worte der Brahmanen vernommen hatte, wählte er als Namen für den Sohn „Prinz der Fünf Waffen“. Als dieser herangewachsen war und das sechszehnte Lebensjahr erreicht hatte, sprach der König zu ihm:
„Lieber Sohn, es ist nun an der Zeit, dass Du die Künste erlernst“.
„Vater, bei wem soll ich sie denn lernen“?
„Gehe, lieber Sohn, in das Königreich Gandhara[2] nach Takkasila[3]. Dort lebt ein weltbekannter Lehrer. Gib dieses Geschenk dem Lehrer als Lohn“.
Und er gab ihm tausend Geldstücke mit und schickte ihn auf die Reise. Der Prinz ging nach Takkasila dorthin, erlernte dort bei dem berühmten Lehrer die Künste und nachdem dieser ihm fünf Waffen zum Geschenk gemacht hatte, machte er sich derart bewaffnet auf den Heimweg nach Benares.
Unterwegs kam er in einen Wald, in welchem der Dämon Silesaloma[4] hauste. Und die Menschen des Dorfes am Rande des Waldes warnten ihn eindringlich, als sie ihn kommen sahen:
„Junger Brahmane, gehe nicht in diesen Wald. Der Dämon Silesaloma ist nämlich darin. Und dieser tötet alle, die er sieht“.
Und sie versuchten ihn zurückzuhalten. Der Bodhisattva aber ging voller Selbstvertrauen wie ein furchtloser Löwe in den Wald. Als er etwa in der Mitte angekommen war, zeigte sich ihm der Dämon: er war so groß wie eine Palme, der Kopf war so mächtig wie eine Pagode, seine Augen so groß wie Schüsseln. Er hatte zwei Zähne wie die Stoßzähne eines Elefanten, außerdem einen Schnabel wie ein Habicht, einen gefleckten Leib sowie dunkelblaue Hände und Füße. Und er sprach:
„Wohin gehst Du? Bleib stehen, ich werde Dich fressen“.
Darauf antwortete der Bodhisattva:
„Dämon, ich stehe ohne Furcht vor Dir und bin voller Selbstvertrauen in den Wald gekommen. Greife mich nur recht fest an, denn dann werde ich Dich mit einem giftgetränkten Pfeil treffen und so zu Fall bringen“.
Und nachdem er ihm so gedroht hatte, legte er einen mit Halahala-Gift getränkten Pfeil auf die Bogensehne und drückte ab. Der aber blieb in den Haaren Silesalomas hängen. Dann schoss er einen nächsten und nächsten ab und so weiter, insgesamt fünfzig Pfeile. Aber alle blieben in dessen Haaren hängen. Der Dämon zog sämtliche Pfeile heraus und ließ sie auf den Boden fallen; dann griff er den Bodhisattva an. Der Bodhisattva aber zog sein Schwert und stach und schlug ihn damit. Aber auch das dreiunddreißig Zoll lange Schwert blieb in den Haaren hängen. Dann traf er ihn auch mit seinem Speer, doch auch dieser vermochte das dichte Haar nicht zu durchdringen. Als der Speer feststeckte, schlug er mit seiner Keule zu, aber auch diese blieb wirkungslos. Schließlich sprach er:
„Heh Dämon, du hast noch nicht von mir gehört, ich bin der Fünfwaffenprinz. Als ich den von dir bewohnten Wald betrat, ging ich nicht hinein im Vertrauen auf meine Waffen, sondern weil ich auf mich selbst vertraute. Heute werde ich Dich erschlagen und zu Staub zermalmen“.
Nachdem er dies gesagt hatte, stieß er einen Schrei aus und schlug den Dämon mit der rechten Hand, auch sie blieb haften. Er schlug ihn mit der linken Hand, auch sie blieb haften. Er trat ihn mit dem rechten Fuß, auch der blieb haften. Er trat ihn mit dem linken Fuß, auch der blieb haften. Er stieß ihn mit dem Kopf und rief:
„Ich will Dich zu Staub zermalmen“,
aber auch der Kopf blieb in Silesalomas Haaren hängen.
Als er nun fünffach gefesselt, an fünf Stellen gebunden festhing, war er trotzdem ohne Furcht und hatte keine Angst. Da dachte der Dämon bei sich: ‚Dieser Mann hat das Herz eines Löwen, dieser edle Mann ist kein gewöhnlicher Sterblicher. Denn obwohl er einem Dämon wie mir hoffnungslos unterlegen ist, zeigt er keinerlei Furcht. Solange ich in diesem Wald hause, habe ich nicht einen von seinem Schlag zuvor getroffen. Warum aber fürchtet er sich nicht“? Und da er es nicht wagte, ihn zu fressen, fragte er:
„Warum, junger Brahmane, hast Du keine Angst vor dem Tod“?
„Warum sollte ich mich fürchten, Dämon? Uns allen ist in jeder unserer Existenzen der Tod bestimmt. In meinem Leib aber ist eine Waffe aus Diamant. Wenn Du mich nun frisst, so wirst Du diese Waffe nicht verdauen können. Sie wird Deine Eingeweide in tausend kleine Stücke schneiden und Du wirst auf diese Weise qualvoll verenden. Wir werden also gemeinsam umkommen und deshalb fürchte ich mich nicht“.
Was der Bodhisattva mit Bezug auf die in seinem Innern befindliche Waffe meinte, war die ihm innewohnende Kraft der Erkenntnis. Als der Dämon dies hörte, dachte er bei sich: ‚Dieser junge Brahmane spricht wohl die Wahrheit. Vom Körper dieses Mannes mit dem Herz eines Löwen wird mein Leib auch nicht einmal ein Stück Fleisch in der Größe Bohnenkerns verdauen können. Ich will ihn besser wieder loslassen‘.
Und von plötzlicher Panik ergriffen, ließ er den Bodhisattva los und sagte:
„Junger Brahmane, du bist ein Mann mit dem Herz eines Löwen, deshalb werde ich Dein Fleisch nicht verzehren. So wie der Mond, der aus Rahus[5] Mund befreit wird, so mache Dich los von mir und kehre zurück in den Schoß Deiner Familie und erfreue Deine Freunde mit Deiner Gegenwart“.
Darauf sagte der Bodhisattva:
„Nun gut Dämon, ich werde jetzt gehen. Du aber bist, weil Du auch schon früher unrecht gehandelt hast, als ein grausamer, das Blut und Fleisch anderer verzehrender Dämon wiedergeboren worden. Wenn Du auch in Deinem jetzigen Leben nur Unrecht tun wirst, so wirst Du aus der Finsternis in die nächste Finsternis wandeln. Von jetzt an aber, da Du mich gesehen und gehört hast, kannst Du kein Unrecht mehr tun. Das Töten lebender Wesen bedeutet unausweichlich die Wiedergeburt in der Hölle, in einem Tierleib, im Reiche der büßenden Geister oder im Reich der Dämonen. Und falls man doch in Ausnahmefällen als Mensch wiedergeboren wird, so stirbt man sehr jung und elend“.
Nachdem der Bodhisattva dem Silesaloma auf diese Weise die Sünden der fünf Arten des Lasters sowie den Ausweg durch die Befolgung der fünf Gebote erklärt hatte, bändigte und bekehrte er diesen. Dann machte er ihn zu einer Waldgottheit, welche fürderhin über das Wohl der Durchreisenden und Wanderer wachen sollte. Der junge Brahmane verließ den Wald, erzählte den Dorfbewohnern das Geschehene und kehrte, mit den fünf Waffen nach Benares zu seinen Eltern zurück. Als er später die Regierung übernahm, herrschte er gerecht und weise, spendete oft und reichlich und verrichtete dergestalt noch viele andere gute Werke und gelangte so am Ende seines Lebens an den Ort seiner Verdienste.
Als der Meister diese Lehrunterweisung beendet hatte, sprach er die folgende Strophe:
„Wer von der Lust hat ganz befreit,
den Sinn und sein Gemüt,
das Gute tut und Seligkeit erlangt,
der vermag im Lauf der Zeit,
sich aller Fesseln zu befreien“.
Nachdem der Meister so gesprochen hatte, verkündete er am Ende die vier Wahrheiten. Am Ende der Verkündung der edlen Wahrheiten aber gelangte der Mönch zur Erkenntnis. Dann stellte der Meister die wechselseitigen Beziehungen klar und schloss das Jataka mit den Worten:
„Damals war der Dämon Angulimala[6], der „Prinz der Fünf Waffen“ aber war ich“.
[1] Jambudvipa („Rosenapfelbaumkontinent“) bezeichnet im Hinduismus/Jainismus einen Kontinent der irdischen Welt (Bhurloka), der durch acht Gebirge in neun Gebiete aufgeteilt ist.
[2] Gandhāra war eine antike Region um die Stadt Peschawar, die heute das Grenzgebiet zwischen Afghanistan und Pakistan bildet. Das Zentrum lag an den Flüssen Swat und Kabul, beides Zuflüsse des Indus.
[3] Taxila (griechische Form des Namens, eigentlich Sanskrit: Takṣaśilā, wörtlich: „Hügel des Taksha“) war die historische Hauptstadt des Reiches Gandhara. Taxila erlebte seine Blütezeit vom fünften vorchristlichen bis zum fünften Jahrhundert unserer Zeit. m Schnittpunkt...