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E-Book

Das Krebsprinzip

Zivilisation und Krankheit

AutorNorbert Classen
VerlagHans-Nietsch-Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl299 Seiten
ISBN9783939570981
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis3,99 EUR
'Krebs ist mehr als eine normale Krankheit. Er verkörpert ein Prinzip, einen Mythos, so wie im Mittelalter die Pest mehr bedeutete als eine entstellende, todbringende Seuche. Der Krebs erscheint heute als Metapher für die Bedrohung von Mensch und Erde durch unsere Zivilisation. Die Moderne zeigt uns ihr hässliches Gesicht in Form einer Krankheit, die ihrem innersten Wesen zutiefst entspricht. Zivilisation scheint selbst ein bösartiges Wachstum zu sein, das alle Lebensfunktionen des >Organismus Erde< bedroht und unsere Lebensgrundlagen zerstört.'

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Leseprobe

Einführung


Von den Bedeutungen eines Fragezeichens

Was ist Krebs - und welche Rolle spielt er in unserer zivilisierten Welt? Diese grundsätzliche Frage ist an sich brisant, weil die gesamte Krebsthematik weiterhin eine Liste ungelöster Fragen ist, ein Rätsel für die Forschung, welche sich mit Milliardenaufwand seit Jahren mehr oder weniger redlich bemüht, dieses Problem in den Griff zu bekommen.

    Eine Annäherung an eine Lösung über die reinen Sachfragen hinaus wird noch erschwert durch die Tatsache, daß bestimmte Kreise der (Schul-)Medizin und Pharma-Industrie diese Aufgaben auf ihre Banner geschrieben haben und fachfremden Wissenschaftlern bzw. Ansätzen nicht nur unkooperativ, sondern meist feindlich gegenüberstehen. Hierbei mögen auch handfeste finanzielle Interessen von Bedeutung sein, wie sie Christian Bachmann in seinem Buch mit dem bezeichnenden Titel Die Krebsmafia kritisch darzulegen versucht.

    Das Problem liegt aber vermutlich tiefer: Uns scheint die Angst der etablierten Medizin im Vordergrund zu stehen; einmal die Angst vor einem Gesichtsverlust aufgrund eines überholten Prestigedenkens der "Halbgötter in Weiß", die offenbar fürchten, mit einem Renommierobjekt wie Krebs auch ihre besondere Stellung zu verlieren. Und da ist nicht zuletzt auch noch die Angst vor der Krankheit selbst, die trotz intensivster Bemühungen jede gute Absicht zum Narren hält. Wenn nun daraus schon keine unbewußt motivierte Furcht vor dem "Krebs-Phantom" entsteht, dann ist doch zumindest Frustration und "Burn-Out" das natürliche Resultat einer meist vergeblichen Bemühung.

    Man muß - ganz ohne die Absicht, Ängste zu schüren - den Tatsachen ins Auge sehen: Rein statistisch betrachtet, stirbt heute hierzulande nahezu jeder vierte Mensch an Krebs. Betroffen sind jedoch weit mehr Menschen, denn längst nicht jeder Krebspatient stirbt an seiner Erkrankung; die Heilungsraten sind teilweise recht hoch. Früherkennungsuntersuchungen sowie modernste medizinische Therapieverfahren und Technologien helfen immerhin in dem Maße, daß der Krebs, oder besser gesagt, einige seiner Formen, den Nimbus der absoluten Unheilbarkeit eingebüßt hat. Und dennoch bleibt offenbar die kollektive Krebsangst unverändert bestehen.

    Damit sind wir beim zweiten großen Fragezeichen angelangt: Warum fürchtet sich die Mehrzahl der Menschen in der zivilisierten Welt mehr vor Krebs als vor irgendeiner anderen Krankheit? Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind doch wesentlich häufiger und meist nicht weniger tödlich. Trotzdem herrscht im Umfeld des Krebses ein undefinierbares Grauen, ein tabuisierendes Schweigen und ein verdrängendes Nicht-wahr-haben-wollen vor, welches rein rational wenig begründet erscheint.

    Liegt es daran, wie der Autor Manfred Reitz in seinem Buch Was ist Krebs vermutet, daß mit der Krebserkrankung "Vorstellungen wie lange Leidenszeit, schreckliche Therapie und zuletzt der Tod, weil doch nicht geholfen werden kann" verbunden sind? Wenn auch diese Vorstellungen häufig vorhanden sein mögen, so reichen sie unserer Meinung nach nicht aus, um diese merkwürdige "Massenphobie" zu erklären. Eine solche kollektive Angst läßt uns eher an eine Mythologisierung des Themas denken, was bedeuten würde, daß der Krebs einen symbolischen Charakter für etwas anderes oder etwas ähnliches einnimmt. Demnach hätten wir es mit einem - wenn auch meist unbewußten - Krebsmythos zu tun, der zwar obige Annahmen enthalten kann, aber nicht durch sie zu erklären wäre. Wir müssen diesen Mythos jedoch streng unterscheiden von der mystifizierenden Verdunklung sogenannter "Wunderheiler", die nur dem Zweck dient, eine Atmosphäre der lukrativen Gläubigkeit zu erzeugen.

    Sowohl Furcht als auch Tabuisierung scheinen eher in einem metaphorischen Symbolismus begründet zu sein, nach dem "Krebs Ausdruck ist für die Art, wie wir unter heutigen gesellschaftlichen Bedingungen leben (und teilweise zu leben gezwungen sind)", wie der Sozialpsychologe Bernhard Achterberg schreibt. Er meint weiter, daß dies "als Ahnung offenbar seit langem verbreitet" und "die namenlose Angst vor dem Krebs genau in diesem Wissen gegründet” ist. In die gleiche Richtung deutet der Schriftsteller Adolf Muschg, wenn er sagt: "Der Krebs ist ein Urteil über die Gesellschaft, die Unterdrückung nötig hat und Gefühllosigkeit nötig macht." Er behauptet im gleichen Zusammenhang sogar, "daß wir an nichts so häufig sterben, wie an unserer Unfähigkeit, mit den Bedingungen der selbstgeschaffenen Zivilisation in Frieden zu leben (jenem Frieden, der den Konflikt auslebt, statt ihn verdrängen zu müssen)".

   Damit sind wir bei einer dritten Frage angelangt, die in vorliegendem Buch einen zentralen Platz einnimmt: Was haben moderne Gesellschaft und Zivilisation mit Krebs - ob als Mythos oder als Krankheit - zu tun? Obige Zitate weisen in eine Richtung; sie sind jedoch pauschale Äußerungen, die uns vorerst einen Beweis schuldig bleiben müssen. Zwar gibt es zahlreiche Untersuchungen, die auf eine Beteiligung psychosozialer Faktoren bei der Krebsentstehung hindeuten, aber diese bleiben meist auf einer recht persönlichen Ebene, beim Erkrankten oder bei der sogenannten "Risikopersönlichkeit", stecken und weisen so nur indirekt auf die Gesellschaft. Auf diese Untersuchungen werden wir dennoch zurückkommen müssen.

    Daß jedoch auch die moderne Gesellschaftsform, die Zivilisation, untersucht werden muß, ergibt sich nicht nur aufgrund einer möglichen Mitbeteiligung am individuellen Krebsprozeß. Die moderne Zivilisation scheint nicht nur krank zu machen, sie scheint selber eine Art Krankheit - nicht persönlicher, sondern vielmehr globaler Art - zu sein. Aus dieser Erkenntnis heraus forderte der Verhaltensforscher und Nobelpreisträger Konrad Lorenz schon vor 20 Jahren:

     "Der fortschreitende Verfall unserer Kultur ist so offensichtlich pathologischer Natur, trägt so offensichtlich die Merkmale einer Erkrankung des menschlichen Geistes, daß sich daraus die kategorische Forderung ergibt, Kultur und Geist mit der Fragestellung der medizinischen Wissenschaft zu untersuchen."

    Lorenz prangerte die Verfallserscheinungen von Kultur und Geist zeitlebens an und nannte sie in seinem Buch Die acht Todsünden der zivilisierten Menschheit beim Namen. In diesem Buch beschreibt er auch typische Analogien zwischen diesen gesellschaftlichen Mißständen und dem Krebs, zieht aber unseres Erachtens die Grenzen der Analogien zu eng. Dazu später mehr. Als Lorenz seine Überlegungen zur damaligen Zeit veröffentlichte, fand er zwar einen treuen Leser- und Anhängerkreis in der gerade aufblühenden alternativen Umweltschutz- und Friedensbewegung, aber die allgemeine Öffentlichkeit blieb weitgehend unberührt. Selbsternannte "wissenschaftliche" Fortschrittsjünger sahen in ihm eher einen unangepaßten Alterspessimisten, an dem die Zeit vorbeigeeilt war.

    Wie richtig Lorenz mit seinen diagnostischen Untersuchungen lag, zeigten spätestens Vorfälle wie die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl, der ruinöse Golfkrieg sowie die kriegerischen Auseinandersetzungen auf dem Balkan oder die nicht abreißen wollende Kette von Supertankerunfällen. Eine solche Aufzählung könnte mit "Schlagworten" wie Waldsterben, Tropenwaldvernichtung, Verwüstung der Erdoberfläche, Dioxinskandal, FCKW, Ozonloch, Treibhauseffekt, Klimaveränderung etc. etc. nahezu endlos fortgesetzt werden. Es müßte eigentlich auch dem letzten Wirtschaftsoptimisten klar sein, daß die moderne Zivilisation mit forciertem Tempo und geölter Motorsäge an dem Ast sägt, auf dem wir seit eh und je sitzen.

    Nicht zuletzt deshalb sollte man Lorenz als Kenner des menschlichen und tierischen Verhaltens genau zuhören, wenn er über die Möglichkeiten redet, aus derart selbstgezimmerten Sackgassen herauszufinden. Er schreibt: "Jeder Versuch, die Funktion eines in Unordnung geratenen Systemganzen wieder herzustellen, hat die Einsicht in sein Wirkungsgefüge zur Voraussetzung. Die Hoffnung, das System ohne kausales Verständnis sowohl seiner normalen Funktion wie auch seiner Störung wieder in Ordnung bringen zu können, ist minimal. Auf der anderen Seite ist es, (...), oft genug gerade die Störung, die uns den Weg zum ursächlichen Verstehen der normalen, gesunden Leistung weist."

    Damit betont Lorenz die zentrale Bedeutung einer ganzheitlichen Sichtweise: Unsere Vernunft trennt die Welt zwar in verschiedene Bereiche, denen dann eigenständige Wissenschaften zugeordnet werden; die Natur kennt jedoch keine Grenzen dieser Art. Alles ist mit allem vernetzt und verbunden und steht in...

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