DIE LEBENS- UND BEWUSSTSEINSSTUFEN UND IHRE ENTSPRECHUNG ZU MENSCHLICHEN LEBENSSTUFEN
Stufe 1: Das Einheitsbewusstsein –
Die Reifung im Mutterleib
Stufenmeditation
Ich stehe in meinem Schreibzimmer auf dem Platz der Eins, und mein Blick fällt als erstes auf den Boden. Ich folge innerlich der Bewegung des Blickes und sehe den dunkelroten Teppich, er sieht warm und weich aus. Wie rote Erde, vielleicht Lehm. Die Erde saugt mich an, zieht mich in sich hinein, ich könnte hineinkriechen und mit ihr verschmelzen. Ich sehe mich wie eine Art Relief im Boden, warm, weich und behaglich. Ich hebe langsam den Kopf und schaue nach draußen, sehe den Schnee und die kahlen Bäume. Alles andere interessiert mich nicht, ich sehe nur die Natur, ohne besonderes Gefühl, eher gleichgültig. Und schwer. Alles geht langsam, mein Geist ist schwer und träge, mein Körper fühlt sich schwer an. Vor allem der Kopf, der leicht geneigt ist, die langen Arme und die Waden – letztere, als wenn sie sehr viel tragen müssten. Und ich bin klein. Als ich zurück auf den Boden schaue, ist mir, als wölbe sich die Erde über mich, als bilde sie eine Höhle.
Lebensstufe 1: Das Heranwachsen im Mutterleib
Die erste Stufe des menschlichen Lebens ist das Heranwachsen des Kindes im Mutterleib. Es gibt inzwischen hinreichend Belege, dass wir schon im Mutterleib wahrnehmen und dass diese Wahrnehmungen auch Einflüsse auf das psychische Befinden von Erwachsenen haben können. Auch wenn es sich noch nicht um ein eigenständiges Leben handelt, so ist doch klar, dass nicht nur unser körperliches, sondern auch unser seelisch-geistiges Leben bereits mit der Zeugung beginnt. So sehen wir in Familienaufstellungen zum Beispiel, dass Menschen, die im Mutterleib einen Zwilling verloren haben, daran schwer tragen, ohne dass ihnen bewusst ist, was passiert ist. Zum Beispiel sind sie übermäßig dick und essen für zwei, oder sie haben nur Spaß an Aktivitäten, die sie mit jemandem gemeinsam erleben können, oder es fehlt ihnen jegliche Lebensfreude, oder sie fühlen sich schuldig. Dann taucht in einer Aufstellung ein Zwilling auf (manchmal kann er auch im Gewebe nachgewiesen werden), und die Symptome verschwinden. In anderen Aufstellungen, die sich auf die Zeit der Schwangerschaft richten, kann sich zeigen, welche seelischen Spuren eine schwerere Krankheit oder ein Unfall der Mutter, ein Abtreibungsversuch, ein Todesfall in der Familie oder eine Trennung der Eltern in dieser Zeit hinterlassen. Daher ist klar, dass das Heranwachsen im Mutterleib bereits ein erster wichtiger Lebensabschnitt ist.
Mutter und Kind vor der Geburt des Kindes
Das Charakteristische dieser Phase ist die Einheit mit der Mutter. Das unterscheidet diese Lebensstufe von allen anderen. Das ungeborene Kind ist Bestandteil des mütterlichen Organismus. Das Kind kann zwar wahrnehmen, aber die Mutter ist nicht verschieden von ihm, es existiert in Einheit mit ihr, und ohne sie kann es nicht existieren. Dies gilt für die gesamte Zeit vor der Geburt, und deshalb bezeichne ich diese Lebensphase als eine Stufe, obwohl es innerhalb dieser Stufe gewaltige Unterschiede und große Veränderungen gibt. Von der embryonalen Stammzelle bis zum gebärfähigen Kind ist es eine ungeheuer differenzierte Entwicklung mit tiefen Veränderungen. Haben wir es anfangs mit einem winzigen Punkt zu tun, der in sich nicht differenziert ist, so steht am Ende dieser Stufe ein voll ausgebildeter, lebensfähiger Mensch. Auf keiner späteren Entwicklungsstufe wächst der Mensch auch nur annähernd so intensiv und umfassend und durchläuft so viele und so tief greifende Veränderungen. Zwischen den Anfängen und dem Ende dieser Stufe liegen Welten. Eines jedoch gilt für die gesamte Zeit des Kindes im Mutterleib und qualifiziert sie damit als eine in sich geschlossene, von den anderen klar unterscheidbare Stufe: die natürliche Einheit mit dem Organismus der Mutter und die Abhängigkeit davon.
Das Kind ist zwar noch im Werden und unfertig, aber es ist dennoch von Anfang an vollständig, es kommt nichts mehr von außen hinzu. Alles, was den erwachsenen Menschen ausmacht, ist schon vorhanden, wenn auch noch unentwickelt und daher noch nicht eigenständig funktionierend. Damit sich die Organe herausbilden, entwickeln und eigenständig funktionieren können, muss es von der Mutter versorgt werden. Sie muss die noch nicht entwickelten, aber dennoch in nuce schon vollständig vorhandenen Funktionen übernehmen, bis die Organe des Kindes so weit sind, dass es allein atmen, Nahrung aufnehmen und verdauen kann. So lange ist die Mutter auch die ganze und einzige Welt des Kindes, ohne dass es diese schon als eigene Person, als etwas von ihm selbst Unterscheidbares, wahrnehmen könnte. Es kann zwar hören und empfinden, aber nicht zwischen sich und der Mutter unterscheiden. Für das Ungeborene ist die Mutter noch nicht Mutter. Sie atmet für das Kind, isst und trinkt für das Kind, sie ist im wahrsten Sinne des Wortes dessen Ein und Alles. Es wächst und entwickelt sich in der Einheit, sie sind noch nicht zwei. Deshalb habe ich in der Abbildung den Kreis um das Kind gestrichelt gezeichnet, um die Nicht-Eigenständigkeit zu verdeutlichen. Erst mit der Geburt ändert sich dieser Zustand, erst jetzt hat das Kind einen eigenen, unabhängigen Kreislauf, ist von der Mutter getrennt und kann, zunächst ganz undeutlich, beginnen, diese von außen wahrzunehmen und damit auch sich selbst als etwas Eigenes zu empfinden.
Bewusstseinsstufe 1: Die Einheit
Ähnlich wie die Zeit im Mutterleib können wir uns die Entwicklung des menschlichen Bewusstseins vorstellen. In der Frühphase der Menschheit gibt es kein individuelles Bewusstsein. Der Mensch lebt in Verschmelzung mit seiner Umwelt und der Gruppe, zu der er gehört. Ebenso wie der Fötus die Mutter nimmt er die Welt und die Gruppe um sich herum nicht als etwas anderes, von ihm klar Geschiedenes, wahr, und ohne sie ist er verloren und nicht lebensfähig. Es gibt weder ein Ich noch eine Gruppe, beides ist im Bewusstsein eins, und es gibt auch keine Welt oder gar Um-Welt. Daher existiert auch kein Bewusstsein außer dem Bewusstsein schlechthin. Selbst zu sagen, der einzelne empfinde sich als Teil des Ganzen, wäre unzutreffend, da diese Aussage eine Unterscheidung zwischen dem Ganzen und seinen Teilen voraussetzt, die in dieser Stufe, ähnlich wie beim Fötus, noch nicht gegeben ist. Das Bewusstsein ist das einer Einheit, die von der Zweiheit noch nichts weiß.
Dies ist natürlich eine typologische, keine historische Beschreibung. Daher ist sie nicht an historischen Daten festzumachen, und wir wissen naturgemäß kaum etwas darüber, ebenso wie wir keine bewusste Erinnerung an unsere Zeit im Mutterleib haben. Wir dürfen aber annehmen, dass diese Phase sehr lang war und – wie beim Embryo und beim Fötus – viele Zwischenstufen und Entwicklungsstadien enthielt. Alle Kulturen haben oder hatten mythologische Beschreibungen dieser Phase, die sich im Mythos auch lange nach dem Übergang in die nächste Stufe erhalten hat. Die Traumzeit der Aborigines, die jüdisch-christliche Vertreibung aus dem Paradies, die griechischen, germanischen, afrikanischen oder indianischen Abstammungsmythen deuten alle auf eine solche erste Stufe hin, in der sowohl die ursprüngliche Einheit als (zumeist) auch das Trauma des Verlustes der Einheit, der Trennung vom Ursprung (Geburt) beschrieben werden. Sicherlich war dies kein singuläres Ereignis, wie es zum Beispiel die Geschichte der Vertreibung aus dem Paradies nahe legt. Für unseren Zusammenhang ist es aber nur wichtig zu sehen, dass eine solche Stufe existierte und dass sie eine wichtige Bedeutung für vieles hat, was sich dann auf der nächsten Stufe ereignet.
Wir können jedoch leicht nachspüren, was ein Mythos wie der der Vertreibung aus dem Paradies für das Bewusstsein bedeutet. Er glorifiziert das Leben vor der Geburt, das Nicht-Eigenständige, die Verschmelzung, die vorbewusste Einheit und bewertet das eigenständige Leben als Strafe. Das Erwachen des Bewusstseins einer eigenen Existenz erscheint hier nicht als Fortschritt, als Erweiterung und Wachstum, sondern als Elend und Strafe; das Essen vom Baum der Erkenntnis, die eigene Bewusstwerdung („Sie erkannten, dass sie Mann und Frau sind“) ist die Ursünde. Aus diesem Bild heraus sind dann auch Fortschritt und Entwicklung keine aus sich heraus guten, freudigen Schritte in die Welt und ins Leben, die uns immer tiefer in das Wunder und die Unermesslichkeit der Existenz hineinführen, sondern eine (schuldhaft verursachte) Notwendigkeit, die einem einzigen Zweck dient: der Rückkehr ins Paradies.
Diese Tendenz charakterisiert nicht nur den jüdisch-christlichen Ursprungsmythos, sondern auch die meisten anderen Ursprungsmythen. Es gibt keine Vorstellung von Zukunft, sondern nur eine von Herkunft. Daher kann es auch keine andere Entwicklung geben als die zurück zum Ursprung. Die Macht des rückwärtsgewandten Denkens, die Sehnsucht nach den „guten alten Zeiten“, hat also eine sehr frühe Grundlage. Auf der ersten und auch auf der...