Einführung
Die Offenbarung
»Die Botschaft von Fatima ist das stärkste Eingreifen Gottes durch Maria in der Geschichte der Kirche und Menschheit seit dem Tod der Apostel.«
Papst Pius XII.
Eine dichte Wolkendecke hing am 30. Dezember 2012 über dem Norden Portugals. Es war ein ungewöhnlich kühler Tag mit vereinzelten Regenschauern, und so waren nicht viele Pilger nach Fatima gekommen. Das war eher ungewöhnlich, handelte es sich doch um einen Sonntag, den letzten im Kalenderjahr und damit das Fest der Heiligen Familie. Aber auch in Portugal siegt oft die Bequemlichkeit über den guten Willen, ist Weihnachten längst zu einem Hochfest des Konsums, der Geschenke und der farbenfrohen Lichtermeere verkommen. Zudem steckten auch die Portugiesen bis über beide Ohren in den Vorbereitungen für die Silvesternacht, in der sie, als wollten sie der wirtschaftlichen Krise trotzen, mit Böllern und Leuchtraketen, vor allem aber mit einem gepflegten Vielgängemenü das neue Jahr begrüßen würden.
So waren die wenigen Gläubigen unter sich, die allen Widrigkeiten zum Trotz an diesem Abend in das Heiligtum in der Cova da Iria gekommen waren. Eine überschaubare Menge, die sich auf der riesigen Esplanade zwischen der alten Wallfahrtsbasilika mit ihren weit ausholenden Kolonnaden, dem Petersplatz in Rom nachempfunden, und der neuen »Kirche der Heiligen Dreifaltigkeit« fast verlor. Am 12. Oktober 2007, einen Tag vor dem 90. Jahrestag des Sonnenwunders von Fatima, eingeweiht, ist sie mit einem umbauten Volumen von 130000 Kubikmetern und 9000 Sitzplätzen die viertgrößte katholische Kirche der Welt1 und die größte, die im 3. Jahrtausend errichtet wurde. Ihr Grundstein, am Dreifaltigkeitssonntag des Jahres 2004 gelegt, wurde zuvor dem historischen Petrus-Grab unter dem Petersdom in Rom entnommen und war das letzte Geschenk Johannes Pauls II. an das Heiligtum von Fatima. Ausgerechnet am 9. März 2004, also gut 13 Monate vor seinem Tod und auf den Tag genau 13 Monate vor dem Beginn seiner Trauernovene, hatte er ihn dem Rektor des Schreins von Fatima übergeben. Man findet ihn heute direkt vor dem Hauptaltar der Basilika. Ihr Bauplan ist ein Werk des griechischen Architekten Alexandros Tombazis, was wiederum die ökumenische Bedeutung von Fatima unterstreicht. Die kreisrunde Form des Monumentalbaus sollte das Neue Jerusalem, seine 13 Eingänge Jesus und die zwölf Apostel, aber auch die »Fatima-Zahl« 13 symbolisieren. Dabei wirkt er von außen eher wie eine moderne Kongresshalle. Sein Inneres vereinigt neobyzantinische Goldmosaiken mit postsowjetischer Betonästhetik; nur ein riesiges eisernes Kruzifix, eine marmorne Marienstatue und – zur Weihnachtszeit – eine monumental dimensionierte und minimalistisch ausgestaltete Krippe erinnern daran, dass man sich in der – jetzt – Hauptkirche eines der heiligsten Orte der westlichen Christenheit befindet. Doch anfängliche Befürchtungen, hier könne ein neuheidnischer Freimaurertempel als interreligiöses Heiligtum entstehen, erwiesen sich trotzdem als Unfug; man mag die lichtdurchflutete Kälte der Betonrotunde schätzen oder nicht, doch sie dient allein als Beichtkirche und zur Feier der heiligen Eucharistie. Sechs Heilige Messen werden hier täglich gelesen, sieben an Sonn- und Feiertagen, so auch an diesem 30. Dezember 2012, dem Fest der Heiligen Familie.
Ich war an diesem Sonntag nach Fatima gefahren, weil mich meine Intuition dorthin geführt hatte, weil ich einfach nicht anders konnte. Zwölf Jahre waren seit meinem letzten Besuch der Erscheinungsstätte vergangen, und so wollte ich mir endlich ein eigenes Bild von den Neuerungen im Heiligtum machen. Gemeinsam mit einer guten Freundin, die zeitweise meine Verlobte war, würde ich den Jahreswechsel in Lissabon feiern, nicht ohne zuvor den Segen der Gottesmutter für das neue Jahr zu erbitten, das immerhin, schon durch die Zahl 13, auf Fatima verwies. Zu diesem Zeitpunkt ahnte ich freilich noch nicht, welche Änderungen es für die Kirche und die Welt mit sich bringen würde, dass in ihm vielleicht das letzte Geheimnis enthüllt, die ersten Zeilen des letzten Kapitels der Geschichte von Fatima geschrieben würden. Und so schweiften meine Gedanken eher zurück in die Vergangenheit als in die Zukunft. In jenes bedeutungsschwere »Heilige Jahr« 2000, als ich das letzte Mal nach Fatima gekommen war, um dabei zu sein, als der größte Papst des 20. Jahrhunderts an das Schlüsselereignis seines Pontifikats erinnerte. Damals war ich fast unerwartet zum Zeugen einer Enthüllung von welthistorischer Dimension geworden.
Fatima, Portugal, 12. Mai 2000. Die Straßen rund um den portugiesischen Wallfahrtsort waren verstopft wie nie zuvor. Nichts ging mehr. Über 600000 Menschen waren unterwegs, um einem denkwürdigen Ereignis beizuwohnen. Der Papst kam zum dritten Mal nach Fatima. Der offizielle Anlass war die Seligsprechung der beiden 1919 und 1920 verstorbenen Seherkinder Francisco und Jacinta de Marto. Ihnen und ihrer im Jahre 2000 93-jährigen Cousine Lucia war zwischen dem 13. Mai 1917 und dem 13. Oktober 1917 sechsmal die Gottesmutter erschienen, ihnen hatte sie am 13. Juli eine dreiteilige Botschaft verkündet, deren letzter Teil, das sogenannte »Dritte Geheimnis«, beim Vatikan noch immer unter Verschluss lag. Als über 70000 Zeugen am Tag der letzten Erscheinung einen »Tanz der Sonne« am Himmel erlebten, war selbst für Skeptiker klar, dass sich in Fatima etwas Übernatürliches ereignet hatte. 13 Jahre später wurden die Erscheinungen offiziell von der Kirche anerkannt. Das Leben der Seherkinder war in ihren letzten Jahren von Buße und Gebet geprägt. Doch ausschlaggebend für die Seligsprechung war ein Wunder, das von der vatikanischen »Kongregation für die Causa der Heiligen« dokumentiert wurde. Die 69-jährige Portugiesin Maria Emilia Santos, die 22 Jahre lang bettlägerig und gelähmt war, konnte wieder gehen, nachdem sie die beiden im Alter von neun beziehungsweise zehn Jahren verstorbenen Kinder um ihre Fürsprache angerufen hatte. Der Fall wurde durch eine medizinische Kommission unter Leitung von Prof. Raffaello Cortesini untersucht. Die Ärzte hatten dafür keine Erklärung, für die Kirche war die Heilung übernatürlich, ein Zeichen des Himmels. Damit war der Weg zur Seligsprechung frei. Im Dezember 1998 wurde die Akte dem Papst vorgelegt, der sofort (am 19. Dezember) sein »nihil obstat«, seine Zustimmung, erteilte. Am 16. April 1999 gab Pater Paolo Molinari SJ, der Postulator der Kongregation, die bevorstehende Seligsprechung offiziell bekannt, ohne einen Zeitpunkt oder Ort für die feierliche Zeremonie zu nennen. In den meisten Fällen finden Seligsprechungen in Rom auf dem Petersplatz statt, allemal im dichten Terminkalender des »Heiligen Jahres« 2000. So hieß es dann auch noch im Oktober 1999, sie sei für den 9. April in Rom geplant. Dass Johannes Paul II. stattdessen dann doch eigens nach Portugal reiste, musste ganz besondere Gründe haben. Darin zeigte sich die große Bedeutung, die der Papst den Ereignissen von Fatima zubilligte, seit er das Attentat durch den Türken Ali Agca am 13. Mai 1981, dem Jahrestag der ersten Erscheinung, überlebte. Das war für den Wojtyla-Papst kein Zufall. »Eine Hand hat den Schuss abgefeuert, und eine andere Hand hat das Geschoss gelenkt«, erklärte er später. Nach seiner Überzeugung war diese »andere Hand« die der Gottesmutter selbst. Sie wollte ihm ein Zeichen geben, ihm, der schon bei seiner überraschenden Wahl im Oktober 1978 den Wahlspruch »Totus Tuus«, »Ganz dein«, annahm und das »M« Mariens unter dem Kreuz auf sein Wappen schreiben ließ. Er war davon überzeugt, dass sie ihm sagen wollte, dass es an ihm sei, ihre Forderungen und Wünsche aus der Botschaft von Fatima zu erfüllen, damit auch ihr Versprechen an die Menschheit wahr würde. Das machte ihn zum »Fatima-Papst«, zum Protagonisten der Prophezeiungen Mariens.
Und so erfüllte sich eine andere Voraussage. »Du wirst die Kirche in das 3. Jahrtausend führen«, hatte ihm sein langjähriger Freund, der Primas von Polen, Kardinal Wyszynski, nach dem Konklave im Oktober 1978 erklärt. Das »Heilige Jahr« 2000, das große Jubiläum, war in den letzten Jahren des 20. Jahrhunderts das große Ziel des Papstes. Er wollte Zeichen setzen, aber auch Ballast abwerfen, für die Fehler der Vergangenheit um Vergebung bitten und einen neuen Anfang wagen. Dazu bedurfte es des Segens der Gottesmutter, der »Mutter der Kirche«. So kristallisierte sich immer mehr heraus, dass Fatima im »Heiligen Jahr« eine zentrale Rolle spielen würde. Als die portugiesischen Bischöfe im November 1999 zu einem »ad limina«-Besuch nach Rom kamen, verabschiedete sich der Papst von ihnen mit den Worten »Arrividerci a Fatima«, »Auf Wiedersehen in Fatima!«. Das jedenfalls hatte Serafim da Silva, Bischof von Leiria und Fatima, der Presse am 26. November 1999 mitgeteilt. Doch offiziell hüllte sich der Vatikan damals noch in Schweigen. Zu besorgniserregend erschien der Gesundheitszustand des 79-jährigen Pontifex, zu dicht gedrängt der Terminkalender im »Heiligen Jahr«. Erst nach der historischen Pilgerreise in das Heilige Land im März 2000 wurde es offiziell bekannt gegeben: Der Papst reist wieder nach Fatima! Es war sein Herzenswunsch, dort, vor Ort, die Gottesmutter um ihren Schutz für die Christenheit im 3. Jahrtausend anzurufen. Und schließlich wollte er, nur fünf Tage vor seinem 80. Geburtstag, der Madonna danken, dass sie ihm 19 Jahre geschenkt hatte. Würde er dort auch das lang gehütete »Dritte Geheimnis« enthüllen? »Der Papst wird der Welt in Fatima etwas Wichtiges verkünden«, deutete der Bischof von Leiria und Fatima kurz darauf an, gefolgt vom Dementi des Patriarchen...