Die Strategien der Neo-Rechten
Einen entscheidenden Teil ihrer Arbeit sehen die Neuen Rechten in der «Kulturrevolution von rechts». Um die «kulturelle Hegemonie» in Deutschland zu erlangen, sollen die unterschiedlichen rechten Kräfte im Land zusammenarbeiten. In einer Rede gibt Philip Stein, ein junger Verleger des Milieus, den Kurs der Bewegung vor: «Was wir schaffen müssen, ist eine Mosaik-Rechte. Wir müssen es schaffen, nicht nur auf das Parlament zu setzen, nicht nur auf Kultur zu setzen. Das war der Fehler der letzten Jahre in der Bundesrepublik.» Der vorpolitische Raum und der parlamentarische Arm in Form der AfD müssten zusammenarbeiten wie Standbein und Spielbein, sagt Stein – nur so gelinge es, die Gesellschaft zu verändern. Für dieses Ziel nutzt die Neue Rechte verschiedene Taktiken. Drei grundlegende Strategien sind entscheidend.
Die wichtigste Strategie der Neuen Rechten ist die Diskursverschiebung. Begrifflichkeiten werden in den Szene-Medien, auf Protestbühnen und in den Theoriezirkeln erdacht und sollen im nächsten Schritt über etablierte Medien und Politiker in die Mehrheitsgesellschaft getragen werden. «Vom Cicero über Achse des Guten bis hin zur Jungen Freiheit findet über viele Pfade ein reger Ideenschmuggel ins Zentrum der Meinungsmacht statt», schreibt der Identitäre Martin Sellner. Bereits heute ist es der neurechten Strömung auf diese Weise subtil gelungen, neue Worte zu etablieren oder wiederzubeleben. Einige Beispiele: In seinem Interviewbuch «Nie zweimal in denselben Fluss» spricht Björn Höcke, der AfD-Landeschef von Thüringen, vom «bevorstehenden Volkstod durch den Bevölkerungsaustausch». Auch eine Politikerin der CDU verbreite diese Verschwörungsideologie an ihre Anhänger. Die Theorie des «großen Austauschs» stammt aus dem Aufsatz des französischen Neurechten Renaud Camus mit dem Titel «Der Große Austausch oder: Die Auflösung der Völker» aus dem Jahr 2011. Camus behauptet darin, die Regierungen würden bewusst das eigene Volk durch Migranten austauschen, um es auszulöschen. Die deutsche Übersetzung des Werks erschien in einem Sammelband im Antaios Verlag von Höckes engem Weggefährten Götz Kubitschek.
Ein anderes Beispiel ist Armin Mohlers «Konservative Revolution». Der Ausdruck war lange nur Teilnehmern rechter Theoriezirkel geläufig, 1993 wird er von der Jungen Freiheit aus der Mottenkiste der Geschichte geholt, um mit dem Spruch «Jedes Abo eine konservative Revolution» neue Leser zu gewinnen. 2011 stellt Kubitschek die Sommerakademie seines Instituts für Staatspolitik unter dieses Motto und macht es zum Titelthema seiner Zeitschrift Sezession. Im Januar 2018 erreicht der Begriff dann die große politische Bühne. In einem Gastbeitrag in der Welt fordert der ehemalige Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) eine «konservative Revolution der Bürger» – ohne auf die Herkunft des Terminus zu verweisen. Dobrindt hatte zuvor auch bereits die Formulierung «Anti-Abschiebe-Industrie» genutzt. Den sehr ähnlichen Begriff «Asylindustrie» hatte vier Jahre zuvor die Pegida-Mitgründerin Kathrin Oertel in ihren Reden bei den Großdemonstrationen in Umlauf gebracht, im Jahr darauf erschien ein gleichnamiges Buch im rechten Kopp-Verlag.
Die Medien spielen bei der Etablierung dieser politisch eindeutig konnotierten Begriffe eine entscheidende Rolle. Nutzen sie die Termini, transportieren sie peu à peu das ihnen anhaftende Gedankengut und tragen es in die Mitte der Gesellschaft. Der Mitteldeutsche Rundfunk kündigte 2018 zum Beispiel eine Talkshow mit dem Titel «Die Krise der Altparteien, der Erfolg der AfD» an. Auch der Focus nutzte den Begriff «Altparteien», um bei Twitter auf einen Text aufmerksam zu machen. Das Wort jedoch ist vorbelastet, bereits Joseph Goebbels nutzte es, um die NSDAP von den anderen Parteien abzugrenzen. Siebzig Jahre später verwendet auch die AfD den Begriff, um sich als Partei neuen Typs gegen die Etablierten zu positionieren. Einige AfD-Politiker sprechen außerdem von «Lebensraum», auch das ein Begriff aus der Zeit des Nationalsozialismus.
«Altparteien» und «Lebensraum» sind noch nicht fester Bestandteil des kollektiven Wortschatzes geworden. Andere Ausdrücke schon. Mit dem Wort «Lügenpresse» werden meist Qualitätsmedien beschimpft. Es entstammt den Sprechchören der Pegida-Demonstranten.
Kampfbegriffe der Neuen Rechten werden so schleichend mehrheitsfähig. Der twitternde Starpianst Igor Levit spricht in diesem Zusammenhang von «Konsensverschiebung»: Je weniger Menschen kommen, umso aggressiver behauptet die Neue Rechte die «Masseneinwanderung». Rechte Begriffe wie Obergrenze oder Forderungen wie die Verschärfungen des Asyl- und Aufenthaltsrechts würden heute bereits von der großen Mehrheit unhinterfragt als selbstverständlich hingenommen. Einer Minderheit kann es so gelingen, dass mit ihren «toxischen Interventionen das zivilisatorische Niveau einer ganzen Gesellschaft perforiert» wird, sagt der Soziologe Harald Welzer.
AfD-Politiker im Bundestag und in Landtagen sind ein wichtiges Sprachrohr und Teil der Diskursverschiebungsstrategie der Neuen Rechten. Sie stehen mehr in der Öffentlichkeit und sind bekannter als die «Vordenker». Durch ihre Präsenz im Parlament und Auftritte in Talkshows bringen sie die Ideen und Konzepte der Theoretiker in die breite Gesellschaft. Die Intelligenzija der Szene nennt das eine «Vergrößerung des Resonanzraums». Die Politiker infiltrieren die bürgerliche Mitte und verändern den Diskurs. Durch das stete Wiederholen von Ausdrücken stumpft die Wahrnehmung ihrer rechten Aufladung nach und nach ab, es entstehen Abnutzungseffekte. Irgendwann sinkt die Sensibilität, die Begriffe diffundieren in die Gesellschaft und setzen sich fest. Über die sozialen Netzwerke werden die Aussagen verbreitet. Beliebt sind Best-of-Zusammenschnitte von AfD-Reden, die auf Facebook tausendfach geteilt werden und so Hunderttausende Nutzer erreichen, wenn sie eine breite virale Wirkung entfalten können. Wurde die Partei vor wenigen Jahren noch als rechtsradikal und fremdenfeindlich kritisiert, wenn sie mit Ausdrücken wie «Asyl-Tourismus» oder «Anti-Abschiebe-Industrie» provozierte, so nutzen 2018 bereits der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und der Berliner CSU-Landesgruppen-Chef Alexander Dobrindt diese Termini. In einem Interview mit der Deutschen Presse-Agentur freute sich der AfD-Vorsitzende Alexander Gauland darüber, dass seine Partei damit die «Grenzen des Sagbaren» verschoben habe.
Die Begriffe, die seine Partei verwendet, kommen aus den Denkfabriken der Neuen Rechten. Das kündigte der Vordenker der Szene, Götz Kubitschek, im März 2016 sogar ganz offen an: Am Abend einer für die AfD erfolgreichen Landtagswahl sagte er auf der Wahlparty in eine Fernsehkamera, die AfD werde nun «sehr gerne den ein oder anderen Begriff, das ein oder andere Thema, die ein oder andere aufbereitete Expertise aus unseren Projekten übernehmen und politisch umsetzen».
Für AfD-Abgeordnete sind die Rednerpulte im Bundestag und in den Landtagen nicht nur eine Bühne, um den Diskurs zu verschieben, sie nutzen auch andere Möglichkeiten der parlamentarischen Demokratie. Zum Beispiel stellen sie Kleine und Große Anfragen an die Bundesregierung und die Regierungen der Länder. Eigentlich ist das ein Mittel der Opposition, um die Regierung zu kontrollieren. Die AfD benutzt das Verfahren aber auch, um Themen auf die Agenda zu bringen – denn die Antworten müssen teilweise in öffentlicher Sitzung im Parlament vorgetragen werden. So fragte die AfD: «Wie viele Sinti und Roma leben in Sachsen?» Zum einen wollte der Abgeordnete damit durchsetzen, dass Sinti und Roma überhaupt gezählt werden, zum anderen wollte er konkret wissen, wie viele Schüler dieser Bevölkerungsgruppe die Schulpflicht einhalten. Damit nimmt die AfD Bezug auf ein rassistisches Stereotyp, wonach Roma bildungsfern sein sollen. Die Partei verbindet die Wahrnehmung von Sinti und Roma in der Öffentlichkeit mit ihrem gezielten Spin. Zur Vorbereitung für solche Anfragen greift die AfD auch auf die Expertise von radikalen Aktivisten außerhalb der Partei zurück. Philip Stein vom rechten Verein Ein Prozent bestätigt uns, dass er bereits Material für eine Anfrage zum Thema «linke Förderstrukturen» für die Partei recherchiert hat.
Eine andere Methode der AfD ist es, neutrale Statistiken oder Meldungen aufzugreifen und mit Ideologie aufzuladen. Das ehemalige AfD-Mitglied Franziska Schreiber beschreibt die Taktik in ihrem Buch «Inside AfD» anschaulich an Beispielen. Sie war verantwortlich für Pressemitteilungen des Parteinachwuchses, der Jungen Alternative. Egal, ob es eine neue Umfrage über Ängste von Frauen gab oder Nachrichten über Schwarzarbeit und sogar die Vorstellung einer neuen Stechmückenfalle – jede Stellungnahme der AfD-Jugend, jedes Posting auf Facebook zu diesen Themen handelte am Ende doch wieder von Flüchtlingen und kriminellen Ausländern. Dies zeige, «dass sich wirklich jede Neuigkeit irgendwie mit Asylbewerbern in Verbindung bringen lässt», schreibt Schreiber. Ziel ist es, den Widerspruch zum System aufzuzeigen und ein öffentliches Zerrbild von Kriminalität und Chaos zu verbreiten. Durch das Fluten der Medienkanäle mit solchen Verzerrungen, Nonsens und Falschmeldungen soll die Glaubwürdigkeit der Medien angegriffen werden. Und durch das ständige Wiederholen sollen Vorurteile und Stereotypen aufgebaut und verfestigt werden. Diese «Gehirnwäsche» habe Angst und Ausländerfeindlichkeit produziert, resümiert die ehemalige AfD-Strategin.
Dem Milieu...