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Mein Pumpelchen, mein Stumpelchen
Mein Vater Axel Springer junior wurde am 7. Februar 1941 in Hamburg geboren. Er war nach Tochter Barbara (Jahrgang 1933) das zweite Kind meines Großvaters. 1963 kam noch mein Onkel Raimund Axel Nicolaus dazu. Seinen Nachwuchs bekam Axel Springer senior mit drei verschiedenen Frauen. Er verließ die Mütter seiner Kinder stets bereits nach wenigen Jahren. Seine Biografen mutmaßen, dass er seine Frauen mit niemandem teilen wollte, schon gar nicht mit einem Kind. Und sie schrieben, er sei den ständig neuen Reizen der Weiblichkeit gegenüber ausgesprochen zugetan gewesen. Was Frauen und unkonventionelle Liebesarrangements anbelangt, dürfte er einen Lebensstil gepflegt haben, von demmanch angestrengter 68er nur träumte. Einem guten Bekannten, dem Hamburger Zement-Industriellen Horst-Herbert Alsen, spannte er gleich zwei Ehefrauen nacheinander aus. »Bevor ich mich das nächste Mal vermähle, stelle ich die Dame Herrn Springer lieber vorher vor«, soll Alsen nach seiner zweiten Scheidung verkündet haben.
Insgesamt brachte es mein Großvater auf fünf Ja-Worte und vier Scheidungen. Katrin, die Mutter meines Vaters, war seine zweite Ehefrau. Das Mannequin mit den langen schlanken Beinen und einer legendär frechen Berliner Schnauze hieß eigentlich Erna Frieda Bertha Küster. Da weder »Erna« noch »Frieda« oder gar »Bertha« so recht zu ihrem aparten Äußeren passten, nannte mein Großvater sie lieber Katrin. Auch für sie war es die zweite Ehe. Wenige Stunden vor ihrer ersten Hochzeit mit einem schwerreichen Norweger hatte mein Großvater noch wortreich versucht, sie davon abzubringen. Es spricht für seinen Charme und seine Hartnäckigkeit, dass er sein Ziel mit Verspätung doch noch erreichte. Erna alias Katrin trennte sich von ihrem Norweger. Im Dezember 1939 wurde die Liebesheirat zwischen ihr und dem 27-jährigen Axel Springer geschlossen. Dreizehn Monate danach vermeldete der stolze Vater die Geburt seines ersten Sohnes: »Axel soll er heißen. Ich bin sehr froh.«
»Der Kleine läuft mir immer hinterher«, schrieb Axel Springer an einen Freund, da war mein Vater gerade zwei. Er überhäufte den Kleinen mit Kosenamen, »mein Pumpelchen, mein Stumpelchen«, das schreibt sich leicht, nur Zeit für ihn hatte er eher selten. Zwar kam mein Großvater dank der Atteste »verständnisvoller Ärzte«, wie sein Biograf Hans-Peter Schwarz sie nennt, um die Teilnahme am Zweiten Weltkrieg herum. Aber wie um die Diagnosen zu bestätigen, verbrachte er die düstere Zeit eher in luxuriösen Sanatorien als bei seiner Familie in Hamburg. Und als der Krieg zu Ende war, kämpfte mein Großvater, Sprössling einer Verlegerfamilie aus Hamburg-Altona, bald leidenschaftlich für seinen eigenen großen Zeitungstraum. Die für ihn wichtigeren Kinder hießen bald Hamburger Abendblatt, Bild oder Hör Zu. Soll sich doch die Mutter um den Kleinen kümmern. Hauptsache, der Junge lernt was Rechtes.
Seine ersten – und letzten glücklichen – Schuljahre verbrachte mein Vater bei einer Volksschullehrerin namens Loki Schmidt. Ein verträumter Junge, anhänglich, voller Fantasie, so erinnerte die sich an ihn, als sie längst mit ihrem Mann Helmut im Bonner Kanzlerbungalow wohnte. Und auch der kleine Axel vergaß die wunderbare Pädagogin nie. Aber er war zu Höherem berufen als zu einer stinknormalen Volksschule im Hamburger Westen, befand mein Großvater. Er schickte den Neunjährigen ins ferne, aber feine Schweizer Lyceum Alpinum nach Zuoz. Eine Nachtfahrt mit dem Zug. Mein Vater wusste gar nicht, wie ihm geschah. »Bitte kommt, so schnell ihr könnt«, schrieb er, krank vor Heimweh, nach wenigen Tagen. So schnell ging es dann aber nicht. Erst mussten die Eltern noch ihre Scheidung unter Dach und Fach bringen, da war mein Vater dann schon zehn. Als er endlich zurück nach Hamburg durfte, bekam er einen Privatlehrer zur Seite gestellt, der retten sollte, was zu retten war. Doch das Experiment Heimlehrer wurde bald wieder aufgegeben. Die Eltern schickten den Jungen auf eine Odyssee durch die besten Lehranstalten Europas. »Meine Schulen und Internate wechselten schneller als meine Mütter«, erzählte Axel Springer junior später mit Blick auf die wechselnden Partnerinnen seines Vaters.
In London schließlich legte er so etwas wie eine mittlere Reifeprüfung ab. Ein Abschluss, irgendwie, damit die Quälerei ein Ende hatte.
* * *
Das Verhältnis zwischen meinem Vater und meinem Großvater war »ambivalent«. Das Wort habe ich oft gehört, wenn ich Menschen befragte, die beide kannten. »Nicht frei von Spannungen«, lautete eine andere, vornehmere Formulierung. »Dein Vater hat seinen Vater bewundert«, erzählte mir Claus Jacobi einmal. Aber er habe ihn auch angeschrien. »Schmier dir dein Geld doch in Haare!«, soll er gebrüllt haben. »Sein Befinden war durchaus abhängig vom Stand der Beziehungen zu seinem Vater. Und die schwankten heftig«, schrieb Hermann Schreiber, ehemaliger Geo-Chef und einer der engsten Vertrauten meines Vaters. Der Junior sehnte sich nach einem ganz »normalen« Leben. Einfaches, reichhaltiges Essen, nicht die leicht zickige Suche nach dem »besten Haus am Platz«, den Restaurants, in denen das Teuerste gerade gut genug war. Einfache Menschen, nicht die verschlagenen Anzugträger, die den Verleger umschmeichelten wie Bücklinge die Majestäten bei Hofe. Und Familie, das war die ganz große Sehnsucht meines Vaters: Eine Frau, zwei Kinder, gern noch mehr. Die Familie sollte ein Ort der Ruhe und der Liebe für ihn sein. Ein Ort, der bleibt und nicht dauernd wechselt wie die Teilzeitheimaten seiner Kindheit. Sein Vater hatte sich von ihm getrennt, so empfand er es, nun trennte er sich mit aller Macht auch von ihm. Er wurde Gefreiter bei der Bundeswehr, ein Waffennarr, der später viel Geld für seine Sammlung historischer Gewehre. Viel weiter weg von einem leidenschaftlichen Zivilisten, wie es mein Großvater war, geht nicht. Und er heiratete. Mit 21, darin Axel Springer senior doch wieder ähnlich, der genauso jung war bei seiner ersten Eheschließung, und vielleicht gerade deshalb so heftig dagegen schimpfte.
Rosemarie Koschwald, eine blonde, schlagfertige und unabhängige Frau und waschechte Berliner Schnauze musste es sein. Ihr gefiel der junge Mann, der so ganz anders war als die reichen Jünglinge mit ihren nagelneuen grünen Triumph Spitfires, die sie sonst umschwärmten. Bei ihm musste sie die Tür des rumpeligen VW Käfers von innen festhalten, wenn sie eine Ausfahrt machten. Sein damals schon berühmter Name störte sie eher, als dass er sie beeindruckte. Als sich die beiden ineinander verliebten, war er 19 und sie 16 Jahre jung. Sein feiner, schneller Humor brachte sie ständig zum Lachen. Mit ihm lernte man immer neue Menschen kennen. Die Fotos, die er zunächst nur als Hobby machte, berührten sie. Sie ermunterte ihn zur Fotografenkarriere und klar sagte sie »ja«, mit neunzehn, der musste es sein. Mein Vater erhielt dann erst einmal Hausverbot im Verlag, so sauer war mein Großvater, dass der sich einfach seinen Tiraden widersetzte. Zur Hochzeit erschien der Verleger nicht, erst zum Hochzeitsempfang, den Axel Juniors Mutter Katrin für das Brautpaar gab.
Sie rauften sich zusammen, mein Vater und mein Großvater, aber vor allem rauften sie. Mein Großvater »gewöhnte« sich bald an meine Mutter, die sagenhaft hübsch war und wohl auch ziemlich frech. Er war nicht der Mann, der schönen Frauen lange böse war, tanzte sogar mit ihr auf dem einen oder anderen Ball. Und heimlich bewunderte er seinen Sohn wohl auch ein bisschen, der unter dem Künstlernamen Sven Simon eine große Fotografenkarriere begann und eine erfolgreiche Fotoagentur ins Leben rief. Das Bild von Uwe Seeler, der 1966 beim WM-Finale gegen England an der Seite eines »Bobbys« vom Platz schleicht, ist von ihm. Es wurde zum »Sportfoto des Jahrhunderts« gewählt. In seinen Bildern spürt man die Liebe zu den Menschen und den leichten Zugang, den er zu ihnen fand – zu Hafenarbeitern ebenso wie zu Sportstars, Kanzlern oder Präsidenten. 1967 kehrte mein Vater, der Jahre vorher beim Hamburger Abendblatt volontiert hatte, in den Verlag zurück. Er arbeitete für Twen, das legendäre Magazin, das seine besten Tage bereits hinter sich hatte, als Springer es übernahm. Für einen visuell denkenden Mann wie meinen Vater war das Heft trotzdem eine ideale Spielwiese, um neue Themen und Ideen auszuprobieren. Und vielleicht suchte er inzwischen auch die Sicherheit des großen Verlagshauses. Schließlich lebten Rosemarie und er nicht mehr für sich allein. 1962 war meine Schwester Ariane geboren worden. Und am 15. Januar 1966 konnten die Leser des Hamburger Abendblattes links oben auf Seite 6 eine kleine, bescheidene Anzeige sehen:
»Wir freuen uns über die Geburt unseres Sohnes
Axel Sven am 13. Januar 1966.
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