PROLOG
Bleib’ nüchtern und vergiss’ nicht, skeptisch zu sein![1]
David Hume war ein Mensch mit heftigen Affekten und ruhigen Gefühlen, und er besaß einen überaus kühnen Verstand. In seinem Jugendwerk, dem Treatise of Human Nature,[2] analysierte er eine Reihe philosophischer Probleme mit einer Überzeugungskraft und Eleganz, die heute noch auf größtes Interesse stoßen: das Induktionsproblem, die Kausalanalyse, die Frage nach der Existenz einer Außenwelt und des Ichs, das Problem der Einbildungskraft, die Sein-Sollens-Dichotomie, die Verträglichkeit von Freiheit und Notwendigkeit sowie der Ursprung von Recht und Moral.
Hume folgte in der Ausarbeitung dieser Themen ohne Rücksicht auf religiöse Traditionen und Autoritäten allein der Logik seiner Gedanken; und diese führten ihn in seiner Erkenntnistheorie vom vergleichsweise idyllischen Hafen eines dogmatischen Empirismus in den Wirbelsturm eines universellen Zweifels. Nach Jahren einsamen Denkens über die Fragwürdigkeit des Gedachten hatte Hume den Boden unter den Füßen verloren. Zwar konnte er mühelos durchschauen, welch mangelhafte Ware Dogmatiker am Markt der Ideen feilboten, aber der Verstand vermochte keine Sicherheit mehr zu geben; nicht-intellektuelle, instinktive Antriebe mussten den jungen Philosophen aus einer lebensgefährlichen Krise retten.[3]
Nach dieser Erfahrung, die er im Schlusskapitel des ersten Buches des Treatise of Human Nature eindrucksvoll schildert, gab Hume eine spezifische Form des Skeptizismus auf und erlaubte seinem Bedürfnis nach Geselligkeit, sich zu entfalten. Hume wurde ein kontaktfreudiger Mensch, ehrlich, herzlich, freigebig und überaus humorvoll ohne jedes künstliche Getue. Hume, der unverheiratet geblieben war, liebte Gespräche mit Freunden, genoss das ‹Fest der Vernunft› mit einigen Auserwählten – und solide Mahlzeiten. Nirgendwo sehen wir ihn auf sein überlegenes Genie pochen oder mit seinen Einsichten hausieren gehen. Hume war zufrieden, wenn er an seinen philosophischen Ideen arbeiten, am gesellschaftlichen Leben der Stadt, in der er gerade lebte, teilnehmen und darüber hinaus sich selbst und anderen Freude bereiten konnte. Mehrfach berichten Zeitgenossen voll Staunen, wie rasch intellektuelle Gegner ihre Vorurteile ihm gegenüber ablegten, sobald sie den Philosophen persönlich kennengelernt hatten. Humes Fähigkeit, auch über sich selbst, insbesondere über seine enorme Leibesfülle lachen zu können, ließ ihn leicht Freunde gewinnen; und die Tatsache, dass dem unbestechlichen Skeptiker im zwischenmenschlichen Kontakt praktisch jedes Misstrauen fehlte, machte ihn ausgesprochen liebenswert. Dieser Mangel an gesundem Misstrauen hatte allerdings auch seine Schattenseiten, wie in der berühmten Querele mit Jean-Jacques Rousseau besonders deutlich wurde. Im Vergleich zu seinen empiristischen Vorgängern war Hume ungleich moralischer als Francis Bacon, weitaus praktischer als George Berkeley und viel fröhlicher als John Locke. Nur Ungerechtigkeiten und die Arroganz von Fanatikern – vor allem dann, wenn sie sich mit dem Willen Gottes bestens vertraut wähnten –, vermochten ihn zeitlebens zu empören und kurzfristig auch zu verbittern.
Trotz seines ausgeprägten Sinns für Geselligkeit kehrte Hume immer wieder zu seinen Studien und der damit verbundenen Einsamkeit zurück. Nach der Veröffentlichung des Treatise of Human Nature, den Hume weitgehend in Frankreich, und zwar in Sichtweite jenes Jesuitenklosters geschrieben hatte, in dem René Descartes erzogen worden war, wandte er sich auch gedanklich praktischeren Dingen zu. Hume verfasste eine Reihe von Essays über politische, ökonomische, literarische und religionsphilosophische Themen, die seinen Ruhm als bedeutendster englischsprachiger Schriftsteller seiner Zeit begründeten. Hume verkörperte für viele das Ideal von Unabhängigkeit und Unparteilichkeit inmitten ideologischer Gehässigkeiten. Durch den Erfolg der Essays Moral and Political[4] ermutigt, entschloss sich Hume, seinen unglücklichen, von der Öffentlichkeit entweder geschmähten oder gänzlich ignorierten Treatise of Human Nature in einer sprachlich gefälligeren Form zu überarbeiten. Mit Akribie vermied Hume in der Enquiry concerning Human Understanding und der Enquiry concerning the Principles of Morals jene Spuren von Weltfremdheit und Versponnenheit, die dazu geführt hatten, dass sein Jugendwerk als eine Form des philosophischen Skeptizismus abgetan wurde, die niemand ernst nehmen müsse. Den beiden überarbeiteten Versionen sieht man die skeptischen Stürme des Treatise of Human Nature nicht mehr an, vielmehr sind sie auf der Basis des common sense, des ‹gesunden Menschenverstandes› geschrieben.
Nach der Veröffentlichung seiner Philosophie arbeitete Hume fast zehn Jahre lang an der History of England. Er versuchte darin, die Geschichte Englands aus kosmopolitischer Sicht zu schreiben. Obwohl auch diese Arbeit zunächst einen wahren Sturm der Entrüstung auslöste, wurde sie schließlich eine der einflussreichsten Geschichtsdarstellungen, die je verfasst wurden. Humes History of England dürfte sogar eines jener wenigen Bücher sein, deren Leserkreis einmal den Großteil der lesenden Öffentlichkeit Großbritanniens einschloss. Noch Mitte des 19. Jahrhunderts sah Theodor Fontane Humes Werke «in endloser Reihe»[5] in englischen Wohnzimmern stehen, und bis heute wurden von der History of England allein auf Englisch mindestens 100 Ausgaben publiziert. Im 19. Jahrhundert zählte man Hume in britischen Bibliotheken zumeist zu den Historikern und nicht zu den Philosophen (wie etwa im Katalog des British Museum). Kein Philosoph seines Rangs besitzt einen vergleichbaren Status als Historiker.[6]
Da Hume Schotte war, musste er in England in Zeiten ausgeprägt anti-schottischer Ressentiments zahlreiche Erniedrigungen ertragen. Es bedurfte wohl der Werke von Walter Scott, bis größere Teile der englischen Öffentlichkeit bereit waren, sich einzugestehen, dass ihre Nachbarn im nördlichen Teil der Insel gleichberechtigte Partner seien.[7] Und Hume war nicht bloß Schotte, sondern obendrein wortgewaltiger Befürworter gefährlicher, nämlich religionskritischer Ideen. Deshalb war er, auch in seiner engeren Heimat, derben Attacken von christlicher Seite ausgesetzt. Zweimal war es dem schottischen Klerus gelungen zu verhindern, dass Hume auf einen Universitälslehrstuhl berufen wurde, so dass er nicht-akademischen Tätigkeiten nachgehen musste. Zunächst wurde er Privatlehrer eines geisteskranken englischen Marquis, danach Sekretär eines schottischen Generals, den er auf eine militärische Expedition nach Frankreich sowie auf eine Gesandtschaftsreise an die Höfe in Wien und Turin begleitete.[8] Trotz neuerlicher Widerstände von Seiten religiösorthodoxer Kreise wurde einer der größten Philosophen, die je gelebt haben, schließlich Bibliothekar in Edinburgh, danach Sekretär und für einige Zeit chargé d’affaires, also Geschäftsträger, in der britischen Botschaft in Paris. Jahrelang war Hume dort Mittelpunkt der aufgeklärten Salons und des Hofes in Versailles.
Trotz ausgedehnter Reisen und längerer Auslandsaufenthalte verbrachte Hume den Großteil seines Lebens in Schottland, wo sich um ihn die heute so berühmten Schottischen Aufklärer versammelten. In dieser höchst bemerkenswerten Gruppe an Gelehrten wurde Humes Genie vollständig gewürdigt, wenn auch nicht vollständig gebilligt. Adam Smith, der große Moralphilosoph und Ökonom, war einer der wenigen, die sich problemlos in der Gedankenwelt Humes zurechtfinden konnten.[9] Aber auch er lehnte den intellektuellen Radikalismus seines Freundes ab. Während die französischen Aufklärer, trotz aller Wertschätzung, Humes engagierten, gelegentlich sogar kämpferischen Agnostizismus immer noch für zu wenig atheistisch hielten, wiesen die schottischen Freunde wesentliche Teile seiner Religions- und Erkenntniskritik als zu atheistisch zurück. Die Schottischen Aufklärer waren ausnahmslos dem Deismus nahegestanden, jener Religion der Aufklärung, die sich auf empirische Erfahrung stützen und zwischen Religion und der neu entstandenen Naturwissenschaft vermitteln wollte. Hume, der gelernt hatte, mit vielen Fragen und wenigen Antworten zu leben, dürfte sich daher zeitlebens intellektuell einsam gefühlt haben.[10]
Nach einer kurzen Tätigkeit als Unterstaatssekretär in London kehrte er im Alter von 58 Jahren endgültig nach Edinburgh zurück. Hoch geachtet verbrachte Hume dort den Lebensabend im Kreis der Freunde und starb, ohne den angeblichen Trost der Religion in Anspruch zu nehmen, zur herben Enttäuschung religiöser Fanatiker vollkommen ruhig und gelassen. «Sowohl zu Lebzeiten wie auch seit seinem Tod», so beschloss Smith das Epitaph auf seinen Freund, «habe ich ihn immer für denjenigen gehalten, der sich dem Ideal eines vollkommen weisen und moralischen Menschen so weit näherte, als es die Unvollkommenheit der menschlichen Natur vielleicht überhaupt zulässt.»[11] Humes französische...