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Dea Loher 'Adam Geist' - Ein moderner 'Woyzeck'?

Eine Analyse im Kontext der Gegenwartsdramatik

AutorAnja Fehrmann
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2007
Seitenanzahl84 Seiten
ISBN9783638814928
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis20,99 EUR
Examensarbeit aus dem Jahr 2005 im Fachbereich Germanistik - Neuere Deutsche Literatur, Note: 2,0, Westfälische Wilhelms-Universität Münster, 54 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: Die vorliegende Arbeit steht unter der Fragestellung: Dea Loher 'Adam Geist' - Ein moderner 'Woyzeck'? Eine Analyse im Kontext der Gegenwartsdramatik. Die sich anschließenden Zitate aus Rezensionen zum 1998 uraufgeführten Theaterstück 'Adam Geist' sollen die Bedeutung der Fragestellung rechtfertigen. ' Lohers Stück will das atomisierte Individuum Geist, einen neuen Woyzeck, zur freien moralischen Verhandlung auf die Bühne werfen [...].' (Theater heute) ... Diese Auswahl an Zitaten zeigt, dass 'Adam Geist' oft als ein moderner Woyzeck bezeichnet wird. Die vorliegende Arbeit verfolgt das Ziel, die hier angenommene Verbindung zwischen dem Gegenwartsdrama 'Adam Geist' und Büchners 'Woyzeck' literaturwissenschaftlich zu untersuchen. Anhand der textlichen Grundlage soll geprüft werden, ob diese These haltbar ist. Dabei bezieht sich das Interesse der vergleichenden Analyse nicht ausschließlich auf die Protagonisten Adam und Woyzeck, sondern ganz allgemein auf die betreffenden Dramen, deren Hauptfiguren sie sind. Somit sollen neben der Darstellung der Figuren auch die formalen Gegebenheiten, sprachliche Besonderheiten und die Kommunikationsstruktur geprüft und verglichen werden.

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Leseprobe

3. Dea Loher: Adam Geist


 

Das Stück „ Adam Geist“ ist das fünfte von Dea Loher geschriebene Theaterstück und ist 1998 in einer Inszenierung von Alexander Kriegenburg am Staatstheater in Hannover uraufgeführt worden. Für dieses Stück hat Dea Loher neben dem Jakob-Michael-Reinhold-Lenz Preis und dem Gerrit-Engelke-Preis, 1998 den Mühlheimer Dramatikerpreis erhalten.[135] Die Jury hat ihre Wahl begründet, dass sie das Stück als „ ethische wertvolle Auseinandersetzung mit dem Thema Gewalt“[136] sieht.

 

3.1 Die Figur des Adam


 

Bereits der Titel des Stückes gibt uns Auskunft über den Protagonisten. Pfister spricht in diesem Zusammenhang von der Verwendung „ sprechender Namen“. Adam erinnert aus biblischer Vorstellung heraus an den ersten Menschen. Mit seinem Nachnamen Geist verbindet sich eher eine intellektuelle Dimension.[137] Somit steht für Alexandra Ludewig

 

„ [...] ‚Geist´ stellvertretend für die ständige Hybris des Menschen, den Glauben an seine geistige Überlegenheit, die Vernunft und den Intellekt, an seine Spitzenstellung in der Evolution und auf der Skala der Erkenntnis.“[138]

 

Die Zusammensetzung aus dem Vornamen „ Adam“ und den Nachnamen „Geist“ gibt jedoch nicht explizit Aufschluss über charakterliche Züge des Protagonisten. Ludewig sieht in diesem Namen eine Entwicklung, die Adam an sich selbst vollzieht und die im Laufe dieser Figurenbeschreibung näher bestimmt werden soll.

 

Adam ist in einer Kleinstadt an der österreichisch-deutschen Grenze aufgewachsen. Bereits die dargestellte Ausgangssituation zeigt eine gewisse Aussichtslosigkeit des Protagonisten. Seine geliebte Mutter ist an Hautkrebs gestorben, ohne dass er vorher noch einmal mit ihr sprechen konnte. Seinen Vater hat er nie kennen gelernt und auch seine Verwandtschaft bietet ihm keinen sozialen Rückhalt. Nach einer Auseinandersetzung mit seinem Klempnermeister, der ihn wie seine Verwandten nicht über den Gesundheitszustand seiner Mutter informiert hat, gibt er seine Lehrstelle auf und verliert seine Unterkunft im Lehrlingsheim. Adam weicht also von dem bescheidenen Plan eine Ausbildung zu absolvieren ab. Der Regisseur Alexander Kriegenburg sieht in dem Tod der Mutter den Grund für diese folgenträchtige Entscheidung. Die Lehre hat Adam aus der Motivation heraus begonnen, Geld für die Reparatur seiner Spieluhr zu verdienen. Er wollte seine Mutter damit überraschen, indem er sie ihr schenkt. Dieses Ziel vor Augen gibt Adam eine Perspektive und einen Sinn für sein Leben. Mit dem Tod der Mutter ist diese Motivation verloren.[139] Adam benennt seine Perspektivlosigkeit  zum Ende des ersten Kapitels.

 

 ADAM Ja. So is recht.

 Ich verliers, ich verlier alles.

 Das bin ich doch, ich bin das, der Verlierer.

 Kein Vater keine Mutter keine Wohnung kei-

 ne Arbeit kein Geld

 was bleibt mir da noch übrig

 he[140]

 

Genia Schulz beschreibt dies als eine „ [...] Identität, die aus Negationen und Verwerfungen besteht [...]“[141]. Adam kann seiner Identität keine postitiven Aspekte zuordnen.

 

„ Kein Engel, aber auch kein Killer“[142]. Dieses Zitat stellt Loher ihrem Stück voraus und bereits in der Eingangsszene wird dieses Muster realisiert. Nachdem Adam seine Situation bewusst ist, jagt er seine Verwandten und seinen Meister aus dem Haus. Aufgebracht, aggressiv und gewaltbereit ruft er

 

 ADAM: [...] raus jetzt

 abhaun los verschwindet

 laßt mich allein mit ihr

 ganz allein

 oder ich mach euch zu Obdachlosen

 das Dach zünd ich euch an

 über euren Köpfen

 und ich singe dazu [143]

 

Doch sobald er allein ist, kippt die Stimmung. Loher kennzeichnet es im Nebentext durch das Stichwort „ Schweigen“ und Adams letzte Worte sind eine Hilfeschrei: ADAM Hilfe. Schweigen. Hilfe[144]

 

Was nun beginnt ist ein beschwerlicher Weg durch verschiedene Lebenssituationen. Ludewig fasst dies unter dem Namen „ Bildungsreise“[145] zusammen.

 

Als erstes versucht Adam in der Drogenszene Fuß zu fassen. In der Hoffnung sozialen Rückhalt zugewinnen, möchte er als Dealer arbeiten.

 

ADAM Der Andere wird mir einen Platz zum Schlafen besorgen, eine Wohnung, ein trockenes Plätzchen, capito, und ich werde weiter hier stehen und eine Wohnung, eine Arbeit, ein Einkommen haben, so läuft das, und jetzt verpiß dich [...][146]

 

Doch das Milieu, in dem Adam sich nun befindet, ist ihm nicht vertraut. Die Drogenszene hat ihre eigenen Regeln, die Adam nicht durchschaut. So endet die Station im Drogenmilieu, indem Adam von den anderen geschlagen am Boden liegt. Er befindet sich nun wieder in seiner Ausgangssituation

 

Adam hat den Wunsch seine Situation zu verbessern. Dies wird besonders in der Szene unter dem Titel „ Wachsen“ deutlich. Am Grab der Mutter trifft er ein Mädchen, das ihm erzählt, man könne durch Sexualität die Genialität stimulieren. Adam hofft auf Verbesserung seiner Lebenssituation: „ Ich würde was drum geben, wenn ich meine Genialität stimulieren könnte. Stimmt das auch wirklich.“[147] Daraufhin wollen beide gemeinsam ihre Sexualität erproben. Doch die Zuneigung zu dem Mädchen, die dadurch deutlich wird, dass Adam sie küssen möchte, schlägt schnell in eine Triebhaftigkeit um.[148]

 

Adam besitzt eine stille Gewaltbereitschaft seit frühester Kindheit: „ Wie die Tante an einem Ostertag mich angesehen hat mit ihren dummen Augen, und ich war sieben. [...] Da habe ich auch ein Messer gehabt, in der Hosentasche.“[149] Im Laufe der Handlung tritt diese Gewalttätigkeit immer wieder hervor, ohne dass sie einem erklärbaren Muster folgt.[150] Der plötzliche Trieb, das Mädchen zu vergewaltigen und zu töten, scheint selbst Adam unbegreiflich in einer späteren Erinnerung an die Tat.

 

ADAM: Einmal habe ich etwas sehr Schlimmes getan. Ohne daß ich es wollte. Es ist einfach so passiert, ohne daß ich es aufhalten konnte. Da hat mich etwas getrieben und immer weiter getrieben- ich weiß nicht was-

Wie es vorbei war, bin ich erst langsam zu mir selber gekommen.[151]

 

Es ist unbestreitbar, dass Adam diese Tat verübt hat, jedoch scheint die Gewalttätigkeit kein konstitutives Merkmal zu sein, um seien Charakter fassen zu können. Er passt nicht in das Bild eines Triebtäters, für den das Opfer Mittel zum Zweck ist. Nachdem er das Mädchen vergewaltigt und getötet hat, schneidet er sich selbst die Pulsadern auf. Doch Adam überlebt diesen Selbstmordversuch. Er findet sich in einer Nervenheilanstalt wieder. Nach der Brutalität der vorausgehenden Szene erscheint Adam in dieser Situation eher sanft und verträumt. Er wünschte sich in seine Erinnerungen, sich dem Mädchen anzuvertrauen: „ Ich hätte es dem Mädchen erzählt. Alles. Es hätte zugehört, wenn ich ihm nur ein bisschen schöner getan hätte. Ihm hätte ich es sagen können.“[152] Die Triebhaftigkeit der Szene „ Wachsen“ steht also einer gewissen Ruhe des Protagonisten der anschließenden Szene gegenüber. Eben „[k]ein Engel, aber auch kein Killer“.[153]

 

Im Anschluss an den Aufenthalt in der Nervenheilanstalt trifft Adam auf  den „rettende[n] Engel“[154], ein Indianer. der ihn aus einer prekären Situation rettet. Adam freundet sich mit ihm an und verliebt sich in ihn. Adam vertraut sich ihm an, weil auch er etwas besitzt, das ihm viel bedeutet. Die Spieluhr des Adam und die zirpenden Grillen des Indianers verbindet die beiden.[155] Durch die Freundschaft zum Indianer, der als Feuerwehrmann arbeitet, eröffnet sich für Adam eine neue Lebensperspektive.

 

ADAM: Kleine Kinder, die in Teiche springen, Frauen, die sich strangulieren mit der Wäscheleine aus Versehen, Omas, die über die Kohlenschaufel stolpern und schon gibt es einen Schwelenbrand- [...] Schön muß das sein.[156]

 

Adam wird zum Helden, als er zwei Kinder aus einem brennenden Haus rettet und den Brandstifter überführt. Er fügt sich in die Gemeinschaft der Feuerwehr ein: „ Der Adam ist ein Held. Aber einer von uns.“[157] Doch als sein Freund an einer Überdosis Drogen stirbt, rächt Adam seinen Geliebten mit einem Kettensägenmassaker an den Giftlern, die er für den Tod seines Freundes verantwortlich macht. Andreas Kriegenburg sieht darin das „ [...] ungeheure Aggressionspotential  unter der ungeheuer dünnen Schicht von Sozialisierung [...]“[158] Als Mitglied innerhalb der Feuerwehr, ist es Adams Ziel, Menschenleben zu retten....

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