Der schmerzhafte Prolog
Dieses Buch handelt nicht von mir. Aber da es nun einmal vom Ego handelt, werde ich eine Frage ansprechen, die nicht zu stellen mich als scheinheiligen Heuchler dastehen lassen würde.
Wer zum Teufel bin ich, dass ich es mir herausnehme, ein Buch über das Ego zu schreiben?
Meine Geschichte hat keine besondere Relevanz für die Lektionen in diesem Buch, dennoch möchte ich sie, um die ganze Sache in einen Zusammenhang zu stellen, zu Beginn kurz erzählen. Immerhin habe ich in meinem kurzen Leben das Ego in all seinen Stufen durchlebt: Aufstieg. Erfolg. Scheitern. Immer und immer wieder.
Als sich mir mit 19 Jahren ein paar außergewöhnliche und alles Bisherige auf den Kopf stellende Möglichkeiten eröffneten, schmiss ich das College. Ich hatte Mentoren, die um meine Aufmerksamkeit buhlten und mich als ihren Protegé unter die Fittiche nahmen. Ich war der Junge der Stunde, man traute mir alles zu, und der Erfolg ließ nicht lange auf sich warten.
Nach meinem Aufstieg zum jüngsten Manager in einer Talentagentur in Beverly Hills half ich mit, eine Reihe berühmter Rockbands zu verpflichten und mit ihnen zu arbeiten. Ich beriet Autoren, deren Bücher sich anschließend millionenfach verkauften und ein neues literarisches Genre begründeten. Mit 21 ging ich als Strategieberater zu American Apparel, damals eines der angesagtesten Modelabels weltweit. Es dauerte nicht lange, und ich war Marketingdirektor.
Mit 25 veröffentlichte ich mein erstes Buch. Das Buch, auf dessen Cover mein Gesicht prangte, wurde sofort zu einem Bestseller, der sehr umstritten war. Ein Filmstudio sicherte sich die Rechte für eine TV-Show über mein Leben. In den folgenden fünf Jahren sammelte ich viele Insignien des Erfolgs – Einfluss, eine Plattform, Presse, Geld und sogar einen schlechten Ruf. Auf dieser Grundlage baute ich in der Folgezeit ein erfolgreiches Unternehmen auf, bei dem ich mit ebenso bekannten wie gut zahlenden Klienten arbeitete und die Art Dinge tat, die einem Einladungen als Redner bei Konferenzen und exklusiven Events einbringt.
Mit dem Erfolg einher geht die Versuchung, sich selbst eine Geschichte zu erzählen, die Kanten zu glätten, die Rolle der glücklichen Zufälle herunterzuspielen und der ganzen Sache einen geheimnisvollen Anstrich zu verleihen. Sie wissen schon, das groß angelegte Narrativ eines herkulischen Kampfes gegen anscheinend unüberwindbare Hindernisse: Ich schlief auf dem nackten Boden, ich wurde von meinen Eltern verstoßen und ich litt unter meinem Ehrgeiz. Es ist die Art von Erzählung, in der am Ende dein Talent zu deiner Identität wird und dein Erfolg deinen Selbstwert ausmacht.
Aber solche Storys sind niemals ehrlich oder hilfreich. In meiner kurzen Schilderung habe ich eine Menge weggelassen: Der ganze Stress und die vielen Versuchungen, die schwindelerregenden Abstürze und die Fehler – alle Fehler –, sie alle landeten zugunsten der Hochglanz-Spule auf dem Boden des Schnittraums: die Momente, über die ich lieber nicht reden möchte; die öffentliche Bloßstellung durch jemanden, zu dem ich aufschaute und die mich zu der Zeit so sehr niederwarf, dass ich schließlich in der Notaufnahme landete; der Tag, an dem ich die Nerven verlor, in das Büro meines Bosses stiefelte und ihm eröffnete, dass ich der Sache nicht gewachsen war und zurück an die Uni gehen würde – und das auch genau so meinte; die flüchtige Natur des Bestseller-Ruhms und wie kurz dieser in Wahrheit anhielt (eine Woche); die Lesung, zu der ein einziger Besucher kam; das Unternehmen, das ich gegründet hatte, nur um es an die Wand zu fahren und dann wieder aufbauen zu müssen. Nicht nur ein Mal, sondern gleich zwei Mal. Das sind nur ein paar der Episoden, die bequemerweise der Schere des Egos zum Opfer fallen.
Auch dieses etwas vollständigere Bild bildet nur den Bruchteil eines Lebens ab, aber wenigstens zeigt es mehr von den Dingen, die wichtig sind – zumindest wichtig für dieses Buch: Ehrgeiz, Erfolg und Scheitern.
Ich gehöre nicht zu den Menschen, die an eine Epiphanie glauben, an das eine entscheidende Ereignis, das einen Mensch von Grund auf verändert. Es gehören viele dazu. In meinem Fall war es ein Zeitraum von rund sechs Monaten im Jahr 2014, in dem alle diese Ereignisse aufeinander zu folgen schienen.
Erstens, American Apparel – wo ich einen guten Teil meiner besten Arbeit geleistet hatte – stand mit mehreren Hundert Millionen Dollar Schulden am Rande des Bankrotts und war nur noch die Hülle seines früheren Selbst. Sein Gründer, den ich seit meiner Jugendzeit zutiefst bewundert hatte, wurde ohne viel Federlesens von dem von ihm selbst handverlesenen Vorstand gefeuert und musste am Ende auf der Couch eines Freundes schlafen. Dann geriet die Talentagentur, in der ich mir die ersten Sporen verdient hatte, in eine ähnliche Schieflage, als sie von Klienten verklagt wurde, denen sie einen Haufen Geld schuldete. Und schließlich erlitt um etwa dieselbe Zeit ein weiterer meiner Mentoren Schiffbruch – und damit auch unsere Geschäftsbeziehung.
Das waren Leute, an denen ich mein Leben ausgerichtet hatte. Die Leute, zu denen ich aufgeschaut und von denen ich gelernt hatte. Ihre Stabilität – finanziell, emotional und psychisch – war für mich nicht einfach selbstverständlich, sie war für meine Existenz und mein Selbstwertgefühl entscheidend. Und doch, hier implodierten sie, direkt vor meinen Augen, einer nach dem anderen.
Alles löste sich auf, oder zumindest fühlte es sich für mich so an. Wenn man sein ganzes Leben lang wie eine bestimmte Person sein wollte und plötzlich erkennen muss, dass man niemals wie diese Person werden will, erleidet man ein Trauma, auf das man nicht vorbereitet ist.
Diese Auflösung betraf auch mich selbst. Gerade als ich es mir am wenigsten leisten konnte, drängten sich Probleme in den Vordergrund, die ich in meinem eigenen Leben vernachlässigt hatte.
Ungeachtet meiner Erfolge landete ich wieder in der Stadt, in der ich begonnen hatte, gestresst und überarbeitet, hatte einen guten Teil meiner hart erworbenen Freiheit aufgegeben, weil ich nicht Nein sagen konnte zum Geld und dem Nervenkitzel einer guten Krise. Ich war dermaßen angespannt, dass die kleinste Störung mich in rasende, unversöhnliche Rage versetzte. Meine Arbeit, die mir immer leicht von der Hand gegangen war, geriet zur reinen Plackerei. Mein Glaube an mich und an andere zerbrach. Und meine Lebensqualität litt.
Einmal kam ich nach einer wochenlangen Geschäftsreise nach Hause und wurde von einer schweren Panikattacke erfasst, weil das WLAN nicht funktionierte – Wenn ich diese E-Mails nicht jetzt sofort rausschicke. Wenn ich diese E-Mails nicht jetzt sofort rausschicke. Wenn ich diese E-Mails nicht sofort jetzt rausschicke …
Du denkst, du tust alles, was von dir erwartet wird. Die Gesellschaft belohnt dich dafür. Doch dann musst du mit ansehen, wie deine künftige Frau das Haus verlässt, weil du nicht mehr der Mensch bist, der du einmal warst.
Wie passieren solche Dinge? Ist es wirklich möglich, an einem Tag das Gefühl zu haben, auf den Schultern von Giganten zu stehen, und am nächsten Tag unter dem Schutt mehrfacher Implosionen begraben zu liegen und zu versuchen, die Ruinen zur Seite zu räumen?
Ein Gutes allerdings hatte die Sache. Sie zwang mich, mich der Tatsache zu stellen, dass ich ein Workaholic war. Nicht in der »Oh, er arbeitet einfach zu viel«-Art oder auf die »Jetzt entspann dich halt mal«-Weise, sondern mehr wie in »Wenn er nicht bald mit einer Therapie anfängt und wieder runterkommt, wird er eines frühen Todes sterben«. Der Antrieb und der Druck, die mir so früh so viel Erfolg beschert hatten, hatten, so erkannte ich, einen genauso hohen Preis von mir gefordert – wie von so vielen anderen auch. Das Problem war weniger die Menge der Arbeit als vielmehr die exzessive Rolle, die sie in meinem Selbstverständnis eingenommen hatte. Ich steckte ganz und gar in meinem eigenen Kopf fest, sodass ich ein Gefangener meiner Gedanken geworden war. Das Resultat war eine Tretmühle aus Qual und Frustration, und ich musste herausfinden, warum das so war, wenn ich nicht auf ebenso tragische Weise wie meine früheren Vorbilder zerbrechen wollte.
Als Forscher und Autor habe ich mich über lange Zeit hinweg mit Geschichte und Wirtschaft beschäftigt. Wie bei allem, bei dem Menschen eine Rolle spielen, treten bestimmte universelle Themen zutage, sobald man weit genug gespannte Zeiträume betrachtet. Das sind die Themen, die mich seit Langem faszinierten. Und darunter stand an allererster Stelle das Ego.
Das Ego und seine Auswirkungen waren mir keineswegs fremd. Tatsächlich hatte ich schon knapp ein Jahr für dieses Buch recherchiert, bevor die angesprochenen Ereignisse geschahen. Doch die schmerzhaften Erfahrungen, die ich in dieser Zeit machte, erschlossen mir die Konzepte, die ich untersuchte, auf eine Weise, die mir zuvor nicht zugänglich gewesen wäre.
Das ermöglichte es mir, die negativen Auswirkungen des Egos nicht nur in mir selbst oder auf den Seiten der Geschichtsbücher zu sehen, sondern auch bei Freunden und Klienten und Kollegen, darunter etliche, die in ihren Branchen auf den höchsten Posten saßen. Ihr Ego hat Menschen, die ich bewundere, Hunderte Millionen Dollar gekostet und sie wie Sisyphus just in dem Moment in den Abgrund gestürzt, als sie den Gipfel erreicht zu haben glaubten. Zumindest habe ich jetzt selbst einen Blick über diese Klippe geworfen.
Ein paar Monate nach dieser Erkenntnis ließ ich mir den Satz »EGO IS THE ENEMY« auf den rechten Unterarm...