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E-Book

Mit den Jahren wachsen

Tägliche Meditationen, die durch das Auf und Ab des Lebens begleiten

AutorMalcolm Boyd
VerlagS. Fischer Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl386 Seiten
ISBN9783105616987
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis7,99 EUR
Dieses Buch begleitet in 365 Meditationen durch das Auf und Ab des Lebens, gibt Hoffnung, ermutigt dazu, auch mal ein Risiko einzugehen, nach vorne zu schauen, sich im Einklang mit dem Wandel der Zeit zu entfalten. Es hilft, voll Selbstvertrauen aus den gesammelten Erfahrungen zu schöpfen und dennoch die Welt mit täglich neuen Augen zu betrachten. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Malcolm Boyd (1923-2015) war ein amerikanischer Autor und Theologe.

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Leseprobe

Februar


1. Februar

Als Single in fortgeschrittenem Alter habe ich mein gesichertes Auskommen und vielseitige Interessen. Dennoch fällt mir das Leben ohne Partnerschaft außerordentlich schwer.

Es ist die natürlichste Sache der Welt, daß wir uns nach Gemeinschaft sehnen. Aber viele Menschen sind allein. Einige haben immer allein gelebt, andere ihren Ehepartner verloren, wieder andere sind geschieden. Aber die Ironie des Schicksals will es, daß jene, die in einer festen Beziehung leben, oftmals die Alleinstehenden beneiden.

Wie kommt es, daß uns das Gras auf der anderen Seite des Zauns stets grüner erscheint? Die Frage läßt sich nur so beantworten, daß wir, in der Partnerschaft oder als Single, Wege der Selbstbestätigung finden müssen. Das Zusammenleben mit anderen ist nicht der einzige Weg dazu. Denn ein erfülltes Leben verdanken die meisten von uns keineswegs anderen Menschen.

Noch einen Schritt weiter in dieser Erkenntnis geht die Dichterin Marianne Moore, die als bestes Heilmittel gegen das Alleinsein die Einsamkeit nennt. Wir müssen das Alleinsein lernen, die Dämonen bändigen und Frieden finden. Diesen Frieden finden wir aber weder in pausenloser Beschäftigung noch in der Abhängigkeit von anderen.

Ich möchte mich daran gewöhnen, mit mir selbst zusammenzusein, selbst wenn ich mit jemandem zusammen bin.

2. Februar

Sich verwirrt zu fühlen ist der Anfang des Wissens.

Kahlil Gibran

Wie oft zeigen wir uns den Gefühlen der anderen gegenüber irritiert oder gar intolerant?

Noch empfindlicher reagieren wir auf die Art und Weise spontaner Gefühlsausbrüche. Wir akzeptieren zwar, daß bei bestimmten Anlässen in der Öffentlichkeit geweint wird – aber ansonsten doch bitteschön die Grenzen des guten Geschmacks wahren! Sich der menschlichen Sensibilität und Verletzlichkeit gegenüber verschließen kommt jedoch einer generellen Verarmung und Gefühlskälte gleich. Nur wenn wir Gefühle als Teil unseres menschlichen Miteinanders akzeptieren, werden wir sie verstehen lernen. Vergessen wir nicht, daß Verstehen zugleich Wissen heißt. Setzen wir dieses Wissen an Stelle der Irritation, der Unsicherheit, der Intoleranz und einer weit verbreiteten Hilflosigkeit im Umgang mit Gefühlen. Wenn wir uns offen zu unseren Gefühlsäußerungen bekennen, werden wir begreifen, daß sie kein Zeichen unserer Schwäche, sondern vielmehr Ausdruck unserer Sensibilität und Wärme sind.

Ich möchte versuchen, offen zu sein für die ehrlichen und unverhohlenen Gefühle der anderen.

3. Februar

Ich habe gelernt, meinen Schmerz schrittweise zu bewältigen. Auf diese Weise werde ich die nächste halbe Stunde durchstehen und auch für die übernächste gewappnet sein.

Es gibt eine Grenze dessen, was wir auf einen Schlag verkraften können. Wenn wir versuchen, unser ganzes Leben zu rekapitulieren, werden wir rasch merken, daß wir überfordert sind und im dunkeln tappen.

Gelingt es uns aber, zwischen den einzelnen Etappen unserer Biographie zu unterscheiden und uns rückblickend lediglich mit einem bestimmten Abschnitt zu befassen, so haben wir sehr viel bessere Möglichkeiten der Vergangenheitsbewältigung. Schmerz läßt sich mit nichts vergleichen. Er fordert uns ganz, wird uns zugleich aber auch vertraut. Wir gewöhnen uns an sein Kommen und Gehen. Phasen extremer Belastung über einen längeren Zeitraum zu ertragen kann allerdings verheerende Auswirkungen haben. Nur wenn wir einen Sinn für das Machbare entwickeln, werden wir fähig sein, mit unserem Schmerz umzugehen.

In gewisser Hinsicht gleicht das Leben selbst dem Schmerz. Wir werden es kaum in einem Zug durchleben können, es wäre auch nicht der Sinn der Sache. Aber wenn wir es in überschaubare Abschnitte gliedern, werden wir mit der Zeit lernen, wie wir ihm begegnen, wenn uns der Schmerz zu überwältigen droht – und ihm Positives entgegensetzen.

Ich möchte das Leben nicht als Ganzes betrachten, sondern als eine großartige Sammlung kostbarer Fragmente.

4. Februar

Die alten Tage? Welche alten Tage? Ich erinnere mich an nichts. Was würden sie mich auch kümmern, solange ich heute lebe?

Rodney Hall

Es ist schon tragisch, mit ansehen zu müssen, mit wieviel Verbissenheit und Kurzsichtigkeit manche lediglich dem Augenblick leben – gleich Motten, die auf eine offene Flamme zufliegen. Dabei handelt es sich häufig um Menschen, die den Höhen und Tiefen der Vergangenheit gegenüber blind sind und keinerlei Wink für die Gegenwart darin erkennen.

Und dennoch gehören die alten Tage zu unserem Leben. Manche bleiben uns als gut, andere als schlecht in Erinnerung – immer aber sind sie uns Lehrmeister. Wir erkennen uns darin wie in einem Spiegel. Unsere Eltern sind uns im Alter ebenso Leitfiguren wie unsere Geschwister, Großeltern, Freunde und Freundinnen aus Kindertagen und Autoritätspersonen aus der Schulzeit. Manche haben wir nur noch unklar vor Augen, wenngleich sie in unseren Träumen bisweilen zum Leben erwachen. Deshalb sollte in unserer Erinnerung Raum sein für Wegbegleiter, die uns mit der Zeit lieb geworden sind, Orte, die uns faszinierten, Kindheitserlebnisse und Meilensteine, die unser Erwachsenwerden markierten.

Nehmen wir uns Zeit für die alten Tage, vergeben wir, wem wir nur können, feiern wir, wo sich ein Anlaß bietet, und lernen wir aus ihnen unentwegt.

Ich möchte mir meine Erinnerungen bewahren, die guten wie die schlechten, die schönen wie die bitteren und sie nie, nie vergessen.

5. Februar

Ich versuche, dreizehnmal am Tag zu kichern. Auch wenn es sich seltsam anhört – irgendwann wird es so albern, daß es Spaß macht. Kostenpunkt: Null.

Wir sollten Freude in unser Leben bringen, einfach öfters einmal übermütig sein und lachen, bis uns der Bauch weh tut. Selbst wenn es uns als unseriös erscheinen mag, nicht ganz geheuer ist, in Verlegenheit bringt und kindisch vorkommt! Wie viele Jahre haben wir darauf verwandt, selbst Lachfalten zu vermeiden?

Dreizehnmal am Tag kichern ist ein guter Start. Ob wir nun über sinnlosen Plunder lachen oder Lärm mit Lärm übertönen, das Spektrum der Möglichkeiten ist unbegrenzt.

Eine große Chance, die die späten Jahre mit sich bringen – sie stimmen uns versöhnlicher, inspirieren uns, vorbehaltloser und häufiger zu lachen und unverhohlen auf des Kaisers neue Kleider zu starren. Es heißt, daß unser Schöpfer in der Göttlichen Komödie einen bewundernswerten Sinn für Humor bewiesen habe, allein schon indem er uns erschuf.

Angesichts der vielen Kämpfe und Schwierigkeiten, die das Leben mit sich bringt, kann es nur von Nutzen sein, wenn wir uns in der Kunst des Lachens üben. Schieben wir unsere Bedenken beiseite und zögern wir nicht länger, auszuziehen, das Lachen zu suchen.

Ich möchte mich an allem, was mich zum Lachen anregt, freuen und mir dieses Recht von niemandem nehmen lassen.

6. Februar

Ich bin nicht im Ruhestand! Ruhestand ist etwas für Versicherungsbeamte mit Golf-Carts und so – ich stehe ganz woanders.

Marcia Davenport

Der Ruhestand hat viele Gesichter. Für manche ist er ein tolles Abenteuer, für andere ein einziges Mißverständnis und Anlaß zur Schwermut.

Es gibt aber keinen Grund aufzugeben, da es sich mitnichten um eine Art langsamen Sterbens handeln muß. Der Ruhestand bietet uns vielmehr die Möglichkeit, eine andere Gangart und Richtung einzuschlagen, uns als Persönlichkeit weiterzuentwickeln und in Dinge hineinzuwachsen, für die früher keine Zeit war. Er bietet uns Muße zur Erweiterung unseres Horizonts.

Voraussetzung für einen erfüllten Ruhestand ist, abgesehen von der entsprechenden Planung, ein gesunder Menschenverstand, eine Portion Vertrauen und das Bewußtsein, daß man sich auf eine Reise in ein noch unbekanntes Land begibt. Dies kann etwa heißen, aus der Tretmühle alter Lebensgewohnheiten abzuspringen, weil sie anstatt Überraschungen nur noch Langeweile birgt. Wer sich auch im Ruhestand immer wieder von neuen Ideen inspirieren läßt, wird ungeahnte Entdeckungen machen, neue Pfade erkennen und selbst vor unerwarteten Windungen des Lebenswegs nicht zurückschrecken. Im glücklichsten Fall kann es eine Reise in unser Innerstes werden – zum Sinn des Lebens.

Ich werde den «Ruhestand» als «Vorwärtsgehen» auffassen und möchte die Reise voller Mut und Zuversicht antreten.

7. Februar

Lassen wir die Vergangenheit hinter uns, indem wir uns ver söhnlich zeigen und bedenken, daß niemand vollkommen ist

Warum tun wir uns in dieser Hinsicht stets so schwer? Wir neigen dazu, die Vergangenheit wie einen Geliebten zu umarmen, selbst wenn er uns unaussprechlichen Schmerz und Kummer zugefügt hat. Warun können wir Vergangenes nicht einfach abschütteln und in der Gegenwart leben? Die Erinnerungen bleiber uns doch, auch ohne daß wir uns von ihnen beherrschen lassen.

Es scheint uns aber noch härter zu treffen, längs vergangenes Unrecht zu vergeben und Träume, die zerbrochen sind, endlich zu vergessen. Manchma klammern wir uns an einen alten Groll, als ob er uns heilig wäre. Und so drehen und wenden wir längs vergangene Auseinandersetzungen immer wieder hir und her, spulen sie ab gleich einem alten Video, bis sie Besitz von uns...

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