Kurz vor Beendigung meiner Friseurlehre sprach ich in München an einer Schauspielschule vor. Zur Belohnung für meinen Mut ließ ich mir in einem szenigen Salon die Haare schneiden. Der Friseur fragte mich nach meinem Sternzeichen. Ich antwortete ihm: »Stier.« Er erzählte mir ein paar Dinge: »stur« und »Stiernacken« und so, und ich dachte leicht echauffiert: »Also wirklich, so ein Quatsch!« Aber dann sagte er zu mir: »Ist das nicht was für dich? Frag doch mal alle deine Kunden nach dem Sternzeichen, einfach so nebenbei!« Ich weiß nicht, warum, aber irgendwie blieb das hängen und ich tat genau das: Ich fing an, Menschen nach ihrem Sternzeichen zu fragen. Und ich stellte fest, dass ich viel schneller einen Zugang zu ihnen fand, dass wir leichter ins Gespräch kamen und ich ihnen zeigen konnte, dass ich an ihnen interessiert bin. Meine Neugierde auf die Astrologie war geweckt.
Natürlich gibt es nicht die eine Frisur, die alle Vertreter eines Sternzeichens tragen müssen. Aber mit der Zeit fiel mir auf: Eine Krebsfrau, die Dauerwelle und Löwenmähne trug – alles bombastisch nach oben toupiert – fühlte sich damit eigentlich nicht richtig wohl. Ein entspannter Look passte viel besser zu ihr, er war nicht so »over the top«. Für eine Löwin hingegen war das genau das Richtige, denn sie liebte es, aufzufallen und ihre Mähne zu präsentieren. Wild und lebendig sollte es damals, in den späten achtziger Jahren, für die Löwe-Frauen sein. Und auch Löwe-Männer hatten erstaunlich oft längere Haare.
Jedenfalls fand ich das alles erst mal ganz spannend. Irgendwann kaufte ich mir dann tatsächlich meine ersten Astrologiebücher und fing an, mich immer mehr mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Parallel dazu stellte ich weiter fest, dass es auch bei anderen Sternzeichen typische Frisuren, Haarstrukturen oder Looks gab, die ihnen gut standen oder die ihr inneres Bild, ihre Persönlichkeit stärker nach außen hin unterstützten. Es war ein ganz natürlicher Prozess, der wie nebenbei passierte. Astrologie und Haare – das faszinierte mich und ich verfolgte es, ohne zu wissen, was daraus werden sollte.
Auch sechsundzwanzig Jahre später frage ich Menschen – vor oder beim Haareschneiden, beim ersten, dritten oder sechsten Termin – nach dem Sternzeichen. Und ich habe beobachtet, gelernt und verglichen. Mitte der neunziger Jahre habe ich auch mal eine Astrologieausbildung angefangen, aber das war mir für mein Leben zu dogmatisch. Und man musste Horoskope damals auch noch ohne die Hilfe von Computern selbst ausrechnen. Dann saß man mehrere Nächte an einem Horoskop. Das war spannend, ja, aber für mein Leben letztendlich zu langsam.
Schon während meiner Lehre wollte ich nach Paris reisen, um Alexandre de Paris kennenzulernen, einen berühmten Friseur, der zum Beispiel Grace Kelly, Audrey Hepburn und Romy Schneider die Haare geschnitten hatte. Ich habe tatsächlich die Chance bekommen, ihm über die Schulter zu schauen. Das war in Genf, wo er auch einen Salon führte. Dort habe ich während meiner Ausbildung mehrere Monate gearbeitet.
Später habe ich in den neunziger Jahren noch mehrmals im Ausland Haare geschnitten, jedes Jahr einige Wochen hier und einige Wochen dort. Es waren oft Zufälle, die mich weiterbrachten: Ich habe in London auf der Straße jemanden getroffen, der in der Akademie von Vidal Sassoon gearbeitet hat und mich dorthin mitnahm. Dann kannte ich jemanden bei John Frieda und konnte auch dort etwas lernen und darüber kam ich wiederum nach Los Angeles zu Sally Hershberger. Diese Stationen waren teilweise recht kurz, aber ich habe unheimlich viele Eindrücke sammeln dürfen.
Ich war von Anfang an immer neugierig auf diesen Beruf, auf das Thema Haare, auf die Welt und alles, was es in ihr zu entdecken gibt. Ich hatte eine ganz wunderbare Kindheit und habe eine großartige Familie, ich liebe das Rheinland, aber ich hatte auch immer große Lust auf die Stadt – darauf, ein Reisender zu sein, der ein-, zweimal im Jahr zu seinen Wurzeln zurückkehrt.
Einen eigenen Salon wollte ich eigentlich nie. Ich habe sehr lange dafür gekämpft, mich Schauspieler nennen zu dürfen. Deshalb konnte ich mich davon schlecht lösen und habe immer beides verfolgt: Haare geschnitten und manchmal Theater gespielt. Nebenbei habe ich auch noch viel gejobbt, war kurzzeitig Hausboy in einem Luxushotel, habe eine Ausbildung zum Shiatsu-Therapeuten gemacht, ein Drehbuch geschrieben, in Kneipen und bei einer Mitwohnzentrale gearbeitet, war als Tourbetreuung für Bands unterwegs, habe bei Fernsehproduktionsfirmen gearbeitet und hatte in den neunziger Jahren meine eigene Party in Berlin-Kreuzberg.
Dabei war er in meinem Kopf längst da, mein Salon: Immer wieder habe ich in Gedanken einen Friseurladen in der Schröderstraße in Berlin-Mitte eingerichtet. Eines Tages, im Jahr 2005, ging ich mit einer Freundin an der Immobilie vorbei und da stand das Schild: »Zu vermieten«. Wir liefen schweigend weiter. An der nächsten Straßenecke sagte meine Freundin: »Du musst jetzt sofort diese Telefonnummer in dein Handy tippen, sonst vergesse ich sie. Ruf da an, Max!« Am nächsten Tag traute ich mich. Zwei Monate später eröffnete ich tatsächlich meinen ersten Salon – noch ganz allein, mit zwei Plätzen und einem Waschbecken in eben diesen Räumen.
Ich hatte in den ersten beiden Wochen nach der Eröffnung alle Freunde zum Haareschneiden in den Salon gebeten, es war also immer voll. Ständig kamen fremde Leute von der Straße rein und fragten nach einem Termin. Von Anfang an war ich glücklich mit meiner Entscheidung.
2009 wurde mir zum ersten Mal von der Deutschen Filmakademie angeboten, das Haarstyling beim Deutschen Filmpreis zu übernehmen. Bis heute gehören dazu die Beauty-Lounge im Filmpreis-Hotel, das Pressewochenende vorab, außerdem stylen wir den Prominenten die Haare natürlich auch, direkt bevor sie auf die Bühne gehen. Das war damals eine tolle Chance, die ich natürlich sofort genutzt habe. Beim Filmpreis sieht man, wie wir arbeiten: Nachdem die Gäste bei uns in der Lounge gestylt wurden, stehen sie später auf dem roten Teppich und werden dort fotografiert. Das ist eine aufregende Situation: Sie müssen sich entspannen und zu einhundert Prozent wohlfühlen mit dem, was sie auf dem Kopf tragen. Wir geben ihnen deshalb große Ruhe und Gelassenheit mit auf den Weg in diesen Abend.
Auch hier sprechen wir manchmal über Sternzeichen. Astrologie ist für mich eines der Medien, eines der Werkzeuge, mit dem ich zu dem Menschen, der vor mir sitzt, ein Gefühl der Nähe herstellen kann. Wenn man es schafft, das Gegenüber wahrzunehmen, es zu sehen, dann kommt man im besten Falle in einen Energieaustausch. Der bietet die Basis für eine angenehme Zeit miteinander und damit für einen guten Haarschnitt. Hohe kunsthandwerkliche Qualität ist für mich immer die Basis und natürlich die wichtigste Voraussetzung für einen guten Schnitt, aber die Nähe ist definitiv auch sehr wichtig. Dabei kann die Astrologie ein verbindendes Element sein. Es geht darum, den Gast eine Zeit lang in Obhut zu nehmen, ihn zu sehen, zu erkennen und zu akzeptieren – mit allen Facetten seines Seins.
Zwischen Friseur und Gast entstehen oft Freundschaften. Das kann eine Haarfreundschaft sein, die sich über zehn, zwanzig oder fünfzig Jahre hinzieht. Man macht dann in dieser Zeit alle Lebenszustände und Stimmungen mit – auf beiden Seiten. In manchen Phasen ist man weniger offen für das Gegenüber, wenn sich beispielsweise gerade der Partner getrennt hat oder jemand gestorben ist. Oder aber es sind die ganzen kleinen und mittleren Schicksalsschläge, die das Leben für einen bereithält. Die Astrologie bietet mir in diesem Punkt die Möglichkeit, das Gegenüber stärker da abzuholen, wo es gerade ist. Nicht nur der Gast hat seine Schicksalsschläge, auch der Friseur. Ich kann mich in solch einer Situation, wenn ich das Sternzeichen kenne, anders auf einen Menschen einlassen. Wenn ich weiß, er oder sie ist Steinbock, Krebs, Löwe …, dann gelingt es, mich von meinen eigenen momentanen Situationen abzulenken und mich stärker auf das Gegenüber einzulassen. Astrologie funktioniert eben von mehreren Seiten.
Mein Team arbeitet nicht über Sternzeichen. Ich habe sie alle ausgesucht, damit ich Zeit mit ihnen verbringen darf. Ich habe das Glück, dass ich mit für mich einzigartigen Menschen arbeiten darf und würde es nicht anders wollen. Wichtig ist, dass die Persönlichkeit der Menschen, die für mich arbeiten, im Vordergrund steht und nicht deren Ego. Dieses »kreative Atmen«, das ich zu leben versuche und das ich von meinen Mitarbeitern erwarte, setzt sehr viel Verständnis für sich und eben auch die anderen voraus. Deshalb haben wir unter anderem einen Coach, der immer, wenn da eine kleine Erbse drückt, die Chance bietet, dass man mit solch einem Konflikt nach außen geht und das möglichst schnell klärt. Denn nur wer kreativ atmet, hat die Kapazitäten frei, sich auf einen Gast völlig einzulassen.
Warum soll man Menschen nahe sein, wenn die Chemie nicht stimmt? Die Nähe zwischen Gast und Friseur beträgt bei bestimmten Schneidetechniken manchmal körperlich nur fünf Zentimeter. Das bedeutet, dass sich der Kopf des Gastes etwa an der Stelle vom Solarplexus des Friseurs befindet, also kurz neben der Herzlinie. Diese Nähe müssen wirklich beide wollen und aushalten. Ich behaupte, je mehr man das Gegenüber sieht und versteht, desto kreativer und schöner ist die Zeit, die man miteinander verbringt.
Ich habe mal gelesen, dass der Friseurberuf derjenige ist, der Menschen am glücklichsten macht. Dazu hat wahrscheinlich jeder seine eigene Meinung. Ich kann meinen Beruf nur ausüben, weil ich...