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Der Bauernkrieg

Die Revolution des Gemeinen Mannes

AutorPeter Blickle
VerlagVerlag C.H.Beck
Erscheinungsjahr2016
ReiheBeck'sche Reihe 2103
Seitenanzahl144 Seiten
ISBN9783406693212
FormatePUB/PDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Hunderttausend tote Bauern - die Zahl lief um im Reich und war allgemein die grobe Aufsummierung dessen, was man gerüchteweise von den Schlachten des Bauernkriegs gehört hatte. 'Das vergossene Blut des Jahres 1525', schrieb ein Schweizer Beobachter, sei ausreichend, 'alle Tyrannen zu ertränken'. Waren die Forderungen und Aktionen des Gemeinen Mannes so revolutionär, daß Fürsten und Adel sie wie Hochverrat und Landfriedensbruch behandeln mußten? Peter Blickle erklärt im vorliegenden Band, wie die Aufständischen einen Diskurs über Freiheit und Gerechtigkeit auslösten, der im Erfolgsfall zur Ausweitung kommunaler Rechte der Dörfer und Städte geführt und damit das Reich stark republikanisiert hätte. Daß der Bauernkrieg zur Revolution werden konnte, ist nicht zuletzt den Reformatoren geschuldet, mehr Huldrich Zwingli als Martin Luther. Schon deswegen, aber auch wegen seiner großen Ausdehnung in der Schweiz und Österreich, ist er nicht nur ein deutscher. Auch war er keineswegs folgenlos. Der Autor hebt heraus, daß die nach der militärischen Niederwerfung geschlossenen Verträge den Untertanen für ihre Person und ihren Besitz Rechte mit verfassungsmäßigen Garantien einräumten, die modernen Menschen- und Bürgerrechten nahekommen. Er zeigt weiter, wie die gescheiterte Revolution von 1525 seit 200 Jahren für Nationalismus, Sozialismus und Liberalismus nutzbar gemacht wurde und auch auf diese Weise geschichtlich weitergewirkt hat.

Peter Blickle ist Professor em. für Neuere Geschichte an der Universität Bern. Er ist ein international renommierter Fachmann auf dem Gebiet der Erforschung von Bauernkrieg und Reformation. Im Verlag C.H.Beck sind von demselben Autor lieferbar: Von der Leibeigenschaft zu den Menschenrechten (22006), Das Alte Europa (2008) und Der Bauernjörg (2015).

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Leseprobe

2. Der Gemeine Mann und der deutsche Bauernkrieg – gesellschaftlicher Ort und nationaler Raum


Schon von den Zeitgenossen wurden die Ereignisse von 1525 als Bauernkrieg bezeichnet, mehrheitlich jedoch stammen solche Benennungen von Chronisten und Kanzlisten, die als Staatsschreiber, die sie waren, naturgemäß das gewünschte trübe Licht auf die Sache fallen ließen. Äußerst selten fand der Begriff unter den Aufständischen selber Verwendung. Allein wenn es darum ging, die Verantwortlichkeit für grundlegende Entscheidungen klarzumachen, konnte er einmal ins Spiel kommen. So als im Lager der fränkischen Haufen heftig darüber gestritten wurde, ob die Feste Unserfrauenberg über Würzburg erobert werden solle oder nicht. Als die ewigen Beschwichtiger und Pragmatiker wie Götz von Berlichingen vor dem Vorhaben warnten, erhielten sie von den Radikalen als Antwort, „sie hetten einen Bauern Krieg, sie wölten kein Fürsten, Graven, Herrn oder Edelman dabei haben“.

Als bequemes begriffliches Kleingeld, um die Sache als solche in Sprache zu wechseln, hat sich Bauernkrieg schon bei den Zeitgenossen nicht durchgesetzt. Das war angesichts der sozialen Fokussierung der Bewegung auch gar nicht zu erwarten. Die Verfestigung des Begriffs Bauernkrieg im geschichtlichen Bewußtsein der Deutschen muß man als historiographische Hervorbringung des 19. und 20. Jahrhunderts werten. Geht man die Akten der Archive durch, so trifft man weder im Landesarchiv in Salzburg noch im Stadtarchiv von Straßburg, weder im Hauptstaatsarchiv in Stuttgart noch im Pfarrarchiv von St. Martin in Leutkirch auf einen Bauernkrieg. Gewerken und Knappen in Tirol, Salzburg und im Erzgebirge, Städter aus Meran, Bozen, Hall und Schwaz in Tirol, aus den württembergischen Amtsstädten, Stuttgart und Tübingen ausgenommen, Bürger der Bischofsstädte Bamberg, Würzburg, Salzburg, Chur, Brixen und Trient haben sich den Bauern angeschlossen, zu schweigen von den Weinbauregionen Deutschlands vom Elsaß über die Pfalz, den Rheingau nach Franken, wo Dörfer und Städte sich bis heute in ihrem äußeren Erscheinungsbild kaum unterscheiden und angesichts gleicher lokaler Verfassungen und gleicher Erwerbsgrundlagen im 16. Jahrhundert erst recht nicht unterschieden, vor allem nicht mental.

Die Zeitgenossen, genaue Beobachter, die sie waren, haben folglich auch einen anderen Begriff verwendet. Der Gemeine Mann tritt in den geschichtlichen Quellen an die Stelle des Bauern in der geschichtswissenschaftlichen Literatur. Eine „Empörung des Gemeinen Mannes“ nahm man in Innsbruck in der Kanzlei Erzherzog Ferdinands wahr, eine „nämliche Summ des gemeinen Manns“ hatte sich nach Auskunft der Korrespondenz zwischen dem Markgrafen von Baden und dem Herzog von Bayern versammelt. „Der gemein Man beclagt sich, daß ime an vill Orten von seinen Herschaften ein freier Abzug abgeschlagen“ werde, steht im Protokoll der Verhandlungen des großen Ausschusses des Speyerer Reichstags vom 18. August 1526. In den programmatischen Texten der Aufständischen kommt nicht minder häufig dieser Begriff zur Anwendung. Der „gemeine Mann“ wollte sich nach Auskunft der Vierundzwanzig Artikel gemeiner Landschaft Salzburg mit Hilfe des jetzt neu geoffenbarten Evangeliums aus der Tyrannei befreien, der „gemeine Mann“ leide unter der feudalen Herrschaft, sagen die Meraner Artikel, „der arme gemeine Mann in Stetten und uf dem Land“ habe sich erhoben, schreiben die Schwarzwälder Bauern an die Stadt Villingen. Die Reformation, die Wendel Hipler für das ganze Reich ins Werk setzen wollte, soll einen Interessenausgleich zwischen dem „gemeinen Mann“ („Untertanen“ heißt bezeichnenderweise im gleichen Text das Synonym) und „Fürsten, Herren und Edlen“ herbeiführen. „Will es Gott als haben“, räsonierte der alternde Kurfürst von Sachsen, Friedrich der Weise, auf dem Höhepunkt der Bewegung, „so wird es also hinausgehen, daß der gemeine Mann regieren soll“.

Fürsten und Gemeiner Mann, Obrigkeit und Gemeiner Mann, Adel und Gemeiner Mann sind antithetische Begriffe. Der Gemeine Mann untersteht einer Herrschaft. Insofern umfaßt er Bauern, Bürger und Bergknappen. Aber nicht alle, die nicht zu den Herrenständen gehören, gehen in der Bezeichnung auf. Knechte und Mägde, die nicht mit einem Hof in ihrem Dorf oder einem Haus in ihrer Stadt angesessen sind, gehören nicht zum Gemeinen Mann, und zu ihm zählen auch nicht Fahrende und Söldner, sie sind vielmehr der Pofel oder Pöbel. Selbst der Untertan des 16. Jahrhunderts, wie er funktional in Gegenüberstellung zu Obrigkeit gemeint ist, setzt Hausbesitz und Seßhaftigkeit voraus.

Die Semantik wird durch die Wirklichkeit glänzend bestätigt. Soweit großräumige Untersuchungen über die Beteiligung am Aufstand vorliegen, zeigen sie, daß jeder Hof mit einem Mann in den Haufen vertreten war, was nicht ausschließt, daß da und dort ein Dorf ruhig blieb. Der Bauernkrieg war keine Rebellion der Jungen, sondern eine solche der Familienväter, kein Aufstand der Reichen und der Ehrbarkeit, sondern eben ein solcher des Gemeinen Mannes. Alle sozialen Gruppen des Dorfes sind in einem numerisch entsprechenden Verhältnis beteiligt. Angesichts der Tatsache, daß Bauern im 16. Jahrhundert 80% der Bevölkerung ausmachen, hat Deutschland in seiner Geschichte keine vergleichbare Revolution vorzuweisen, zumal man die Handwerker und Bürger vieler Städte sowie die Arbeiter und Knappen der Bergbaureviere hinzurechnen muß.

Die enge Bindung an das Haus erklärt, daß es ein weibliches Gegenstück des Gemeinen Mannes eigentlich nicht gibt. Das Wort umfaßt beide Geschlechter, wie die Hausherrschaft des 16. Jahrhunderts das Regiment im Haus dem Hausherrn und der Hausfrau, dem Hauswirt und der Hauswirtin zuspricht, wenn auch in gradueller Abstufung. Erst das 18. Jahrhundert hat darin einen Mangel gesehen und vereinzelt von dem „gemeinen Mann männlichen und weiblichen Geschlechts“ gesprochen. Wurde der Gemeine Mann mit der Reformation in Verbindung gebracht, konnte gelegentlich durchaus, wie in Memmingen im Januar 1525, „von den luterischen Weib und Man“ die Rede sein. Der Gemeinen Frau begegnet man im 16. Jahrhundert äußerst selten, und wenn, dann in einem anderen semantischen Zusammenhang.

Wie das Reden von der bürgerlichen Revolution, der proletarischen Revolution und der friedlichen Revolution nicht in Frage steht, soweit es auf korrespondierende Sachverhalte angemessen angewandt wird, so hat sich auch die Redeweise von der Revolution des Gemeinen Mannes durchgesetzt. Unschwer könnte sie auf vergleichbare Aufstände wie die Jacquerie in Frankreich 1358, den Englischen Bauernkrieg von 1381, Jack Cade’s Rebellion von 1450 oder den ungarischen Dosza-Aufstand von 1514 übertragen werden, denn in Frankreich marschierte Paris, in England London und in Ungarn Buda immer mit. Doch noch sind die begrifflichen Äquivalente für den Gemeinen Mann in den europäischen Nationalsprachen nicht untersucht.

Gemeiner Mann und Volk


Man muß nicht für den Gemeinen Mann kämpfen, sondern ihn vor einer allzu leichtfertigen Einkleidung nach dem Zeitgeschmack schützen. Mit einem großen Hallo stürzte sich das Publikum vor rund 40 Jahren auf den Gemeinen Mann und schickte ihn an Stelle von Volk auf den Laufsteg der politisch korrekten Begriffe. Mit ihm verfügte man, wenigstens für eine Phase der deutschen Geschichte (und auf das 16. Jahrhundert war er ja nicht beschränkt), über ein bequemes Surrogat für das nicht mehr aussprechbare Volk. Die Volkskunde als Disziplin wurde wo immer möglich umbenannt. Die moderne Alltags- und Kulturgeschichte, später sich Historische Anthropologie nennend, erfand anstelle des Volkes die „einfachen Leute“, und die hohe Politik ersetzte es durch „den Bürger draußen im Lande“.

Doch der Gemeine Mann ist nicht auswechselbar gegen das Volk.

Volk hat in Deutschland seine Färbung durch die Verbindung mit Nation im 19. Jahrhundert erhalten, zuvor ist das Wort wenig gebräuchlich. Es bezeichnet mehrheitlich die Kriegsvölker, vereinzelt im reformatorischen Sprachgebrauch das Volk Gottes – und hängt sich an die Staatsform der Republik, die es in Deutschland nicht gegeben hat. Völker sind Formen der Vergesellschaftung, „aus welchen Republiquen zu entstehen pflegen“, wie in den Niederlanden und in der Schweiz, wo, wie es in einem Lexikon des 18. Jahrhunderts heißt, „die höchste gewalt bei dem gesamten volcke steht“. Ansonsten ist das Volk noch im 18. Jahrhundert eher der Stamm als die Nation, geprägt durch Klima und Lebensgewohnheiten. „Die Pommern, Mecklenburger, Westphäler, Braunschweiger, Brandenburger haben eine harte Kost, daher sie gute Soldaten sind“; wo Wein wächst, haben Menschen einen „schärfferen unnd subtilern Verstand“. Vielleicht war das der Grund, daß Johann Jakob...

Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Cover1
Titel2
Zum Buch3
Über den Autor3
Impressum4
Inhalt5
Einleitung – Standortfragen7
1. Tyrannei und Aufruhr – das erschrockene Reich11
2. Der Gemeine Mann und der deutsche Bauernkrieg – gesellschaftlicher Ort und nationaler Raum41
3. Wir wöllen frei sein – ein Diskurs um die Natur des Menschen zu Beginn der Moderne55
4. Kein Recht, unrecht, gerecht – wer hat die Definitionshoheit über Recht und Gesetz?70
5. Der Gewalt der Gemeinde – kommunalistische Praxis und republikanische Theorie86
6. Frankfurt oder Frankenhausen – eine oder zwei revolutionäre Traditionen der Deutschen103
Zeittafel127
Anmerkungen129
Quellen und Literatur133
Register141

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