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E-Book

Der deutsche Bauernkrieg

Vollständige Ausgabe

AutorFriedrich Engels
VerlagJazzybee Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl115 Seiten
ISBN9783849611675
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis0,99 EUR
Für Friedrich Engels war der Bauernkrieg der 'großartigste Revolutionsversuch des deutschen Volkes' mit dem Thüringer Aufstand als Höhepunkt. Inhalt: Vorbemerkung zur Ausgabe 1870 und 1875 Einleitung I. Die ökonomische Lage und der soziale Schichtenbau Deutschlands II. Die großen oppositionellen Gruppierungen und ihre Ideologien - Luther und Münzer III. Vorläufer des großen Bauernkriegs zwischen 1476 und 1517 IV. Der Adelsaufstand V. Der schwäbisch-fränkische Bauernkrieg VI. Der thüringische, elsässische und östreichische Bauernkrieg VII. Die Folgen des Bauernkriegs Fußnoten

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Leseprobe

III. Vorläufer des großen Bauernkriegs zwischen 1476 und 1517


 

Ungefähr fünfzig Jahre nach der Unterdrückung der hussitischen Bewegung zeigten sich die ersten Symptome des aufkeimenden revolutionären Geistes unter den deutschen Bauern.2

 

Im Bistum Würzburg, einem durch die Hussitenkriege, »durch schlechte Regierung, durch vielfältige Steuern, Abgaben, Fehde, Feindschaft, Krieg, Brand, Mord, Gefängnis und dergleichen« schon früher verarmten und fortwährend von Bischöfen, Pfaffen und Adel schamlos ausgeplünderten Lande entstand 1476 die erste Bauernverschwörung. Ein junger Hirte und Musikant, Hans Böheim von Niklashausen, auch Pauker und Pfeiferhänslein genannt, trat plötzlich im Taubergrund als Prophet auf. Er erzählte, die Jungfrau Maria sei ihm erschienen; sie habe ihm geboten, seine Pauke zu verbrennen, dem Tanz und den sündigen Wollüsten nicht ferner zu dienen, sondern das Volk zur Buße zu ermahnen. So solle denn jeder von seinen Sünden und von der eitlen Lust dieser Welt ablassen, allen Schmuck und Zierat ablegen und zur Mutter Gottes von Niklashausen wallfahrten, um die Vergebung seiner Sünden zu erlangen.

 

Wir finden schon hier, bei dem ersten Vorlaut er der Bewegung, jenen Asketismus, den wir bei allen mittelalterlichen Aufständen mit religiöser Färbung und in der neueren Zeit im Anfang jeder proletarischen Bewegung antreffen. Diese asketische Sittenstrenge, diese Forderung der Lossagung von allen Lebensgenüssen und Vergnügungen stellt einerseits gegenüber den herrschenden Klassen das Prinzip der spartanischen Gleichheit auf und ist andrerseits eine notwendige Durchgangsstufe, ohne die die unterste Schicht der Gesellschaft sich nie in Bewegung setzen kann. Um ihre revolutionäre Energie zu entwickeln, um über ihre feindselige Stellung gegenüber allen andern Elementen der Gesellschaft sich selbst klarzuwerden, um sich als Klasse zu konzentrieren, muß sie damit anfangen, alles das von sich abzustreifen, was sie noch mit der bestehenden Gesellschaftsordnung versöhnen könnte, muß sie den wenigen Genüssen entsagen, die ihr die unterdrückte Existenz noch momentan erträglich machen und die selbst der härteste Druck ihr nicht entreißen kann. Dieser plebejische und proletarische Asketismus unterscheidet sich sowohl seiner wild-fanatischen Form wie seinem Inhalt nach durchaus von dem bürgerlichen Asketismus, wie ihn die bürgerliche, lutherische Moral und die englischen Puritaner (im Unterschied von den Independenten und weitergehenden Sekten) predigten, und dessen ganzes Geheimnis die bürgerliche Sparsamkeit ist. Es versteht sich übrigens, daß dieser plebejisch-proletarische Asketismus in demselben Maße seinen revolutionären Charakter verliert, in welchem einerseits die Entwicklung der modernen Produktivkräfte das Material des Genießens ins Unendliche vermehrt und damit die spartanische Gleichheit überflüssig macht und andrerseits die Lebensstellung des Proletariats und damit das Proletariat selbst immer revolutionärer wird. Er verschwindet dann allmählich aus der Masse und verläuft sich bei den Sektierern, die sich auf ihn steifen, entweder direkt in die bürgerliche Knickerei oder in ein hochtrabendes Tugendrittertum, das in der Praxis ebenfalls auf eine spießbürgerliche oder zunfthandwerkermäßige Knauserwirtschaft hinauskommt. Der Masse des Proletariats braucht die Entsagung um so weniger gepredigt zu werden, als sie fast nichts mehr hat, dem sie noch entsagen könnte.

 

Die Bußpredigt Pfeiferhänsleins fand großen Anklang; alle Aufstandspropheten begannen mit ihr, und in der Tat konnte nur eine gewaltsame Anstrengung, eine plötzliche Lossagung von der ganzen gewohnten Daseinsweise dies zersplitterte, dünngesäete, in blinder Unterwerfung herangewachsene Bauerngeschlecht in Bewegung setzen. Die Wallfahrten nach Niklashausen begannen und nahmen rasch überhand; und je massenhafter das Volk hinströmte, desto offener sprach der junge Rebell seine Pläne aus. Die Mutter Gottes von Niklashausen habe ihm verkündet, predigte er, daß fortan kein Kaiser noch Fürst, noch Papst, noch andere geistliche oder weltliche Obrigkeit mehr sein sollte; ein jeder solle des andern Bruder sein, sein Brot mit seiner Hände Arbeit gewinnen und keiner mehr haben als der andere. Alle Zinsen, Gülten, Fronden, Zoll, Steuer und andre Abgaben und Leistungen sollten für ewig ab, und Wald, Wasser und Weide überall frei sein.

 

Das Volk nahm dies neue Evangelium mit Freuden auf. Rasch breitete sich der Ruhm des Propheten, »unsrer Frauen Botschaft«, in die Ferne aus; vom Odenwald, vom Main, Kocher und Jagst, ja von Bayern, Schwaben und vom Rhein zogen ihm Haufen von Pilgern zu. Man erzählte sich Wunder, die er getan haben sollte; man fiel auf die Knie vor ihm und betete ihn an wie einen Heiligen; man riß sich um die Zotteln von seiner Kappe, als ob es Reliquien und Amulette wären. Vergeblich traten die Pfaffen gegen ihn auf, schilderten seine Gesichte als Blendwerk des Teufels, seine Wunder als höllische Betrügereien. Die Masse der Gläubigen nahm reißend zu, die revolutionäre Sekte fing an sich zu bilden, die sonntäglichen Predigten des rebellischen Hirten riefen Versammlungen von 40000 und mehr Menschen nach Niklashausen zusammen.

 

Mehrere Monate predigte Pfeiferhänslein vor den Massen. Aber er hatte nicht die Absicht, bei der Predigt zu bleiben. Er stand in geheimem Verkehr mit dem Pfarrer von Niklashausen und mit zwei Rittern, Kunz von Thunfeld und seinem Sohn, die zur neuen Lehre hielten und die militärischen Führer des beabsichtigten Aufstandes werden sollten. Endlich am Sonntag vor St. Kilian, als seine Macht groß genug zu sein schien, gab er das Signal.

 

»Und nun«, schloß er seine Predigt, »gehet heim und erwäget, was euch die allerheiligste Mutter Gottes verkündet hat; und lasset am nächsten Samstag Weiber und Kinder und Greise daheim bleiben, aber ihr, ihr Männer, kommet wieder her nach Niklashausen auf St. Margarethentag, das ist nächsten Samstag; und bringt mit eure Brüder und Freunde, soviel ihrer sein mögen. Kommt aber nicht mit dem Pilgerstab, sondern angetan mit Wehr und Waffen, in der einen Hand die Wallkerze, in der andern Schwert und Spieß oder Hellebarde; und die heilige Jungfrau wird euch alsdann verkünden, was ihr Wille ist, das ihr tun sollt.«

 

Aber ehe die Bauern in Massen ankamen, hatten die Reiter des Bischofs den Aufruhrpropheten nächtlicherweile abgeholt und auf das Würzburger Schloß gebracht. Am bestimmten Tage kamen an 34000 bewaffnete Bauern, aber diese Nachricht wirkte niederschlagend auf sie. Der größte Teil verlief sich; die Eingeweihteren hielten gegen 16000 zusammen und zogen mit ihnen vor das Schloß, unter der Führung Kunzens von Thunfeld und Michaels, seines Sohnes. Der Bischof brachte sie durch Versprechungen wieder zum Abzug; aber kaum hatten sie angefangen sich zu zerstreuen, so wurden sie von des Bischofs Reitern überfallen und mehrere zu Gefangenen gemacht. Zwei wurden enthauptet, Pfeiferhänslein selbst aber wurde verbrannt. Kurz von Thunfeld wurde flüchtig und erst gegen Abtretung aller seiner Güter an das Stift wieder angenommen. Die Wallfahrten nach Niklashausen dauerter noch einige Zeit fort, wurden aber schließlich auch unterdrückt.

 

Nach diesem ersten Versuch blieb Deutschland wieder längere Zeit ruhig. Erst mit Ende der neunziger Jahre begannen neue Aufstände und Verschwörungen der Bauern.

 

Wir übergehen den holländischen Bauernaufstand von 1491 und 92, der erst durch Herzog Albrecht von Sachsen in der Schlacht bei Heemskerk unterdrückt wurde, den gleichzeitigen Aufstand der Bauern der Abtei Kempten in Oberschwaben und den friesischen Aufstand unter Syaard Aylva um 1497, der ebenfalls durch Albrecht von Sachsen unterdrückt wurde. Diese Aufstände liegen teils zu weit vom Schauplatze des eigentlichen Bauernkriegs entfernt, teils sind sie Kämpfe bisher freier Bauern gegen den Versuch, ihnen den Feudalismus aufzudrängen. Wir gehen gleich über zu den beiden großen Verschwörungen, die den Bauernkrieg vorbereiteten: dem Bundschuh und dem Armen Konrad.

 

Dieselbe Teurung, die in den Niederlanden den Aufstand der Bauern hervorgerufen hatte, brachte 1493 im Elsaß einen geheimen Bund von Bauern und Plebejern zustande, bei dem sich auch Leute von der bloß bürgerlichen Opposition beteiligten und mit dem sogar ein Teil des niederen Adels mehr oder weniger sympathisierte. Der Sitz des Bundes war die Gegend von Schlettstadt, Sulz, Dambach, Rosheim, Scherweiler etc. etc. Die Verschwornen verlangten Plünderung und Ausrottung der Juden, deren Wucher damals schon, so gut wie jetzt, die Elsässer Bauern aussog, Einführung eines Jubeljahres, mit dem alle Schulden verjähren sollten, Aufhebung des Zolls, Umgelds und anderer Lasten, Abschaffung des geistlichen und rottweilschen (Reichs-)Gerichts, Steuerbewilligungsrecht, Beschränkung der Pfaffen auf je eine Pfründe von 50-60 Gulden, Abschaffung der Ohrenbeichte und eigene, selbstgewählte Gerichte für jede Gemeinde. Der Plan der Verschwornen war, sobald man stark genug sei, das feste Schlettstadt zu überrumpeln, die Klöster- und Stadtkassen mit Beschlag zu belegen und von hier aus das ganze Elsaß zu insurgieren. Die Bundesfahne, die im Moment der Erhebung entfaltet werden sollte, enthielt einen Bauernschuh mit langen Bindriemen, den sogenannten Bundschuh, der von nun an den Bauernverschwörungen der nächsten 20 Jahre Symbol und Namen gab.

 

Die Verschwornen pflegten ihre...

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