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E-Book

Der Ende-Schalter

Eine wahre Geschichte über Liebe, Schuld und Tod im Internetzeitalter

AutorLorenz Kurz (Fotograf), Rex Kurz
VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl222 Seiten
ISBN9783743142008
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis2,99 EUR
"Der Ende-Schalter" beschreibt den Inhalt eines Briefes, den mein Sohn Lorenz (27 Jahre, Mediengestalter, Fotograf) nach seinem lange geplanten und konsequent durchgeführten Selbstmord zeitversetzt per E-Mail an mich schickte, um seine letzten Gedanken und Erklärungsversuche loszuwerden. Drei weitere Briefe, darunter ein sehr persönlicher an seine Freundin, ermöglichen tiefe Einblicke in seine Beweggründe. Neue Beiträge von ihm erscheinen kurz darauf im Internet. In Analysen und Rückblicken gehe ich der Sache tief betroffen auf den Grund und verstehe langsam die Geschichte seiner unglücklichen Liebe. Schließlich finde ich Hinweise auf eine große Schuld, die er anscheinend nicht länger ertragen konnte. Kurz danach erscheinen Videos von Freunden über ihn im Netz, und seine Facebook-Pinnwand wächst rasend schnell an ...

Der Autor, Rex Kurz, ist Vater der Hauptperson des Buches. Er beschreibt (unter Pseudonym) die Geschehnisse rund um den Suizid seines Sohnes und seine eigenen Gedanken, Ängste und Gefühle. Nichts ist erfunden. Nur die Namen sind geändert, um die Anonymität der noch lebenden Personen seines Umfelds zu wahren ...

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Leseprobe

Helium ist der „sauberste Weg“


Für viele Menschen ist der Gedanke, tot zu sein, nicht so schlimm, denke ich. Wenn man tot ist, tut einem nichts mehr weh und man hat keine Sorgen mehr. Viel schlimmer aber ist die Furcht vor den Schmerzen beim Sterben. So geht es mir jedenfalls. Und ich bin davon überzeugt, dass schon viele Menschen durch diese Furcht vom Selbstmord abgehalten wurden. Wie wohl jeder Mensch habe auch ich mich schon hin und wieder mal mit dem Gedanken befasst, mit welcher Methode man sich im Notfall’ am schmerzfreiesten umbringen könnte. Ich bin dabei zu keiner vernünftigen Lösung gekommen. Und das ist auch sicherlich gut so. Mein Sohn hat hier anscheinend intensivere Forschungen betrieben:

Seit Jahren bin ich bereits bis in die kleinsten Details über die besten Suizidmethoden informiert. Helium ist dabei der „sauberste“ Weg.

Helium — ein ohne Probleme erhältliches Edelgas, welches die Fähigkeit hat, keine Atemnot hervorzurufen, weil es Sauerstoff „ersetzt“ . Früher mit Plastiktüte und Restrisiko bei zu hoher CO2 Konzentration, ist die Sache mit einer Tauchmaske inzwischen relativ sicher.

Nach wenigen Sekunden wird man völlig schmerzfrei bewusstlos und ist irgendwann tot, ohne große Sauerei. Es gab keinen Todeskampf, keine Unentschlossenheit und kein Abend. Ich bin meinem Ziel sehr friedlich entgegen gegangen.

Rückblickend habe ich schon einige Euros in diese Thematik investiert, um dann doch wieder volle Flaschen zurück zu liefern. Aber „hey“, für den Moment ging es mir besser als zuvor. Und diese „Sicherheit im Rücken“ war es mir durchaus wert.

Selbst damals (war es 2007 oder 2008?) mit Janine gab es schon so einen Punkt. Es war Silvester, und nichts lief so, wie ich es wollte.

Das mit Janine war ein Hin und Her, und Arbeit fand ich zu der Zeit auch keine. Die Gasflasche war bestellt und wurde auch geliefert.

Problemlos konnte ich allen erzählen, wir wollten bei unserer Silvesterfeier Helium-Karaoke veranstalten.

 

Über die Möglichkeiten, sich mit Helium schmerzfrei und „sauber“ umzubringen, kann man wohl nur so schwärmen, wenn man wirklich ernsthafte Absichten hat, aus dem Leben zu scheiden. Anscheinend hat Lorenz hier seinen Weg entdeckt, „ohne große Sauerei“ ein Ende zu machen. So begeistert ich vom für alle frei zugänglichen Informationsangebot des Internets bin, so traurig bin ich, dass dieser einfache Ausweg offensichtlich für jeden offen steht. In diesem Fall’ hätte ich mir auch wirklich gewünscht, dass es größere Beschränkungen und Überprüfungen vor der Lieferung von Helium-Flaschen gegeben hätte.

Auch wird hier ganz deutlich, seit wie vielen Jahren Lorenz offensichtlich bereits auf dem Drahtseil durch sein Leben gewandert ist. Immer bereit, sich einfach fallen zulassen, wenn es mal eine längere Durststrecke gegeben hätte. Anscheinend hatte er auch mit seiner damaligen Freundin einige Probleme, von denen ich nicht viel mitbekommen hatte. Sein möglicher Selbstmord war als Fangnetz immer aufgespannt. Und immer hatte er sich plausibel klingende Erklärungen bereit gelegt für den Fall, dass sein Verhalten irgendwem aufgefallen wäre. Ich habe mich oft geärgert, dass ich nach meinem Auszug damals so wenig vom Leben meiner Kinder mitbekam, weil meine Exfrau stets darauf bedacht war, alles irgendwie zu verschweigen oder im Unklaren zu lassen. Ich weiß auch nicht, warum sie das tat. Aber ich glaube trotzdem nicht, dass ich seine wahren Absichten aus seinem Verhalten erkannt oder auch nur geahnt hätte. Insofern steht es mir auch nicht zu, irgendjemand Vorwürfe zu machen, nicht rechtzeitig eingegriffen zu haben.

Wie durch ein Wunder erhielt ich aber kurz darauf die Zusage zum neuen Job. Und mit Janine besserte es sich auch.

So oft gab es diese „Zufälle“, die das Blatt dann in „letzter Sekunde“ gewendet haben.

Dennoch war für mich klar, dass ich einfach nur so lange „mitmache“, wie es mir gerade passt.

Ich wünschte mir sehr oft, einfach da RAUS zu sein, um mir um nichts und niemanden mehr Gedanken machen zu müssen. Ein einfacher „Ende“-Schalter wäre toll, ist und bleibt aber Wunschdenken.

Ich muss Kompromisse eingehen und vielen Menschen wegen meiner egoistischen Entscheidung Schmerzen zufügen. Aber ich sehe keinen anderen Weg.

Ich muss meinen Eltern, Großeltern und allen Menschen, die sich sehr um mich bemüht haben, undankbar in den Rücken fallen und alles, was sie je für mich getan haben, damit in Frage stellen.

Ich möchte aber, dass sich niemand von euch Vorwürfe macht. Dieser mal mehr und mal weniger stille Wunsch ist schon so lange da.

Ich kann nur immer wieder wiederholen, dass diese Entscheidung für mich schon seit Jahren feststand.

Lediglich der Zeitpunkt war noch unklar. Unklar, aber nie weit weg!

 

Was müssen wir falsch gemacht haben, dass sich ein Mensch aus unserer nächsten Nähe innerlich derart vom Leben abwendet? Jeder ist wahrscheinlich das Produkt seiner genetischen Anlagen und seiner Lebenserfahrung. Offensichtlich gab es im Leben von Lorenz Erlebnisse, die ihm die Lebensfreude genommen haben. Ich bin auch sicher, dass unsere Ehekrise und Trennung einen großen Einfluss darauf gehabt haben. Aber jetzt ist es zu spät. Jetzt kann man nichts mehr ändern. Ich denke immer noch ständig darüber nach, was ich hätte anders machen können? Wäre die Aufrechterhaltung einer unglücklichen Beziehung für die Kinder letztlich besser gewesen? War ich zu egoistisch, als ich damals versuchte, mein Leben mit einer neuen Liebe zu bereichern? Ich habe mich zwar auch nach meiner Trennung sehr bemüht, mich anständig um meine Kinder zu kümmern. Oft auch gegen den Wunsch und Willen meiner Exfrau, die nicht selten versucht hat, Begegnungen und Beziehungen zwischen mir und meinen Kindern Steine in den Weg zu legen. Wahrscheinlich aus Eifersucht, verletzter Eitelkeit oder Verlustängsten.

Ich habe Lorenz und Sofie, wann immer es ging, zu den Wochenenden in meine neue kleine Wohnung geholt. Ich bin mit ihnen regelmäßig in Urlaub gefahren. Ich habe sie geliebt und gut behandelt. Auch im Beisein meiner neuen Liebe, die es nie geschafft hätte, sich zwischen mich und meine Kinder zu drängen. Ich bin auch meinen finanziellen Verpflichtungen meiner Exfrau und meinen Kindern gegenüber immer nachgekommen, so gut ich konnte. Es gab hier nicht den bei Trennungen und Scheidungen häufig erlebten und von meiner Exfrau sicherlich auch befürchteten Absturz in die Armut. Ganz im Gegenteil. Ich habe sogar das Haus, das wir zusammen auf dem Grundstück meiner Eltern gebaut hatten und in das Karin so sehr vernarrt war, ihr und den Kindern überlassen. Sie mussten nicht ihr gewohntes Umfeld verlassen. Ich war es, der sich zurückzog. Sicherlich war auch mein schlechtes Gewissen dafür verantwortlich und nicht meine Großzügigkeit ...

Lorenz scheint eine große Verpflichtung gespürt zu haben, sich um andere zu kümmern, Dankbarkeit zu zeigen, sich über sie Gedanken zu machen. Dieser subjektiv als unerträglich empfundene, moralische Druck hat ihm offensichtlich sein Leben schwer gemacht. Warum war er in dieser Beziehung nicht lockerer? Warum ist er nicht einfach mal ausgestiegen oder abgehauen, wie das viele Jugendliche manchmal tun? Waren wir verantwortlich für diese strenge Moralvorstellung, die ihm die Freude am Leben nahm?

Auch jetzt noch, wenige Stunden oder gar Minuten vor seinem Tod, bemüht sich Lorenz, uns zu versichern, dass uns keine Schuld trifft. Nun wäre doch wirklich die Möglichkeit da gewesen, sich richtig auszukotzen, klaren Tisch zu machen und alle die Dinge beim Namen zu nennen, die für ihn unerträglich geworden waren. Ich denke, ich würde mein Abschiedsschreiben für eine solche Endabrechnung nutzen. Aber Lorenz bemüht sich bis zum Schluss, dafür zu sorgen, dass sich niemand Vorwürfe macht. Welche Größe!

Ich sehe einfach keine Hoffnung mehr darin, dass sich irgendwas noch in eine Richtung verändert, die mir gefällt. Lange genug musste ich dabei zusehen, wie nach und nach alles „schlechter“ wurde. Es mag durchaus sein, dass es sehr viele Menschen gibt, die sich gewünscht hätten, mit mir zu tauschen, die kennen aber alle nur DIESE EINE Seite von mir. Die Seite, die mich Tag für Tag unwahrscheinlich viel Kraft kostet, nur, um sie aufrecht zu erhalten.

Es gibt auch wirklich gar nichts, auf das ich noch Lust habe. Ich lese zwei Zeilen und lege das Buch zur Seite. Ich zappe bis zu einem Fernsehkanal, den ich interessant finde, und dann surfe ich im Internet.

Ich habe große Lust zu telefonieren, und im nächsten Moment fühle ich mich eingeengt und belästigt. Ich habe riesen Hunger, esse einen Bissen, und es langweilt mich.

Ich kann keinen einzigen klaren Gedanken mehr fassen. Je mehr ich versuche, mich auf etwas zu konzentrieren, desto weiter kreisen meine Gedanken.

Es reicht ein trauriger Moment im Fernsehen, und mir laufen Tränen über das Gesicht — einfach so und ohne für mich erkennbaren Grund bricht eine Welt für mich zusammen.

Meine Kamera ist aus der Reparatur zurück, und ich habe sie seitdem noch nicht einmal angefasst.

Es ist einfach gar nichts mehr so, wie es mal war, und vor allem nicht so, wie ich es mir immer gewünscht habe.

Es gibt nichts, was ich vermissen werde. Mir ist auch völlig egal, was danach kommt (wenn denn noch etwas kommt). Hauptsache, dieses Hier und Jetzt nimmt endlich ein Ende.

Es fällt mir auch sehr schwer, realisieren zu müssen, dass ich nach und nach wirklich nicht mehr klarkomme. Meine Gefühle, meine Wünsche, es ist einfach alles durcheinander.

 


Mein armer, süßer Lorenz! Welche...

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