Vorwort
Plötzliche Ereignisse wie die Trennung von Menschen, die wir lieben, oder aber wiederkehrende Belastungen in Form von Überforderungen im Alltag sowie Verletzungen jeglicher Art können uns so stark beeinträchtigen, dass wir das Gefühl haben, den Halt zu verlieren. Wir stehen neben uns, haben das Gefühl, dass unser Leben komplett aus der Bahn geraten ist. Vieles, was bisher unhinterfragt Gültigkeit hatte, ist jetzt in Frage gestellt. All das macht Angst. Und dann kommen auf einmal auch noch starke Gefühle in uns hoch, die wir jetzt eigentlich gar nicht brauchen können und denen wir uns hilflos ausgeliefert fühlen. Oft haben wir diese Gefühle über lange Zeit erfolgreich verdrängt. Jetzt sind sie in voller Intensität da, zeigen sich als Schmerz, Wut, Einsamkeit. Wir bekommen Panikattacken, Beklemmungen, Atemnot oder leiden unter Schlaflosigkeit, Fressattacken oder Appetitlosigkeit.
In einer solchen Krisenzeit stellen wir möglicherweise auch zum ersten Mal in unserem Leben fest, dass wir planen und organisieren können, so viel wir wollen, im Endeffekt aber nie wissen, was daraus wird. Wir müssen uns von der Vorstellung verabschieden, dass sich Sicherheit durch das Schmieden von Zukunftsplänen herstellen lässt. Krisen stellen Wendepunkte im Leben dar, in denen wir uns für etwas Neues entscheiden müssen. Könnten wir doch in diesen Momenten darauf vertrauen, dass etwas Gutes, Neues entsteht! Dann würde uns die Zeit des Übergangs nicht so in Angst und Schrecken versetzen.
Die gute Nachricht ist: Wir sind der Krise nicht ausgeliefert; wir sind nicht gezwungen, uns gedanklich im Kreis zu drehen und auf das Problem fixiert zu bleiben, aus dem es keinen Ausweg zu geben scheint. Die Lösung liegt in uns selbst – wir brauchen keinen äußeren »Retter«. Natürlich: Andere Menschen können uns helfen und uns behutsam neue Perspektiven eröffnen, aber sie können uns niemals das geben, wonach wir uns so sehr sehnen. In uns ist der einzige Ort, an dem wir wirklich diese Person finden können, die uns all das gibt, wonach sich unser Herz sehnt – wir selbst. Wir müssen unseren eigenen Weg finden und dann auch gehen. Das kann uns niemand abnehmen. Aber wir können Hilfestellungen annehmen, um herauszufinden, wo es langgeht.
Ich bin Kriminaloberkommissarin und habe viele Jahre an den unterschiedlichsten Tatorten ermittelt, Täter überführt und Kriminalfälle gelöst. Durch meine Arbeit habe ich gelernt, dass uns sehr häufig bestimmte Gefühle, Gedanken und Verhaltensweisen daran hindern, unser Leben in die eigenen Hände zu nehmen und es so zu verändern, dass es für uns selbst passt und wir zufrieden sind. Ich habe beispielsweise Menschen kennengelernt, die von ihren Partnern misshandelt wurden. Sie wurden verbal und körperlich verletzt, würdelos behandelt und haben ein Leben in Angst und Schrecken gelebt. Aber Gedanken wie »Ich verdiene es nicht anders«, »Er/sie liebt mich doch«, »Er/sie hat gerade so viel Stress auf der Arbeit« sowie ein beeinträchtigtes Selbstbewusstsein und die Angst vor dem Alleinsein oder der Zukunft hielten viele dieser Menschen davon ab, notwendige Veränderungen anzugehen. Sie ertrugen lieber ein Leben in Schmerz und Leid, als sich der Herausforderung zu stellen, ihre Gefühle und Wünsche ernst zu nehmen und sich von dem misshandelnden Partner zu lösen. Das Altbekannte erscheint uns eben oft als das Sicherste.
Oder aber wir zögern so lange, bis wir einen unsanften Tritt von außen bekommen und unser Leben von jetzt auf gleich auf den Kopf gestellt wird. Ein Retter ist nicht in Sicht; wir sind auf uns selbst angewiesen. In dieser Situation ist es hilfreich, zunächst einmal den Ort in uns ausfindig zu machen, an dem es schmerzt. Diesen Ort, den Tatort, können wir mit unserer Aufmerksamkeit beleuchten, bearbeiten und auf diese Weise die wahren Ursachen unseres Schmerzes identifizieren, die Täter gewissermaßen. So können wir die Blockaden lösen, die uns daran hindern, ein zufriedenes, erfülltes Leben zu führen.
Jetzt werden Sie vielleicht einwenden: Wie, bitte, soll ich denn in Zeiten, in denen es mir ohnehin schon schlecht geht, ruhig und bewusst meine Gefühle und Gedanken wahrnehmen? Stimmt. Um das zu schaffen, brauchen wir Hilfe. Wir brauchen unseren eigenen Ermittler, also den Teil in uns, der mit einem gewissen Abstand und einer gewissen Neutralität alles in uns beobachtet und uns hilft, uns so anzunehmen, wie wir sind. Er oder sie beißt sich nicht gleich an der ersten Spur fest und bewertet diese auch nicht subjektiv. Er hilft uns, wertneutral an die Kriminalfälle von Liebe, Verrat und Betrug heranzugehen, und begibt sich mutig zu den einzelnen inneren Tatorten. Unser eigener Ermittler hilft uns, unsere Täter aufzuspüren, ihnen dicht auf den Fersen zu bleiben und sie schließlich zu überführen. Haben wir das erst einmal geschafft, können wir ein selbstbestimmtes und freieres Leben führen.
Ich gehöre auch zu den Menschen, die über eine lange Zeit ihr Leben einfach so gelebt haben, ohne sich mit sich selbst, den eigenen Wünschen und Bedürfnissen zu beschäftigen. Das Leben war halt so, wie es war, ich kannte es nicht anders. Ich habe mich damals nicht getraut, bestimmte Dinge an- oder gar auszusprechen bzw. habe ich mich dafür geschämt, bestimmte Gedanken überhaupt zu haben. 2009 weckte mich das Leben aus meinem Dornröschenschlaf auf. Ich wurde leider nicht wie im Märchen wachgeküsst. Ehrlich gesagt, fühlte es sich eher so an, als ob mich jemand mit einem Baseballschläger schlug, um sicherzugehen, dass ich den Weckruf verstand und meine gesamte Aufmerksamkeit auf mein Leben richtete. Meine Ehe zerbrach, und ich verlor zunächst einmal den Boden unter den Füßen. Ich spürte plötzlich intensive Gefühle von Angst, Wut, Hass, Scham, Trauer, Hilflosigkeit und Schuld in mir. Meine Gedanken kreisten: Warum war gerade mir das passiert? Hätte ich nicht die Warnsignale rechtzeitig erkennen und alles Weitere verhindern müssen?
Irgendwann fand ich mich in einem riesigen, dunklen inneren Loch wieder. Ich spürte, dass ich mein altes Leben nicht weiterleben konnte, und das machte mir schreckliche Angst. Ich wollte eigentlich nur, dass dieses innere Chaos schnellstmöglich wieder aufhört. Aber gleichzeitig waren meine Gefühle so lebendig wie nie zuvor. Das, was ich mir früher oft im Außen gewünscht hatte, nämlich Abwechslung und Spannung, spielte sich nun in meinem Inneren ab. All das, was mir täglich im Polizeidienst begegnete, fand sich nun auch in mir wieder. Es kam mir vor, als ob ein oder mehrere Täter in mir alles ziellos zerstörten und niemand da war, der für Sicherheit und Ordnung sorgen wollte. Ich verstand damals nicht, was da in mir in Gang gesetzt wurde.
Nach einigen Wochen mit diesen belastenden Gefühlen und Gedanken stand ich eines Tages an meinem Wohnzimmerfenster und schaute auf die Bäume im Garten und wie sie sich im Wind bewegten. Die Bäume stehen dort Tag um Tag und halten jedem Wetter stand. Sie lassen sich nicht von der erstbesten Windböe umhauen und entwurzeln. Wollte ich mich also von meiner Krise entwurzeln lassen? Aber wo lagen meine Wurzeln? Darauf hatte ich ebenso wenig eine Antwort wie auf viele andere Fragen, aber ich spürte, dass sich etwas in meinem Leben verändern musste, dass ich jemanden benötigte, der mir wieder Ruhe und Vertrauen gab und mir half, meine Wurzeln zu finden und sie tief in den Boden zu versenken. Erst einmal versuchte ich allerdings, vor meinen belastenden Gefühlen davonzulaufen, wie ich es in meinem Leben schon so oft getan hatte. Aber all die Ablenkungen im Außen und das Davonlaufen vor meiner Realität konnten die Täter in mir nicht aufhalten und das innere Chaos nicht eindämmen.
Können Sie sich noch daran erinnern, wie Sie sich als Kind versteckt haben? Haben Sie da nicht einfach Ihre Hände vor Ihr Gesicht gehalten und geglaubt, wenn Sie die anderen nicht sehen, dann sehen die anderen Sie auch nicht? Tja, heute wissen wir, dass diese Strategie schon damals nicht wirklich funktioniert hat und es auch heute nicht tut. Unsere Gedanken und Gefühle wollen gefunden und gesehen werden. Sie sind da, auch wenn wir sie nicht wahrhaben möchten. Mir das bewusst zu machen war unglaublich schmerzhaft, und als mir klar wurde, dass ich meine Augen aus Angst vor der Realität und möglichen Konsequenzen verschloss, gab es für mich kein Zurück mehr. Es war wie ein inneres Versprechen, das ich mir gab: Ich wollte nicht mehr vor den belastenden Gefühlen, im Endeffekt also vor mir selbst davonlaufen. Das ist wirklich ein bedeutendes Versprechen und eine ziemlich große Herausforderung, der ich mich immer wieder aufs Neue stelle.
Zeiten der Stille, Bücher, Seminare, Coachings und Meditationen halfen mir damals, mich auf meine Gefühlswelt einzulassen und mir selbst zuzuhören. Ebenso das Gefühl, nicht allein zu sein. Ich las viel über Emotionen und Selbstannahme und lernte mich dadurch immer besser kennen, wusste aber oft nicht, wie ich dieses Beobachten, Annehmen und Verändern der Gefühle anstellen sollte. Das hörte sich in den Büchern immer so leicht an und wollte bei mir einfach nicht funktionieren. Ich wünschte mir eine Art Handbuch, wie man das Beobachten und Annehmen erlernen kann. Meiner Meinung nach besitzen wir alle diese Fähigkeit schon und benötigen manchmal nur eine kleine Anleitung, um unsere in Vergessenheit geratenen Ressourcen wieder zu aktivieren.
Durch meinen Beruf erlernte ich einen strukturierten Umgang mit meinen Gefühlen und Gedanken. Als Kommissarin darf ich mich von dem, was ich sehe und erlebe, nicht innerlich vereinnahmen lassen. Um meine Gedanken...