Man darf von der Astrologie nur das verlangen, was sie wirklich anzuzeigen vermag. Ihr Gebiet ist nach oben und nach unten abgegrenzt. Die Geburts- sowie die progressive Astrologie sagt nur aus über das Irdische und zwar in persönlicher Ausprägung. Was darüber und darunter liegt, steht nicht im Horoskop. Jenseits des Horoskops liegt das höhere Selbst, unterschieden von der Menschlichkeit, in der es sich derzeit verkörpert hat; diesseits des Horoskops liegt das Unpersönliche, Gattungsmäßige, in welches ein Mensch mit einem bestimmten Horoskop geboren wird. Rasse und Milieu sind aus keinem Horoskop zu erkennen. Ein Negerkind, das in einem Gebärhaus genau gleichzeitig mit einem weißen oder gelben Kind zur Welt käme, würde zwar dieselbe Dynamik des äußeren Schicksals, d. h. die gleichen Förderungen und Hemmungen haben als jenes, aber sie gänzlich anders ausleben, gebunden an die geringere Entwicklungsstufe der schwarzen und der vielleicht höheren der gelben Rasse. Dasselbe gilt vom Milieu und von der Heredität, die nicht zu beseitigen ist, auch falls ein Mensch sofort nach der Geburt in ein höheres Kulturmilieu versetzt würde. Haben ein Arbeiterkind, ein Bürgerkind und ein kleiner Prinz z. B. denselben guten Aspekt im X. Feld, etwa einen gutbestrahlten Jupiter, der hohen Aufstieg anzeigt, so werden alle drei aufsteigen, aber nur bei dem Prinzen wird das vielleicht einen Thron bedeuten, bei dem Bürgerkind etwa einen hohen Rang im öffentlichen Leben, bei dem Proletarierkind eher eine einflußreiche Stellung in seiner Partei.
Man hat besonders in England auch einige Versuche mit Tierhoroskopen gemacht. Bei einem Huhn wird ein Merkuraspekt (Intelligenz) nicht fühlbar sein, wohl aber bei einem Hund; dagegen will man gerade bei Hühnern die Stärke der Vitalität, Fruchtbarkeit usw. aus Geburtshoroskopen erkannt haben. Natürlich kann, ein Aspekt nur wirken, wo eine Empfänglichkeit ist. Das X. Feld (Stellung) eines Huhns wird gleichgültig sein, weil ein Huhn keine Stellung hat, aber ein Hund kann eine Stellung haben. Aus dem X. und IV. Feld (Heim) seines Horoskops wird wohl zu ersehen sein, was er für einen Herrn finden wird. Kurzum: nur da kann ein Planet wirken, wo Empfänglichkeit ist. Totes wird auch durch die Sonne nicht lebendig, wohl aber wird Lebendiges durch sie gefördert. Wo kein Hirn ist, bleibt Merkur stumm. Wo keine Kultur ist, wird auch der beste Merkur-Venusaspekt keine Künstler hervorbringen. Daher ist es wertvoll für den Astrologen, Rasse, soziales Milieu, Herkunft und Geschlecht der ihn Befragenden zu kennen.
Das Horoskop des Kaisers Karl von Österreich z. B., der ohne die Ermordung des zum Thronfolger bestimmten Erzherzogs Franz Ferdinand nicht auf den Thron gekommen wäre, zeigt einen sehr guten Aspekt für große Stellung: Mond, Herr des X. Feldes, selber im X. Haus, im Zeichen seiner Herrschaft: Krebs, in Sextilaspekt mit Venus, dem Geburtsgebieter, aus dem I. Feld; aber der Mond hat dort Konjunktionen mit Mars und Saturn und ein Quadrat mit Jupiter. Ferner beherrscht Saturn das Ende (IV. Feld). Das alles mußte Aufstieg und schnellen Fall herbeiführen. Kein Astrologe, der nicht weiß, um was für ein Milieu es sich handelt, konnte aus der Nativität sehen, wie sich dieses dynamisch so sicher vorbestimmte Schicksal als menschliches Leben offenbaren würde. Weiß man aber, daß es sich um einen nahen Verwandten eines Thronfolgers handelt, dann konnte die Astrologie durch Kombination folgendermaßen vorgehen: Was gab es bei einem Erzherzog für eine Aufstiegmöglichkeit? Als Heerführer? Dazu ist in diesem Horoskop der Mars viel zu schwach. Im beweglichen Wasserzeichen Krebs hat er etwas Haltloses. Darum war der Aufstieg weniger der eigenen Energie, als einem äußeren Einfluß oder Ergebnis zu danken. Einer Frau? Das Ehehaus ist wie das Haus der Finanzen von demselben schlechten Mars beherrscht. So lag es bei den sicheren Anzeichen für hohen Aufstieg und Sturz nahe, an eine zeitweilige Erhebung auf den Thron zu denken.
Auch aus dem Horoskop des Kaisers Nero konnte niemand von vornherein erkennen, zu was für einem Ungeheuer sich dieser Mensch auswachsen würde. Prüft man aber die Nativität, wissend, daß es die Neros ist, so wird man alle Vorbedingungen finden, die einen solchen Charakter ermöglichen, nicht aber unbedingt erfordern. Um Grausamkeit festzustellen, werden wir zunächst den Mars prüfen. Wir finden ihn in seiner Vernichtung in dem materiell-sinnlichen Zeichen Stier in Konjunktion mit Venus. Das ist ein bekanntes Anzeichen für geschlechtliche Ausschweifung. Ferner hat Mars eine Opposition zu Jupiter, was an sich eine Verachtung von Recht und Gesetz bedeuten kann. Jupiter selbst steht in dem Marszeichen Skorpion, wo seine Lebensfülle oft in Maßlosigkeit und Unzucht entartet. Dazu ist er im Feld der Vergnügungen (V.). Das allein würde aber noch nicht das Neronische erklären. Hinzu kommt, daß die Sonne auf der Spitze des großen Unglücksfeldes (XII.) ein Quadrat empfängt von Saturn aus einem Eckhaus. Wenn zu diesem Aspekt kein günstiger Strahl von Jupiter, Venus oder Mond hinzukommt, so bedeutet er das Äußerste an Egoismus und Grausamkeit. Aller Segen der Sonne ist unterdrückt. Aber auch der Mond (Gefühle) kann nicht helfen, da er ohne guten Aspekt von dem schlechten Mars beherrscht wird. Erst die Verbindung der sexuellen Depravation mit solcher Herzens- und Gemütsleere macht den hemmungslosen Wollüstling. Berücksichtigt man die hohe äußere Stellung, die das von Jupiter beherrschte Haus des Berufs verrät, mit Mond und Glücksrad darin, so ist der Charakter des Kaisers Nero als Möglichkeit gegeben. Der dreifach bestrahlte Merkur beim Aszendenten zeigt noch obendrein die hohe intellektuelle Begabung dieses Menschen, und Venus im eigenen Zeichen Stier im XI. Feld (Geselligkeit) gibt außer der Neigung zu derben Tafelfreuden jene entschieden künstlerische Richtung, die den Sterbenden ausrufen ließ: qualis artifex pereo! Das Ende ist gänzlich von Saturn beherrscht. Man sieht: die Elemente zu einem Nero sind alle im Horoskop zu finden, aber sie hätten von einem andern Selbst anders kombiniert werden können. Dieses transzendentale Selbst, das nach brahmanischer Lehre zu seiner höchsten Bewußtwerdung zahllose Leiber durchlaufen muß, d. h. ebenso viele Horoskope erlebt, ist das große X, das sich astrologisch nicht erkennen läßt, so wie man nie voraussagen kann, wie ein bestimmter Dichter einen bestimmten Stoff behandeln wird, auch wenn man genau weiß, in welcher Richtung der Dichter begabt und daß der Stoff ein dichterischer ist. Ja, der Dichter wird es selbst zunächst nicht wissen.
Das Horoskop Napoleons I. hat natürlich einen großartigen Aspekt für Erhöhung: die Sonne im X. Feld im Zeichen Löwe, wo sie herrscht; aber sie hat ein Quadrat mit Jupiter im Aszendenten, was unter anderm die Illegitimität der Erhöhung andeutet, denn Jupiter ist das Gesetz. Jeder Astrologe hätte der Madame Lätitia zu der Sonnenstellung ihres Kindes an der Wiege mit aufrichtigem Herzen gratulieren können, denn wer die Sonne im Löwen im X. Feld hat, auch wenn verletzt, wird unbedingt aufsteigen. Aber viele berühmte Männer haben dies und sind noch lange keine Napoleons. Hier müssen unbedingt nicht im Horoskop sichtbare Faktoren berücksichtigt werden: Rasse, Heredität, Milieu. Jemand, der aus dem »Slums« einer nordischen Großstadt stammt und in einem verhetzten und verdorbenen Milieu aufwächst, wird auch mit einem solchen Aspekt trotz allem Aufstieg in der Regel kein »Herr« werden. Ein Mensch aber mit korsischem Banditenblut, erzogen in der Luft leidenschaftlichen und oft heroischen Bürgerkriegs, hat eine ganz andere Empfänglichkeit für die Strahlen der Sonne im Löwen.
Alle Aspekte und Direktionen können sich aktiv oder passiv auslösen. Der in einem Haus anwesende Planet soll die aktive, der das Zeichen an der Spitze beherrschende Planet die passive Auslösung anzeigen. Hat ferner ein Mann vom Range Napoleons zu einer bestimmten Zeit seiner Laufbahn, sagen wir, eine schlechte Marsdirektion, so wird sie sich ganz anders auslösen als bei einem Forscher, einem Studenten oder einem Zuhälter. Aktiv: Napoleon befiehlt die Erschießung des Herzogs von Enghien, passiv: verliert eine Schlacht; der Forscher macht vielleicht einen tollkühnen Vorstoß oder erleidet einen Unglücksfall auf einer gefährlichen Expedition, der Student hat ein Duell und der Zuhälter gerät in eine Messeraffäre. Man wird in allen diesen Fällen das Marsisch-Gewaltsame erkennen, doch in ganz verschiedener Tönung, dabei habe ich noch nicht einmal den Fall erwähnt, daß es sich auch geistig auslösen kann, etwa in einer kühnen Entdeckung, die der Natur, oder in einem Kunstwerk, das der Phantasie gewissermaßen abgezwungen wird. Mir selbst ist es geschehen, daß ich während einer schlechten Marsdirektion zu meiner progressiven Sonne, ohne es vorsätzlich so eingerichtet zu haben, in einem Roman unter starker persönlicher Erregung einen Brudermord darstellte – ein ausgesprochenes Marsproblem. Äußerlich bekam ich jene Direktion zwar auch zu spüren, und da ich die Sonne im Feld des Berufes habe (X.), ebenfalls im Beruf, aber auf seiner praktischen Seite. Es handelte sich um eine ausgesprochene marsische Dissonanz, aber von verhältnismäßig untergeordneter Art. Offenbar war die Wirkung abgeschwächt durch ihre Spaltung ins Geistige und Praktische. Die Möglichkeit solcher Auswirkung ist in meinem Horoskop angezeigt, da das Feld der höheren Geistigkeit (IX.) zwar von...