Was war der Kalte Krieg?
Der Begriff des Kalten Krieges stammt aus dem Jahr 1946 und ist damit mittlerweile fast sechzig Jahre alt. Dennoch ist nach wie vor die Definition umstritten. Man kann sich wohl am ehesten darauf einigen, daß er in erster Linie eine Auseinandersetzung zwischen zwei unvereinbar erscheinenden Weltanschauungen mit jeweils konkurrierenden Gesellschaftsentwürfen war. Er war ein Systemkonflikt zwischen dem kommunistischen Modell der staatssozialistischen «Volksdemokratie» auf der einen und dem westlichen Modell der liberalkapitalistischen parlamentarischen Demokratie auf der anderen Seite. Prinzipiell beharrten beide Seiten auf universaler Anwendung und globaler Gültigkeit. Unbestrittene Führer der Lager waren die Hauptsiegermächte des Zweiten Weltkrieges, die USA und die Sowjetunion, die sich mit dem Erreichen ihres wichtigsten gemeinsamen Ziels, der Zerstörung des Nationalsozialismus, entfremdeten. In der bipolaren Konfrontation zwischen den Führungsmächten Sowjetunion und USA ordnete sich ein Großteil der anderen Staaten den jeweiligen Blöcken zu. Die Ausnahmen bildeten schließlich China sowie die Gruppe der «Blockfreien», die ohne (Vertrags-)Bindung an den Westen und den Osten größtmögliche politisch-wirtschaftliche Unabhängigkeit bewahren wollten.
Nachdem bereits mehrfach verfrüht das Ende des Kalten Krieges in Entspannungsphasen (1955, 1963, 1969, 1972) erklärt wurde, ist nun nach dem Untergang der Sowjetunion erkennbar, daß damit die traditionelle «Schlacht der Ideen» zwischen Sowjetsystem und westlicher Demokratie, als die der Kalte Krieg 1947 offiziell erklärt wurde, beendet ist. Die Auflösung der Sowjetunion 1991 markiert den Ausgang der fast genau 45Jahre dauernden Auseinandersetzung, die von Entspannungs- und Eskalationsphasen unterbrochen wurde. Der Begriff des «Zweiten Kalten Krieges», der 1983 angesichts der Verschärfung des internationalen Klimas geprägt wurde, hat sich nicht durchgesetzt. Eine allgemein anerkannte einheitliche Periodisierung des Kalten Krieges fehlt allerdings noch immer.
Vom Kalten Krieg ist lange Zeit der ältere Ost-West-Konflikt unterschieden worden. Nach dieser Definition war der Kalte Krieg ab 1947 ein Teil der Ost-West-Konfrontation seit der Russischen Oktoberrevolution 1917. Deren Wurzeln wiederum reichen bis in die vorangegangenen Jahrhunderte. Tatsächlich war der Ost-West-Konflikt seit dem 19. Jahrhundert wiederholt als Auseinandersetzung zwischen «asiatisch-russischer» und «westlicher» Zivilisation und Mentalität vorausgesagt worden. So war bereits der Krimkrieg zwischen 1854 und 1856 als Konfrontation zwischen Ost und West verstanden worden. Mit der Russischen Revolution wurde dieser machtpolitische Konflikt durch eine ideologische Komponente ergänzt und in der Wahrnehmung der Zeit zum «Weltbürgerkrieg» ausgeweitet.
In den neueren Nachschlagewerken ist die sinnvolle Unterscheidung zwischen den Begriffen Kalter Krieg und Ost-West-Konflikt häufig nicht mehr übernommen worden, sondern nur noch der Terminus des Ost-West-Konflikts für die Zeit nach 1945/47 in Gebrauch. Prinzipiell ist dies nicht falsch, da der Begriff umfassend für die Zeit nach 1917 gilt. Allerdings verschleiert der unbestimmte Begriff die spezifische Qualität der Auseinandersetzung. Konflikte gibt und gab es viele. Der Kalte Krieg war im Gegensatz zum Ost-West-Konflikt jedoch ein permanenter und aktiv betriebener «Nicht-Frieden», in dem alles das eingesetzt wurde, was man bisher nur aus der militärischen Auseinandersetzung kannte. Hinzu kam etwas, was bisher unbekannt war: Dieser «Nicht-Frieden» konnte binnen Stunden zu einem unbegrenzten atomaren Krieg werden und einen Großteil der Menschheit vernichten.
Ironischerweise ist der umkämpfte Begriff des Kalten Krieges eher ein Zufallsprodukt. Daß er sich rasch in beiden Lagern durchsetzte und ab 1950 in der Literatur allgemein nachweisbar ist, zeigt allerdings, wie übereinstimmend er in Ost und West als zutreffende Beschreibung der Auseinandersetzung akzeptiert wurde. 1946 prägte ihn Herbert B. Swope, ein Mitarbeiter des US-Präsidentenberaters Bernard Baruch. Baruch verwendete den Begriff im Juni 1947 zum ersten Mal öffentlich. In die politische Debatte brachte ihn jedoch der amerikanische Publizist Walter Lippmann, der unter anderem für die vielgelesene New York Herald Tribune schrieb. 1947 erschien seine Broschüre The Cold War. A Study in U.S. Foreign Policy.
Rasch entwickelte sich der Kalte Krieg zu einem «totalen Krieg», in dem mit Ausnahme der atomaren Waffen, die sich aufgrund ihres langfristigen Zerstörungspotentials als nicht einsetzbar erwiesen, alles Verfügbare zur Anwendung kam, um diesen Konflikt zu gewinnen. Der Kalte Krieg war eine politisch-ideologische, ökonomische, technologisch-wissenschaftliche und kulturell-soziale Auseinandersetzung, die ihre Auswirkungen bis in den Alltag zeigte. Nur in der Dritten Welt wurde der Kalte Krieg schließlich auch als konventionelle militärische Auseinandersetzung geführt.
Die Nichtvereinbarkeit der beiden Lager führte zudem in den einzelnen Gesellschaften zu Polarisierungen. Annäherungen an die jeweils andere Seite oder Neutralität blieben bis zum Schluß verdächtig. Gerade darin wird deutlich, daß der Kalte Krieg eigentlich nur Kombattanten kannte – Teilnehmer auf dieser oder jener Seite. Anschauungsunterricht bot im Osten etwa die Behandlung von Dissidenten, im Westen zum Beispiel das Verhalten gegenüber der Friedensbewegung. Daß die Öffentlichkeit ebenso wie die wissenschaftliche Literatur im Anschluß an den Kollaps des sowjetischen Systems und seiner Satelliten die Frage nach dem Gewinner der Auseinandersetzung stellte, zeigt, daß selbst noch in der Retrospektive der Kalte Krieg als Kampf um Sieg oder Niederlage verstanden wurde.
Die atemberaubende Dynamik der Auseinandersetzung forderte früh Erklärungen. In der historischen Forschung wurden in den 45 Jahren der Auseinandersetzung drei Hauptdeutungen präsentiert.
(1) Nach der traditionellen Vorstellung, der frühesten Erklärung, war für die Entstehung und Forcierung des Kalten Krieges die marxistisch-leninistische Ideologie mit ihrem Anspruch auf die Weltrevolution verantwortlich. Diese habe die Sowjetunion prinzipiell auf einen aggressiven Kurs gegenüber dem Westen festgelegt. Pragmatische Annäherungen in Entspannungsphasen seien zwar möglich gewesen, nicht jedoch eine Abschwächung des Expansionsdranges. Wichtige Vertreter dieser Auffassung kamen aus der amerikanischen Regierung: George Kennan, der «Erfinder» der Eindämmungspolitik (Containment Policy), und John Foster Dulles, der Schöpfer der Befreiungspolitik (Liberation Policy). Als Kronzeuge aus dem Osten galt den Anhängern der traditionellen Interpretation lange Jahre Milovan Djilas. Der maßgebliche Theoretiker des jugoslawischen Kommunismus teilte in seinen quellenkritisch höchst umstrittenen Erinnerungen unter dem Titel Gespräche mit Stalin (dt. 1962) mit, der sowjetische Diktator habe ihm im April 1945 anvertraut, er werde das sowjetische System überall dort einführen, wohin die Rote Armee vordringe.
(2) Die revisionistische Erklärung betonte seit den sechziger Jahren die amerikanische Verantwortung für die Entstehung des Kalten Krieges. Die Sowjetunion sei aus dem Zweiten Weltkrieg geschwächt hervorgegangen und habe dem Westen nahezu hilflos gegenübergestanden. Stalins Politik sei weniger von imperialen Vorstellungen ausgegangen als von der Bewahrung und Sicherung des bestehenden Staates. Die Ursache des Konflikts müsse man daher vielmehr in der politisch-wirtschaftlichen Struktur der Vereinigten Staaten sehen, die auf permanente Erschließung neuer Absatz- und Rohstoffmärkte ausgerichtet sei. Als wichtige Vertreter der These gelten William A. Williams, Gabriel Kolko, David Horowitz oder Lloyd C. Gardner.
Wie unterschiedlich die Vertreter der beiden Ansätze auf der Basis der gleichen Quellen urteilen konnten, zeigte sich in der Interpretation der alliierten Konferenz von Jalta im Februar 1945. Trotz unterschiedlicher Auffassungen, zum Beispiel über die Festlegung einer neuen deutschen Ostgrenze, gab es hier auch sichtbare Kompromisse. Stalin stimmte etwa den amerikanischen Wünschen zu, in den Krieg gegen Japan einzutreten, aber nach dessen Niederlage nicht die chinesischen Kommunisten zu unterstützen. Roosevelt wiederum gab im Gegenzug sein Einverständnis, daß Moskau die Gebiete zurückerhalten werde, die im russisch-japanischen Krieg 1905 verloren worden waren. Man konnte sich auch über das Stimmenverhältnis im Sicherheitsrat der «Vereinten Nationen» (UNO) einigen, und Stalin erneuerte hier zudem seine Zusicherung, daß in allen vom Nationalsozialismus befreiten Gebieten die Bevölkerung selbst über ihre Regierung entscheiden dürfte.
Für die Vertreter der traditionellen Auffassung war die hier demonstrierte Verhandlungsbereitschaft Stalins nichts weiter als ein Mittel zum Zweck. Der sowjetische Diktator habe damals begriffen, daß Kompromißbereitschaft auch eine Methode sein könne, den Verhandlungspartner zu manipulieren. Im Gegensatz dazu stellte sich für die revisionistische Schule die Konferenz von Jalta als der Punkt dar, an dem die...