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E-Book

Der Messie in uns

Wie wir Wohnung und Seele entrümpeln

AutorCarsten Tergast, Sabina Hirtz
VerlagRowohlt Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl208 Seiten
ISBN9783644562615
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Jeder ist mal unordentlich, bei den meisten von uns sammelt sich über die Jahre so einiges an, was eigentlich gar nicht mehr gebraucht wird. Das muss uns nicht besorgt machen, geschweige denn, dass wir auf dem Weg zum Messie wären. Andererseits: Viele haben bereits ein Problem, ohne es wahrzunehmen, und viele andere sind durchaus unzufrieden mit dem Zustand ihres direkten Umfelds, leiden an ihrer Unordnung, können nichts wegwerfen, schauen gelähmt zu, wie eine gewisse Verwahrlosung sich in ihre Wohnung einschleicht - die Übergänge sind fließend. Für solche Menschen im Übergang ist dieses Buch gedacht. Für Menschen mit einem gewissen Leidensdruck (Schätzungen sprechen von bis zu drei Millionen Deutschen), ihre Angehörigen oder Freunde, aber auch für Fachleute, die Genaueres über das Thema wissen möchten. Sabina Hirtz hilft anhand einer Reihe unterschiedlicher Fallgeschichten und einige klare Kriterien dabei, sich selbst einzuschätzen: Bin ich noch auf der Seite unbedenklicher Unordnung und Sammelleidenschaft, oder liegen die Ursachen des Problems tiefer? Ist bereits eine Grenze überschritten, und wo und wie finde ich dann Hilfe?

Sabina Hirtz lebt und arbeitet als Heilpraktikerin für Psychotherapie im Hamburger Umland. Sie ist seit vielen Jahren auf das Messie-Syndrom spezialisiert und hat zwei TV-Formate zu dem Thema moderiert ('Das Messie-Team', 'Teenager in Not'). In ihrer Freizeit ist sie Sängerin der Heavy-Metal-Band 'Holy Moses'.

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Leseprobe

Sandra Felton: Die Mutter des Begriffs


Die Idee, das Messie-Phänomen als eigenständiges Krankheitsbild zu beschreiben, ist relativ jung. 1985 stellte die Sonderschulpädagogin Sandra Felton eine eigenartige «Macke» an sich selbst fest: Sie, die in ihrem Job überaus ordentlich, strukturiert und organisiert arbeitete, schaffte es in ihrem Privatleben immer weniger, Ordnung zu halten und das Privatleben ebenfalls zu strukturieren. Im Büro, so erzählt es Felton im Rückblick, habe man sie gerade wegen ihres Talents zur Organisation sehr geschätzt, darüber hinaus sei für den Beruf der Sonderschulpädagogin besonders viel Strukturierung erforderlich gewesen, um der vielfältigen Anforderungen Herr zu werden.

Und daheim: Immer mehr Chaos und bald schon eine handfeste Ehekrise. Feltons Mann stellte sie vor die Wahl: Es muss etwas passieren oder ich gehe. Doch Feltons Ehe hielt, ihre drei Kinder mussten nicht auf den Vater verzichten, weil sie in der Lage war, ihr eigenes Problem zu analysieren und konstruktiv anzugehen.

Felton ging, wie ich es heute nennen würde, «in die Struktur». Sie schuf sich Strukturhilfen, um Ordnung in das heimische Chaos zu bringen. Sie traf damit eine Wahl, was banal klingt, tatsächlich aber sehr wichtig ist, weshalb ich es an anderer Stelle noch ausführlich erklären werde.

Das ist eine Vorgehensweise, die nicht bei jedem Messie funktioniert. Genauer gesagt: Sie funktioniert dann, wenn das Messie-Phänomen aus der ganz konkreten Lebenssituation heraus entsteht, wenn also keine tiefliegenden psychischen Ursachen dahinterstecken, sondern «nur» eine partielle Überforderung, wie sie bei Felton durch die hohen Ansprüche im Job und ihre zeitliche Inanspruchnahme insgesamt ausgelöst worden waren. Sie funktioniert auch dann, wenn psychische Ursachen erforscht und therapiert wurden, um wieder Grund in das häusliche Chaos zu bekommen.

Bei vielen Menschen jedoch führen die gerade auch von Angehörigen häufig vorgebrachten Vorschläge, wie man durch einfaches Strukturieren Ordnung schaffen könne, nur zu noch mehr Stress und Abwehrhaltung und in der Folge zu noch mehr Chaos. Dann liegen die Gründe für das Messie-Phänomen wesentlich tiefer und müssen auch entsprechend behandelt werden.

Sandra Felton schaffte es über einen langen Zeitraum, ihr Leben zu verändern. Sie gründete eine Selbsthilfegruppe und nutzte diese Erfahrung produktiv, um ihre Erkenntnisse in mehreren Büchern zu verarbeiten. Dabei entstand der Begriff «Messie», der heute fast schon sprichwörtlich ist. Sandra war die Erste, die die Gefahren und das latent Pathologische in übergroßer Unordnung nicht nur erkannte, sondern systematisch bearbeitete.

An ihrer Person lässt sich auch erkennen: Das Messie-Phänomen ist nicht auf eine bestimmte soziale Schicht begrenzt. Die Assoziation von «unordentlich» und «auf niedrigem Bildungsstand» greift daneben. Messies gibt es quer durch alle sozialen Schichten. Allerdings führt ein unbehandeltes Messie-Phänomen häufig zu sozialem Abstieg, weil das eigene Leben aus den Fugen gerät, Freunde und Bekannte sich abwenden und nicht selten auch berufliche Konsequenzen bis hin zum Jobverlust folgen.

Zu mir in die Praxis kommen in der Regel Menschen, die es nicht, wie Sandra Felton, über Strukturhilfen schaffen, dem Chaos etwas entgegenzusetzen. Entsprechend bin ich auch kein Aufräumcoach. Es ist zwar oft Teil meiner Therapie, Hilfestellungen beim eigentlichen Vorgang des Aufräumens zu leisten, doch steht dieser Teil immer erst am Ende, wenn die Ursachen des Phänomens erfolgreich behandelt wurden. Deshalb hat der Untertitel dieses Buches auch einen tieferen Sinn: Die Wohnung können Messies erst dann nachhaltig entrümpeln, wenn sie die tief in ihrer Seele liegenden Probleme bearbeitet haben. Ein einfaches «Räum endlich auf!» oder «Schmeiß doch die Sachen endlich weg!» von außen kann für echte Messies fatale Auswirkungen haben, weil niemand versteht, dass es bei ihnen nicht um das Nicht-aufräumen-Wollen, sondern tatsächlich um ein Nicht-aufräumen-Können geht.

In Deutschland wird bis heute nicht offen über die Messie-Problematik gesprochen. Auch das hoffe ich mit diesem Buch aufbrechen zu können. Menschen, die unter diesem Phänomen leiden, werden belächelt oder als schlampig und chaotisch abqualifiziert. Wer in einem kreativen Job arbeitet, hat meist bei seinen Mitmenschen eine höhere Toleranzschwelle, weil es ja das geflügelte Wort vom «kreativen Chaos» gibt, aus dem Gutes entsteht. Ein Bankangestellter, dessen Wohnung in der Unordnung versinkt, hat da mit weniger Nachsicht zu rechnen; immerhin hat schon sein Beruf viel mit Ordnung und Struktur zu tun, die Zahlen im täglichen Geschäft müssen schließlich stimmen.

Gerade weil so wenig konkret über die Problematik gesprochen wird, gibt es eine große Zahl von Klischees, Vorurteilen und vollkommen falschen Vorstellungen darüber, worum es beim Messie-Phänomen geht. Schon der Fakt, dass nur schwer an wirklich aussagekräftiges statistisches Material zu kommen ist, weist auf die mangelnde Auseinandersetzung mit dem Thema hin. Vorsichtige Schätzungen gehen von mindestens einer Million betroffenen Menschen in Deutschland aus, etwas mutigere sprechen von bis zu drei Millionen, und wie immer wird die Wahrheit irgendwo in der Mitte liegen. Wenn aber tatsächlich eine siebenstellige Zahl an Menschen in diesem Land ernsthaft von dem Phänomen betroffen ist, dann ist es umso seltsamer, dass man sich nur sporadisch damit auseinandersetzt.

Natürlich liegt das, wie bei allen psychischen Vorgängen, auch daran, dass die eigentlichen Ursachen des Problems nicht zu sehen sind. Anders als bei einem Beinbruch oder organischen Veränderungen im Körper, die man heute mit bildgebenden Verfahren sichtbar machen kann, liegen Verschiebungen in unserer Psyche im Dunkeln. Der Betroffene spürt sie, während er nach außen für seine Umwelt zunächst vollkommen normal wirkt. Die Außenstehenden sehen allenfalls die Symptome: Unordnung, Chaos bis hin zur totalen Vermüllung. Über eine symptomatische Herangehensweise im Sinne etwa des bereits erwähnten Aufräumcoachings wird man aber selten an die Wurzel des Problems kommen.

Eine Fokussierung auf bloße Hilfen beim Aufräumen kann schon deshalb nicht funktionieren, weil das Messie-Phänomen keinesfalls eindimensional ist. Es gibt die unterschiedlichsten Ausprägungen von Messies. Das Ansammeln von mehr und mehr Müll in der Wohnung ist nur die markanteste Form, die man am einfachsten erkennt und die auch für Außenstehende konkrete Probleme verursacht. Weitere Formen, von denen ich einige an anderer Stelle näher erläutern werde, sind beispielsweise der Zeit-Messie, der Cyber-Messie, der Alters-Messie oder auch der Messie, der nichts vermüllt und im Chaos versinken lässt, sondern im Gegenteil zwanghaft Ordnung hält. Eine Ordnungsliebe allerdings, die nicht hilft, sondern Probleme bereitet. Dies ist übrigens eines der wichtigsten Kriterien bei der Beurteilung, ob jemand Hilfe braucht oder nicht: Gibt es ein Problem?

Generell kann jeder sich selbst ein paar Fragen stellen, um erste Hinweise auf ein vorliegendes Problem zu bekommen. Solche Fragen sind beispielsweise:

1. Haben Sie das Gefühl, dass Ihre Unordnung größere Probleme bei der Bewältigung des Alltags verursacht?

Beispiele: Sie wollen Daten auf einen USB-Stick packen und wissen ganz genau, dass Sie schon um die fünf Stück haben; Sie können aber keinen finden und müssen los und einen neuen kaufen. Das kostet jetzt Geld und vor allem Zeit; Zeit, die vielleicht für etwas anderes wichtig gewesen wäre, etwa das Aufräumen der Küche.

Sie wollen sich von den alten VHS-Videokassetten trennen. Aber dann fällt Ihnen ein, dass Sie mit dem alten VHS-Recorder ja immer gut umgehen konnten und Kassetten immer schwieriger zu bekommen sind. Sie beschließen, die Kassetten erst einmal zu behalten, obwohl Sie sie eigentlich gar nicht mehr benutzen.

Sie wollen Kleidung aussortieren. Die Jacke passt nicht mehr und hat ein kleines Loch an einer unsichtbaren Stelle. Dann überlegen Sie: Vielleicht kann man das ja noch stopfen und vielleicht passe ich da ja später wieder hinein; und überhaupt kann es sein, dass ich sie noch mal brauche, wenn ich mir keine neue leisten kann. Also wird sie doch verwahrt. Oder sie landet auf dem Stapel der zu flickenden Sachen, die nie geflickt werden. Sie kaufen womöglich eine Nähmaschine, die dann doch nie benutzt wird.

Kennen Sie das oder ähnliche Situationen? Wenn ja, dann könnte ein Problem vorliegen.

2. Wie fühlen Sie sich in der eigenen Wohnung?

Haben Sie zu viele Dinge in einem Raum, erfordern Ihre Lebensumstände immer mehr Raum? Sie hören beispielsweise sehr gerne Musik und schauen gerne Filme. Sie haben Ihre Sammlungen gerne griffbereit im Schrank stehen. Mittlerweile haben Sie aber so viele CDs und Filme, dass sie sich stapeln, auch neben den Regalen. Sie müssen ja alles noch einsortieren, nach Namen oder Musikrichtung. Dazu ist aber ein neues Regal notwendig. Das muss gekauft und aufgebaut werden. Dazu fehlt die Zeit, also werden erst mal Stapel im...

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