Über Adam Smiths Kindheit und Jugend wissen wir fast nichts, nur dass er irgendwann im Jahr 1723 in Kirkcaldy geboren wurde, einem schottischen Handelsstädtchen an der Küste zehn Meilen nördlich von Edinburgh. In seinem Leben zog es ihn immer wieder dorthin, und in Kirkcaldy auch sollte er mindestens sechs der zehn Jahre verbringen, in denen er an seinem Hauptwerk schrieb, erschienen 1776: An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations (Der Wohlstand der Nationen)[1]. Seinen Vater, einen Anwalt und Zollrevisor, hat er nicht kennengelernt, vor seiner Geburt war er gestorben; seine Mutter, Margaret Douglas, liebte er abgöttisch. Nicht verbürgt ist die Legende, wonach er mit drei Jahren von einer Zigeunerbande geraubt wurde, eine Entführung, die nur ein paar Stunden dauerte. Er war ein kränkliches Kind, alles andere als anmutig, und noch bevor er für seine Klugheit bekannt wurde, war er es für seine außerordentliche Zerstreutheit. Eines Tages entdeckte ein Kutscher, der mit seiner Postkutsche aus London kam, außerhalb von Kirkcaldy einen einsamen Wanderer mitten auf dem Feld; er hielt die Pferde an und fragte Smith, wohin der Weg ihn führe, und der musste verblüfft zur Kenntnis nehmen, dass er sich, ohne es zu merken und allein seinen Gedanken hingegeben, so weit von der Stadt entfernt hatte. Und eines Sonntags sah man ihn, noch im Morgenmantel und mit seinem seltsamen, staksenden Gang eines Kamels, durch Dunfermline ziehen, fünfzehn Meilen von Kirkcaldy entfernt; er schaute ins Nichts und sprach mit sich selbst. Jahre später sollten sich die Einwohner von Edinburgh an das Bild gewöhnen, wie dieser alte, leicht hypochondrische Einzelgänger, den alle Welt einen Gelehrten nannte, zu den unmöglichsten Uhrzeiten die Altstadt kreuz und quer durchmaß, verlorenen Blicks und still die Lippen bewegend. Dutzende solcher Anekdoten säumen seinen Lebensweg.
Zwischen 1731 und 1737 besuchte er eine Schule in der Hill Street, in der Nähe seines Zuhauses, und er muss in Latein und Griechisch ein guter Schüler gewesen sein, denn als er mit vierzehn in Glasgow auf die Universität ging, konnte er die beiden Vorbereitungsjahre, die dem Erwerb der klassischen Sprachen dienten, überspringen. Die drei Jahre, die er in Glasgow studierte, waren, gestand er in einem Brief, »die bei weitem sinnvollste, insofern auch glücklichste und achtbarste Zeit meines Lebens«[2]; in diesen Jahren entdeckte er Newtons Physik und Euklids Geometrie, und mit Francis Hutcheson, einem herausragenden Vertreter der schottischen Aufklärung, hatte er einen Professor in Moralphilosophie, der auf seine intellektuelle Bildung großen Einfluss haben sollte. Nach den Jahren in Glasgow erhielt er ein Stipendium, mit dem er von 1740 bis 1746 am Balliol College in Oxford studierte. Von dem Leben, das er in diesen sechs Jahren führte, wissen wir ebenfalls so gut wie nichts. Seine Biografen nehmen an, dass es ein recht einsames war, denn das politische und kulturelle Klima der Universität wurde bestimmt von einem Jakobitentum, wie es konservativer und reaktionärer nicht sein konnte, für Smith, geprägt vom Presbyterianismus und den (liberalen) Whigs, von keinerlei Wert. Immerhin lernte er auf eigene Faust Französisch und las leidenschaftlich die französische Literatur, seine Lieblingsautoren waren Racine und Marivaux. Das für ihn Bedeutsamste in seinen Oxforder Jahren aber war, dass er das Werk David Humes kennenlernte, vielleicht sogar ihn selbst, eine weitere der großen Gestalten der schottischen Aufklärung. Hume, zwölf Jahre älter als Smith, genoss in Intellektuellenkreisen großes Ansehen, nicht aber unter denen, die in der Universität das Sagen hatten, ihnen galt er als Atheist. Adam Smith erhielt – eines der wenigen Details, die wir aus seinem Leben in Oxford kennen – am Balliol College eine Rüge, als man ihn dabei ertappte, wie er heimlich den Treatise of Human Nature (1738) dieses einflussreichen Philosophen las, der später sein bester Freund werden sollte. Auf ihn und auf Hutcheson sang er ein Loblied in seiner Theorie der ethischen Gefühle (1759).
Bis heute kursiert die irrige Vorstellung, Adam Smith sei vor allem Ökonom gewesen – man nennt ihn »Vater der Nationalökonomie« –, was ihn mehr als verblüfft hätte. Er selbst betrachtete sich immer als einen Philosophen und Moralisten. Sein Interesse an ökonomischen Fragen wie auch an anderen Disziplinen – so schrieb er etwa einen Aufsatz zur Geschichte der Astronomie, der erst posthum veröffentlicht wurde – ergab sich aus seinem Bestreben, eine »Wissenschaft vom Menschen« zu entwickeln und sich das Funktionieren der Gesellschaft zu erklären.
Umfänglicher wird die Quellenlage, als er sein Studium in Oxford beendet und nach Edinburgh kommt, wo er zwischen 1748 und 1751 dank Lord Kames, auch er eine Persönlichkeit der schottischen Aufklärung, eine Reihe öffentlicher Vorträge hält, die großen Eindruck machen und zu seinem Ruf beitragen. Die Texte dieser Vorträge sind verloren gegangen, man kennt sie aber über die Aufzeichnungen von Studenten, die unter den Zuhörern waren. Der erste ist ein Vortrag über Rhetorik und wie die Sprache entstanden ist, die menschliche Verständigung, für Smith nicht nur eine überlebensnotwendige Tätigkeit, es geht dabei auch um Angemessenheit und Sympathie, um die Fähigkeit, mit Menschen umgehen zu können, um den Gemeinsinn, Pfeiler des gesellschaftlichen Lebens und zugleich sein Mörtel. Zur Demonstration nahm er Beispiele aus der Literatur. Seiner Meinung nach bringt eine klare, direkte und konzise Sprache am besten die Gefühle und Gedanken zum Ausdruck, anders als jener weitschweifige und überladene, für eine erlesene Minderheit charakteristische (und vom 3. Earl of Shaftesbury praktizierte) Stil, der den gewöhnlichen Menschen ausschließe.
In einem anderen seiner Vorträge, über die Jurisprudenz, skizzierte Smith einige der Ideen, die er später weiterentwickeln sollte, ausgehend von David Hume, für den die Einführung des Sondereigentums den Beginn der Zivilisation markiert. Es war ein Thema, für das sich die besten schottischen Intellektuellen jener Zeit begeisterten. Lord Kames zum Beispiel vertrat die Ansicht, der ausgeprägteste Trieb des Menschen sei der, etwas zu besitzen, daraus sei das Privateigentum erwachsen und in gewisser Weise die Gesellschaft selbst. In seinem Buch Historical Law-Tracts (1758) teilt er den Ablauf der Geschichte in vier Stufen ein: das Zeitalter der Jäger, das Zeitalter der Hirten, das Zeitalter der Ackerbauern und schließlich das Zeitalter der Händler. Der Austausch von Erzeugnissen innerhalb und außerhalb der eigenen Gruppe wäre demnach der wahre Motor der Zivilisation gewesen. Regierungen bildeten sich, als den Mitgliedern der Gemeinschaft die Bedeutung des Privateigentums bewusst wurde und sie begriffen, dass dieses geschützt werden musste, wozu es der Gesetze bedurfte und einer Obrigkeit, die für ihre Einhaltung sorgte. Auf Adam Smith hatten diese Gedanken großen Einfluss, er machte sie sich zu eigen und sollte sie später ausweiten und nuancieren. Vielleicht schon in seinen Jahren in Edinburgh gelangte er in Umrissen zu der Überzeugung – sein ganzes Leben sollte sie ihn begleiten –, dass der schlimmste Feind des Eigentums und der Regierung die adligen Großgrundbesitzer waren, jene Aristokraten, die von ihren Pachtgütern lebten und es oftmals schafften, Regierungen, die ihre Macht beschnitten, zu stürzen; für Smith waren sie deshalb schon immer eine Bedrohung für das Recht, für den sozialen Frieden und den Fortschritt. Dank seiner Edinburgher Vorträge sah man den jungen Mann nunmehr als Mitglied jener Bewegung – der schottischen Aufklärung –, die die Ideen, die Werte und die Kultur ihrer Zeit revolutionieren sollte.
Von Edinburgh ging Adam Smith nach Glasgow, wo er dreizehn Jahre blieb – bis 1764 –, zunächst als Professor für Logik und Metaphysik und dann für Moralphilosophie. Von da an wissen wir mehr über seine Person. In Glasgow lebte er zusammen mit seiner Mutter und einer Cousine, Janet Douglas, die sich in all seinen Jahren in Schottland um den Haushalt kümmerten. Sein Leben war geprägt von stoischer, presbyterianischer Genügsamkeit, ohne Alkohol und wahrscheinlich auch ohne...