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E-Book

Der Salzpfad

SPIEGEL-Bestseller

AutorRaynor Winn
VerlagDumont Reiseverlag
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl336 Seiten
ISBN9783616491097
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis11,99 EUR

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Das E-Book basiert auf: 1. Auflage 2019, Dumont Reiseverlag

Alles, was Moth und Raynor noch besitzen, passt in einen Rucksack. Sie haben alles verloren - ihr Zuhause, ihr Vermögen und Moth seine Gesundheit. Mit einem kleinen Zelt machen sie sich auf, den South West Coast Path, Englands berühmten Küstenweg, zu wandern. Mit einem Mal ist ihr Zuhause immer nur dort, wo sie gerade sind. Sie kämpfen mit Vorurteilen, Ablehnung und der Sorge, dass das Geld für den nächsten Tag nicht mehr reicht. Und zugleich entdecken sie auf ihrer großen Wanderung das Glück: herzliche Begegnungen, ihre neu erstarkte Liebe und die Fähigkeit, Kraft aus der Natur zu schöpfen. Allen Prophezeihungen zum Trotz führt sie der mehrmonatige Trip zurück ins Leben und öffnet die Tür zu einer neuen Zukunft.

Tipp: Setzen Sie Ihre persönlichen Lesezeichen an den interessanten Stellen und machen Sie sich Notizen... und durchsuchen Sie das E-Book mit der praktischen Volltextsuche!



<p>Seitdem Raynor Winn den kompletten South West Coast Path gelaufen ist, unternimmt sie regelmäßig Fernwanderungen und schreibt über Natur und Wildcampen. Sie lebt derzeit mit Ehemann Moth und Hund Monty in Cornwall. 'Der Salzpfad' ist ihr erstes Buch und wurde in England in kürzester Zeit zum von Buchhändlern, Lesern und Kritikern gleichermaßen euphorisch gefeierten Sunday-Times-Bestseller.</p>

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Leseprobe

3

EINE SEISMISCHE VERSCHIEBUNG

Nachdem wir die Tür zum letzten Mal hinter uns zugemacht hatten, blieben uns zwei Wochen, um unsere wenigen Besitztümer in der Scheune eines Freundes unterzubringen und uns zu überlegen, wie es jetzt weitergehen sollte. Die Kinder konnten uns nicht helfen; sie studierten beide noch und hatten selbst kaum genug Geld, um sich über Wasser zu halten. Moths Bruder war gerade in Urlaub und hatte uns sein Haus zur Verfügung gestellt, aber in nur zwei Wochen würde er mit seiner Familie zurückkehren, und dann würde es zu eng für alle werden, und wir mussten gehen. Obwohl unser Zuhause nur dreißig Kilometer entfernt lag, konnten wir nicht zurück. Es war die Hölle. Der Schock, unser Haus verlassen und mit der Diagnose des Arztes fertigwerden zu müssen, war noch ganz frisch, und so vergingen die ersten Tage in einem benommenen, nahezu katatonischen Zustand.

Der Logik nach sollten wir uns eine Arbeit und etwas zum Wohnen suchen. Man hatte uns ja nicht nur unser Haus weggenommen, sondern auch unseren Ferienwohnungsbetrieb und damit unser Einkommen. Wir mussten einen Job finden, der es uns ermöglichte, uns ein neues Leben aufzubauen. Aber wir waren auch mit der Tatsache konfrontiert, dass unser gemeinsames Leben vielleicht nur noch auf eine kurze Periode bei einigermaßen guter Gesundheit beschränkt sein würde, gefolgt von lähmendem Verfall und Tod. Ich konnte Moth nicht allein lassen und zur Arbeit gehen – ich musste jede kostbare Minute, in der er noch halbwegs gesund war, mit ihm verbringen. Jede Erinnerung bewahren, um sie in meine einsame Zukunft mitzunehmen.

Wie ich den Arzt hasste, der auf der Schreibtischkante gesessen und ihm seine Diagnose mitgeteilt hatte, als würde er ein Geschenk überreichen. Das Beste, was ich für Sie tun kann, Moth, ist, Ihnen eine Diagnose zu geben. Etwas Schlimmeres hätte er gar nicht tun können. Ich wünschte, er könnte es rückgängig machen und mich ohne dieses Wissen leben lassen. Ich wollte nicht jedes Mal, wenn ich Moth ansah, die schwarze Leere meiner Zukunft vor mir sehen. Wir stolperten durch jene Tage, als wären wir gerade von einem Schlachtfeld gekommen, verwundet, traumatisiert und verloren.

Dauercampen war eine Option, bis wir etwas Besseres fanden, aber das günstigste Angebot eines Campingplatzes lag bei achtzig Pfund die Woche, weit mehr, als wir uns leisten konnten, und Campinggebühren wurden nicht mit Wohngeld bezuschusst. Keiner unserer Bekannten hatte ein Zimmer übrig, oder einen Garten, den er mehr als ein paar Wochen opfern wollte. Und wir brauchten einen Ort, wo wir uns sammeln und das, was passiert war, verarbeiten konnten. Im Hochsommer gab es in den Urlaubszentren ohnehin keine verfügbaren Caravans, weil alle natürlich an zahlungskräftige Feriengäste und nicht etwa an Wohngeldempfänger vermietet wurden.

In einer idealen Welt hätten wir etwas zu mieten gefunden, aber es stellte sich schnell heraus, dass es nahezu unmöglich ist, ein Mietobjekt zu finden, wenn man gerade zwangsgeräumt wurde. Unsere Kreditwürdigkeit war im Keller. Das Wohnungsamt konnte uns auf die Warteliste setzen, wenn wir das wollten, aber unserem Fall wurde keine hohe Dringlichkeit eingeräumt, und die einzige Unterkunft, die man uns momentan anbieten konnte, war ein Zimmer in einem Bed and Breakfast, in dem hauptsächlich Menschen mit Drogen- oder Alkoholproblemen lebten. Eine junge Frau mit straff zum Pferdeschwanz zurückgebundenen dunklen Haaren saß in ihrem Büro hinter dem Schreibtisch und meinte mit starkem walisischem Akzent: »Na ja, wenn Sie nicht bald sterben, also nächstes Jahr oder so, sind Sie wohl nicht so furchtbar krank, oder? Also ist es wohl nicht so furchtbar dringend, oder?« In diesem Moment wussten wir eins sicher: Wir würden lieber ins Zelt ziehen.

Zurück im Haus von Moths Bruder spähte ich benommen aus dem Fenster, unfähig, über unser weiteres Vorgehen nachzudenken.

»Eigentlich bin ich ganz froh. Ich kann mir nicht vorstellen, in einer Sozialwohnung in der Nähe unserer Farm zu leben. Das würde uns einfach kaputtmachen.« Und nicht nur das, in dieser ländlichen Gegend wären wir monatelang eine Quelle für Klatsch und Tratsch.

»Ich weiß. Auf der Farm konnten wir immer für uns sein. Auf unserer Insel.«

Das war die Farm für uns gewesen: eine Insel. Sobald wir von der Straße in den Wald abbogen, ließen wir den Rest der Welt hinter uns. Jenseits der Bäume boten sich uns Aussichten, als hätten wir eine völlig andere Welt betreten. Nach allen Seiten hin alte Feldsysteme, die Äcker durch heckenbesetzte Böschungen voneinander getrennt. Im Westen hoch aufragende Berge, die sich gen Osten erstreckten, umspielt von zarten, weichen Wolken. Ein mächtiger Bussard, der mit ausgebreiteten Schwingen in den blauen Himmel stieg und irgendwo zwischen den Baumwipfeln und den Bergen schwebte. Wenn der Wald hinter uns seine Pforte schloss, ließen wir die Straße, die Dörfer und den Lärm der Menschen zurück. Aber jetzt hatte man uns ausgesetzt, wir hatten keinen sicheren Hafen mehr, in den wir zurückkehren konnten, trieben auf einem Floß der Verzweiflung durch den Nebel, ohne zu wissen, wo wir ans Ufer kommen würden oder ob es überhaupt ein Ufer gab.

Moth stand am Fenster, ließ den Blick über den mit Ginster und Heidekraut bewachsenen Hügel schweifen. Zu Hause und doch nicht zu Hause.

»Ich glaube nicht, dass ich es ertragen kann, hier in der Gegend zu bleiben. Ich muss etwas Abstand zu Wales bekommen; es tut zu sehr weh, hierzubleiben. Wie es auf lange Sicht ist, weiß ich nicht, ich weiß ja nicht einmal, wie lange mir noch bleibt, aber im Augenblick muss ich weg. Mich woanders nach einem neuen Zuhause umsehen.«

Ich holte tief Luft.

»Dann lass uns die Rucksäcke packen und unterwegs darüber nachdenken.«

»Ja, gehen wir den South West Coast Path.«

***

Mit fünfzig einen Rucksack zu packen ist nicht ganz dasselbe wie mit zwanzig. Als wir uns das letzte Mal für einen Trail gerüstet hatten, waren die Kinder noch nicht auf der Welt, Moth hatte noch lange Haare, und ich war noch gut sechs Kilo leichter. Damals hatten wir alles in die Rucksäcke gestopft, was wir glaubten, brauchen zu können, und es unbekümmert herumgeschleppt, unsere jungen Körper erholten sich schnell von der Anstrengung und von Verletzungen. Wir waren im Lake District und in Schottland wandern gegangen und hatten täglich viele Kilometer zurückgelegt, aber fast immer auf Campingplätzen übernachtet und sehr selten wild gecampt. Dreißig Jahre später hatte ich nach zwanzig Jahren körperlicher Arbeit allerlei Wehwehchen, die nie mehr ganz weggingen, sondern heimtückisch im Hintergrund lauerten. Und auch die Jahre des Kampfes in einem Gerichtsverfahren, zusammengekauert vor dem Laptop, um unsere Verteidigung auszuarbeiten, hatten mich steif werden lassen und anfällig für Muskelprobleme. Und Moth? Wie sollte er jetzt noch so viel schleppen können wie früher? Wir packten den Rucksack wie damals und luden ihn behutsam auf seinen Rücken. Ein Sechzig-Liter-Rucksack, vollgestopft mit unserem alten orangefarbenen Segeltuchzelt und zwei leicht rostigen Campingtöpfen. Zweimal um das Zimmer herum, und er sank vor Schmerz auf die Knie.

»Tu das runter. Ich schaffe es nicht.«

»Dann müssen wir uns nach einer anderen Ausrüstung umsehen. Als Erstes nach einem leichteren Zelt.«

»Das können wir uns nicht leisten.« Das meiste von dem, was wir im vergangenen Jahr verdient hatten, war in den Prozess geflossen, beziehungsweise in unseren Lebensunterhalt, während wir ihn ausfochten. Dazu zwei studierende Kinder. Ich hatte allen Feriengästen, die unsere Scheune diesen Sommer gebucht hatten, die Miete zurückerstattet, und so hatten wir nur noch dreihundertzwanzig Pfund übrig. Allerdings bekamen wir achtundvierzig Pfund die Woche in Form einer Steuergutschrift für Geringverdiener. Da Moth immer weniger in der Lage gewesen war zu arbeiten, hatten wir nur noch Einkünfte aus der Vermietung der Scheune bezogen, wodurch wir Anspruch auf eine wöchentliche staatliche Zuwendung erhielten. Selbst diese kleine Beihilfe brauchte eine Adresse, was bedeutete, dass wir in der Gegend bleiben mussten. Hierbleiben ging nicht, deshalb ließen wir die Steuergutschrift unter unserer alten Adresse laufen und die Post zu Moths Bruder nachschicken. Achtundvierzig Pfund pro Woche. Davon würden wir leben können, ganz bestimmt.

Ich las Five Hundred Mile Walkies noch einmal und überzeugte mich erneut davon, dass wir das schaffen konnten. Wenn Mark Wallington mit einem geliehenen Rucksack und einem struppigen Hund den South West Coast Path bewältigt hatte, konnten wir das auch, kein Problem. Aber es lag auf der Hand, dass wir die umgekehrte Route nehmen mussten, von Poole nach Minehead. Der erste Abschnitt von Minehead nach Padstow schien der bei Weitem anspruchsvollste zu sein, und das letzte Stück von Plymouth nach Poole das leichteste. Daher war es nur sinnvoll, es anders herum anzupacken, damit wir uns daran gewöhnen konnten, bevor die schwierigeren Abschnitte anstanden. Wir brauchten nur einen Wanderführer. Es musste einer sein, der die gesamte Strecke abdeckte, doch schnell stellte sich heraus, dass es keinen gab, der dem Weg von Süden nach Norden folgte, alle gingen von Norden nach Süden. Ich durchstöberte die Regale bei Cotswold Outdoors, aber in dem riesigen Angebot an Wanderführern gab es keinen einzigen, der die entgegengesetzte Richtung einschlug. Der arme, spindeldürre Verkäufer bekam die ganze Wucht meiner Enttäuschung ab.

»Wissen Sie, ich muss den Weg anders herum laufen, der Anfang muss leicht sein, wegen Moth. Mark Wallington war Anfang zwanzig, und sein größtes Problem war, dass von seinem Rucksack...

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