1. Einleitung
„.... Die Hauptgründe der Niederlage und des völligen Zusammenbruchs sind sicherlich die Folgen jahrzehntelanger Versäumnisse, mangelhafter Ausbildung und Ausrüstung, falscher Erziehung, fehlender geistiger Aufklärung und Vorbereitung für den Kampf gegen den Bolschewismus und schließlich Sorglosigkeit und unbegründeter Optimismus der höheren ung.[arischen] Führung in der Beurteilung der Widerstandskraft und Waffenehre der Honved ....“[1]
Dieser Auszug aus dem Erfahrungsbericht des deutschen Generals beim Oberkommando der 2.ungarischen Armee aus dem Jahre 1943 ist ein Beispiel für die vernichtende Beurteilung der ungarischen Armee durch ihre deutschen Verbündeten, wie sie in vielen Berichten und Aussagen von Dienststellen und Soldaten der Wehrmacht im Laufe des Rußlandfeldzuges zum Ausdruck kam. In dieser Sicht hatten sich das III. Reich und die Wehrmacht in Ungarn einen Verbündeten gesucht, der sich als eine sehr geringe Verstärkung im „Kampf gegen den Bolschewismus“ herausgestellt hatte. Darüber hinaus war Ungarn auch kein willfähriger Bundesgenosse, der im Sinne des nationalsozialistischen Deutschlands alle Kräfte auf den Sieg gegen die Alliierten konzentrierte.
Der Waffengefährte aus dem Ersten Weltkrieg, dem wie dem Deutschen Reich ein harter Friedensvertrag auferlegt worden war und der von seinen Nachbarn mißtrauisch beobachtet wurde, schien allerdings ein natürlicher Verbündeter für das Reich zu sein, als es seit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 seine expansive Machtpolitik zu verwirklichen suchte. Das Instrument dieser von Adolf Hitler auf Gewinnung von „Lebensraum“ ausgelegten Politik war die deutsche Wehrmacht, die mit militärischen Mitteln die Pariser Ordnung rückgängig machen und Deutschland diesen Raum erobern sollte. Das deutsche Heer war der Kern des militärischen Machtinstrumentes Hitlers und unterstützte dessen revisionistische Absichten. Dabei entwickelten die Militärs auch eigene Vorstellungen über die auswärtige Politik und ihre militärischen Aspekte.[2]
In diesem Sinne verfolgen die deutschen Militärs zusammen mit Hitler die Wiederaufrüstung Deutschlands, um ihre Ziele, die sich vor allem gegen die Tschechoslowakei und Polen richteten, auch gewaltsam erreichen zu können. Dazu war es unumgänglich, Möglichkeiten zu finden, die es erlaubten, das Kräfteverhältnis gegenüber den Garantiemächten des Versailler Vertrages zugunsten Deutschlands zu verschieben. Eine Möglichkeit war die Gewinnung Ungarns als Verbündeten.
1.1. Der Stellenwert Ungarns in der Sicht des deutschen Heeres 1933-39. Thematik und leitende Fragestellung
Bei der Beschäftigung mit der Themenstellung dieser Arbeit tritt als erstes die Frage nach dem Sinn der thematischen Beschränkung auf. Welchen Sinn hat die Eingrenzung des Themas auf diesen Zeitraum und auf diese Personengruppe?
Der Schwerpunkt wurde deshalb auf das Heer gelegt, weil es den Kern der Streitkräfte der Landmacht Deutschland ausmachte. Die Durchsetzung deutscher territorialer Ansprüche mußte vor allem mit den Truppen des Heeres geschehen, wobei diese durch Luftwaffe und Marine unterstützt wurden. Damit war das Heer der Kopf der deutschen Wehrmacht. Mit seinen außenpolitischen Vorstellungen mußte sich eine Regierung auseinandersetzen, wenn sie die deutschen Streitkräfte zur Verwirklichung ihrer außenpolitischen Ziele im Sinne territorialer Expansion einzusetzen beabsichtigte. Folglich ist eine Analyse der außenpolitischen Konzeptionen des Heeres hilfreich bei dem Versuch, die Konflikte zwischen militärischer und politischer Führung des deutschen Reiches und somit die deutsche Außenpolitik und Kriegführung in den dreißiger Jahren zu verstehen. Ungarn stellte zweifellos einen Teil der deutschen Außen- und Militärpolitik dar. Auf diesen Teil der militärischen Sicht beschränkt sich diese Arbeit.
Die zeitliche Beschränkung ist damit zu erklären, daß man diese sechs Jahre als eine abgeschlossene Etappe in der deutschen Außenpolitik bezeichnen kann. Diese Jahre waren die Zeit der Vorbereitung und Durchführung der revisionistischen Ziele Deutschlands, die ihren Ursprung im Versailler Vertrag hatten.[3] Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten begann die von den Militärs gewünschte Vorbereitung ihrer revisionistischen Pläne. Zu dieser Vorbereitung gehörte auch die Gewinnung von Verbündeten, um die Gefahr eines Zweifrontenkrieges, der schließlich mit Beginn des Polenfeldzuges eintrat, gewachsen zu sein. Danach entwickelte sich die Revision zur Expansion und machte deutlich, daß die Ziele der Militärs nur ein Teil der Vorstellungen Hitlers gewesen waren. Damit kam auch Ungarn ein anderes Gewicht zu. Es sollte nun Verbündeter in einem Weltkrieg werden, der mit den ursprünglichen Revisionszielen nichts mehr gemeinsam hatte. Um die Vorstellungen der deutschen Heeresführung im Bezug auf Ungarn für die dreißiger Jahre festzustellen und verständlich machen zu können, liegen dieser Darstellung folgende Fragestellungen zu Grunde:
1. Welchen außenpolitischen und strategischen Stellenwert hatte Ungarn in den Konzeptionen der deutschen militärischen Führung?
2. Welcher Wert wurde dem ungarischen Territorium und der ungarischen Wirtschaft für die deutschen Absichten zugemessen?
3. Wie war das Verhältnis der deutschen Heeresführung zur ungarischen Wehrmacht (Honvéd)?
4. Wie schätzte die deutsche Heeresführung Kampfkraft und Kampfwert der Honvéd ein?
5. Wie sahen die Planungen aus, in denen Ungarn eine Rolle spielte und für welche Aufgaben waren die Ungarn in ihnen vorgesehen?
6. Welche Probleme sahen die Deutschen bei den Ungarn und worin lagen diese begründet?
Mit diesen Fragen kann eine Lücke in der Forschung geschlossen werden, die sowohl zeitlich als auch thematisch besteht. Die bisherigen Schwerpunkte der Forschung über das deutsch-ungarische Verhältnis seit 1933 liegen für die Zeit bis vor 1941 auf den diplomatischen Beziehungen[4] oder dem wirtschaftlichen Bereich[5]. Hinzu kommen verschiedene Publikationen zur Rolle der Honvéd im Zweiten Weltkrieg, wobei der Schwerpunkt dabei auf dem Rußlandfeldzug liegt[6]. Zwar werden militärische Aspekte in Zusammenhang mit den ungarischen Wünschen nach engeren Beziehungen zwischen den beiden Armeen erwähnt, jedoch findet die Sicht der militärischen Führung Deutschlands nahezu keine Berücksichtigung. Das ist deshalb erstaunlich, weil deren Meinungsbildung über eine Beteiligung der ungarischen Honvéd an der Zerschlagung der Tschechoslowakei, dem Angriff auf Polen und auch die späteren Meinungsunterschiede zwischen Hitler und Teilen der militärischen Führung um die Beteiligung der Honvéd am Unternehmen „Barbarossa“ von Interesse ist. Das Verhältnis zu Ungarn als einem potentiellen Verbündeten kann als Teil der deutschen Außen- und Militärpolitik nur dann völlig verstanden werden, wenn die militärische Führung als wichtiger Faktor berücksichtigt wird. Voraussetzung dafür ist allerdings eine ausreichende Literatur- und vor allem Quellenlage.
1.2 Literatur- und Quellenlage
Die Beziehungen zwischen dem Deutschen Reich und Ungarn vor und während des Zweiten Weltkrieges sind schon recht früh Gegenstand der historischen Forschung gewesen. Bereits 1956 nahm sich Gerd Brausch in seiner Dissertation dieses Themas für die Zeit von 1937 bis 1939 an. Ihm folgten 1959 Andreas Hillgruber[7] und 1968 Martin Broszat[8], die noch immer mit ihren Aufsätzen, die einen Überblick über die politisch-militärischen Beziehungen geben, die Grundlage zu diesem Thema legen.
Ihre neueren Ergänzungen erfuhren diese Werke in den achtziger Jahren durch
Michael Riemenschneiders Dissertation über die deutsche Wirtschaftspolitik gegenüber Ungarn von 1933 bis 1944 (1987), Manfred Nebelins Dissertation bezüglich der deutschen Ungarnpolitik von 1939 bis 1941 (1989) und Peter Gosztonys Darstellung der deutschen Waffengefährten im Zweiten Weltkrieg (1981). In diesen neueren Beiträgen findet sich eine Berücksichtigung der nicht übersetzten ungarischen Beiträge, den Besonderheiten der ungarischen Sprache entsprechend, nur bei dem Ungarn Gosztony.
Für die Darstellung der ungarischen Seite sind immer noch C.A.Macartney und auch Jörg K. Hoensch zu nennen, wenn man der ungarischen Sprache nicht mächtig ist. Das Verhältnis des deutschen Heeres zu Ungarn vor 1941 findet in all diesen Darstellungen nur am Rande Berücksichtigung.
Auch für den Bereich der Quellen existiert für die Zeit vor...