Die Existenz einer Institution – wie die des administrativen Verfassungsschutzes – ist durch die bestehende politische Ordnung, die innerhalb eines Staates herrscht, begründet. Denn durch sie bezieht sie ihre eigentliche Legitimation. Aus diesem Grund soll zunächst auf eben dieses geistige und politische Konzept eingegangen werden, bevor die Beschäftigung mit der Institution selbst erfolgt. In diesen Ausführungen zu den theoretischen Konzeptionen wird die Verbindung zwischen dem zu bearbeiteten Thema und zum Teilgebiet „Politische Theorie“, mit seinen demokratietheoretischen Inhalten an der Fernuniversität Hagen hergeleitet.
Das Konzept der streitbaren Demokratie in Deutschland ist untrennbar mit bestimmten Werten verbunden. Man nennt dies Wertgebundenheit des demokratischen Staates in Abgrenzung zum Werterelativismus der WRV.[10] Seine obersten Güter sind in den ersten Artikeln im Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland festgelegt. Es sind dies u.a.: die „Unantastbarkeit der Menschenwürde“ (Art. 1 GG), die „Handlungsfreiheit und Persönlichkeitsentfaltung“ (Art. 2 GG), die „Gleichheit aller“ (Art. 3 GG) und die „Glaubens- und Meinungsfreiheit“ (Art. 4 GG).[11] Demokratie ist folglich unbedingt mit dem Freiheitsgedanken verbunden. Diese politischen Freiheitsrechte gelten für alle diejenigen in gleicher Weise, die zu der politischen Gemeinschaft des Volkes eines Staates gehören. Es besteht also ein Kausalzusammenhang zwischen der persönlichen Freiheit und den Aufgaben des Staates, z.B. als Hüter der Verfassung durch das BVerfG. Demokratie geht dabei von einem bestimmten Menschenbild aus. „Die Menschen sollen frei sein...denn nur ein freier Mensch kann sich und seine Umwelt in eigener Verantwortung mitgestalten.“[12]
Allerdings verfügt auch dieses in großem Maße auf Freiheit ausgelegte System über Abwehr-mechanismen, um eben diese Freiheit für jeden zu erhalten und zu verteidigen. Daher wird diese Demokratie auch als „streitbare Demokratie“ bezeichnet. Die Begriffe „streitbar“, „wehrhaft“, „abwehrbereit“, „wachsam“, „militant“ und „kämpferisch“ werden in der Literatur mehr oder weniger synonym verwandt.[13] Durchgesetzt hat sich aufgrund der Rechtsprechung des BVerfG und der dort ganz überwiegend Verwendung findende Begriff „streitbare Demokratie“.[14] Der Verfasser folgt der Nutzung dieses Begriffes aus Gründen der Einheitlichkeit und der damit einhergehenden Übersichtsichtlichkeit.
Der Begriff der streitbaren Demokratie geht ursprünglich auf Karl Loewenstein (1937)[15] und Karl Mannheim[16], zwei Emigranten zurück. „Der Begründer des Konzeptes der „militant democracy“ [Loewenstein, Anm. L.N.] hatte aus der totalitären Bedrohung der Demokratien vor und nach dem Zweiten Weltkrieg gefolgert, auf der Ebene der Gesetzgebung müssten Vorkehr-ungen getroffen werden....“[17] um die Demokratie zu schützen. „Eine Demokratie muss das Recht haben, jene an der politischen Wirksamkeit zu hindern, die das demokratische System selber beseitigen wollen.“[18] Auch wenn dies nicht mit revolutionären Umstürzen geschieht, sondern mit legitimatorischen Mitteln ähnlich der Machtergreifung der Nationalsozialisten: „Wir gehen in den Reichstag hinein, um uns im Waffenarsenal der Demokratie mit deren eigenen Waffen zu versorgen. Wir werden Reichstagsabgeordnete, um die Weimarer Gesinnung mit ihrer eigenen Unterstützung lahm zulegen. Wenn die Demokratie dumm genug ist, uns für diesen Bärendienst Freikarten und Diäten zu geben, so ist das ihre Sache.... Wir kommen als Feinde! Wie der Wolf in die Schafherde einbricht, so kommen wir“. [19] Die Eingriffe des Staates zu ihrem Schutz sind jedoch limitiert. „Prinzipiell ist die...Freiheitssphäre unbegrenzt, während die Befugnis des Staates zu Eingriffen in diese Sphäre prinzipiell begrenzt ist.“[20] Diese Limitation wird demokratietheoretisch hinterfragt.
Die Erkenntnis der Eingriffsbegrenzung gehört zum Gemeingut der Pluralismustheorie[21] und sie setzt einen Minimalkonsens der demokratischen Gesellschaft voraus, welcher das Recht des Stärkeren eingrenzt.[22] Der Minimalkonsens kann, wenn er nicht überzogen wird und damit der pluralistischen Demokratie schadet, für die Unterscheidung zwischen Gegner und Anhänger der Demokratie herangezogen werden. Nach EISEL gehören drei Elemente zum unverzichtbaren Minimalkonsens: 1. Achtung der Menschenwürde und Anerkennung der Menschenrechte, 2. Anerkennung demokratischer Verfahren, insbesondere des Mehrheitsprinzips und 3. Anerken-nung des staatlichen Gewaltmonopols.[23]
Ein unbedingtes Festhalten an einem Mehrheitsprinzip ist an dieser Stelle kritisch zu hinter-fragen. Heute bestimmen maßgeblich Nichtregierungsorganisationen als wichtige Akteure und Kontrolleinrichtungen neben den Medien die politische Agenda. Konkrete Beispiele reichen von Greenpeace bis zu attac. Die Arbeit dieser Akteure (z.B. Protestaktionen, ziviler Ungehorsam) würde unmöglich, bzw. nicht unerheblich behindert, hielten sich diese Organisationen unbedingt an die Anerkennung demokratische Verfahren und das Mehrheitsprinzip. Der nicht berücksichtigte Wertewandel[24] - vom Materialismus zum Postmaterialismus und den allge-meinen Modernisierungen der Lebensstile z.B. durch neue Kommunikationsmöglichkeiten in der Gesellschaft - schränkt an dieser Stelle also pluralistisches Handel ein und verkennt „...ein sich neu entwickelndes Demokratieverständnis von unten...“.[25] An diesem Spannungsverhältnis zwischen innerer Sicherheit und politischem Protest werden „unabstimmbare“[26] Abgrenzungs-probleme zwischen Freiheit (z.B. Meinungs- und Vereinigungsfreiheit) und ihrer Einschränkung durch das Konzept der streitbaren Demokratie sichtbar. Demgegenüber wird durch eine Kritik an der Mehrheitsregel das Prinzip der streitbaren Demokratie aufgewertet, da diese sich ebenfalls nicht einer Mehrheit beugen möchte. In dieser Frage herrscht also ein Paradoxon mit „argumentativer Unschärfe“[27], da beide Meinungen an dem Bereich des „Unabstimmbaren“ festhalten, je nachdem welches „Sein das Bewusstsein“ bestimmt [Anm. L.N.: freies Zitat nach MARX]. Die Auseinandersetzung zwischen Minimalkonsens und den sozio - kulturellen Bedingtheiten ist nur eine demokratietheoretische Fragestellung. Dieser lässt sich ebenfalls im Spannungskomplex zwischen öffentlicher Dienst und Extremismus analysieren, welcher in Abschnitt 2.1.3 und 2.1.4 dargestellt wird.
Festzuhalten bleibt, dass der Minimalkonsens zum Gemeingut der Pluralismustheorie gehört, ohne den eine demokratische Gesellschaft nicht auskommt,[28] und dass das Konzept der streitbaren Demokratie „im Prinzip...ein Ausfluss der Pluralismustheorie ist, die sich breiter(...) Anerkennung erfreut.“[29] Ob man den Wertebegriff zum Minimalkonsens zählen muss, wie BACKES/JESSE[30] vertreten, bleibt nach oben analysierten Friktionen fraglich. Überwiegenden wird in der Literatur zudem auf einen Zusammenhang zwischen Minimalkonsens und streitbarer Demokratie nicht eingegangen. Somit bleibt lediglich das „Unabstimmbare“ in Art. 79 Abs. 3 GG (Ewigkeitsgarantie) bestimmt und muss zum Schutzgut der streitbaren Demokratie, im Gegensatz zum Wertrelativismus gezählt werden.[31]
Einen weiteren politiktheoretischen Hintergrund für das Konzept der streitbaren Demokratie in Bezug auf seine „Wehrhaftigkeit“ nach links und rechts besitzt sie in der Totalitarismustheorie.[32] Sie wird überwiegend von der normativen Position (z.B. BOVENTER u. JESSE), im Gegensatz zur kritischen Position (z.B. JASCHKE) vertreten. Nach letztgenannter Meinung betont die Totalitarismustheorie „nicht mehr die positive Ausgestaltung der Demokratie, sondern ihr[ren] Schutz zum obersten Wert“[33]. Nach dieser Auffassung wird der demokratische Staat mit seinen fundamentalen Werten (vgl. Ausführungen zum Minimalkonsens) durch eine immerwährende Spiegelung und Abgrenzung zum Totalitarismus krisenfest gemacht.[34] Die politikwissen-schaftliche Totalitarismusforschung analysiert Strukturmerkmale des Nationalsozialismus, des Faschismus und des Sowjetkommunismus, welche totalitäre Herrschaftssysteme in Unterscheidung zur freiheitlichen Demokratie klassifizieren. Grundannahme der Totalitarismus-theorie ist eine Vergleichbarkeit der extremen Positionen und damit eine Vergleichbarkeit totalitärer Systeme. Der Begriff wurde zunächst nur auf faschistische Staaten angewendet, zudem im 2. Weltkrieg von der USA auch für die Sowjetunion benutzt. Im kalten Krieg wurde eine Gleichstellung inopportun, da er sich gegen die Entspannungspolitik richtete.[35] Der Totalitarismusansatz wurde in der öffentlichen Debatte gemieden. Hinter dieser Tabuisierung „...standen oft andere als wissenschaftliche Motive“.[36] JESSE vermutet...