“Während man sich noch darüber streiten kann, ob sie nicht doch noch in Fragmenten weiterlebt, ist der Abgesang auf die Arbeitsgesellschaft bereits zum Gemeinplatz geworden.“[1] [...] “Es geht uns nicht mehr primär ums Überleben, um Sicherheit, um Abwehr von Bedrohungen und Kampf gegen Restriktionen, sondern um die Lebensgestaltung jenseits situativ bedingter Probleme, unabhängig vom objektiven Vorhandensein solcher Probleme.“[2] [...] “Das Privileg der Unterprivilegierten besteht in der Faszination der handgreiflichen Erfolgschance, das Problem der Privilegierten in der Langeweile von Menschen, die nicht recht wissen was sie wollen.“[3] [...] “An die Stelle von Gesellschaftsbildung durch Not tritt Gesellschaftsbildung durch Überfluß“[4] [...] “>>Erlebe dein Leben!<< ist der kategorische Imperativ unserer Zeit.“[5] [...] “Die Charakterisierung einer Gesellschaft als Erlebnisgesellschaft ist vergleichend gemeint. Mehr denn je passt sie auf die gegenwärtige Sozialwelt“[6]
“Erst durch das moderne Freizeitleben der Nachkriegszeit und die gegenwärtige Entwicklung zu einer Freizeitgesellschaft tritt das Problem der Freizeiterziehung in eine neue Phase, in der sich die Sinngebung des Lebens in den Freizeitbereich zu verlagern scheint...“[7] [...] “In den 80er Jahren wird die Bewältigung des Wohlstands nicht mehr das zentrale Thema der Freizeit sein. Die erlebnisorientierte Freizeitphase bricht an. Freizeit wird wesentlich Erlebniszeit, Zeit zum verstärkten, intensiven und bewußten Leben und zur Entwicklung eines eigenen freizeitkulturellen (Er-)Lebensstils.“[8] [...] “Kahn/Wiener entwickelten das Bild einer freizeitorientierten Gesellschaft in der die Wochenarbeitszeit „drastisch gekürzt“ und die Urlaubszeit „drastisch verlängert“ wird. Diese „wahrscheinliche“ Zukunftsentwicklung ist zumindest in Deutschland heute Wirklichkeit geworden.“[9] [...] “Im ausgehenden 20. Jahrhundert hat die Überflußgesellschaft mit dem Wahn des Übermaßes zu kämpfen.“[10] [...] “Armut muß neu definiert werden. Arm ist man heute nicht mehr, weil man unterhalb des Existenzminimums lebt. Ganz im Gegenteil: Den Armen geht es in Deutschland materiell immer besser, lediglich der relative Abstand zur wohlhabenden Mehrheit bleibt erhalten.“[11][...] “Es ist nicht zu leugnen : “Erlebnis gilt heute als Schlüsselwort der Freitzeitforschung, seitdem sich die Freizeitindustrie zur Erlebnisindustrie gewandelt hat [...] Die Freizeitforschung hat diesen grundlegenden Wandel von der Arbeits- zur Erlebnisgesellschaft frühzeitig diagnostiziert, prognostiziert und problematisiert. [...] Die Erlebnisgesellschaft eskaliert im Zeitalter der Extreme. Nach der Erlebnisgesellschaft kommt die Extremgesellschaft.“[12]
Deutschland als Freizeit- und Erlebnisgesellschaft ? Wie der Titel, sowie Auswahl und Inhalte der Zitate nahelegen, beschäftigt sich die vorliegende Arbeit mit der kritischen Analyse von Gesellschaftsmodellen, die bezogen auf deutsche Verhältnisse,
gesellschaftliche Veränderungen erklären wollen,
einen aktuellen Status der sozialen Welt entwerfen,
Prognosen künftiger gesellschaftlicher Entwicklungen stellen,
sich dabei auf Darstellungen veränderter Freizeit- und/oder Erlebnisorientierungen konzentrieren,
und in diesem Zusammenhang von Prämissen einer Wohlstands- und Überflußgesellschaft ausgehen.
Die im Untertitel dieser Arbeit verwendete Formulierung der Analyseabsicht „derartiger Gesellschaftsmodelle“, meint hier, daß stellvertretend für aktuelle soziologische Theorien, die sich ausführlicher mit den genannten Themenkomplexen beschäftigen,die Ausführungen zweier Gesellschaftswissenschaftler, nämlich Horst W. Opaschowski, und Gerhard Schulze, ausführlicher beleuchtet, und, so weit möglich, verglichen werden sollen. Stellvertretend für die Fokussierung auf, und Behauptung von, veränderter Freizeit- und Erlebnisorientierungen, stehen hiermit somit zum einen, die diesbezüglichen Erklärungsansätze von Horst W. Opaschowski zur Debatte. Wie sich anhand der o.a. Zitate zeigt, beschäftigt sich Opaschowski bereits seit Anfang der 70er Jahre, mit den genannten Themenkomplexen. Die Vielzahl, und, wie sich zeigen wird, die Unterschiedlichkeit, der seit dieser Zeit von ihm publizierten Werke, sowie seine öffentliche Präsenz, bilden dabei einen, der explizite Bezug zur Erlebnisgesellschaft von Gerhard Schulze, einen weiteren wichtigen Grund, sich gerade mit seinen Forschungsergebnissen zu beschäftigen. So zeigt sich anhand der o.a. Zitate, daß Opaschowski unter Verwendung späterer Schlüsselbegriffe Gerhard Schulzes, bereits im Jahre 1980 von „neuen“ Formen deutscher Erlebnisorientierungen und Lebensstilen sprach, und auch schon im Jahre 1983, also deutlich vor Herausgabe des hier noch näher zu betrachtenden Hauptwerkes von Gerhard Schulze, das Entstehen einer „Erlebnisgesellschaft“ prognostizierte.[13]
Stellvertretend für die Fokussierung auf veränderte deutsche Erlebnisorientierungen, und die zugleich grundlegendste und umfangreichste Formulierung einer Erlebnisgesellschaft, sollen dann aber zum anderen auch die Forschungsergebnisse Gerhard Schulzes ausführlich gewürdigt werden. So wurde mit den o.a. Zitaten zwar angedeutet, daß die Idee zur Formulierung einer Erlebnisgesellschaft im Jahre 1992, also mit der Veröffentlichung Gerhard Schulzes gleichnamigen Hauptwerkes, nicht grundlegend neu war, dies ändert aber nichts an der anzunehmenden Tatsache, daß es sich bei Schulzes Werk um jene Theorie handelt, die im diesbezüglichen Zusammenhang, nach Art, Umfang, und theoretischer Fundierung, am ergiebigsten erscheint. Ungeachtet der oben angeführten Gemeinsamkeiten, unterscheiden sich die hier untersuchten Forschungsansätze Schulzes und Opaschowskis in ihrer Gesamtheit, sowohl qualitativ, als auch quantitativ voneinander. So bezieht sich die Analyse der von Schulze vorgelegten Erlebnisgesellschaft eben im wesentlichen auf das im Jahre 1992 von ihm vorgelegte, gleichnamige, Gesamtwerk. Dieses Werk blieb, bis zum heutigen Tage, und bis auf wenige veröffentlichte Kommentare, wie mit dem aus dem Jahre 2000 stammenden, und weiter oben bereits zitierten Essay, weitestgehend unverändert. Auch wenn dies gleichfalls entsprechend kritisch gewürdigt werden soll, gestaltet sich die Analyse der grundlegenden Positionen Schulzes, somit entsprechend klar und übersichtlich.
Bei Opaschowski gestaltet sich die Analyse seiner grundlegenden Sichtweise dagegen schwieriger. Dies liegt zum einen an der Fülle der von ihm dargelegten Ver-öffentlichungen, und zum anderen an der Unterschiedlichkeit seiner Untersuchungsansätze. So kann man, wie anhand der o.a. Zitate ersichtlich, schon ab den frühen 70er Jahren bis zur heutigen Zeit, vielfältige Veröffentlichungen Opaschowskis verfolgen, die sich im weitesten Sinne mit freizeitwissenschaftlichen Erörterungen befassen. Die Hauptströme seiner Forschungsausrichtungen lassen sich wie folgt beschreiben und sind auch teilweise als Sammelbände unter diesen Namen erhältlich :
Pädagogik der Freizeit
Psychologie und Soziologie der Freizeit (Einführung in die Freizeitwissenschaft)
Freizeitökonomie
Zukunftsforschung
Ethik der Freizeit
Ökologie von Freizeit und Tourismus
Tourismusforschung
Selbst im Zuge dieser Arbeit ist es unerläßlich, sich in der Analyse auf wesentliche, im o.a. Sinne relevante, Themenkomplexe zu beschränken. Somit ist die Auswahl der hier verwendeten Texte subjektiv, indem sie sich am noch näher zu spezifizierenden erkenntnisleitendem Interesse dieser Arbeit orientiert. So sollen im Laufe der vorliegenden Arbeit vorwiegend die vier zuerst genannten Forschungsausrichtungen Opaschowskis thematisiert werden, wobei sich aber hier, wie sich noch zeigen wird, die Ergebnisse aller Forschungsausrichtungen in vielen Werken immer wieder ergänzen, vermischen, und auch verändern. Diesem zuletzt genannten Umstand der Vermischung, Ergänzung, und Veränderung von Forschungsergebnissen bei Opaschowski, muß dann auch bei der nachfolgenden Analyse immer wieder Rechnung getragen werden.
Das erkenntnisleitende Interesse dieser Arbeit liegt in einem ersten Ziel nun darin, herauszuarbeiten, und kritisch zu hinterfragen, wie zwei Wissenschaftler unter Verwendung ähnlicher Prämissen, nämlich der Behauptung einer Wohlstands- und Überflußgesellschaft, mit unterschiedlichen theoretischen Ausrichtungen, d.h. Opaschowskis interdisziplinär ausgerichtete Freizeitwissenschaft auf der einen, und Schulzes Kultursoziologie auf der anderen Seite, und unter Einsatz unterschiedlicher Theoriebausteine, d.h. Opaschowskis Freizeitbegriff auf der einen, und Schulzes Erlebnisbegriff auf der andern Seite, zur Formulierung ähnlicher, gesamt-gesellschaftlicher Grundaussagen kommen.
So sollen im Zuge einer Inhaltsanalyse zunächst die...