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Weltenergiebedarf und Klimaschutz
2.1 Der Energiebedarf der Welt
Der Energiehunger der Menschheit ist gewaltig und wächst weiter. Nachdem sich die Menschheit über Jahrtausende auf das Holzfeuer und bescheidene Beiträge aus Sonnen-, Wind- und Wasserkraft beschränkt hatte, begann sie sich weitere Energiequellen dienstbar zu machen: zunächst im 18. Jahrhundert die Kohle, dann ab Beginn des 20. Jahrhunderts das Mineralöl, das in der zweiten Jahrhunderthälfte zur wichtigsten Energiequelle avancierte. Vor 50 Jahren kamen Erdgas und Kernenergie hinzu. 2010 deckten diese Energieträger einen Energiebedarf der Welt von über 12 Mrd. t Öläquivalent (MtOe), also etwa 17 Mrd. t Steinkohleeinheiten (tSKE). Seit Mitte des letzten Jahrhunderts wächst der Energiebedarf der Welt fast linear um ca. 230 Mio. tSKE pro Jahr. Wie Abb. 2.1 zeigt, ist dieser Aufwärtstrend nur selten und jeweils nur kurz unterbrochen worden: während des Ersten Weltkrieges und der Weltwirtschaftskrise in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts sowie nach dem Zweiten Weltkrieg. 1973 und 1979 haben die beiden Energiekrisen ihre Spuren in der Verbrauchskurve des Öls hinterlassen.
Wie geht es weiter? Soll sich dieses Wachstum unbegrenzt fortsetzen? Die vertrauenswürdigsten Prognosen liefert die Internationale Energie Agentur (IEA). Die IEA wurde 1974 als Reaktion auf die erste Energiekrise gegründet, um den Mitgliedsstaaten zu größerer Versorgungssicherheit und mehr Transparenz an den Märkten zu verhelfen. Ihr gehören nahezu alle europäischen Staaten sowie Australien, Japan, Kanada, Südkorea, Neuseeland und die USA an, also fast die gesamte wirtschaftlich entwickelte Welt. Bei den jährlichen »World Energy Outlooks« wirken zahlreiche Experten aus vielen Mitgliedsländern mit. Hier gibt es weder Parteilichkeit für einzelne Regionen noch Marktinteressen für spezielle Energieträger. Deshalb sind diese Prognosen denen einzelner Ölkonzerne oder anderer Gruppierungen vorzuziehen.
Abb. 2.1 Energieverbrauch der Welt seit 150 Jahren in 100 Mio.t Öläquivalent (MtOe) [11], [6, S. 74].
Die Vorhersage der weiteren Entwicklung des Weltenergieverbrauchs ist eine äußerst schwierige und komplexe Aufgabe; viele unterschiedliche Faktoren müssen dabei berücksichtigt und bewertet werden. Beim World Energy Outlook 2012 der IEA [12, S. 36 ff.] sind dies vor allem
- das Wirtschaftswachstum: Die IEA rechnet hier nach Abwägung aller treibenden und retardierenden Faktoren mit einem durchschnittlichen Wachstum von 3,5% zwischen 2009 und 2035. Dieses Wachstum wird im Wesentlichen außerhalb der IEA-Länder, in China, Indien und anderen Schwellenländern erwartet, deren Anteil am weltweiten Bruttoinlandsprodukt dabei von 44% in 2010 auf 61% in 2035 ansteigen wird. Dabei wird aber ein langsamer Rückgang der Wachstumsraten, in China von über 8% auf 4,3% und in Indien von 7,7% auf 5,8%, unterstellt.
- das Wachstum der Weltbevölkerung wird sich nach den Projektionen der UNO mit durchschnittlich 0,9% pro Jahr fortsetzen. Im Vergleich zu den 6,8 Mrd. des Jahres 2009 werden 2035 demnach 8,6 Mrd. Menschen auf der Erde leben. Es wird aber erwartet, dass die jährliche Bevölkerungszunahme von 1,1% nach 2020 auf 0,8% zurückgehen wird.
- die Höhe der Energiepreise, die allerdings sehr viel schwerer vorherzusagen sind. Denn es gibt unterschiedliche Trends bei den verschiedenen Primärenergien, von denen jedoch kurzfristige Abweichungen auftreten können. Die IEA rechnet deshalb in ihren Szenarien mit Preisniveaus in einer Höhe, die ausreichende Anreize für die Investitionen bietet, die für die künftige Bedarfsdeckung erforderlich sind. Wegen des wachsenden Bedarfs an Erdöl wird auch mit weiter wachsenden Ölpreisen gerechnet; eine Ausnahme bildet das Szenario »Klimaschutz«, in dem der Ölanteil rückläufig wäre.
- der Preis der CO2-Emissionen: Den Maßstab setzen hier die Europäische Union und Neuseeland, die den Emissionshandel als Erste eingeführt haben. Hier, ebenso in Australien, soll der Preis von heute um 7 $ bis 2020 auf 30 $ und bis 2035 auf 45 $ pro Tonne CO2 steigen. Auf etwas niedrigerem Niveau folgen Korea ab 2015 und China ab 2020. Im Falle des »Klimaschutz«-Szenarios müsste der Preis in den IEA-Ländern allerdings auf 120 $ und in den anderen Teilen der Welt auf mindestens 95 $ pro Tonne CO2 klettern.
- die Entwicklung der Energietechnologien, die jedoch nur sehr langsam voranschreitet. So lange auch der Vorhersagezeitraum bis 2035 erscheint, viele heutige Kraftwerke und Raffinerien, Gebäude, Eisenbahnen und Straßen werden dann noch in Betrieb sein. Nur Fahrzeuge sowie Heizungs- und Kühlsysteme dürften bis dahin erneuert sein. Effizientere Energietechnologien werden sich deshalb nur langsam durchsetzen. Dramatische Ereignisse, wie 2010 die Explosion der Bohrinsel »Deepwater Horizon« im Golf von Mexico oder 2011 das Reaktorunglück von Fukushima, können die Chancen einzelner Energiequellen und damit das Niveau der Energiepreise verändern.
- der wachsende Bedarf an Wasser für den Energiesektor, der zu steigenden Kosten der Energieversorgung und Schwierigkeiten bei einzelnen Projekten führen kann. Die Süßwassergewinnung aus
- Meerwasser spielt in den Prognosen der IEA noch keine große Rolle. Aber Süßwasser ist heute knapper als Energie (Exkurs 2).
Im World Energy Outlook 2012 hat die IEA drei mögliche Entwicklungen durchgerechnet:
- ein Szenario »Kontinuität«, das von der Fortsetzung der bisherigen Energiepolitiken ausgeht, in diesem Szenario wird also keine zusätzliche Reaktion auf die drohende Klimaerwärmung unterstellt,
- ein Szenario »Neue Politik«, das die politischen Absichtserklärungen der einzelnen Regierungen für mehr Energieeffizienz und mehr Klimaschutz beim Wort nimmt, und
- ein Szenario »Klimaschutz«, das beschreibt, was geschehen müsste, um mit 50%iger Wahrscheinlichkeit die Erderwärmung auf 2 °C zu begrenzen.
Wie Abb. 2.2 zeigt, sind alle drei Szenarien mit einem erheblichen weiteren Wachstum des Energieverbrauchs verbunden. Das liegt hauptsächlich an den Annahmen, dass die Weltbevölkerung um 1,7 Mrd. Menschen und die Weltwirtschaft um 3,5% pro Jahr wächst. Diese Entwicklung ist von den Mitgliedsländern der IEA, also auch von Europa und Deutschland nahezu unabhängig. Denn 90% der Zunahme der Weltbevölkerung, 70% der Zunahme der Wirtschaftsleistung und 90% des Wachstums des Energieverbrauchs entfallen auf die Nicht-IEA-Länder. An der Spitze dieser Entwicklung liegt China, das um 2035 rund 70% mehr Energie verbrauchen wird als der bisherige Spitzenreiter, die USA, wobei der Pro-Kopf-Verbrauch in China immer noch weniger als halb so hoch wie in den USA sein wird. Noch schneller als in China wird der Energieverbrauch in Brasilien, Indien, Indonesien und im Nahen Osten wachsen.
Die drei Szenarien unterscheiden sich auch erheblich in den volkswirtschaftlichen Kosten. Zur Realisierung des Szenariums »Neue Politik« müssten weltweit 36 Billionen $ in die Energieversorgungsinfrastruktur investiert werden [6, S. 96]. (Eine Billion (englisch »Trillion«) sind 1000 Mrd. (englisch »Billion«).) Hier geht es also noch einmal um das Hundertfache der Zahlen, an die wir uns bei der Bewältigung der Schuldenkrise in den letzten Jahren gewöhnt haben. Für die Realisierung des Szenarios »Klimaschutz« kämen weitere 15 Billionen $ hinzu [6, S. 205].
Abb. 2.2 Szenarien der IEA für die Entwicklung des Energieverbrauchs bis 2035 in MtOe [12, S. 50] (EE = erneuerbare Energien).
Wir sehen aus der Wahl der drei Szenarien, dass heute der Klimaschutz zum entscheidenden Kriterium für die Energiepolitik geworden ist – zumindest aus der Sicht der westlichen Welt. Um die drei Alternativen bewerten zu können, ist es also erforderlich, sich näher mit der Klimaproblematik zu befassen.
2.2 Folgen für das Klima auf der Erde
Bevor man sich mit den möglichen Folgen der chemischen Zusammensetzung der Atmosphäre durch die Freisetzung von CO2 beschäftigen kann, muss man zunächst den natürlichen Treibhauseffekt verstehen, der eindeutig ein Segen für das Leben auf der Erde ist.
2.2.1 Die Strahlungsbilanz der Erde und ihrer Atmosphäre
Die Energiezufuhr in das Klimasystem der Erde wird praktisch ausschließlich von der Strahlung der Sonne bestimmt. Die aus den radioaktiven Zerfällen im Erdinneren stammende Wärme trägt nur zu 0,1% zur Energiebilanz an der Erdoberfläche bei und kann deshalb im Folgenden vernachlässigt werden. Die Sonne strahlt entsprechend ihrer Oberflächentemperatur von 5800 °K mit einer kurzwelligen Strahlung im Bereich von 0,3–3 μm; ihre Intensität beträgt an der Oberfläche der Erdatmosphäre im Mittel 1367 Watt pro Quadratmeter (W/m2), das ist die sogenannte Solarkonstante. Richtig konstant ist diese Strahlung allerdings...