2 Wozu Sie Zukunftsbrillen brauchen
Wollen Sie ein besserer Vordenker werden? Wenn ja, brauchen Sie gutes Zukunftsmanagement und dafür wiederum die fünf Zukunftsbrillen. Unter anderem natürlich. Schauen wir uns an, warum ich das glaube.
2.1 Starke Motive: Sie können gar nicht anders
Warum denkt der Mensch überhaupt über die Zukunft nach? Warum will er in die Zukunft blicken? Schon seit den ersten frühen Kulturen haben sich Menschen darum bemüht, mehr von der Zukunft zu sehen, zu verstehen und zu haben. Wir können offenbar gar nicht anders.
Auch Sie sind neugierig auf die Zukunft. Warum sonst würden Sie das hier lesen? Neugierig werden wir, wenn etwas anders als das Bekannte ist oder wenn es dem Vertrauten widerspricht.1 Wir ahnen, dass die Zukunft anders sein wird als die Gegenwart. Deshalb haben Szenarien der Zukunft eine nahezu magische Anziehungskraft.
Nach meiner Erfahrung und Einschätzung treiben uns fünf wichtige Motive und Ziele zum Blick in die Zukunft:
1. Wir wollen bessere Entscheidungen treffen. Wir wollen dafür die wahrscheinliche Zukunft kennen, wir wollen wissen, was kommt, was bleibt und was geht. Deshalb ging man früher zu Wahrsagern. Heute investieren professionell geführte Unternehmen viel Zeit und Geld, um die Zukunft ihres Marktes auszuleuchten. Zwar weiß jeder, dass man die Zukunft nicht vorhersagen kann, aber gleichzeitig kann niemand ohne Zukunftsannahmen auskommen. Jeder Entscheidung liegen bewusst oder unbewusst Zukunftsannahmen zugrunde.
2. Wir wollen uns sicherer fühlen. Wir wollen Angst und Furcht vermeiden. Wir wollen von der Zukunft weniger überrascht sein. Der dänische Philosoph Søren Kierkegard unterschied die Angst von der Furcht. Angst hat keine bestimmte Ursache, sie ist das unangenehme Gefühl, dass uns etwas passieren könnte. Und so schauen wir uns um und suchen nach Anzeichen für unliebsame Überraschungen, die uns gefährlich werden könnten. Furcht hingegen empfinden wir vor einem konkreten Ereignis, das uns offensichtlich Nachteile bringen würde. Im besten Falle versuchen wir, mehr darüber zu erfahren und uns vorzubereiten. Im schlechtesten Falle stecken wir, wie so oft, den Kopf in den Sand.
3. Wir wollen uns entwickeln, mehr aus unserem Leben machen, erfolgreich und glücklich sein. Wir streben nach dem schönen Gefühl der Hoffnung und Zuversicht. Daher suchen wir nach Möglichkeiten und Chancen, um uns und unsere Situation in der Zukunft zu verbessern. Wir wollen es in Zukunft besser haben als heute. Und wir wollen es besser haben oder besser sein als andere. Manchmal ahnen wir, dass wir allein schon deshalb besser werden müssen, damit es uns nicht schlechter geht als heute.
4. Wir wollen unserem Leben und Tun einen Sinn und eine Richtung geben. Wir wollen wissen, wo wir uns hinentwickeln sollen und wozu wir all die Mühen des Tages auf uns nehmen. Dafür entwickeln wir eine Vision von der erstrebten Zukunft, in der wir Erfüllung zu finden hoffen.
5. Wir wollen wissen, was wir tun sollen. Aus diesem Grund setzen wir uns Ziele, planen und verwirklichen Projekte und Prozesse und setzen uns in Bewegung in Richtung Zukunft.
Diese fünf Ziele in Sachen Zukunft sind tief in uns verankert. Immanuel Kant hat sein ganzes philosophisches Lebenswerk lang Antworten auf drei Fragen gesucht:
1. Was kann ich wissen? Hier erkennen wir das Streben nach Wissen über die wahrscheinliche Zukunft und die möglichen Überraschungen.
2. Was darf ich hoffen? Hierin finden wir die Fragen nach Chancen und nach der Vision.
3. Was soll ich tun? Das ist eindeutig die Frage nach dem richtigen Handeln für die Zukunft.
Ist Ihnen bei den Zielen etwas aufgefallen? Richtig, es sind derer fünf. Zufall? Wir werden sehen.
2.2 Wecken Sie den Zukunftsmanager in Ihnen
Den Begriff Zukunftsmanagement begann ich Anfang der 1990er-Jahre zu verwenden. Damals begannen professionell geführte Unternehmen, sich immer intensiver systematisch mit der über ihre strategische Planung hinausgehenden Analyse der Zukunft beschäftigten.
Ihre Brücke in die Zukunft
Die Zukunftsforschung und die mit ihr verwandte Trendforschung bezeichnen die Manager und Unternehmer häufig als ungenau, unverbindlich und unzuverlässig. Zwischen ihrem Wissensbedarf und dem Wissensangebot der Zukunfts- und Trendforscher klafft oftmals eine große Lücke. Diese Lücke schließt das Zukunftsmanagement. Zukunftsmanagement definiere ich so:
Zukunftsmanagement ist die Brücke zwischen der Lebensführung und Unternehmensführung einerseits und der Zukunftsforschung andererseits. Es bezeichnet die Gesamtheit aller Modelle, Regeln und Methoden zur Früherkennung und Analyse zukünftiger Entwicklungen und ihrer Einbringung in Strategien.
Zukunftsmanagement ist die unternehmerische Zukunftsforschung. Es ist das im Vergleich zur Zukunftsforschung eher in der Natur des Menschen liegende und praktischere Konzept. Es macht aus der primär auf die Antizipation fokussierten Zukunftsforschung wieder ein ganzheitliches Konzept mit Nahtstellen zum strategischen und operativen Management. Es schließt die Lücke zwischen der oftmals abstrakten und theoretischen Zukunftsforschung und den praktischen Anforderungen der Entscheider in Unternehmen und anderen Organisationen, in dem es systematisch hilft, die Zukunft der Märkte besser zu verstehen und daraus praktisch umsetzbare und erfolgswirksame Strategien zu erarbeiten. Zukunftsmanagement baut auf den Erkenntnissen der allgemeinen Zukunftsforschung auf und schafft die Verbindung zu (unternehmerischen) Entscheidungen und Taten im Alltag.
Gutes Zukunftsmanagement braucht klares und präzises Denken. Dafür werden Ihnen die fünf Zukunftsbrillen ein wertvolles Werkzeug sein.
Abb. 2: Was ist Zukunftsmanagement?
Die Drei-Siebzig-Regel
Frage ich ein beliebiges Publikum, das auch nur ein wenig von Wirtschaft versteht, welcher Anteil des Erfolges im Leben und im Unternehmen von langfristigen Weichenstellungen abhängt, weiß die Mehrzahl, dass es ein großer Anteil ist. Frage ich »wie viel ist viel in Prozent«, bekomme ich interessanterweise immer ungefähr die gleiche Antwort: siebzig Prozent. Niemand kann diese Zahl messen oder gar beweisen, aber man hat ein Gefühl für die große Bedeutung des Zukunftsmanagements. Seien es auch nur fünfzig oder sechzig Prozent, es ist ein sehr großer Teil des Erfolges, ob man ihn nun als Lebensglück versteht oder in Geld misst. Unsere langfristig wirksamen Richtungsentscheidungen, ob bewusst oder unbewusst gefällt, bestimmen, wie wir investieren, wie wir konkurrieren, wie wir arbeiten und wie wir entscheiden. Eine strategische Ausrichtung mit all den Konsequenzen und auch eine Unternehmenskultur lassen sich nicht mal eben schnell ändern.
Mit langfristigen Weichenstellungen entscheidet ein Mensch in seinem Leben oder ein Führungsteam im Unternehmen, welchen Berg man langfristig besteigen will, während das operative Management einzig dem Ziel dient, den gewählten Berg gut zu besteigen.2
Interessant ist nun zu prüfen, wie viel Zeit Topentscheider für gewöhnlich damit verbringen, über genau diese großen Weichenstellungen und damit über die nächste Ära ihres Unternehmens bewusst und systematisch nachzudenken. Einer Untersuchung der amerikanischen Professoren Hamel und Prahalad zufolge verwenden leitende Manager nicht mehr als 2,4 Prozent ihrer Zeit für die Arbeit an der Vision.3 Zwei bis drei Prozent der Arbeitszeit sind in den meisten Ländern immerhin 5,5 bis 6,0 Arbeitstage pro Jahr, recht viel eigentlich. Wer verbringt schon sechs volle Tage im Jahr mit systematischer bewusster Zukunftsarbeit? Auch im Privatleben dürfte das ein selten erreichter Wert sein. Viele sagen an dieser Stelle, das könne ja nicht stimmen, denn schließlich habe man Dutzende oder gar Tausende Mitarbeiter in der Forschung und Entwicklung und in der Strategieabteilung beschäftigt. Das sei ja wohl Zukunftsarbeit par excellence. Nein, es geht mir hier gerade nicht um die an Fachleute delegierte Forschung und Analyse zur besseren Besteigung des Berges, sprich für mehr Erfolg im bestehenden Geschäft mit den bestehenden Zielen. Es geht um unternehmerisches Zukunftsmanagement, um Weichenstellungen, Entscheidungen über die zu besteigenden Berge. Das ist etwas grundlegend anderes.
Ihr Zukunftsmanagement ist nicht delegierbar. Es geht hier um die seltenen unternehmerischen Richtungsentscheidungen, die von Forschern oder Analysten allenfalls vorbereitet, aber niemals gefällt werden.
Mit drei Prozent des Arbeitsaufwands schaffen Sie siebzig Prozent Ihres langfristigen Erfolges. Ihr Zukunftsmanagement ist ein starker Erfolgshebel. Zukunftsmanagement ist eine der besten Investitionen. Jeder investierte Tag bringt hohe Renditen. Der Erfolgshebel wirkt allerdings auch in die andere Richtung,...