Unternehmen werden wie endliche Automaten (wie Maschinen) verstanden und auch im Sinne einer deterministischen Funktionsweise organisiert und geführt. Wie bei einem Automaten, der eine bestimmte Funktion ausführt, wenn ein definierter Impuls auf ihn einwirkt, werden Menschen in Unternehmen in dieser Dynamik und Logik gesteuert.
Das vorherrschende Bild, dass ein Unternehmen in seiner Funktionsweise deterministisch ist und dementsprechend gezielt verändert und gesteuert werden kann, stammt noch aus den Zeiten der industriellen Revolution und des Taylorismus und ist mittlerweile überholt. Bei intensiverer Auseinandersetzung mit dieser Vorstellung wird klar, dass darin die Ursache für eine ganze Reihe von Problemstellungen herrührt, die in der Führung und Entwicklung von Unternehmen zu finden sind.
Dennoch gehen in der überwiegenden Zahl von Firmen die Führungskräfte nach diesem Verständnis vor und sind auch nach wie vor davon überzeugt, dass sie diejenigen sind, die alle Prozesse und Vorgaben definieren müssen, damit Mitarbeiter die dazu nötigen Aufgaben richtig ausführen können.
Das Bild des Unternehmens als endlicher Automat wird also auch auf den einzelnen Mitarbeiter übertragen. Dieser Mechanismus ist wiederum die Quelle verschiedenster Problemstellungen und Konfliktbereiche in der Kooperation aller Mitarbeiter in Unternehmen, die in der öffentlichen Wahrnehmung immer sichtbarer geworden sind und im Laufe dieses Buches an unterschiedlichen Stellen aufgegriffen werden.
Dieses Bild zur Funktionsweise von Unternehmen ist auf den Taylorismus zurückzuführen und baut auf dem damals etablierten Scientific Management auf. Dieses Modell wurde über Jahrzehnte immer weiterentwickelt und mündete in Vorgehens- und Managementmodellen wie beispielsweise dem effektiven Strategieprozess von Robert S. Kaplan und David P. Norton (2009).
In diesen Modellen herrscht die Überzeugung vor, dass eine ganz bestimmte Art der Unternehmenssteuerung und die Beachtung spezifischer Vorgehensweisen, Prozesse und Regeln, wie beispielsweise der Nutzung von Balanced Scorecards, Strategy Maps, Kennzahlen etc., den wirtschaftlichen Erfolg einer Firma gezielt zu steuern und zu entwickeln vermögen.
Bild 2.1 Grafische Darstellung des effektiven Strategieprozesses nach Kaplan und Norton
Modelle wie der effektive Strategieprozess gehen davon aus, dass das Verhalten und die Ereignisse in und um ein Unternehmen deterministisch und damit absehbar und beeinflussbar sind. Hierzu benötigt wird eine umfassende Planung und professionelle Umsetzung. Deren Wirksamkeit wiederum wird mithilfe von Kennzahlenmodellen gemessen und gesteuert.
Die Argumentationsketten, Referenzbeispiele und Inhalte dieser Modelle sind absolut logisch, rational und nachvollziehbar. Und dennoch sind Einführung und Anwendung dieser Modelle in der Praxis ausgesprochen aufwendig und haben es nicht geschafft, das immer größer werdende Ohnmachtsgefühl vieler Manager zu beheben.
Die einzelnen Elemente, beispielsweise des effektiven Strategieprozesses von Kaplan und Norton, in ihrer Gesamtheit zu verstehen und anzuwenden, stellt eine intellektuelle und kommunikative Herkulesaufgabe dar, die für kleinere und mittlere Unternehmen wirtschaftlich nicht leistbar ist. Große mittelständische Unternehmen und Konzerne, die sich an Modellen wie diesem orientieren, müssen einen hohen Aufwand betreiben, um die Prozesse entsprechender Vorgehensweisen zu entwickeln und ihre Mitarbeiter darin auszubilden, damit diese in der Lage sind, die Abläufe praktisch anzuwenden.
Obwohl Modelle wie das von Kaplan und Norton sequenziell aufgebaut und logisch sind, ist die Nutzung sehr mühevoll, steckt voller Quellen für Missverständnisse, die wiederum zu Konflikten und damit Reibungsverlusten im operativen Ablauf eines Unternehmens führen.
Mithilfe strategischer Managementmodelle sollten Unternehmen befähigt werden, die eigene Situation zu erkennen, um die notwendigen operativen und strategischen Entscheidungen zum richtigen Zeitpunkt treffen zu können.
Das Resultat ist dann sehr häufig, dass derartige sequenzielle und deterministisch ausgerichtete Modelle nur unvollständig angewendet werden, kompliziert wirken und um ihrer selbst willen betrieben werden.
Die Nachvollziehbarkeit von Nutzen und Wirkung ist für Mitarbeiter oft schwer möglich. Akzeptanz und Unterstützung der Anwendung bleiben daher sehr häufig hinter den Erwartungen und Erfordernissen des Unternehmens zurück.
Der eigentliche Zweck strategischer Managementmodelle und das Ziel von Wissenschaftlern und Experten wie Kaplan und Norton ist es, Unternehmen zu befähigen, ihre individuelle Situation zu überblicken, um die notwendigen operativen und strategischen Entscheidungen zum richtigen Zeitpunkt treffen zu können. Dieses Ziel bleibt oft unerreicht.
Die Frustration in den Reihen der Entscheider über diesen Zustand hat in den vergangenen 20 Jahren eine ganze Reihe von Überlegungen entstehen lassen, die versuchen, in der Praxis leichter und intuitiver anwendbare Vorgehensweisen zu entwickeln und zu nutzen. Vorgehensweisen also, die weniger intensiven und damit kostspieligen Schulungs- und Einführungsaufwand verursachen. Die Anwendung sollte außerdem weniger riskant und dafür wirksamer sein, als die bisherigen Modelle es sind, und zu konkreten Resultaten führen. Dadurch sollte wiederum die Grundlage nachvollziehbarer Entscheidungen und verlässlicher Entwicklungen entstehen und von Mitarbeitern bereitwillig oder sogar interessiert und engagiert angewendet werden.
Dass dies möglich sein muss, belegt der Siegeszug erfolgreicher Start-up-Unternehmen, die etablierten Firmen seit Jahren das Fürchten lehren und diese dazu zwingen, sich mit alternativen Organisationsstrukturen und Steuerungsmodellen auseinanderzusetzen.
2.1 | Digitalisierung als Motor der Veränderung |
Unterstützt wurden die vorgenannten Überlegungen aus der Situation des immer weiter ansteigenden Handlungsdrucks auf alle Wirtschaftsbereiche durch die Auswirkungen der Digitalisierung. Diese löst alle bisher bekannten und vertrauten Paradigmen der Unternehmenssteuerung auf und erhöht die Frequenz der durch technologische Innovationen verursachten Veränderungen von Rahmenbedingungen, denen Unternehmen ausgesetzt sind. Die Veränderungen durch die Digitalisierung bzw. die digitale Revolution machen vor Unternehmen aber nicht halt, sondern wirken ebenso unmittelbar auf Gesellschaften und Kulturen.
Diese Entwicklungen, die durch die unterschiedlichen Facetten der Digitalisierung ausgelöst wurden und werden, lassen den individuell wahrgenommenen Grad von Komplexität alltäglicher Abläufe kontinuierlich ansteigen.
Die bisher geltenden Regeln zur Entwicklung von Geschäftsmodellen haben durch das Entstehen digitaler Geschäftsmodelle ihre Gültigkeit verloren. Was wiederum zu dem Phänomen führt, dass etablierte, weltweit tätige und mit großen Marktanteilen ausgestattete Unternehmen von vergleichsweise kleinen Wettbewerbern bedroht werden, da diese völlig neue Methoden und Angebote anbieten, die Bestehendes schlicht ersetzen.
Digitale Geschäftsmodelle stellen keine evolutionäre Entwicklung von Märkten dar, sondern repräsentieren, was allgemein unter dem Begriff „desruptiv“ verstanden wird.
Gerne werden hier Unternehmen wie Airbnb, Uber oder Tesla genannt, welche die Spitze der renommiertesten Unternehmen der digitalen Revolution darstellen. An deren Beispiel ist eine weltweite Neuausrichtung aller Wirtschaftsbereiche zu beobachten.
Dabei befindet sich das Verständnis darüber, was der Begriff der Digitalisierung eigentlich beinhaltet, erst noch oder immer noch in der Entwicklung. Eine konkrete Definition steht noch aus. Dagegen möglich ist die Beschreibung der Phänomene, die im Zuge der sich immer weiter und in alle Bereiche des persönlichen, kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Lebens ausdehnenden Digitalisierung erkennbar sind.
2.2 | Analoge Geschäftsprozesse und Geschäftsmodelle |
Unter dieser Überschrift kann vereinfacht gesprochen das Wirtschaftsleben zusammengefasst werden, das vor dem Boom der ersten Interneteuphorie existierte. Bevor die sogenannten Dotcom-Unternehmen entstanden und die ersten Börsen-Crashs von Internet-Start-ups beobachtet wurden. Diese Zeit endete um die 2000er-Jahre und war gekennzeichnet von einem individualistischen Unternehmensverständnis und noch stark papierbasierten, sequenziellen Geschäftsprozessen.
Obwohl schon Ende des letzten Jahrhunderts ein sehr intensiver Trend zur Standardisierung von Geschäftsprozessen zu erkennen war und Warenwirtschaftssysteme wie SAP eine immer größere Marktdurchdringung erreichten, war das Selbstverständnis von Unternehmen noch davon geprägt, sich von Wettbewerbern so stark wie möglich differenzieren zu müssen.
Dieses Selbstverständnis, auf dem eine spezielle Unternehmensidentität fußte und eine...