Mein Almjahr beginnt
Über den Winter lief alles weiter wie vorher: arbeiten, musizieren, üben, Auftritte absolvieren, Haushalt, putzen, kochen, Freunde treffen, feiern. Ganz bewusst genoss ich diese letzten Monate und meinen gewohnten Alltag – bald würde alles anders werden. Langsam, ganz allmählich nur, wurde für mich immer greifbarer, dass ich wirklich ab Mai auf eine Alm gehen würde. Meine Monate im Laden waren gezählt – ab dem frühen Sommer würde ich oben auf dem Berg sein. Ich konnte es noch gar nicht richtig glauben. Mein Traum würde bald wahr werden. Ab und zu besuchte ich meine Almfamilie und erfuhr immer mehr über mein zukünftiges Leben auf der Alm, über die Aufgaben, die mich erwarteten, und die Besonderheiten der Rampoldalm.
MEINE AUFGABEN ALS ALMERIN
Meine erste Alm bot gleich das ganze Programm: 40 Koima (Jungkühe), dazu zehn bis zwölf Kaiwe (Kälbchen) und zwei Kia (Milchkühe). Das bedeutete: Die Jungkühe blieben Tag und Nacht draußen auf der Weide, wurden aber täglich einmal gezählt. So stellt man möglichst bald fest, wenn sich eine Kuh verirrt haben sollte oder – was ich mir nicht wünschte – eine verunglückt sein sollte. Die Kälbchen brauchten noch ein paar Tage zur Eingewöhnung und durften die ersten, noch kalten Nächte im Stall verbringen, bekamen Zusatzfutter und Extra-Streicheleinheiten. Die Milchkühe mussten täglich zweimal gemolken und die Milch sofort weiterverarbeitet werden – zu Rahm, Butter, Käse und Topfen. Da die Alm an einem Wanderweg liegt, kommen immer wieder Gäste vorbei, die bewirtet werden wollen. Und die Speisen für die Wanderer werden natürlich auch auf der Alm hergestellt.
© Mathias Neubauer
Auf den meisten Almen befindet sich im Sommer der gesamte Bestand an Jungvieh eines Bauern – ein kostbares Gut. Man trägt also große Verantwortung, das war mir von Anfang an bewusst. Und ich war stolz, dass mein Bauer, Klaus Vogt, mir seine wertvollen Tiere anvertraute.
Doch es gilt nicht nur, die Tiere zu zählen und zu schauen, dass keines abhandenkommt. Eine Almerin muss auch prüfen, ob die Zäune rund um die Weiden noch in Ordnung sind, und sie gegebenenfalls reparieren. Sie muss die über die riesige Weidefläche verstreut liegenden Brunnen und Quellen, aus denen die Tiere trinken, täglich besuchen und nachsehen, ob das Wasser fließt, ob sie nicht verstopft oder verschüttet sind, etwa nach heftigen Regenfällen und kleineren Erdrutschen. Gegen Ende des Sommers kann es passieren, dass bei einem hoch gelegenen Brunnen das Wasser versiegt – wenn das bei allen Brunnen der Fall ist, müssen die Tiere an der Alm getränkt werden.
Eine Almerin ist auch dafür verantwortlich, die Auskehren in den Almwegen frei zu halten. Das sind diese schräg in den Wegen verlaufenden Rinnen, die bei starken Regenfällen und während der Schneeschmelze die Sturzbäche in die Hänge ableiten. Wenn die Auskehren verstopft sind, von Erde und Steinen, würden die Wassermassen die Wege unterspülen oder wegreißen.
Zur Almpflege gehört auch das Schwenden. Die Almwiesen würden ohne Pflege in kürzester Zeit wieder zuwachsen mit Latschen, also Krüppelkiefern, mit Almrausch, Fichten und anderen Bäumchen, deren Samen der Wind auf die fruchtbaren Weideflächen fallen lässt. Diesen Anflug auszurupfen, das Schwenden, ist eine der vordringlichsten Aufgaben einer Almerin. Zum unerwünschten Bewuchs der Almweiden zählen auch Disteln, die von den Kühen als Futterpflanzen verschmäht werden. Sie müssen gemäht oder ebenfalls ausgerissen werden.
Wanderer bewirten durfte ich, musste es aber nicht. Andere Almen liegen in sehr beliebten Wandergebieten an viel begangenen Wegen. Hier macht in der Hochsaison und bei Schönwetter die Bewirtung der Wanderer den überwiegenden Teil der Almarbeit aus. Und viele Almen, das sind die, die man hauptsächlich im Fernsehen sieht, heißen nur noch Alm, sind aber inzwischen weniger Sommerfrische für Kühe als für Urlauber, die dort wie in einer Gastwirtschaft verköstigt werden und sogar übernachten können. Meine wichtigste Aufgabe war die Betreuung der Tiere und die Pflege der Alm. Wenn Zeit blieb, durfte ich Gäste bewirten, war Wichtigeres zu tun, konnte ich die Tür zusperren.
Manchmal wurde mir angesichts der langen Liste der Aufgaben bange, ob ich das alles schaffen würde.
LETZTE VORBEREITUNGEN
Auf meine erste Almsaison versuchte ich mich natürlich so gut wie möglich vorzubereiten. Chrissi, die jüngste Tochter meines Almbauern, ist wie ihre Schwestern von Kindesbeinen an mit dem Almleben vertraut. Sie erklärte mir viel und sollte mir in den ersten Tagen der neuen Saison auf der Alm zur Seite stehen. Das beruhigte mich.
Auch meine Mutter fragte ich noch einmal um Rat, bat sie, mir zu erzählen, wie wir das damals mit der Butterherstellung gemacht hatten. Und wie das noch mal mit dem Käsen ging. Meine Mutter hatte nach dem Tod meines Vaters die Landwirtschaft aufgegeben und später noch einmal einen Partner gefunden. Die beiden waren glücklich, dass ich glücklich war und dass die Tochter quasi in ihre Fußstapfen trat und Almerin wurde. Eine Almerin ist angesehen bei den Bauern – denn sie wissen, was eine Almerin leisten muss. Wer das gut hinkriegt, wer eine gute Almerin ist, vor der haben alle Respekt.
In den Dörfern wurde im beginnenden Frühjahr schon über die neuen Almerinnen geredet: Wer geht auf diese Alm und wer auf jene? Und wer ist eigentlich die neue Sennerin, die auf die Rampoldalm gehen wird?
Der Almwirtschaftliche Verein von Oberbayern, in dem die Almbauern organisiert sind, veranstaltet jedes Jahr im ausgehenden Winter einen mehrtägigen Almlehrgang. Hier lernen die künftigen Senner und Sennerinnen die wichtigsten Grundlagen ihrer Arbeit, hier kann man sich Rat und Hilfe holen (siehe hier). Leider konnte ich vor meiner ersten Saison nicht an diesem Kurs teilnehmen, ich musste ja arbeiten. So besorgte ich mir noch ein Grundlagenbuch über die Käseherstellung, das mir meine Vorgängerin empfohlen hatte. Es gehörte zu meiner bevorzugten Lektüre während der Frühlingsmonate, in denen ich meinen Abschied von daheim vorbereitete. Ja, das wollte ich alles ausprobieren: Weichkäse und Mozzarella, Camembert und Frischkäse. Ich sah schon meine gefüllten Käseregale vor mir.
Klar würde der Bauer ein- bis zweimal die Woche auf die Alm fahren, um den frischen Butter abzuholen. Er könnte mir dann Lebensmittel mitbringen. Aber ich wollte ja möglichst selbstständig zurechtkommen. Gemüselieferungen würde wohl eher mein Mann übernehmen. Ich richtete auf jeden Fall Samentütchen und Saatkästen her, damit ich vor der Hütte Kräuter und Salat anbauen konnte. Aus meinem heimischen Gemüsegarten grub ich ein paar überwinterte Schnittlauchpflanzen aus und setzte sie in Töpfe. Sie würden mir die allerersten Vitamine liefern.
JETZT GEHT’S LOS
Sobald die Almwiesen schneefrei waren, hieß es: Rauf auf die Alm! Jedes Jahr nach dem Winter werden überall die Almhütten hergerichtet und die Zäune neu gezogen. Lawinen, Schneedruck, Murenabgänge setzen vielen Hütten und den Almweiden zu, manche Hütte muss aufwendig repariert werden. Nicht so die Rampoldalm. Hier nämlich gibt es Winterpächter, den Günter und seine Frau Anni. Sie nutzen die Alm von Oktober bis Mai und helfen dem Bauern als Gegenleistung, sie über die Wintermonate in einem guten und sauberen Zustand zu halten. Günter legt vor dem Winter die Zäune um, der Schnee würde sie sonst niederdrücken. Er geht im Winter oft mit den Skiern hinauf und heizt den Ofen ein, damit das Mauerwerk trocken bleibt. Er überprüft, ob durch den Schnee Schäden entstanden sind, und repariert und erneuert das eine oder andere sofort.
© Mathias Neubauer
Vor meinem dritten Almsommer hat er mir geholfen, Löcher im Mauerwerk zu verputzen, damit die Mäuse nicht mehr in die Almhütte und in meinen Käsekeller gelangen konnten. Meine Alm fand ich gut ausgestattet vor: Es gibt dort – neben den nötigen Utensilien für die Milchverarbeitung – auch genügend Ess- und Kochgeschirr, Backformen und vielerlei Küchenwerkzeug – man merkt, dass hier seit Jahrzehnten Almerinnen wirtschaften. Hier werden Kuchen und Brot und Strudel gebacken. Ich habe andere Almen gesehen, auf denen es weder eine Kuchenform noch mehr als zwei Tassen gibt. Da ist dann halt anderes wichtiger.
In wenigen Tagen würde ich hier einziehen! Deshalb putzte ich die Almhütte von oben bis unten einmal durch, ebenso den Stall und schaute nach, ob genügend Brennholz für den Anfang vorhanden war: Günter hatte vorgesorgt, es gab Holz, große und kleinere Scheite, Rindenstücke zum Anheizen, sodass ich vorerst auch kein Kleinholz machen musste.
Meine Almbäuerin, die Christl, schickte mir schön bepflanzte Blumenkästen herauf, die wir vor den Fenstern der Almhütte anbrachten. Frisch gewaschene Vorhänge für die Stube und die Schlafkammer hatte sie auch vorbereitet – jetzt sah die Hütte richtig einladend aus, und ich konnte es kaum mehr erwarten einzuziehen.
WAS NEHME ICH MIT?
Wieder im Tal packte ich mein Auto voll mit Grundnahrungsmitteln: Vom Mühlenladen holte ich mir große Säcke mit Roggen-, Dinkel- und Weizenmehl und einige Kilo Saaten und Flocken zum Brotbacken; für mein Müsli noch Hafer- und Kürbiskerne, Haferflocken, Buchweizen und Hirse. Auch Trockenhefe und getrockneten Sauerteig packte...