Angst macht blind.
Durch verleugnete Angst geht ein realistisches System zur Beurteilung der Stärken und Schwächen der eigenen Person und anderer Menschen mit der Zeit verloren. Häufig verschwinden beim Verstecker die Antennen für andere Menschen und ihre Innenwelt. Was nicht verwundert, denn Einfühlung besitzen nur sensible Menschen, die wenig Energie auf die Tarnung eigener Probleme verwenden. So kann es geschehen, daß der Verleugner Menschen für stark hält, die möglicherweise nichts anderes tun als er selbst, nämlich »stark« spielen. Ein hart arbeitender Geschäftsführer berichtete mir von der vermeintlichen Stärke seiner Frau: Sie sei engagiert in einer Frauengruppe und eine wahrhafte Emanze. Er müsse zu Hause sogar seine Hemden bügeln, obwohl seine Frau keinen Beruf ausübe. Das setzte sie durch, trotzdem schilderte sie sich ganz anders: Sie fände nicht den Mut, diesen arbeitsbesessenen Mann zu verlassen; sie traute sich beruflich nichts mehr zu und verharrte in dieser für sie äußerst unbefriedigenden Beziehung.
Oder umgekehrt, jemand erscheint einem Mann schwach, weil er eigene Schwierigkeiten offen zugeben kann und darüber frei spricht. Ein Ehemann beschwerte sich über die schwachen Nerven seiner Frau, die ihm zu Hause über »tausend Nöte«, mit denen sie an ihrem Arbeitsplatz kämpfen mußte, berichtete. In Wirklichkeit besaß er eine äußerst zähe und willensstarke Frau, die sich erfolgreich in ihrem Arbeitsfeld behauptete. Sie berichtete ihrem Mann offen über ihre inneren Konflikte mit Entscheidungen oder Fehlern. Er konnte ihre Erzählungen deshalb schlecht aushalten, weil er wesentlich weniger wirkungsvoll in seinem Beruf agierte, sich diese Diskrepanz aber nicht eingestehen konnte.
Wie Männer Frauen völlig falsch einschätzen, ließe sich mit vielen Beispielen belegen. Sie trauen ihnen weder sachlich noch persönlich zu, bestimmte Anforderungen zu erfüllen, ganz zu Unrecht. Auch in der Arbeitssituation stehen Frauen oft sprachlos vor dieser männlichen Engstirnigkeit.
Frauen, die solche oberflächlichen Wertungen deutlicher durchschauen, werden Männer nicht mehr unreflektiert überbewerten und ihr Selbstwertgefühl weniger an Männerurteile binden. Die Anmaßung männlicher Urteile wäre leichter zu erkennen, würden Frauen männliche Machtgesten als das entschlüsseln, was sie häufig sind – Signale von Unsicherheit.
Werden Frauen von Männern eingeschätzt, sind dies selten nüchterne Betrachtungen. Was zählt, sind meist äußerliche Kriterien. Ist die Frau stark geschminkt oder auffällig angezogen, wird sie als Sexualobjekt betrachtet. Klugheit, Kreativität und Intelligenz bleiben dann außen vor. Tritt eine Frau sehr selbstbewußt auf, gilt sie als Mannweib. Manchmal hat es mich fast zur Verzweiflung getrieben mitzuerleben, wie Männer (Vorgesetzte, Ehemänner, Bekannte oder Freunde) mit penetranter Ignoranz Fähigkeiten und Stärken von Frauen wegredeten, ihre Leistungen herabwürdigten oder ihre unbestreitbaren Erfolge zu Zufallsprodukten oder Eintagsfliegen umdeuteten.
So werden Frauen oft regelrecht verschlissen, denn eine solche fortgesetzte Mißdeutung kann sehr zermürbend sein. Frauenstärke ist kein unerschöpfliches Gut, das unbegrenztem Aderlaß widerstehen könnte. Gerade deshalb ist es wichtig, Frauen hinter die Kulissen schauen zu lassen und aufzuzeigen, daß männliche Reaktionen viel mit Angst zu tun haben.
Wer sein Gegenüber falsch einschätzt, gewollt oder ungewollt, bleibt auf Distanz, äußerlich und innerlich. Nähe schafft Vertrauen, und ohne Nähe entsteht kein wirkliches Vertrauen. Der Satz schreibt sich so leicht, aber er hat massive Konsequenzen. Der Mann, der aus Angst versäumt, wirkliche Nähe zu Frauen herzustellen, verliert in vielfacher Hinsicht. Er kann IHR nicht wirklich vertrauen, er umschleicht SIE wie eine Gefahr, vor der er sich hüten muß, und er bringt sich so um eine für sein Leben entscheidende Grundlage, denn er bleibt isoliert, ohne Vertrauen und damit auch ohne Geborgenheit.
Tiefes, gegenseitiges Vertrauen ist auch unter Männern eine Ausnahme, so sehr auch Kameraderie und »füreinander einstehen« betont werden. Meist sind es Handelsbeziehungen. Die Partner haben gegenseitigen Nutzen voneinander. Männer lassen sich entweder bewundern oder sind dankbar, einem erlesenen Kreis anzugehören. Doch über Schwächen reden, Beistand suchen für innere Nöte, das ist kein selbstverständlicher Teil einer Männerfreundschaft. Können Sie sich eine Männerbeziehung vorstellen, in der mit allen Konsequenzen über die Angst vor Frauen oder vor Sexualität gesprochen wird?
So dramatisch es auch klingen mag: Männer haben selten Vertrauen zu einem anderen Menschen. Vertrauen ist aber die einzige Basis, auf der Menschen über das, was sie in ihren Gefühlen wirklich bewegt, sprechen können. Und wer diese Möglichkeit nicht oder nur mangelhaft nutzt, bleibt innerlich einsam.
Unsere Gefühle sind keine klare, berechenbare oder zu wiegende Größe. Sie sind labil, sprunghaft, manchmal sehr zart, verletzlich, klein und zerbrechlich. Oft ermöglicht uns nur der Austausch mit einem/r Vertrauten den Zugang zu unserem Inneren. Wer beide Wege versucht hat – zum einen, allein ein Problem zu ergründen, und zum anderen, sich mit einem vertrauten Zuhörer auszutauschen –, weiß, daß nur das mitfühlende und ehrlich informierte Gegenüber einen Weg bietet, unklaren Gefühlen auf die Spur zu kommen. Nur mit dieser Hilfestellung können wir eigene Schwierigkeiten klarer sehen, besser verstehen und anders damit umgehen.
Ein Lehrer saß in seinem Kollegium wie ein frostiger Schneemann. Er war unfähig, freundschaftlichen Kontakt mit Erwachsenen aufzunehmen. Er suchte zwar Anschluß, fand aber keinen Weg, unkompliziert auf die anderen zuzugehen. Während des Studiums hatte er sich abgekapselt, um besonders gute Noten zu erreichen. Jetzt wollte er Kontakt. Schließlich vertraute er sich einer mütterlichen Kollegin an. Ihr beschrieb er, wie einsam er sich fühlte. Erst mit ihrer Hilfe fand er heraus, daß die meisten Kollegen ihn eigentlich mochten. Wäre er nicht so verschlossen, hätten sie auch schon von sich aus Verbindung zu ihm aufgenommen. Sie schätzten seinen Stil, mit den Kindern umzugehen, denn bei ihnen zeigte er sich offen und zugewandt. Doch sein sauertöpfisches Gesicht hatte die Kollegen auf Distanz gehalten.
Fehlt eine gute Verbindung zu unseren Gefühlen, wird unser Leben künstlich. Wir benutzen Krücken statt unserer Arme und Beine. Männer leugnen diesen Zusammenhang. Doch wer einem Trauernden nur kräftig auf die Schultern klopfen kann und mit lautem »Wird schon wieder …« zu trösten sucht, wer so wenig Einfühlung besitzt, der hat seine Sensibilität verloren.
Männer sind in der Klemme. Ich weiß nicht wie lange schon, doch sicher sind schon unsere Großväter in dieselben Fallen gestolpert: Der »Vertraute« unter Männern war eher eine anrüchige Figur, er wurde in Machenschaften und Händel eingeweiht, und nicht selten hatte er die Aufgabe, die bösen und unmoralischen Aspekte von Handlungen umzudeuten oder zu leugnen. Graue Eminenzen, Berater und Intriganten sind die gebräuchlichen Bezeichnungen solcher destruktiven und mephistophelischen Figuren – der Gegenpol blieb unbesetzt.
Frauen gehen mit Gefühlen anders um. Sie fürchten zwar, von Gefühlen weggeschwemmt oder überrollt zu werden. Doch sie stehen ihren Gefühlen selten negativ gegenüber, außer wenn sie ihre eigene Position gegenüber männlichen Gefühlsstrategien noch nicht klar bezogen haben oder wenn sie den männlichen Werten zustimmen. Was in der Konsequenz bedeutet, daß sie sich an den Mächtigeren orientieren und die eigene emotionale Stärke unterminieren.
Eine feinfühlige Frau kämpfte in Gegenwart von Männern mit ihren Tränen, wenn diese sich schroff oder verletzend benahmen. Sie wollte sich nicht schwach vor ihnen zeigen und schämte sich dieser vermeintlichen Entgleisung. Daß erst ihre Verlegenheitsgesten sie unsicher und schwach erscheinen ließen, erkannte sie nicht. In einem Gespräch deckte sie diesen Widerspruch für sich auf und entschied, sich eventueller Tränen auf keinen Fall zu schämen. Jetzt war die Peinlichkeit auf der Männerseite, verlegen entschuldigten sie sich für ihre Ungeschicklichkeiten, zumindest einige.
Soziale Veränderungen haben einen neuen Frauentyp hervorgebracht. Die anachronistische, selbstverständliche Unterordnung von Frauen wird seltener. Die »neue Frau« ist die »selbstbewußte Frau«. Dies spiegelt für manche eine recht simple Feststellung wider: Frauen sind selbstbewußter geworden, und sie stellen die männlichen Weltsichten und Wertungen deutlicher auch öffentlich in Frage. Simpel erscheint mir dieser Wandel allerdings nicht, schließlich haben Frauen Vergleichbares in den letzten tausend Jahren nicht getan. Diese veränderte Frau stellt Männer vor veränderte Tatsachen. Plötzlich ist der monolithische männliche Konsens über gesellschaftliche Konventionen in einem langsamen Auflösungsprozeß.
Männer haben ihre weiblichen Statisten verloren, durch die sie automatisch überlegen wirkten. Früher wurde der väterliche Wutausbruch, der Kinder, Frau und Haustiere zitternd in die Ecke trieb, als Ausdruck männlichen Führungsanspruchs und gottgleicher Weisheit akzeptiert. Diese Bühne ist (Gott sei Dank) geschlossen. Dieses Zittern und Gehorchen und der Glaube an die unveräußerbare männliche Autorität gehen dem Ende zu.
Männliche Normen werden aufgeweicht. Schleichend und ohne lautstarke Gefechte sind der Umgang mit Gefühlen und das männliche Verhältnis zu Tränen in Bewegung geraten. So berichtete der Fernsehreporter Gerd Ruge über ein Treffen mit wiedereingesetzten...