Seit der Einführung des GmbH-Gesetzes vor mehr als 100 Jahren am 20.04.1892 hat sich die GmbH als verlässliche Rechtsform etabliert, die sich über die Jahrzehnte im Wesentlichen nicht verändert hat.[21] Die zwischenzeitlich vorgenommenen Gesetzesänderungen – hierbei sind insbesondere die GmbH-Novelle 1980[22], das reformierte Umwandlungsrecht von 1994[23], die Einführung der Insolvenzordnung 1994[24] und die Handelsrechtsreform 1998[25] zu nennen – haben den Kern des GmbH-Rechts weithin unberührt gelassen.
Ausgangspunkt der Diskussion über die Reformbedürftigkeit der GmbH waren Missbräuche bei in die Krise geratenen GmbHs. Es hat sich in den letzten Jahren eine regelrechte Dienstleistungsbranche professioneller „Firmenbestatter“ entwickelt, die die Rechtsform der GmbH ohne Liquidation zum Nachteil der Gläubiger sang- und klanglos verschwinden lassen. Ferner wurde die hohe Anfälligkeit der GmbH für – insbesondere masselose - Insolvenzen als Problem thematisiert. Es wurde erkannt, dass die Gläubiger von GmbHs besser vor bzw. während diesen Vorkommnissen geschützt werden müssen.[26]
Das Bedürfnis für eine weitergehende Überprüfung des GmbH-Rechts ergab sich aber auch aus der wegweisenden Rechtsprechung des EuGH in den letzten Jahren. Diese öffnete den deutschen Rechtsraum massiv für ausländische Gesellschaften mit der Konsequenz, dass Unternehmer die Rechtsform eines Mitgliedsstaates der EU wählen können, die ihnen die meisten Vorteile bietet. Diese formal ausländischen Gesellschaften werden unter Beachtung des ausländischen Rechts gegründet und verlegen sogleich ihren Verwaltungssitz ins Inland, wo sie auch den Schwerpunkt ihrer Geschäftstätigkeit entfalten[27]. Da diese Rechtsformen im Allgemeinen die restriktiven Regelungen zum Gläubigerschutz und der Kapitalerhaltung, wie sie das deutsche Recht kennt, nicht enthalten, sind deutsche Unternehmer versucht, aus der Rechtsform der GmbH in solche ausländische Rechtsformen abzuwandern. Somit steht die GmbH im Wettbewerb innerhalb Europas an vorderster Front. Insbesondere internationale Billig-Rechtsformen, wie die britische Limited, und die in Zukunft zu erwartende Installierung einer neuen Europäischen Privaten Gesellschaft verdeutlichen auch in jüngster Zeit die Reformbedürftigkeit[28].
Bevor die Kritikpunkte an der bestehenden GmbH erörtert werden, soll auf die Entstehung der GmbH in ihrem damaligen Kontext und ihre Entwicklung bis auf den heutigen Stand eingegangen werden.
Um die Reformbestrebungen im GmbH-Recht durch das MoMiG richtig einordnen zu können, ist ein Blick auf die Entwicklung der GmbH von ihrer Entstehung im Jahr 1892 bis heute geboten. Gerade die Anfänge und die Hintergründe der erstmaligen Einführung des Mindestkapitals beispielsweise, helfen bei der Betrachtung der Diskussion um die Herabsetzung bzw. Abschaffung desselbigen.
Die Gesellschaft mit beschränkter Haftung trat mit Verkündung im Reichsgesetzblatt am 20. April 1892 auf die Bühne der europäischen Gesellschaftsformen. Ihren Anfang nahm sie allerdings schon acht Jahre zuvor, als der damalige Abgeordnete Oechelhäuser im Rahmen der Aktienrechtsnovelle 1884 darauf hingewiesen hatte, dass die deutsche Wirtschaft dringend eine Gesellschaft mit beschränkter Haftbarkeit benötig.[29] Vor allem der Mittelstand suchte in der Gründerzeit[30] nach einer Rechtsform, die es ermöglichte, Verantwortung im Wirtschaftsleben zu übernehmen und gleichzeitig die Haftung überschaubar zu gestalten[31]. Bislang gab es in Deutschland lediglich die AG als einzige Gesellschaftsform mit beschränkter Haftung aller Gesellschafter, die aber nach dem Aktienschwindel[32] erst durch die Aktienrechtsnovelle 1884 wieder salonfähig gemacht werden musste. Demgegenüber standen die OHG, KG und KGaA, bei denen ein oder alle Gesellschafter unbeschränkt haftbar waren.[33] Die GmbH sollte einer breiten Bevölkerungsschicht die Möglichkeit einer eigenen wirtschaftlichen Betätigung geben, ohne dass sie im Gegenzug dazu ihr gesamtes Vermögen riskierten.[34] Als Leitbild dienten zunächst Familiengesellschaften und kleine Gesellschaften mit wenigen Gesellschaftern[35], für die die Gründung einer AG zu aufwendig war.
Das Mindeststammkapital wurde damals auf 20.000 Reichsmark festgelegt, ein Betrag, mit dem eine GmbH noch zu Anfang des 20. Jahrhunderts 100 Arbeitnehmer für mehr als zehn Wochen inkl. Lohnnebenkosten entlohnen konnte.[36] Verglichen mit heutigen Verhältnissen, müsste sich das Stammkapital auf ca. 100.000 EUR belaufen, um dem Wert des ursprünglichen Betrages zu entsprechen.[37] Somit war die Aufbringung des Mindestkapitals aber auch dessen Bedeutung als Haftungskapital um ein vielfaches höher als dies heute der Fall ist.
Die GmbH hatte schon während der Vorbereitungsphase des GmbH-Gesetzes ihre Gegner, die entweder eine Rechtsform mit Haftungsbeschränkung grundsätzlich ablehnten oder aber einen unzureichenden Gläubigerschutz, eine fehlende Strenge bei den Gründungsvorschriften und den fehlenden Publizitätszwang für den Jahresabschluss beanstandeten. Diese Punkte werden bis heute von Kritikern der GmbH angemerkt.[38]
Trotz des frühen Gegenwindes ist das Gesetzgebungsverfahren des GmbH-Gesetzes 1892 sehr schnell erfolgt. Die erste Beratung im Reichstag erfolgte am 19. Februar, die zweite Beratung am 19. März, die dritte Beratung fand am 21. März statt und die Verkündung im Reichsgesetzblatt dann am 20. April 1892.[39]
Es entstand ein übersichtliches, kurzes und verständliches GmbH-Gesetz, das zum großen Erfolg wurde. Dies ist dem Umstand zu verdanken, dass die GmbH in ihrer Eigenschaft als juristische Person Unternehmenskontinuität garantierte und das Risiko begrenzte, zugleich aber im Inneren ähnlich einer Personengesellschaft, flexible Regelungen der Gesellschafterverhältnisse zuließ und ein Minimum an organisatorischen Vorkehrungen erforderte.[40]
Die GmbH ist somit eine Erfindung des deutschen Gesetzgebers und hat sich in der ganzen Welt als „Exportschlager“ bewährt und in zahlreichen ausländischen Rechtsordnungen in mehr oder weniger veränderter Form Eingang gefunden.[41]
Während das Recht der Aktiengesellschaft sich in den dreißiger und sechziger Jahren einigen Novellen unterziehen musste, ist das GmbH-Recht bis auf kleine Änderungen bis 1980 im Wesentlichen unverändert geblieben.[42]
Nichtsdestotrotz geriet die GmbH immer wieder in die Diskussion. Eine erste Reformdiskussion ergab sich bereits Anfang des 20. Jahrhunderts.[43] Insbesondere die Gründungsvorschriften, die Gründungsrevision und die Frage der Zulassung von Einpersonen-GmbHs sorgten damals für Zündstoff.[44]
Bereits 1933 drohte die GmbH dem national-sozialistischen Regime zum Opfer zu fallen und aus ideologischen Gründen abgeschafft zu werden. Nach der Aktienrechtsreform von 1937 wurde dieser Gedanke zu Gunsten einer die GmbH verbessernden Reform aufgegeben. Das Reichsministerium der Justiz legte schließlich 1939 einen Reformentwurf vor, der durch den Ausbruch des Krieges aber nicht weiter verfolgt wurde.[45]
Nach dem Krieg stand die Reform des Aktienrechts im Vordergrund, an die sich eine Reform des GmbH-Rechts anschließen sollte. Eine Expertengruppe untersuchte das GmbH-Gesetz auf seine Reformbedürftigkeit und legte schließlich 1969 einen darauf aufbauenden Referentenentwurf vor. Dieser wurde öffentlich diskutiert und mündete schließlich 1971 und unverändert im Jahr 1973 in einen Regierungsentwurf eines neuen GmbH-Gesetzes.[46] Der Deutsche Bundestag hat diese Reform nicht verwirklicht. Allerdings wurden die wichtigsten Reformelemente zur Verbesserung des Gläubiger- und Gesellschafterschutzes in die GmbH-Novelle von 1980 eingebracht.[47]
Während der gesamten Geschichte des GmbH-Gesetzes entwickelte sich parallel eine umfangreiche Rechtsprechung, die die Aufgabe übernahm, das GmbH-Recht auszulegen und weiterzuentwickeln. Etliche Standards, die durch die Rechtsprechung gesetzt worden sind, wie etwa die schon früh vom II. Zivilsenat des BGH entwickelte Rechtsprechung zu den eigenkapitalersetzenden Gesellschafterleistungen, fanden in der Novelle von 1980 durch die Schaffung der §§ 32a, 32b GmbHG Eingang ins GmbH-Gesetz.[48]