UNSER CHRONOBIOLOGISCHES PROGRAMM
DAS GEHIRN ALS STEUERZENTRALE
DER HYPOTHALAMUS
Unser Gehirn ist das oberste Steuerwerk und für viele Vorgänge im Körper verantwortlich, beispielsweise Hormon- und Stoffwechselkreisläufe. Ein Kerngebiet des Gehirns ist der so genannte Nucleus suprachiasmaticus (SCN) im Vorderhirn, genauer gesagt im so genannten Hypothalamus. Unsere innere Uhr oder „master clock“ ist in diesen spezialisierten Nervenzellen lokalisiert. Einer der wichtigsten exogenen Zeitgeber ist der Wechsel zwischen Tag und Nacht bzw. Licht und Dunkelheit. Dieser Rhythmus existiert seit über 4 Milliarden Jahren und hat mit dazu beigetragen, dass sich circadiane Rhythmen überhaupt erst entwickeln konnten. In Säugetieren und somit auch im Menschen entstand parallel dazu der SCN, also auch die innere Uhr.
»Jedes einzelne Lebewesen besitzt verschiedene innere Uhren«
HORMONE: BOTSCHAFTER IM STOFFWECHSEL
In allen Lebewesen, und somit auch beim Menschen, gibt es verschiedene innere Uhren, die unterschiedliche Rhythmen hervorrufen. Diese Regelkreise stehen in einem engen Zusammenhang untereinander und beeinflussen sich oftmals gegenseitig. Wichtig in diesem Zusammenhang ist die Tatsache, dass auch die Hormone, die maßgeblich an der Verwertung der aufgenommenen Nahrung mitverantwortlich sind, eine solche Rhythmik aufweisen.
Die Ausschüttung aller Hormone erfolgt zeitlich gepulst, seien es Sexualhormone zur Fortpflanzung, Stresshormone, die unter anderem auch zur Krankheitsunterdrückung dienen, oder Regelhormone zur Steuerung unseres Energiehaushaltes und somit auch zur Steuerung unseres Nahrungstriebes. Heute nennt man diesen Trieb „Essverhalten“.
MELATONIN:
BOTSCHAFTER DES TAG-NACHT-RHYTHMUS
Die Lichtimpulse werden von der Netzhaut des Auges aufgenommen und über spezialisierte Nervenzellen von der Retina an den SCN, also den Sitz der inneren Uhr, weitergeleitet. Der SCN wiederum ist über einen sehr komplexen Weg mit dem Pinealorgan, auch Zirbeldrüse genannt, verbunden, weshalb man diese Drüse auch als „das dritte Auge“ bezeichnet. In dieser Drüse wird vor allem das Hormon der Dunkelheit, das Melatonin, gebildet. Während der Dunkelphase kommt es zur Stimulation der Melatoninproduktion mit anschließender Freisetzung. Lichtimpulse hingegen unterdrücken diese Produktion bzw. Freisetzung. Die nächtliche Freisetzung von Melatonin ist somit ein weiterer Zeitgeber, an Hand dessen die Information „Dunkelheit“ an fast alle, wenn nicht sogar alle Zellen aller Organe weitergeleitet werden kann. Dabei agiert Melatonin über spezifische Rezeptoren, also spezifische Bindungsstellen, auf den Zellen. Unter anderem finden wir solche Bindungsstellen vermehrt auch im SCN. Melatonin reguliert somit sowohl die Amplitude (Schwingungsstärke) als auch die Phase dieses wichtigen inneren Zeitgebers. Daher stellt Melatonin eine Art von Feedback-Mechanismus dar, der den Sitz der inneren Uhr einerseits mit den äußeren Impulsen abstimmt und es ihm andererseits erlaubt, weiterhin in angemessener Weise eigenständig zu schwingen. Anders gesagt: Melatonin ist ein potenter innerer Zeitgeber, der die äußere Information Tag=Licht und Nacht=Dunkelheit in ein endogenes Signal übersetzt.
Einen weiteren Regelkreis stellt der Einfluss von Melatonin auf circadiane Abläufe dar, die nur eine sehr geringe Pulsschlagartigkeit aufweisen. Auch wenn der Wirkmechanismus noch nicht genauer bekannt ist, wird vermutet, dass Melatonin hier bestimmte Gene aktivieren und deaktivieren kann, sodass nachgeschaltete Funktionen wie das Absinken der Körpertemperatur nur zu bestimmten Zeiten auftreten. Ähnliche Prozesse sind für Zeitgeber in der Leber, der Haut, der Lunge, der Niere sowie verschiedenen Hormondrüsen beschrieben worden (siehe Abbildung 1). Die Freisetzung von Cortisol am Morgen oder die Insulinausschüttung werden direkt durch Melatonin gesteuert – ein Mechanismus, der oftmals über spezifische Melatoninrezeptoren gesteuert wird.
DIE REGELUNG VON HUNGER UND SÄTTIGUNG:
Unser Hunger- bzw. Sättigungsgefühl unterliegt dem Einfluss verschiedener Homone, die rhythmisch zu bestimmten Tages- bzw. Nachtzeiten ausgeschüttet werden. Darunter sind Botenstoffe, die uns eher ein Sättigungsgefühl verspüren lassen, und solche, die eher zu Hunger führen. Andere wiederum regulieren unseren Stoffwechsel und daher indirekt auch unser Gewicht. Die wichtigsten Hormone heißen Ghrelin, Leptin, Insulin und Cortisol. Cortisol erreicht morgens sein Maximum. Leptin wird in der zweiten Nachthälfte erhöht produziert, signalisiert „gefüllte Fettspeicher“ und lässt uns schlafen, statt vor Hunger aufzuwachen. Gleichzeitig signalisiert das etwa alle sechs Stunden pulsativ freigesetzte, dann erhöhte Ghrelin, dass es Zeit wird, zu essen.
Wie Hormone unser Gewicht beeinflussen
‐ Antistresshormon Cortisol
Cortisol ist ein Stresshormon, das ursprünglich nur in Stresssituationen ausgeschüttet wurde (Flucht oder Angriff). Seine Aufgabe bestand in der Aktivierung von abbauenden Stoffwechselvorgängen, die dem Organismus situationsgerecht energiereiche Verbindungen verfügbar machten. Cortisol wird in der Nebennierenrinde gebildet. Die Nebennierenrinde erfährt erst durch interne Botschaften, wann sie dessen Vorstufe, das Cortison, bilden soll. Der Botenstoff, der aus dem übergeordneten Zentrum im Gehirn stammt, nennt sich ACTH, adrenocorticotropes Hormon. Dieses Hormon regt die Nebennierenrinde dazu an, Cortisol aufzubauen.
Nun hat ausgerechnet letzlich Cortisol, aber auch seine oft als Medikament verabreichte Vorstufe Cortison seine Funktion vor allem in der Regulierung des Kohlenhydrat-Haushaltes. Es fördert den Aufbau von Zucker in der Leber, es fördert den Fettstoffwechsel, indem es die fettauflösende Wirkung von Adrenalin und Noradrenalin vorantreibt. Es kann, weil es sich leider besonders gerne auch in den Bauchfettzellen anreichert, langfristig das Bauchspeicherfett vergrößern. Denn leider haben diese Fettzellen besonders viele Andockstellen für die aktive Form des Stresshormons, Cortisol. Die gesunde Tagesrythmik des Cortisols sieht so aus: Morgens haben wir besonders hohe Werte, die dann im Vormittagsverlauf langsam abfallen, zur Mittagszeit noch einmal einen leichten Anstieg verzeichnen, um im Laufe des Nachmittags, des Abends und insbesondere der Nacht auf ein relatives Tief zu sinken. Erst am nächsten Morgen verzeichnen wir plötzlich wieder einen sehr starken Anstieg unseres Cortisolspiegels. Des Weiteren spielt Cortisol eine wichtige Rolle beim Protein-Abbau.
ABBILDUNG 1:
Schematische Darstellung der komplexen Verknüpfung verschiedener Zeitgeber mit besonderem Augenmerk auf den Nucleus suprachiasmaticus (SCN) und das Pinealhormon Melatonin sowie deren Auswirkung auf das endokrine System (modifiziert nach Hardeland R., J. Mol. Sci. 2013)
Diese kurze Erklärung abschließend sei noch angemerkt, warum ausgerechnet das inaktivierte Hormon aus der Paste, die der Hautarzt verschreibt, in unserem Körper in eine aktive Wirkware überführt wird: Es wirkt entzündungshemmend, wir nennen es „antiphlogistisch“, und unterdrückt unser Immunsystem, also genau die entzündliche Reaktion, welche wir versuchen zu vermeiden. „Immunsuppressiva“ wäre das passende Stichwort dafür. In diesem Fall handelt es sich dabei um ein körpereigenes Produkt.
Neue Erkenntnisse zeigen, dass erhöhte (in diesem Fall also falsch erhöhte) Cortisol-Werte auch bei Adipositas, Infektionen und Stress auftreten können. Eine gesteigerte Neubildung von Zucker im Körper lässt den Zuckerspiegel nach oben schießen und parallel auch den Insulinspiegel steigen. Damit haben wir durch Stress, aber auch durch Schwangerschaft oder Infektionen bereits eine erste chronobiologische Voraussetzung erkannt, die auf natürliche und kaum verhinderbare Weise Übergewicht nach sich zieht. Was viele Lehrbücher verschweigen, ist aber die Tatsache, dass durch Cortisol ausgerechnet das Wachstum auch jener Zellen...