Einführung: Die Protagonistinnen
Wie zufrieden bin ich mit meinem Leben? Habe ich einen Job, der mir Freude macht und Kraft gibt? Lebe ich alle Werte, die mir wichtig sind? Und was macht meine Gesundheit? Diese und weitere Fragen stellen wir, die Autorinnen Carmen Schön und Karin Midwer, uns selbst und wir fragen uns, ob auch andere Frauen sich mit diesen Themen beschäftigen.
Nachdem wir mit einigen Frauen ins Gespräch gekommen waren, stellte sich heraus, dass auch für viele andere diese Fragen im Leben essenziell sind. So ist die Idee geboren, eine kleine Gruppe von Frauen unterschiedlichen Alters, mit verschiedenen Berufen und in unterschiedlichen Lebenssituationen zu bilden und diese über einen Zeitraum von mehreren Monaten hinweg zu begleiten. Insgesamt fand an vier Terminen ein jeweils sechsstündiges Coaching-Programm mit den Teilnehmerinnen statt. Dieses Buch gibt einen Einblick in den Ablauf dieser Sitzungen. Die Leserin kann so in gewisser Weise selbst den Sitzungen beiwohnen und von den Erfahrungen der Teilnehmerinnen lernen.
Unser Ziel ist es, einen Raum zu bieten, in dem jede Teilnehmerin – und jede Leserin – ihr persönliches Wohlfühlen im Leben reflektieren und definieren kann. An dieser Stelle möchten wir erwähnen, dass sich auch Männer die oben genannten Fragen stellen und (fast) alles in diesem Buch ebenfalls auf sie anwendbar ist. Wir, Carmen Schön und Karin Midwer, bringen als Gruppenleiterinnen unsere fachliche Expertise mit ein. Carmen Schön arbeitet seit zwölf Jahren als Managementberaterin, Karriere- und Erfolgs-Coach. Karin Midwer ist eine gefragte Kommunikationsexpertin, Stressmanagement- und Qigongtrainerin. Uns ist es wichtig, das Thema „sich wohlfühlen“ bzw. Feelgood ganzheitlich zu betrachten und sowohl den beruflichen als auch den privaten Kontext miteinzubeziehen.
Diesen Prozess möchten wir gerne mit Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser, in diesem Buch teilen. Gleichzeitig bieten wir Ihnen an, bei den einzelnen Coaching-Einheiten selbst mitzumachen. Daher werden wir in jedem Kapitel einige Übungen vorstellen, die Sie einfach selbst durchführen können.
Die Protagonistinnen
Bevor wir mit den Coaching-Sitzungen starten, möchten wir Ihnen gerne unsere Teilnehmerinnen bzw. Protagonistinnen vorstellen. Es handelt sich dabei um fiktive Figuren, die aber stark von unseren Erfahrungen aus einem Gruppen-Coaching inspiriert sind, das tatsächlich stattgefunden hat.
Julia
Julia ist 29 Jahre alt und hat von dem Coaching-Programm durch ihre beste Freundin Sylvia erfahren, mit der sie einmal in der Woche abends einen Yogakurs in Hamburg-Winterhude besucht. Sport war Julia schon immer wichtig. Früher ging sie mindestens drei- bis viermal in der Woche ins Fitnessstudio. Seit einem Jahr, seit ihre kleine Tochter Lara auf der Welt ist, hat sich ihr Leben stark verändert. Neben der Arbeit – Julia ist nach sechs Monaten wieder in den Job eingestiegen – und dem Kind bleibt kaum noch Zeit für etwas anderes. Julia hat sich ein Kind sehr stark gewünscht, wenn auch nicht unbedingt zum jetzigen Zeitpunkt. Aber wann ist schon der passende Moment? Mit ihrem Ehemann Philipp, 35 Jahre, lebt sie in dem Hamburger Stadtteil Eppendorf in einer Drei-Zimmer-Altbauwohnung und die Schwiegereltern springen jederzeit ein, wenn Julia Unterstützung benötigt.
Julia ist eine attraktive Frau, die offensichtlich auf ihr Erscheinungsbild achtet: Sie ist groß und schlank, hat blondes, gut gefärbtes Haar und einen akkuraten Pagenschnitt. Beim ersten Termin trägt sie einen dunkelblauen, gut sitzenden Hosenanzug. Sie macht den Eindruck, als wäre Geld für sie kein Thema. Es scheint genug davon da zu sein. Ihr Auftreten lässt sich als bestimmt und selbstbewusst beschreiben. Ihre Körperhaltung und ihr Schritt sind klar und zielgerichtet. Einzig ihre Stimme verrät, dass möglicherweise etwas nicht ganz im Lot ist.
Julia spricht mit einer sehr hohen und schrillen Mädchenstimme. Es fällt einem etwas schwer, ihr zuzuhören, da die hohen Töne die Ohren strapazieren. Irgendwie klingt das auch nicht gesund. Es muss sie eine Menge Kraft und Anstrengung kosten, so zu sprechen. Auf die Frage, was sie beruflich macht, erzählt sie, dass sie nach einem dualen Wirtschaftsstudium in einer großen Versicherung angefangen hat. Sie war immer schon sehr ehrgeizig und konnte sich schnell beruflich hocharbeiten. Nach nur vier Jahren Betriebszugehörigkeit hat man ihr dann die Leitung des Gesundheitsmanagements angeboten. Das war für sie der erste große Erfolg. 12-Stunden-Tage waren bei ihr keine Seltenheit.
Modell Kind und Karriere
Dann lernte sie ihren jetzigen Mann Philipp im gleichen Unternehmen kennen. Philipp arbeitet im Vertrieb. Beiden war schnell klar, dass sie zusammengehören und irgendwann auch eine Familie gründen möchten. Julia hat sofort deutlich gemacht, dass für sie nur das Modell Karriere und Kind denkbar ist. Philipp ist gleich darauf eingegangen und empfand es als selbstverständlich, dass auch er sich bei der Kinderbetreuung mit einbringt.
Nach zwei Jahren Beziehung wurde Julia schwanger. Mit ihrem Chef sprach sie daraufhin ab, dass sie nur sechs Monate Babypause nehmen wolle und danach zurückkommen werde. Ihr Chef hielt ihr tatsächlich ihren Leitungsposten frei und Julia konnte nach nur sechs Monaten ihren Vollzeitjob wieder übernehmen. Welch ein Glück! Allerdings hat sie sich das Ganze etwas einfacher vorgestellt. Sie arbeitet zwar statt der zwölf jetzt nur noch acht bis neun Stunden täglich, zu Hause wartet dann aber ihre kleine Tochter, die sie zumindest abends noch eine Stunde sehen möchte. Aktuell hat Julia das Gefühl, sich total zu zerreißen. Und leider unterstützt sie Philipp dabei auch nicht so, wie er es ihr ursprünglich zugesagt hatte. Wenn die Schwiegereltern sie nicht so tatkräftig unterstützen würden, wäre der Alltag der Familie in dieser Form gar nicht möglich.
Erste Anzeichen von Erschöpfung
Julia hat eigentlich für ein Coaching-Programm gar keine Zeit. Sie merkt aber, dass sie dringend etwas in ihrem Leben verändern muss. So kann es auf Dauer nicht weitergehen. Sie zeigt mittlerweile schon erste Anzeichen von Erschöpfung, dabei ist sie doch erst 29. Auch die Stimmung zu Hause hat sich durch den andauernden Stress deutlich verschlechtert. Julia möchte in dem Coaching für sich herausfinden, wie sie mit weniger Arbeitsstunden auskommen kann, entweder in ihrem jetzigen Job oder in einem anderen. Außerdem hat sie das Gefühl, dass ihre Arbeitsleistung nicht ausreichend wertgeschätzt wird. Sie stellt sich die Frage, wie sie sichtbarer werden kann, sodass auch von Kollegen gesehen wird, was sie alles für die Firma tut.
Nach dem Vorgespräch folgt zunächst eine Diskussion mit ihrem Ehemann. Drei Tage später sagt sie zu, an dem Programm regelmäßig teilzunehmen. Philipp wird während der Coaching-Sitzungen die Betreuung der kleinen Lara übernehmen.
Evgenia
Evgenia ist die Erste, die sich für das Coaching bewirbt. Nachts um 23.30 Uhr kommt eine E-Mail, in der sie kurz ihren Lebenslauf schildert und gleich darauf drängt, möglichst schnell mit dem Coaching-Prozess zu beginnen. Man fühlt sich von ihr schnell unter Druck gesetzt. Das wird sich später auch in der Gruppe immer wieder zeigen.
Keine Probleme, sich durchzuboxen
Zum Vorgespräch kommt sie 30 Minuten zu spät, da sie keinen Parkplatz für ihren Sportflitzer finden konnte. Das scheint ihr aber kaum unangenehm zu sein. Insgesamt vermittelt sie den Eindruck, dass sie erwartet, dass die Welt sich nach ihren Regeln dreht. Evgenia ist 35 Jahre alt, trägt kurze schwarze Haare, Jeans und eine sportlich-elegante Bluse. Sie scheint es gewohnt zu sein, im Mittelpunkt zu stehen. Ihr Schritt ist klar und dynamisch, sie wirkt überaus präsent. Probleme, sich karrieremäßig durchzuboxen, scheint diese Frau nicht zu haben, denkt man sofort. Irgendwie hat sie auch etwas sehr Kumpelhaftes an sich. Mit ihrem Charisma und ihrer Energie kann sie sicher schnell Menschen in ihren Bann ziehen.
Evgenia erzählt, dass sich ihre Partnerin vor fünf Jahren von ihr getrennt hat und sie seitdem Single ist. Sie lebt in München-Schwabing in einer Eigentumswohnung, die sie sich vor zwei Jahren gekauft hat. Eigentlich ist sie mit ihrem Leben ganz zufrieden, wenn da nicht immer wieder die typischen Männerspiele im Unternehmen wären, die es ihr fast unmöglich machen, in eine höhere Position aufzusteigen. Ursprünglich hat sie BWL studiert und kommt aus einer Unternehmerfamilie. Geld und Status sind ihr wichtig und sie möchte ihren hohen Lebensstandard weiterhin halten. Direkt nach ihrem Studium startete sie ihre Karriere bei einem renommierten Automobilkonzern in der Controlling-Abteilung. Da sie nicht aus München wegziehen wollte, pendelt sie. Sie glaubt, dass das einer der Gründe war, warum ihre Partnerin sich von ihr getrennt hat. Es blieb einfach zu wenig Zeit, um sich miteinander zu beschäftigen, zumal Evgenia an den Wochenenden nicht auf dem Sofa sitzt, sondern als Extremsportlerin in den Bergen klettert oder mit dem Mountainbike unterwegs ist. Eine Partnerschaft wäre für sie durchaus wieder erstrebenswert, aber deswegen kommt sie nicht zum Coaching.
Zuhören liegt ihr nicht
Evgenia ist vielmehr beruflich etwas frustriert. Sie hat sich in den letzten Jahren neben dem Job in vielen Bereichen weiterentwickelt, unter anderem hat sie am High-Potential-Programm ihrer Firma teilgenommen. Ihren Chef konnte sie auch überreden, ihr einen einjährigen Managementlehrgang in St. Gallen zu finanzieren. Man kann sagen, Evgenia ist bestens ausgebildet. Im Gespräch wird aber deutlich, dass sie...