Inzwischen waren die religiösen Zwistigkeiten, die seit der Zeit Eduard VI. die Protestanten bewegt hatten, furchtbarer als je geworden. Die Kluft zwischen der ersten Generation der Puritaner einerseits und Cranmer und Jewel andererseits, war in Vergleich zu der, welche die dritte Generation der Puritaner von Laud und Hammond trennte, eine kleine. So lange Maria’s Grausamkeiten noch in frischer Erinnerung standen, die Macht der katholischen Partei noch Besorgnisse erweckte, und so lange Spanien ein Übergewicht hatte und nach der Universalherrschaft trachtete, waren sich alle reformirten Sekten eines starken, gemeinsamen Interesses und eines gemeinsamen Todfeindes bewußt. Ihre Erbitterung untereinander war im Vergleich zu der, die sie gegen Rom hegten, nur schwach zu nennen. Conformisten und Nichtconformisten hatten einen aufrichtigen Bund zur Erwirkung äußerst strenger Gesetze gegen die Papisten geschlossen. Als aber mehr denn ein halbes Jahrhundert ungestörten Besitzes der Staatskirche Zuversicht eingeflößt, als neun Zehntheile des Volks aufrichtig dem Protestantismus anhingen, als England mit aller Welt in Frieden stand, als eine Gefahr, den Papismus der Nation durch fremde Waffen aufgedrängt zu sehen, nicht mehr zu fürchten war, und als die letzten Bekenner, die vor Bonner gestanden, dahin waren, änderte sich die Stimmung der anglikanischen Geistlichkeit. Ihre Abneigung gegen die römisch-katholische Lehre und Kirchendisziplin war bedeutend schwächer geworden ihre Abneigung gegen die Puritaner aber wuchs mit jedem Tage. Die Streitigkeiten, die von Beginn an die protestantische Partei zerrissen hatten, gestalteten sich der Art, daß keine Hoffnung auf Aussöhnung blieb, und zu den alten Streitfragen gesellten sich neue von noch größerer Wichtigkeit.
Zwar hatten die Gründer der anglikanischen Kirche das Episkopat als eine alte, gute und passende kirchliche Einrichtung beibehalten, aber sie hatten nicht erklärt, daß diese Form der Kirchenverwaltung eine von Gott eingesetzte sei. Wie gering Cranmer das Amt eines Bischofs hielt, haben wir bereits gesehen. Jewel, Cooper, Whitgift und andere hervorragende Religionslehrer unter der Regierung Elisabeths vertheidigten die Prälatur als etwas Unschädliches und Nützliches, das der Staat einzuführen befugt sei, und wenn es einmal eingeführt, auf die Achtung jedes Bürgers Anspruch habe, aber nie läugneten sie, daß eine christliche Gemeinde ohne Bischof eine reine Kirche sein könne, sie betrachteten vielmehr die Protestanten auf dem Festlande als Glieder einer Glaubensfamilie, der sie selbst angehörten. Wohl waren die Engländer in England gehalten, die Autorität des Bischofs ebenso anzuerkennen, wie ihnen die Autorität des Sheriffs und des Coroners anzuerkennen oblag, aber diese Verpflichtung war nur eine örtliche. Ging ein Mitglied der englischen Kirche, ja selbst ein englischer Prälat, nach Holland, so fügte er sich ohne Bedenken der holländischen Staatskirche. Die Botschafter Elisabeths und Jakobs gingen im Auslande mit vollem Gepränge zu demselben Gottesdienste, den Elisabeth und Jakob in der Heimath übten, und mieden es sorgfältig, um den schwächern Brüdern kein Ärgerniß zu geben, ihre Privatkapellen nach anglikanischer Art auszuschmücken. Im Jahre 1603 erkannte die Kirchenversammlung der Provinz Canterbury die Kirche von Schottland, welche damals bischöfliche Beaufsichtigung und Ordination noch nicht kannte, feierlich als einen Theil der heiligen, allgemeinen Kirche Christi an.6 Man hielt selbst presbyterianische Geistliche zu Sitz und Stimme in ökumenischen Konzilien als berechtigt. Als die Generalstaaten der Vereinigten Niederlande eine Synode von nicht bischöflich ordinirten Lehrern in Dortrecht versammelten, betheiligten sich ein englischer Bischof und ein englischer Dechant im Auftrag des Oberhauptes der englischen Kirche an den Sitzungen dieser Gottesgelehrten, predigten und stimmten mit ihnen über die wichtigsten theologischen Fragen ab.7 Es befanden sich auch viel englische Pfründen in den Händen von Geistlichen, die früher in der auf dem Festlande üblichen Weise der Calvinisten zu ihrem Amte geweiht waren, und man hatte die Reordination durch einen Bischof in solchen Fällen nicht für nöthig, selbst für ungesetzlich gehalten.
Aber eine neue Art von Theologen begann in der englischen Kirche bereits aufzutauchen. Nach der Ansicht derselben war das Amt des Bischofs zur Wohlfahrt einer christlichen Gemeinschaft und zur Förderung der Wirksamkeit der feierlichsten Religionsgebräuche wesentlich. Es gehören zu jenem Amte gewisse hohe und heilige Vorrechte, die menschliche Macht weder verleihen noch entziehen könne. Eine Kirche, sagten sie, welche die apostolische Nachfolge abschaffte, könne eben so gut auch die Lehre von der Dreieinigkeit oder der Menschwerdung abschaffen, und die römische Kirche, welche bei allen ihren Verderbnissen die apostolische Nachfolge beibehalten, sei der ursprünglichen Reinheit näher, als jene reformirten Gemeinden, welche vorschnell, dem göttlichen Muster geradezu entgegen, ein von Menschen ersonnenes System aufgestellt hätten.
Zur Zeit Eduards VI. und Elisabeths hatten die Vertheidiger des anglikanischen Rituals, sich gewöhnlich mit dem Ausspruche begnügt, daß das Ritual ohne Sünde angewendet werden könne, und jeder, der sich weigere, es auf Verordnung der Obrigkeit anzuwenden, sei ein störrischer, ungehorsamer Unterthan. Die neu erstehende Partei aber, die für die Institutionen der Kirche einen himmlischen Ursprung bezeichnete, begann ihren religiösen Handlungen eine Würde und Bedeutung beizulegen. Man deutete an, daß der Fehler des eingeführten Gottesdienstes, wenn er überhaupt einen habe, in seiner zu großen Einfachheit bestehe, und daß die Reformatoren in dem Eifer des Streites mit Rom viel alte Ceremonien abgeschafft, die man füglich hätte beibehalten können. Man zollte gewissen Tagen und Orten wiederum eine mystische Verehrung; Gebräuche, die man lange außer Anwendung gesetzt und als abergläubische Spielereien betrachtet, wurden wieder hervorgerufen; Gemälden und Schnitzwerken, welche der Zerstörungswuth der ersten Generation der Protestanten entkommen waren, ließ man nun wieder eine Verehrung angedeihen, die Viele für götzendienerisch hielten.
Die Reformatoren verabscheuten keinen Theil des alten Kirchensystems mehr, als die dem Cölibate gezollte Hochachtung. Sie waren der Ansicht, daß schon der Apostel Paulus die römische Lehre über diesen Punkt als die des Teufels prophetisch verdammt habe, und sprachen gern und viel über die Verbrechen und Ärgernisse, welche diese schreckliche Anklage zu begründen den Anschein hatten. Luther hatte seine Ansicht, indem er eine Nonne heirathete, sehr klar an den Tag gelegt. Einige der ausgezeichnetsten Bischöfe und Priester, die unter der Regierung Maria’s den Feuertod erlitten, hatten Frauen und Kinder hinterlassen. Jetzt aber tauchte das Gerücht auf, der alte Mönchsgeist lasse sich in der englischen Kirche wieder verspüren, höhern Orts hege man Abneigung gegen verheirathete Priester, Laien, die Protestanten seien, hätten in Bezug auf das Cölibat Entschlüsse gefaßt, die fast Gelübden glichen, und selbst ein Diener der Staatskirche habe ein Nonnenkloster gegründet, in welchem ein Verein gottgeweihter Jungfrauen um Mitternacht Psalmen sängen.8
Dies war jedoch nicht Alles. Eine Klasse von Fragen, über welche bei den Gründern der anglikanischen Kirche und der ersten Generation der Puritaner wenig oder gar keine Meinungsverschiedenheit herrschte, rief nach und nach einen heftigen Streit hervor. Die Controversen, welche die protestantische Partei in ihrer Kindheit schon entzweit, hatten sich fast ausschließlich auf Kirchenregiment und Kirchengebräuche bezogen, und über Punkte der metaphysischen Theologie war es zwischen den streitenden Parteien zu einem ernsten Kampfe nicht gekommen. Die Lehren von Erbsünde, Glauben, Gnade, Prädestination und Gnadenwahl, an denen die Häupter der Hierarchie festhielten, waren die, welche man gewöhnlich calvinisch nannte. Der Erzbischof Whitgift, ihr Lieblingsprälat, entwarf im Verein mit dem Bischof von London und andern Theologen gegen das Ende der Regierung Elisabeths die berühmte Schrift, die unter dem Namen der „Lambeth-Artikel“ bekannt ist. Es werden darin die stärksten calvinistischen Lehren mit einer Bestimmtheit behauptet, die vielen Calvinisten unserer Zeit anstößig sein würde. Ein Geistlicher, der entgegengesetzter Ansicht war und sich hart über Calvin äußerte, wurde von der Universität Cambridge dieser Vermessenheit wegen angeklagt, und entging der Strafe nur dadurch, daß er sich öffentlich zu den Lehren von der Verdammniß und dem endlichen Beharren bekannte, und seine Reue über die Beleidigung aussprach, die er frommen Männern durch seine Angriffe auf den großen französischen Reformator zugefügt habe. Zwischen Cranmer’s und Lauds Schulen steht jene theologische, deren Haupt Hooker war, in der Mitte, und die Arminianer haben Letztern in der neueren Zeit als ihren Genossen betrachtet; aber dennoch erklärte Hooker Calvin für einen Mann, der allen andern Theologen, die Frankreich je hervorgebracht, an Weisheit überlegen sei, für einen Mann, dem Tausende ihre Kenntniß der göttlichen Wahrheit verdankten, er selbst aber, Calvin, sei nur Gott zu Danke verpflichtet. Als in Holland der arminianische Streit begann, standen die englische Regierung und die englische Kirche der calvinistischen Partei kräftig bei, und jene Flecken, welche durch die Einkerkerung des Grotius und den Justizmord des...