II
Und Satans Rache kam. Er hat sich in die Erde hinein gewühlt: die Erde wurde besessen.
Um das Jahr Eintausend begann die Menschheit an Gott zu verzweifeln. Es kamen Zeichen und Wunder über die Erde.
Das Heer Otto des Großen sah die Sonne im Verlöschen und gelb wie Safran. In Rom besuchte der Teufel in eigner Person den Papst Silvester IV., die Reihenfolge der Jahreszeiten schien sich umgedreht zu haben; es schneite im Sommer und schweres Gewitter entlud sich mitten im strengsten Winter. Das "heilige Feuer" fraß auf das Fleisch der Menschen, so daß es in brandigen Fetzen von den Knochen abfiel, die Erde delirierte und die Menschen wurden zu Bestien. In der Hungersnot, die zu jener Zeit die ganze Welt heimsuchte, fing man an, Menschenaas zu fressen. Der Heißhunger nach Menschenfleisch wurde zur Manie. Man verachtete das tierische Fleisch, man beachtete es nicht einmal. Menschen sollten Menschen auffressen, so hat es der rachsüchtige Satan gewollt. Zuerst warf man sich auf das Fleisch der Kinder, dann wurden die, die auf den Wegen fielen, gebraten, bis zuletzt einer es wagte, öffentlich Menschenfleisch feilzubieten. Und es kamen in zahllosen Herden die Wölfe aus den Wäldern und fraßen diejenigen, die noch am Leben geblieben waren, und große Angst beherrschte die Erde, daß sie entvölkert werde. Und es kamen die Prälaten und die Obersten der Städte zusammen und berieten, wie man wenigstens die Stärksten am Leben erhalten könnte, damit die Erde nicht ausstürbe.
Vergebens suchte man Gott auszusöhnen, vergebens schwören sich die erbittertsten Feinde die "treuga Dei" (den Gottesfrieden), vergebens singen die Könige, bekleidet mit Krone und Szepter, mit den Chorknaben zusammen die verzweifelten Gebete - alles umsonst.
Hilft nicht Gott, muß Satan helfen! Und man fing an, Gott zu verhöhnen, seinen Leib in Schmutz und Kot zu treten, seine heiligsten Zeichen zu bespeien. Satan begann zu ernten. Er hat lange genug den Verzweifelten hohnlachend zugeflüstert: Seht, wie gütig euer Gott ist! Seht ihr nicht, daß er euch bereits verdammt hat und nichts mehr von euch wissen will?
Nun, sind wir einmal verdammt, dann hilft nichts mehr dagegen. Allons! Ergeben wir uns ganz dem Satan.
Christus hat sein Blut für das Heil der Menschen vergossen. Heh! Heil?! Was war das für ein Heil, daß Menschen einander auffressen mußten, daß die Erde wie glühendes Eisen unter den Füßen brannte und die Pest das Fleisch an den Knochen abfaulen ließ?
Hohn, dreimal Hohn diesem Heil. Speien wir auf das Heil, das nach dieser irdischen Hölle kommen soll. Und am Ende ist das zukünftige Heil nur eine Lüge, wie alles, was das Heil hier auf Erden versprach? Denn sieh! Die Kirche, Christi heilige Braut, wurde zu einer Hure, die sich verkaufte und den infamsten Schacher trieb.
Zu dieser Zeit, da es als eine Schande galt, "ohne Erde" zu sein, da es keinen Herrn ohne Erde geben konnte, war die Erde etwas Unveräußerliches. Sie ist unteilbar wie ein Mensch und muß ungeteilt bleiben. Sie geht auf den ältesten Sohn über.
Was sollen aber die anderen Kinder machen? Nun, wozu war die Kirche da? Der Gottestempel wurde zur Synagoge des Satan, des gütigen Vaters, der die schmutzigste Leidenschaft braucht, um das fruchtbare Böse zu zeugen.
Die zahllosen Kinder der Barone und Herzöge wurden zu Äbten und Bischöfen. Das Volk wird zusammengerufen und nun: Wähle, oder... Das Volk hat nie das "Oder" erwartet, es wählte. Atto de Verceil erzählt, wie man ein kleines Kind von sechs Jahren zum obersten Seelensorger zahlloser "Schafe" wählte. Es bestieg einen Stuhl, plapperte ein paar Sätze aus dem Katechismus und wurde zum Bischof ausgerufen. Manchmal vergaß das Kind die paar Sätze. Nun, man hat sich dann mit einer Taube ausgeholfen, die sich plötzlich auf seinen Kopf niedersetzte: Sieh! Dann war es noch günstiger. Der heilige Geist hat selber gewählt.
Gleichzeitig skandalisieren die würdigen Nachfolger des hl. Petrus die ganze Welt. Zwei Weiber machen ihre Geliebten zu Päpsten, der Sohn eines Juden und ein zwölfjähriger Knabe entscheiden über die Schicksale der Christenheit.
Der gütige Vater der Sünde ist zufrieden. Nun weiß er seine Herrschaft befestigt. Die Kirche besinnt sich. Reform der Kirche! schreit die ganze Welt. Und Papst Gregor VII. fängt an zu reformieren. Das Weib, oh immer und wieder das Weib, muß in der Kirche zerstört werden. Mit wildem Eifer kündigt der fanatische Mönch-Papst das Zölibat. Selbst ein Mönch, wiegelt er die Mönche gegen die weltlichen Priester auf. Der Mönch wirft seine Brandfackeln unter das Volk, und nun beginnt ein entsetzlicher Terror. Der zerstörerische Instinkt des Volkes, dieser ewig hungrigen Bestie, entfesselt sich uferlos. Gab es eine bessere Gelegenheit, sich an seinem Blutsauger zu rächen, der tausendmal schlimmer gegen das Volk wütete als der Schloßherr selbst? Und das Volk wirft sich auf die Priester, die sich mit hartnäckiger Verzweiflung weigern, ihre Frauen zu entlassen, man reißt sie von den Altären weg, ohrfeigt, verstümmelt sie, oder man reißt sie in der Kathedrale in Stücke. Das Volk tritt mit den Füßen, besudelt, bespeit das, was es noch unlängst als heilig verehrte. Man trank den heiligen Wein, nachdem man ihn mit Urin vermischte, und warf in alle Winde die geheiligten Hostien. Die Macht des Priesters war gebrochen. Man glaubte nicht mehr an seine Gottesvertretung. Es gibt keine Macht und keine Autorität. Der Mönch und der Pöbel beherrschen die Welt. Dunstan läßt die Konkubine des englischen Königs verstümmeln . Papst Gregor VII. belohnt einen Abt, der einen Mönch kastrieren läßt, mit dem Bistum, und der Theologe Manegold lehrt öffentlich, daß der verheiratete Priester getötet werden solle.
Die Natur wird vergewaltigt, die Kirche stößt das Weib mit Abscheu zurück als ein unreines Tier, eine Schlange des Satan, als den verkörperten ewigen Tod des Mannes. Der fanatische Wüterich Pietro Damiani durchläuft ganz Italien, und in zahllosen Predigten wendet er sich immer von neuem gegen das Weib. "C'est à vous que je m'adresse, ecume de paradis, amorce de Satan oison des ames, glaive des cceurs, huppes, bijoux, chouettes, louves, sangsues insatiables...". ("Ich richte mich an euch, Abschaum des Paradieses, Köder des Satan, Gift der Seelen, Speer der Herzen, Aufgeputzte, Schmuckstücke, Käuzchen, Wölfinnen, Blutsauger..."). Oh, das klingt noch besser als das, was Strindberg über die Weiber sagt. Die heiligen Doktoren erklären, daß man sich vom Weibe fernhalten müsse, da die Welt genug bevölkert sei und die Welt sowieso bald untergehen werde, und Peter von Lombard stellt den Grundsatz fest, daß die Ehe eine Sünde sei, zum mindesten un péché veniel (eine läßliche Sünde).
Mit der Natur ist die Kirche glücklich fertig geworden. Der Priester wurde von seinem Weib weggerissen, um sich einer unsagbaren heuchlerischen Geschlechtsschweinerei hinzugeben. Seine Ehe wurde getrennt, nun fing er an, Notzucht zu treiben und seinen männlichen Schäfchen die Hörner aufzusetzen. Aber, wie gesagt, das Zölibat wurde so ziemlich allgemein durchgeführt. Nun mußte die Kirche noch mit der Vernunft fertig werden. Hat man früher verboten, nach dem Wesen des Gottes zu forschen, so verbietet man jetzt überhaupt an allen Dingen den Gebrauch der Vernunft.
"Jedes Wort entspricht einer Idee, und jede Idee ist ein Wesen. Folglich ist Grammatik die Logik, und die Logik ist die Wissenschaft."
Damit hat man die Vernunft abgetan. Ist eine Idee ein Wesen, so brauche man ja gar nichts zu sehen, nichts zu lernen, nichts beobachten. Man schaue die Welt in seinen Gedanken an, und man schaut das Wahre und Wirkliche. Man hat aufgegeben zu denken, und mit Begeisterung wirft man sich über ein paar Bruchstücke von Aristoteles, den Harun al Raschid eben ins Arabische übersetzen ließ. Nun kommentiert man den armen Aristoteles, schreibt zu den Kommentaren lange Kommentare, man verstümmelt die Bruchstücke, man macht den Heiden zum Christen, läßt ihn die Göttlichkeit Christi haarscharf beweisen, seinen Märtyrertod prophezeien: das ganze System der christlichen Lehre hat man zuerst in Aristoteles entwickelt und philosophisch begründet gefunden. Ein Hohlkopf von Avicennawird zum Fürsten der Denker, und die beiden großen Kirchendoktoren waren sterile Maulesel: Thomas grübelt über die Psychologie der Engel nach, und Duns Scotus erfindet die fabelhafte machina cogitationis (Denkmaschine): Wenn der Traum dem Sein entspricht, entspricht das Wort der Sache! Herrlich! Aber nur weiter: Alle Kombinationen der Worte sind also Kombinationen der Sachen und der Realitäten. Worte zusammensetzen heißt Erkennen. Diese Zusammensetzung, vorgesehen durch bestimmte Formeln, gibt uns die Maschine zum Denken.
Denken, ohne zu denken, so hat die Kirche beschlossen.
Der Satan-Philosoph, er, der die abgründigsten philosophischen Systeme des Orients geschaffen hat, er, der in den poetischen Subtilitäten eines Plato sich gefiel, er, der mit der furchtbaren Wucht manichäischer Häresien die tüchtigsten Köpfe des guten Gottes zertrümmerte, lächelt boshaft vergnügt zu diesen Kindereien.
"Aber wie ist es", fragt er mit einem unbeschreiblichen listigen Augenzwinkern die Kirchendoktoren, "wie ist es, wenn ein Bauer ein Schwein auf den Markt zieht? Was zieht da, der Bauer oder die Leine?"
Das ganze Jahrhundert zerbricht sich qualvoll den Kopf über diese Frage. Die Meinungen sind geteilt, und die tüchtigsten Athleten des Blödsinns können diese Frage nicht...