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Die Großstadt als Handlungsraum städtischer Kinderbanden in der Kinderliteratur unter besonderer Berücksichtigung der Zeit der Weimarer Republik

AutorMarlena Börger
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2009
Seitenanzahl56 Seiten
ISBN9783640437269
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis13,99 EUR
Bachelorarbeit aus dem Jahr 2006 im Fachbereich Didaktik - Deutsch - Pädagogik, Sprachwissenschaft, Note: 2,0, Universität Vechta; früher Hochschule Vechta, Sprache: Deutsch, Abstract: 'Emil und die Detektive', 'Kai aus der Kiste' und 'Das Rote U' - wer kennt sie nicht, die kleinen Helden, die mit ihren Banden, die Großstadt unsicher machen, und die auch heute noch Spannung in viele Kinderzimmer bringen und die Phantasie der Kinder anregen. Kästner, Durian und Matthießen schrieben Romane für Kinder, die sich zu Kinderbuchklassikern entwickelten. Als Kind liest man die Romane mit anderen Erwartungen als Erwachsene, man taucht ein in eine Phantasiewelt und erlebt zusammen mit den kleinen Protagonisten eine aufregende Zeit. Gemeinsam mit ihnen läuft man durch die dargestellte Großstadt und spielt Detektiv. Durch diese Identität mit den kleinen Helden fällt es dabei vielleicht nur wenigen auf, dass in den Romanen eine andere Zeit geschildert wird. Die heutigen Kinder kennen das Leben ohne Technologisierung und Modernisierung nicht. Für sie sind Fernsehen und Computer vor allem selbstverständliche Gebrauchsgegenstände, aber auch bevorzugte Spielkameraden.

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Leseprobe

7. Die Darstellung der Großstadt und Kinderbande an drei exemplarischen Kinderromanen

 

7.1 „Emil und die Detektive“

 

Kurz soll der Inhalt von Kästners Erfolgsroman dargestellt werden.

 

Emil Tischbein ist Schüler und wohnt zusammen mit seiner Mutter in ärmlichen Verhältnissen in der Provinzstadt Neustadt. Um seine Verwandten zu besuchen, fährt er allein mit dem Zug in die Großstadt Berlin. Während der Fahrt werden ihm die 140 Mark, die ihm seine Mutter für die Großmutter mitgegeben hat, von dem Reisegast Grundeis gestohlen. Emil will das Geld zurückholen und steigt an der falschen Haltestelle aus. Seine Großmutter und Kusine warten vergeblich auf ihn und machen sich Sorgen. Mit Hilfe der Straßenbande rund um Gustav mit der Hupe und dem Professor gelingt es ihm sich in der großen Stadt zu Recht zu finden, den Dieb zu überführen und sein Geld wiederzubekommen.

 

7.1.1 Die Darstellung der Großstadt im Roman

 

Erich Kästner schrieb Emil und die Detektive zu einer Zeit, als in Deutschland realistische Literatur für Kinder noch nicht sehr viel Akzeptanz erfahren hat. Im ersten Kapitel „Die Geschichte fängt noch gar nicht an“ erzählt Kästner (als Erzähler) wie es

 

dazu kam, dieses Buch, mit dem Motiv „Großstadt und Kinderbande“ zu schreiben, denn eigentlich hatte er vorgehabt, ein ganz anderes Buch zu schreiben. Sein Kellner im Restaurant, mit dem er manchmal über seine Arbeiten spricht, brachte ihn angeblich auf die Idee.

 

„Da will ich Ihnen mal einen prima Rat geben“, sagt er, „das Beste wird sein, Sie schreiben über Sachen, die Sie kennen. Also, von der Untergrundbahn und Hotels und solchem Zeug. Und von Kindern, wie sie Ihnen täglich an der Nase vorbeilaufen und wie wir früher einmal selber welche waren“.[36]

 

Bevor die eigentliche Geschichte um Emil Tischbein beginnt, stellt der Autor einige Personen und Schauplätze vor. Er nennt das kurze Kapitel „Zehn Bilder kommen jetzt zur Sprache“. Dort wird unter sechstens der erste Einblick in den Handlungsort gegeben. Kästner beschreibt das Hotel am Nollendorfplatz, einen Platz, der in  Berlin zu finden ist. Genau weiß er nicht, ob das Hotel am Nollendorfplatz liegt, und nennt einige weitere Berliner Straßen, in denen das Hotel zu finden sein könnte. Das zeitgenössische Berlin mit vielen bekannten Plätzen wird so als Handlungsort eingeführt.

 

„Und die Großstadt, genauer: die Großstadt Berlin, ist seine zweite Protagonistin. Die Straßenbahnlinie 177, das Café Josty an der Kaiserallee, Schumannstraße 15, Taxis und Telefone, Leuchtreklame und Litfasssäulen bilden die Kulisse, worin die Detektive sich in modernen Transportmitteln bewegen und mit modernen Kommunikationsmitteln, noch dazu im Kinderjargon, verständigen“.[37]

 

Dann beginnt die eigentliche Geschichte. Im ersten Kapitel befindet sich Emil noch in seiner Heimatstadt Neustadt. Die Großstadt Berlin wird als Reiseziel Emils durch ein Gespräch von Frau Tischbein, ihrer Kundin Frau Bäckermeister Wirth und Emil eingeführt. Frau Wirth beneidet Emil, dass er nach Berlin reist, und erzählt von ihren eigenen Eindrücken. Sie schildert die Stadt als etwas Positives und vor allem als einen Ort, der Kinder gefällt. Frau Wirth war von ihrem Berlin-Besuch begeistert und will Emil ihren Enthusiasmus mitteilen. Durch ihre Darstellung versucht sie, dem Jungen jegliche Ängste gegenüber der ihm unbekannten Stadt zu nehmen, und macht ihm Mut diese zu erkunden. Ihr neidvoller Tonfall und die aufregende Beschreibung lassen Berlin als Reiseziel günstig erscheinen.

 

„Berlin wird ihm sicher gefallen. Das ist was für Kinder. Wir waren vor anderthalb Jahren mit dem Kegelklub drüben. So ein Rummel! Da gibt es doch wirklich Straßen, die nachts genau so hell sind wie am Tage. Und die Autos![38]

 

Diese Aussage von Frau Wirth verdeutlicht den Unterschied zwischen Neustadt als Provinz und Berlin als Großstadt. In Neustadt gibt es keine Straßen die nachts hell sind, und auch der Verkehr ist viel ruhiger, die Pferdebahn als öffentliches Verkehrsmittel ist hier ein Fortbewegungsmittel.

 

„Also, die Pferdebahn ist, zunächst mal ein tolles Ding. […] wie eine richtige erwachsene Straßenbahn und hat auch ähnliche Wagen, aber es ist eben doch nur ein Droschkengaul vorgepannt.“[39]

 

Emils Mutter unterstützt dieses Problem der Provinzler, sich mit der Großstadt zu positionieren, indem sie vor der Abreise zu Emil sagt: „Grüße sie alle schön von mir. Und paß gut auf. In Berlin geht es anders zu als bei uns in Neustadt“[40].

 

Das Verhalten von Emils Mutter vor seiner Abreise verdeutlicht, dass es ihr zwar recht ist, dass Emil alleine nach Berlin fährt, sie aber dennoch Angst um ihren Jungen hat. Sie weiß, wie es in Berlin zugeht, nämlich anders und will, dass ihr Sohn alles richtig macht und sich benimmt.

 

Im Zug nach Berlin lernt Emil verschiedene Menschen in seinem Abteil kennen. Herr Grundeis, der sich später als Dieb herausstellt, stellt dem Provinzler Emil die Stadt Berlin mit surrealen Zügen folgendermaßen vor.

 

„In Berlin gibt es neuerdings Häuser, die sind hundert Stockwerke hoch, und die Dächer hat man am Himmel festbinden müssen, damit sie nicht fortwehen. Und wenn es jemand eilig hat, so packt man ihn auf dem Postamt rasch in eine Kiste und schießt sie, wie ein Rohrpostbrief, zu dem Viertel, wo der Betreffende hinmöchte […] Und wenn man kein Geld hat, geht man auf die Bank und lässt sein Gehirn als Pfand dort, und dann kriegt man tausend Mark“. [41]

 

Emil gibt zu, Berlin nicht zu kennen. Herr Grundeis nutzt dieses Wissen um Emil unwahre und vollkommen übertriebene Geschichten über die Stadt zu erzählen. Er sieht in Emil ein Kind, das alles glaubt was man ihm erzählt. Seine Beschreibung der Stadt unterstützt seine Figurendarstellung im Buch. Menschen, die Kindern solche Geschichten erzählen können nur zu den bösen Charakteren eines Romans gehören. Diese Stadtbeschreibung steht im Gegensatz zu der von Frau Wirth, die die Stadt positiv und herzlich beschreibt. Die Beschreibung von Herrn Grundeis wirkt vollkommen beängstigend. Der gescheite Junge lässt sich aber nicht von Herrn Grundeis einschüchtern, ganz im Gegenteil.„Ein Mann, der Schokolade verteilt und verrückte Geschichten erzählt, ist nichts Genaues.“[42]

 

Kästner beschreibt zunächst einmal die Vorstellungen, die Emils von Berlin hat, bevor er dort ankommt.

 

„Bevor Emil am Bahnhof aussteigt, um in der unbekannten Großstadt den Dieb seines kleinen Vermögens zu verfolgen, hat er bereits einiges über die Großstadt erfahren. So wird ihm Berlin als Rummelplatz vorgestellt oder auch als Angstbild entworfen.“[43] 

 

Kästner beharrt auf das Prinzip der Verräumlichung. Ziel von Emils Reise ist das sozial durchwachsene Zentrum Berlins, der Bahnhof Friedrichsstraße.

 

Aufgrund der Verfolgung des  Diebes steigt er an der falschen Haltestelle aus und findet sich im reichen Westen der Stadt wieder. Emil macht sich zunächst keine Gedanken darüber, dass er falsch aussteigt, ihm ist die Größe der Stadt auch nicht bewusst.  Er nimmt die Verfolgungsjagd auf und fährt mit der Straßenbahnlinie 177, um dem Dieb folgen zu können. Zuvor hatte er noch gar keine Zeit, irgendwelche Eindrücke von Berlin zu bekommen. Erst während der Fahrt kommt Emil zum ersten Mal dazu, sich die Stadt genauer an zu sehen.

 

„Diese Autos! Sie drängten sich hastig an der Straßenbahn vorbei; hupten, quiekten, streckten rote Zeiger links und rechts heraus, bogen um Ecken; andere Autos schoben sich nach. So ein Krach! Und die vielen Menschen auf den Fußsteigen! Und von allen Seiten Straßenbahnen, Fuhrwerke, zweistöckige Autobusse! Zeitungsverkäufer an allen Ecken. Wunderbare Schaufenster mit Blumen, Früchten, Büchern, goldenen Uhren, Kleidern und seidener Wäsche. Und hohe, hohe Häuser. Das war also Berlin.“[44]

 

Die Eindrücke werden von Emil zunächst als positiv aufgenommen, besonders auffällig ist die Verwendung der vielen positiven anschaulichen Adjektive.

 

Die große Stadt ist geprägt von Undurchsichtigkeit und Indifferenz. Emils Weg, heraus aus der Provinz und hinein in die Stadt, verlangt von dem Jungen einen Umgang mit dem ständigen Wechsel und Wandel der Großstadt, im Gegensatz zu dem geruhsameren Leben in Neustadt, der Provinz.

 

„Entscheidend scheint, daß Kästner die Großstadt und ihre Wahrnehmungsweisen mit dem Kinofilm in Verbindung gebracht hat. Die Bilderflut, der Dynamik, dem steten Wechsel und Wandel in der großen Stadt muß anders begegnet werden als dem geruhsameren Strömen des Lebens in der Provinz.“[45]

 

Dieses „Chaos“ der Stadt ist genau die richtige Umgebung für einen flüchtigen Dieb. Ihm ist es möglich, in dem Großstadtgetümmel unerkannt zu bleiben. Er nutzt die...

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