Der traditionelle Ablauf des Schlachtens
Früher hat man vom Schwein bis auf das Quieken alles gegessen.
Früher wurde ein Schlachttermin bereits weit im Vorfeld festgelegt. Oftmals orientierte man sich dabei an den christlichen Feiertagen: Totensonntag, Volkstrauertag oder Buß- und Bettag waren ohnehin tabu und am 3. November war Hubertus-Jagd. Ab Februar ist es eigentlich schon fast zu spät, weil dann die Schinken und Mettwürste nicht mehr rechtzeitig zur Spargelsaison fertig werden, und im Sommer ist es dann zu warm. Eigentlich schlachtete man nur in den Monaten mit „r”. Der Hausschlachter organisierte die Termine und die einzelnen Familien bekamen immer den gleichen Tag. Um diese Termine gruppierten sich auch die anderen Veranstaltungen, wie die winterliche Treibjagd, die Versammlung der Zuckerrüben-Aktionäre, die Generalversammlung der Viehversicherung auf Gegenseitigkeit oder die Weihnachtsfeier der Freiwilligen Feuerwehr. Da konnte man sich nicht einfach einen Termin ausdenken, das hätte das fein austarierte Termingefüge des ganzen Dorfes durcheinander gebracht.
Da nicht jeder Haushalt über die notwendigen Utensilien und Werkzeuge verfügte, konnten auch nicht zwei Familien gleichzeitig schlachten, abgesehen davon, dass es auch nur einen Hausschlachter gab, dessen Wurst man natürlich am liebsten aß. Die Werkzeuge wurden vom einen zum anderen weitergegeben. Rechtzeitig vorher wurden die notwendigen Verbrauchsmaterialien beschafft: Wurstbänder, Därme, Dosendeckel, Einweckringe, Salz, Gewürze, Zwiebeln, Reinigungsmittel, Räuchermehl, Schnaps, Scheuerpulver, etc. Die Kinder mussten vom Kolonialwarenhändler „Pfeffer für einen Groschen“ holen, auf einem Teller, der mit einem Suppenteller zugedeckt wurde, damit kein Windstoß den Pfeffer wegblies. An den Tagen vor dem anberaumten Termin wurden die Dosen abgeschnitten und für die neue Befüllung vorbereitet, Feuerholz bereitgelegt, die Mollen und Wannen geschrubbt. Am Tag vor dem Schlachttag wurden die Zwiebeln geschält und vorgekocht, ein Kuchen für das Frühstück gebacken und noch mal alles überprüft. Am Schlachttag war keine Zeit, irgendetwas zu suchen oder Holz zu hacken.
Ein wichtiger Bestandteil des Schlachttages war der Schnaps. Manchmal kann man den Eindruck gewinnen, Alkoholismus gehörte früher bei Hausschlachtern noch zum guten Ton. Aber wenn man die eher karge Lebensführung und den einfachen Speiseplan der bäuerlichen Bevölkerung bedenkt, dann gehört ein Schnaps mehr als sonst zu einem fetten Essen einfach dazu. Es ist ja schließlich kein Schlacht-„Arbeitstreffen”, sondern ein Schlacht-„Fest”. Nach wochenlangen Entbehrungen und fleischarmen Gerichten mal so richtig aus den Vollen zu schöpfen, das war wirklich ein Fest. Dass das bei so manchem Hausschlachter, der diese Veranstaltung ja im Winter drei- oder viermal in der Woche, manchmal auch noch öfter, mitmachte, gerne mal außer Kontrolle geriet, muss hier nicht weiter erwähnt werden.
Pieter Brueghel der Jüngere, „Schweineschlachten“
(Allegorie des Herbstes), nach 1616.
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Steht das Schwein noch in seinem Koben,
wird erstmal einer gehoben.
Wenn das Schwein ums Eckchen lugt,
wird erstmal einer aufgehuckt.
Ist erst mal der Strick am Bein,
schenkt man schon den nächsten ein.
Ist das Schwein geschossen,
wird einer eingegossen.
Ist die Sau trotzdem am Leben,
kann man dennoch einen heben.
Liegt das Schwein dann tot am Boden,
wird der nächste schon gehoben.
Wenn die Sau im Troge ruht,
tut auch schon der nächste gut.
Und auch dann beim Haaren,
soll man mit Schnaps nicht sparen.
Ist das Schweinchen hakenrein,
muß erst mal getrunken sein.
Wenn das Schwein am Haken hängt,
wird erst mal einer eingeschenkt.
Wird das Kesselfleisch geschnitten,
haben die Schnäpse schon gelitten.
Nach dem fetten Fleischgenuss
braucht man Schnaps, sonst gibts Verdruss.
Der Kessel dampft, die Wurst ist gar,
da schmeckt ein Schnaps ganz wunderbar.
Zum Nachtisch trinkt man gern den Rest,
der noch übrig ist vom Fest.
Eigentlich sind wir ja nicht abergläubisch, aber nach jedem siebten Ring Mettwurst soll man einen Schnaps trinken, sonst wird die Wurst schlecht.
Das eigene Schwein
Viele Familien hatten nach dem Krieg ein oder zwei Schweine im Stall hinter ihrem Haus, andere ließen sich ein Schwein vom Landwirt vor Ort mästen. Heutzutage beschränkt sich das „Schlachten“ auf den Kauf von Schweinehälften, denn kaum jemand hält noch selbst Schweine oder hat die (rechtliche) Möglichkeit, auf dem eigenen Hof zu schlachten, also das Tier selbst zu töten.
Am Tag vor dem Schlachttag bekommt das Schwein nur noch Milch oder Wasser, damit sich die Därme leichter reinigen lassen. Am Morgen kommt dann der Schlachter und das Schwein wird aus dem Stall geführt. Dann bekommt es um den linken Hinterlauf ein Seil gelegt, das dafür sorgt, dass das Schwein nach dem Schuss auf die rechte Seite fällt und nicht bis nach vorne in die Blutschüssel schlagen kann. Dazu muss ein Helfer das Seil stramm halten und das Bein nach hinten ziehen. Die Schläge mit dem Hinterlauf sind äußerst gefährlich und daher ist es wichtig, hier nicht den schwächsten Helfer auszuwählen. Es kann auch hilfreich sein, den Strick durch einen Ring am Boden zu führen.
In vielen alten Bauernhäusern gibt es einen Ring im Hof, von dem heute niemand mehr weiß, wofür er nütze ist – ganz einfach: Um das Schwein beim Schlachten mit dem Hinterlauf festzubinden.
Wenn das Schwein
am fettesten ist,
hat es den Metzger
am meisten zu fürchten.
(Abraham a Santa Clara )
Ein kluger Mann verehrt das Schwein,
er denkt an dessen Zweck,
von außen ist es ja nicht fein,
doch drinnen sitzt der Speck
(Wilhelm Busch)
Morgen kann unser Fritz nicht zur Schule kommen,
die Sau wird geschlachtet!
(Entschuldigungsschreiben der Eltern für den Sohn in der Schule)
Scherz und Schabernack
Die Kinder wurden beim Schlachttag auch gerne mal reingelegt. Beliebt waren völlig sinnlose Aufgaben, wie den Magen auszutreten. Dabei sollten die Kinder den Schweinemagen im Schnee sauber austreten. Sie sprangen dann lange Zeit auf dem Magen herum, nur um jedes Mal zu hören, dass sie es noch nicht richtig gemacht hatten und der Magen noch weiter ausgetreten werden müsse. Irgendwann war es dann in Ordnung, was meist mit den Worten quittiert wurde: „Das reicht, schmeiß den Magen auf den Mist, den brauchen wir eh nicht“.
Die Kinder, die schon einmal einen Magen ausgetreten hatten, konnten mit so etwas natürlich nicht mehr beschäftigt werden. Sie wurden daher gerne zum Nachbarn geschickt, um wichtige Maschinen zu holen. Beliebt waren beispielsweise der „Kümmelspalter“, „Speckhobel“ oder die „Sülzenpresse“. Werkzeuge, die nur in der Fantasie existieren, aber für den weiteren Fortgang des Schlachttages als existentiell wichtig dargestellt wurden. So kamen die Kinder also zum ersten Nachbarn, der den „Kümmelspalter“ leider gerade verliehen, aber noch nicht zurückerhalten hatte. Und wie es der Zufall so will, lag der natürlich gerade auf dem Hof, der am weitesten entfernt war. So wurden die Kinder durch das Dorf geschickt und irgendwo bekamen sie dann eine große Kiste oder einen schweren Sack, gefüllt mit Metallschrott, der schön schwer und unförmig und möglichst schlecht zu tragen war. Wenn die Kinder dann mit dem Sack ankamen, wurde unter dem allgemeinen Gelächter der Sack geöffnet: „Die haben Euch ganz schön angeschmiert, das ist ja gar kein Kümmelspalter. Na ja, dann nehmen wir den Kümmel eben ganz!“
Beim Blutwurstmachen musste beim Rühren immer ein Kind die Schlachtmolle halten, aber weniger damit sich die Molle nicht...