Globalisierung ist seit etwa 20 Jahren ein zentraler Begriff in der wissenschaftlichen und politischen Diskussion, der grundlegende strukturelle Veränderungen in der Welt reflektiert. Trotz der umfangreichen Literatur zu diesem Thema existiert bislang keine einheitliche und konsensfähige Begriffsdefinition, doch kann als gemeinsamer Ausgangspunkt unterschiedlich akzentuierter Definitionsansätze die zu beobachtende Ausdehnung, Verdichtung, Stabilisierung und Beschleunigung grenzüberschreitender gesellschaftlicher Trans- und Interaktionen betrachtet werden, die in räumlicher sowie zeitlicher Hinsicht nationale Gesellschaften zunehmend miteinander verkoppeln. Vorangetrieben wird der dynamische Prozess der Globalisierung durch Innovationen im Bereich der Verkehrs-, Informations- und Kommunikationstechnologien, zunehmende Liberalisierungstendenzen im Güter- und Kapitalverkehr sowie durch Akteure, die auf dem globalen Markt unter Wettbewerbsdruck agieren (Beck 1999: 31f, Rüland 2002d: 175, Müller 2002: 8f, Mols 2003: 11). Der mit dem Ende des Ost- West Konfliktes einhergehende Zerfall der bipolaren Weltordnung ermöglichte in den ehemals sozialistischen Ländern ebenso wie in zahlreichen Entwicklungsländern marktwirtschaftliche und rechtstaatliche Reformen im Sinne neoliberaler Konzepte und hat so die Intensivierung transnationaler Aktivitäten entscheidend begünstigt.
Zwar sind transnationale Verflechtungen, insbesondere im ökonomischen Bereich, keine grundlegend neue Erscheinung. Dennoch hat die gegenwärtige Globalisierungstendenz eine neue Qualität, da die Ausweitung des globalen Marktes politische, soziale, kulturelle sowie ökologische Prozesse und Herausforderungen zur Folge hat, deren Tempo und Reichweite zuvor unbekannt waren. Als Indizien für Transnationalisierungstendenzen, die eine Entgrenzung von sozialen Räumen und Herausforderungen mit sich bringen, können etwa die Zunahme global organisierter und agierender Nichtregierungsorganisationen, der globale Klimawandel und der internationale Terrorismus gelten.
Aufgrund des transnationalen Globalisierungsprozesses verlieren die Nationalstaaten zunehmend ihre Regelungs- und Steuerungskompetenzen, die demokratische Legitimation staatlichen Handelns wird erschwert und der traditionelle Souveränitätsbegriff als Resultat der staatskonstituierenden Eigenschaften Staatsgebiet, Staatsvolk und Staatsgewalt bedarf einer neuen Definition, da die Territorialität als Kriterium für Staatlichkeit an Bedeutung verliert. Angesichts dieser Tendenzen entsteht auf nationalstaatlicher Ebene ein Anpassungsdruck auf bewährte politische Institutionen sowie Aktions- und Interaktionsformen (Zürn 1998).
Wie an diesen Ausführungen deutlich wird, ist auch das System internationaler Beziehungen seit dem Ende der bipolaren Weltordnung im Umbruch begriffen. Die politikwissenschaftliche Debatte um eine neue Weltordnung wird seit dem Ende des Ost- West Konfliktes geführt und es bestehen in Abhängigkeit von der theoretischen Blickrichtung sehr unterschiedliche Auffassungen bezüglich der gegenwärtigen und zukünftigen Gestalt einer internationalen Ordnung, die Chancen ebenso wie Risiken der Globalisierung reflektieren (Menzel 1998). Ausgesprochen optimistisch war zu Beginn der 1990er Jahre die Einschätzung des Liberalen Francis Fukuyama, der das Ende des Ost- West Konfliktes als Beginn eines Siegeszuges des liberal- demokratischen Ordnungsmodells betrachtete und ein Zeitalter des Friedens heraufziehen sah (Fukuyama 1992). Dem Realismus verbundene Autoren hingegen blickten etwa zur selben Zeit pessimistisch in die Zukunft und beobachteten neue Fragmentierungs- und Differenzierungstendenzen in den internationalen Beziehungen. Der wohl populärste Vertreter dieser Auffassung ist Samuel Huntington, der bereits in naher Zukunft ein Aufeinanderprallen unterschiedlicher Kulturkreise dieser Erde prophezeite (Huntington 1993, Link 1998: 20ff, Menzel 1998: 12).
Die jüngsten Entwicklungen in der Weltpolitik seit den Terroranschlägen des 11. September 2001 in den Vereinigten Staaten von Amerika scheinen das realistische Weltbild zunächst zu bestätigen, da in der internationalen Politik Aspekte der Macht und der Sicherheit als vorrangig gegenüber Wohlstand und demokratischer Ordnung erscheinen. Neoliberale Institutionalisten halten dennoch an der Auffassung fest, dass die gegenwärtige globale Ordnung zwar tendenziell, insbesondere aufgrund der militärischen Dominanz der USA, durch Unipolarität gekennzeichnet sei, sich jedoch auf längere Frist aufgrund der Auswirkungen von Globalisierungsprozessen eine multipolare Ordnung herausbilden wird, in der sich eine multilaterale Kooperationskultur entfalten kann. Die Zunahme internationaler Institutionen und Regelungsmechanismen als Reaktion auf grenzüberschreitende, allein durch internationale Kooperation einzudämmende Probleme gilt aus dem Blickrickwinkel dieser Denkschule als Teil eines Prozesses, in dessen Verlauf sich Strukturen eines vielschichtigen, horizontal und vertikal ausdifferenzierten Global Governance- Systems etablieren werden (Messner/Nuscheler 2003).
Der etwa seit Mitte der 1980er Jahren zu beobachtende Neue Regionalismus gilt als Antwort der Nationalstaaten auf die Herausforderungen der wirtschaftlichen Globalisierung (Wyatt-Walter 1995, Schirm 1997, 1999). In der wirtschafts- und politikwissenschaftlichen Diskussion stieg im Verlaufe der vergangenen Dekade die Zustimmung zu der Ansicht, dass Globalisierung und Regionalisierung eher symbiotische oder komplementäre als entgegengesetzte Prozesse seien, wenngleich die Debatte über diese Frage bis in die Gegenwart andauert. Das Phänomen des Neuen Regionalismus äußerte sich in der Europäischen Gemeinschaft durch eine Vertiefung der Kooperation als Folge der Einheitlichen Europäischen Akte (1987) und weltweit in einer signifikanten Zunahme regionaler Kooperationsbündnisse, deren langfristige Zielsetzung eine Eingliederung in den Weltmarkt ist. Dies zeugt von Regelungsdefiziten zwischen der nationalstaatlichen und der global- multilateralen Ebene des internationalen Systems, weshalb der Neue Regionalismus nach Ansicht zahlreicher Autoren zu einem zentralen Bestandteil eines Systems kooperativer globaler Steuerung werden könnte, das eine politische Gestaltung wirtschaftlicher Globalisierungsprozesse ermöglicht (Schirm 1997, 1999, Messner/Nuscheler 2003). Als Derivat des Neuen Regionalismus ist etwa seit den 1990er Jahren, basierend auf Konzepten eines „offenen Regionalismus“, ein dichtes Netz von interregionalen Beziehungen entstanden, in dem regionale Zusammenschlüsse als kollektive Akteure in den internationalen Beziehungen kooperieren. Ebenso wie der Neue Regionalismus gelten interregionale Beziehungen als eine neue Interaktionsebene in den internationalen Beziehungen und als potentiell wichtiger Bestandteil von Global Governance (Rüland 2002a, 2002b, Dent 2004: 229).
In der vorliegenden Arbeit werden die interregionalen Beziehungen zwischen der Europäischen Union (EU) und dem Mercado Común del Sur (Mercosur[1]) untersucht. Interregionale Beziehungen sind ein recht junges Phänomen in den internationalen Beziehungen und daher ein neues politikwissenschaftliches Forschungsfeld (Rüland 2002c, Bersick 2004: 22f). Seit Ende der 1990er Jahre ist in der Politikwissenschaft jedoch ein zunehmendes Interesse an interregionalen Beziehungen zu beobachten, wobei insbesondere in Forschungsarbeiten zum Asia-Europe Meeting (ASEM[2]) das Bemühen deutlich wird, dieses Forschungsgebiet systematisch und theoretisch zu erfassen. Zum einen wurde in diesen Arbeiten die Erklärungskraft unterschiedlicher theoretischer Ansätze in den Internationalen Beziehungen überprüft. Außerdem gingen einige Autoren auf die Frage ein, inwieweit interregionale Beziehungen einen Beitrag zu Global Governance leisten bzw. zukünftig leisten könnten (Hänggi 2000, Rüland 2001, 2002a, 2002b, Yeo 2002, Gilson 2002, Bersick 2004, Dent 2004). Derartige Analysen der interregionalen Beziehungen zwischen der EU und dem Mercosur existieren bisher kaum, wenngleich diese bereits Untersuchungsgegenstand zahlreicher politikwissenschaftlicher Arbeiten waren[3].
Das Erkenntnissinteresse dieser Arbeit gilt zunächst in einem theorieüberprüfenden Arbeitsschritt der Frage, wieweit die Erklärungskraft theoretischer Erkenntnisse zu internationaler und interregionaler Kooperation im Falle der Beziehungen zwischen der EU und dem Mercosur reicht. Im Anschluss an die Beantwortung dieser Frage soll die übergeordnete Fragestellung beantwortet werden, ob die interregionalen Beziehungen zwischen der EU und dem Mercosur eine Kooperation auf global- multilateraler Ebene erleichtern und daher als Element eines subsidiären Global Governance- Systems bezeichnet werden können und/oder inwieweit sie das Potential hierzu besitzen.
Neben dieser Einleitung besteht die vorliegende Arbeit aus drei weiteren Teilen. Im zweiten Teil der Arbeit wird, nachdem die für das Erkenntnisinteresse notwendigen Begriffe geklärt und definiert worden sind, ein Konzept von Global Governance erstellt (II.1). Im Anschluss daran erfolgt die Errichtung eines analytischen Rahmens für die Fallstudie der interregionalen Beziehungen zwischen der EU und dem...