Studienarbeit aus dem Jahr 2002 im Fachbereich Geschichte - Sonstiges, Note: sehr gut, Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover (Historisches Seminar), Veranstaltung: Anstalten, Heime und Asyle: Geschlossene Einrichtungen im 19. Jahrhundert, Sprache: Deutsch, Abstract: In dieser Arbeit werden die Inhalte der Irrenreform in Preußen im 19. Jahrhundert aufgezeigt. Ferner wird danach gefragt, welche gesellschaftlichen Gruppen diesen Reformprozess in Gang gebracht haben, gegen welche Widerstände und mit welchen Motiven. Außerdem wird der Frage nachgegangen, welche gesellschaftlichen Veränderungen zu einem anderen Umgang mit 'Irren' beigetragen haben.
Während im 18. Jahrhundert letztlich kaum ein Unterschied in der Behandlung und Unterbringung von als irre und wahnsinnig geltenden Personen zu anderen Randgruppen gemacht wurde, änderte sich dieses im 19. Jahrhundert. Diese Veränderungen weisen sowohl auf Wandlungen der Normen und des Menschenbildes der Gesellschaft als auch allgemein auf eine zunehmende gesellschaftliche Komplexität bzw. Differenzierung hin.
In der einschlägigen Literatur zu diesem Thema gibt es verschiedene Positionen, die im Widerstreit miteinander liegen. Eine allgemeine Kritik der neueren Forschungen bemängelt den Fokus der älteren, welche die gesamtgesellschaftliche Tragweite reduzierten und nicht kritisch genug an das Thema herangingen. In der Kritik stehen dabei medizinhistorische Ansätze und die Psychiatrie-Geschichtsschreibung. Die sozialgeschichtliche Aufarbeitung dieses Themas betont den gesamtgesellschaftlichen Kontext, aus dem diese Prozesse nicht herauszulösen seien. Diese Perspektive wird durch die Tatsache bestärkt, dass Irrenreformen in dieser Zeit nicht ein spezifisches Phänomen in den deutschen Ländern darstellen, sondern alle 'westlichen' Länder betreffen. (Vgl. Blasius, S. 21ff.) Damit erweist sich das 'Irrenproblem' als Charakteristikum sich industrialisierender Länder - zeitliche Unterschiede in der Durchsetzung ähnlicher Reformen in den angehenden Industriegesellschaften sind somit durch zeitliche Unterschiede im Industrialisierungsprozess und der damit einhergehenden gesellschaftlichen Transformation begründet. (Vgl. Blasius, S. 23ff.) Ferner begründet sich durch den gesamtgesellschaftlichen Kontext eine mentalitätsgeschichtliche Herangehensweise an die Thematik. Die zentrale gesellschaftliche Bedeutung der Irrenfrage - trotz der Marginalität der Anzahl der Irren im Vergleich mit den Armen - spiegelt sich auch in der Frage, warum '...die Irrengesetzgebung allen anderen Fürsorgemaßnahmen um fünfzig Jahre vorauslief und sie an Systematizität übertraf?' ( Blasius, S. 23)
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