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Die Kraft der inneren Bilder nutzen

Seelische und körperliche Gesundheit durch Imagination

AutorMartin Tzschaschel, Thomas Kretschmar
VerlagSüdwest
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl232 Seiten
ISBN9783641118105
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis18,99 EUR
Die Macht der Imagination
Mit inneren Vorstellungsbildern lässt sich nicht nur eine Leistungssteigerung im Sport oder Beruf erzielen, sie werden auch sehr erfolgreich bei der Behandlung von seelischen Störungen eingesetzt und sogar schwere Krankheiten wie Krebs können durch Imaginationen geheilt oder gelindert werden. Dieses Buch veranschaulicht verschiedene Methoden der imaginativen Psychotherapie, die Symbole und Bilder zur Beförderung des Heilungsprozesses nutzen. Zahlreiche Fallbeispiele zeigen, bei welchen Krankheiten diese Visualisierungsmethoden einsetzbar sind. Auf allgemeinverständlicher und unterhaltsamer Weise erklärt, erfährt der Leser hier mit hohem Nutzwert alles über diese neue Form der Psychotherapie.

Prof. Dr. Thomas Kretschmar, Jahrgang 1963, leitet das Mind Institute SE in Berlin. Methoden der imaginativen Psychotherapie setzt er nicht nur bei der Therapie seiner Patienten ein, sondern auch als Coach von Führungskräften und in der psychologischen Unternehmerberatung.

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Leseprobe

Teil I:
Die eindrucksvolle Kraft der Vorstellung


In diesem Teil erfahren Sie, welche Rolle innere Bilder in unserem Alltag spielen – zum Beispiel in Erinnerungen, nächtlichen Träumen und Tagträumen. Weitere Themen sind Visualisierungen, die sich gezielt im Sport und im Beruf einsetzen lassen, sowie die Wirkung von Suggestionen. Und die Frage: Woher kommen die inneren Bilder eigentlich?

Innere Bilder: unsere täglichen Begleiter


Was für ein ungewöhnlicher Abend. Die beiden befreundeten Paare sitzen gemeinsam im Restaurant, aber sie können nicht sehen, was sie essen. Es ist stockfinster. Diese weichen Klümpchen: Schmecken sie wie Karotten? Oder sind es Kartoffeln? „Nein, ich glaube, das sind weich gekochte Birnen“, ertönt eine Frauenstimme mit vollem Mund aus der Dunkelheit. Sie klingt unsicher.

Könnten die Anwesenden sehen, was auf ihren Tellern liegt, gäbe es keine Zweifel. Aber sie sind Gäste in einem Dunkelrestaurant. Und staunen, dass ihr Geschmacksempfinden sie so im Stich lässt.

Dieses Beispiel zeigt, wie dominant der Sehsinn ist: Rund 80 Prozent aller Informationen, die wir im Alltag aufnehmen, liefern uns die Augen. Ihre Nervenzellen vereinigen sich zum Sehnerv, und er leitet elektrische Impulse in den Hinterkopf. Dort herrscht ausgefeilte Arbeitsteilung – Formen, Farben, Helligkeit, Bewegungen und Abstände von Objekten haben im hinteren Bereich des Großhirns jeweils eine eigene „Abteilung“. Wenn alle Abteilungen harmonisch zusammenarbeiten, dann passiert das, was für uns so selbstverständlich ist, dass wir nur selten darüber nachdenken: Wir sehen.

Dabei ist es eigentlich ein Wunder, dass unser Gehirn aus Stromsignalen Bilder erzeugt. Wie komplex der Sehprozess ist, zeigen die Erfahrungen von Patienten, die von Geburt an blind waren und erst als Erwachsene am Sehnerv operiert wurden: Anstatt sich an überraschenden Eindrücken einer bisher unbekannten Welt zu erfreuen, nehmen sie anfangs nur verwirrende Formen und Farben wahr. Ihr Gehirn hat nicht gelernt, die eintreffenden Impulse der Nervenzellen zu entziffern.

Nur wer beizeiten die bunte Vielfalt einer äußeren Umgebung kennengelernt hat, kann auch innere Bilder erleben. Bilder, wie sie jeder sehende Mensch im Kopf hat und die sofort auftauchen, wenn man einen einfachen Begriff wie „Hochzeitskleid“ oder „Elefant“ hört. Bei einem solchen Wort keine optische Vorstellung zu haben, ist kaum möglich: Wir sind jederzeit für visuelle Eindrücke empfänglich.

Eine besondere Faszination üben jene inneren Bilder auf uns aus, die wir mit Attraktivität, Anmut und Schönheit verbinden. Die promovierte US-Psychologin Nancy Etcoff schrieb 2001 in ihrem Buch „Nur die Schönsten überleben“: „Selbst wenn wir jede Ausgabe von Vogue, High Society und den anderen großen Modezeitschriften und jedes Foto von Kate Moss, Naomi Campbell und Cindy Crawford ins Feuer werfen würden – in unseren Köpfen würden nach wie vor die Bilder jugendlicher, perfekter Körper Gestalt annehmen und in uns den Wunsch erwecken, ebenso gut auszusehen. Niemand ist dagegen gefeit.“ Die Namen der Models und der Magazine sind vergänglich. Aber der Wunsch, einem attraktiven Vorbild zu ähneln, von dem man ein Bild im Kopf hat, ist zeitlos.

Sogar dann, wenn wir nur hören und nicht sehen, sind innere Bilder für uns wichtig. Will uns ein Redner für sich gewinnen, muss er anschaulich und bildhaft sprechen; sonst erreicht er uns nicht, und wir können uns kein Bild machen von dem, was er sagt. Mancher hat ein ideales Selbstbild von sich und bildet sich ein, anderen ein Vorbild an Tugend und Toleranz zu sein. Obwohl er womöglich ein festgelegtes Weltbild im Kopf hat, zu dem ein ausgeprägtes Feindbild gehört. Vielleicht folgt er aber auch einem ganz anderen Leitbild. Ganz ohne innere Bilder lebt jedenfalls niemand. Was man auch daran sieht, dass unsere Sprache von bildhaften Wörtern durchdrungen ist.

Ohne innere Bilder würde die Welt stillstehen und verkümmern. Denn praktisch jede neue Idee, jede Erfindung, jede Entdeckung existiert zunächst als bildhafte Vorstellung. Als Kolumbus einen neuen Kontinent entdeckte, verortete er ihn entsprechend dem Bild, das er sich von der Erde und von seinem Reiseziel Indien gemacht hatte. Als der erste Motor gebaut wurde, hatte sein Konstrukteur das Bild eines Kolbens im Kopf, der sich im Zylinder bewegt.

Abseits der großen Entdeckungen und Erfindungen haben wir alle unsere kleinen, alltäglichen Bilder im Kopf, unsere Fantasien, Wünsche und Vorstellungen. Innere Bilder können in uns lebendig werden und unseren Horizont erweitern. Sie können ihn aber auch einengen. Zum Beispiel bei der Partnerwahl.

Oft haben wir ein ganz bestimmtes Bild von unserem zukünftigen Partner im Kopf – er soll zum Beispiel nicht nur ehrlich, humorvoll und treu sein, sondern auch bestimmte äußere Merkmale erfüllen, Katzen lieben und denselben Musikgeschmack haben wie wir selbst. „Verständnis wird aber erst möglich, wenn ich mich von den Bildern verabschiede, die sich in mir festgesetzt haben und mit denen ich den Partner oder die Partnerin immer wieder festnagele“, warnt der Lebensberater und christliche Autor Anselm Grün.

Für Katharina M. stand schon als Studentin fest: Der Mann, den sie einmal lieben und heiraten würde, könnte groß oder klein sein, dick oder dünn, aber eines würde er ganz sicher nicht haben – einen Bart. Während eines Praktikums lernte sie dann einen etwa gleichaltrigen Kollegen kennen, mit dem sie häufiger ins Gespräch kam. Sie fand ihn sympathisch, aber sexuell interessierte er sie „null“, weil er Bartträger war. Bis die beiden eines Tages von ihrem gemeinsamen Chef zu einer Veranstaltung geschickt wurden, wo sie viel Zeit miteinander verbrachten und sich näher kennenlernten. „Auf einmal hat es bei mir gefunkt“, erinnert sich Katharina. Die beiden wurden ein Paar. „Und heute liebe ich seinen Bart genauso wie alles andere an ihm.“

Innere Bilder können eine unglaublich große Macht ausüben – im Guten wie im Schlechten: Sie können Sportlern helfen, Siege zu erringen, sie können seelische Verspannungen lösen, Verletzungen und sogar schwere Krankheiten heilen – aber sie können solche Verletzungen auch erzeugen und mit ihrer Beständigkeit ein ganzes Leben negativ beeinflussen.

Ein einziger Satz wie „Du warst schon als Baby nicht gewollt“, von Mutter oder Vater geäußert, kann sich tief in der Seele des Angesprochenen verankern und ein zerstörerisches Selbstbild erzeugen – das Selbstbild eines Menschen, der sich zeitlebens wertlos fühlt. Es gibt beruflich äußerst erfolgreiche Frauen und Männer, die mit ihrem Fachwissen bei anderen viel Anerkennung erworben haben, sich in ihrem Innersten aber für minderwertig halten und immer wieder von Selbstzweifeln geplagt werden.

Negative Bilder wieder loszuwerden, die sich in der Seele eingenistet haben, ist schwer. Wie es mithilfe positiver Gegenbilder gelingen kann, darum geht es im zweiten und dritten Teil dieses Buches.

Erinnerungen: Gefühle machen Bilder haltbar


Obwohl wir „Augenmenschen“ sind und unsere Umgebung vor allem visuell erfassen, sind es nicht Bilder, die in unserem Gedächtnis die haltbarsten Spuren hinterlassen. Erinnerungen an Gerüche sind weitaus stabiler, sie können sogar bis in die früheste Kindheit zurückreichen.

Der Grund hierfür: Der für das Riechen zuständige Bereich des Gehirns ist entwicklungsgeschichtlich sehr alt. Er gehört zum tief im Kopf liegenden limbischen System, in dem auch elementare Gefühle wie Angst und Lust ihren Ursprung haben. Gerüche sind deshalb fast immer mit einem Gefühl verbunden. Wir empfinden sie als angenehm, eklig, betörend, abstoßend oder reizvoll – aber gleichgültig sind sie uns nur selten.

Für optische Eindrücke gilt das nicht. Der Anblick einer leeren Seite in einem Notizblock erregt weder besondere Aufmerksamkeit noch stört er. Was wir sehen, empfinden wir häufig als neutral, weil unser Sehzentrum im entwicklungsgeschichtlich jungen Großhirn sitzt. Nah am Verstand, nicht zwangsläufig an Gefühle gekoppelt.

Sobald aber das, was wir sehen, unsere Aufmerksamkeit erregt, sobald es uns bewegt, bleiben uns die optischen Eindrücke, ähnlich wie Gerüche, lange im Gedächtnis. Viele Menschen wissen noch heute genau, wo sie am 11. September 2001 waren – als sie vom Crash der zwei entführten Flugzeuge ins New Yorker World Trade Center erfuhren. Wer die Bilder des Terroranschlags im Fernsehen erlebt hat, erinnert sich noch immer daran, wo er sich damals befand. Das von starken Gefühlen wie Angst oder Fassungslosigkeit begleitete Geschehen ist als inneres Bild fest in der Erinnerung gespeichert.

Der Wirkungsgrad einer Vorstellung „beruht auf der Intensität der Emotion und der Bildqualität“, hat der Arzt und Psychotherapeut Bernt Hoffmann festgestellt, der viele Jahre als Lehrer für autogenes Training arbeitete. Wie lebendig innere Bilder werden können, wenn Einbildungskraft und Emotion nur eng genug miteinander verbunden sind, zeigt das Beispiel des Schriftstellers Gustave Flaubert (1821–1880). Als er seinen Welterfolg „Madame Bovary“ schrieb, beobachtete er an sich selbst: „Die Gedanken meiner Einbildungskraft verfolgen mich, oder vielmehr, ich bin es, der in ihnen lebt. Als ich beschrieb, wie Emma Bovary vergiftet wird, hatte ich selbst einen deutlichen Arsenik-Geschmack im Munde, war ich selbst richtig vergiftet.“ Die Folge: „Ich habe mein ganzes Diner wieder von mir gebrochen.“

Archetypen: Bilder, die allen Menschen gemeinsam...


Blick ins Buch

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