DIE VIER TIERE UND ASSOZIATIONEN
In allen Kulturen werden Kompetenzen und Qualitäten bestimmter Tiere vom Menschen nachgeahmt, um sich mit ihrer Kraft zu verbinden. Naturvölker hatten ihre Kraft- und Totemtiere. Auch in Fabeln und Erzählungen werden Tiere mit grundlegenden menschlichen Eigenschaften verknüpft.
Die vier Tierbilder, die im Qigong Dancing zur Anwendung kommen, stehen für grundsätzliche Qualitäten wie Erdung, Aufrichtung, Präsenz und Beweglichkeit.
Es werden zusätzlich verschiedene Themen aus anderen Wissensbereichen vorgestellt, die inhaltlich zur jeweiligen Qualität der Tierbilder passen. Die Ausführungen zu diesen grundsätzlichen Lebensthemen haben Allgemeingültigkeit. In der Zuordnung möchte ich jedoch gedankliche Schwerpunkte setzen.
DER BÄR
Der Bär symbolisiert die Verbindung zur Erde. Über ihn erfahren wir Erdung und Standfestigkeit, Ruhe und Entspannung. Wir können uns der Erde anvertrauen, um daraus Kraft zu schöpfen.
Bärenübungen stärken das eigene Zentrum sowie die Bewegung und das Handeln aus der Mitte. Wir lernen durch das Bärenbild mit beiden Beinen im Leben zu stehen und uns immer wieder zu stabilisieren. Geborgenheit und eine innere Heimat in sich zu finden, sind in Krisenzeiten gute Anker.
Der Bär symbolisiert Kraft. Er ist dickfellig und schwer zu beeinflussen. Erachtet er es als notwendig, holt er sich, was er braucht.
Der Mensch und der Bär haben eine besondere Beziehung zueinander. So drücken schon die 30.000 Jahre alten Höhlenmalereien der Chauvet Höhle im Tal der Ardèche in Frankreich diese über Rituale vollzogene Verbundenheit aus. Bärenkulte und -mythen finden sich in vielen Kulturen. In der griechischen Mythologie war beispielsweise der Bär mit Artemis, der Göttin der Jagd, sowie auch anderen Gottheiten verbunden. In animistischen Glaubenssystemen wie beim Volk der Ainu, den Ureinwohnern von Hokkaido in Japan, spielt ein Bärenkult der Überlieferung nach eine herausragende Rolle.
Über das Bild, das wir vom Bären haben, sei es aus Naturbeobachtungen, sei es aus übernommenen Vorstellungen, sei es aus nachempfundenen Assoziationen, ergeben sich vielfältige Themen, die sich bearbeiten lassen.
FRAGEN, DIE ZUM BÄREN GESTELLT WERDEN KÖNNEN:
- Wie sorge ich für mich?
- Wer oder was stabilisiert mich?
- Wo habe ich meine Höhle?
- Wo finde ich Geborgenheit?
- Worauf kann ich vertrauen?
- Was bedeutet Erdung für mich?
WAS IN DEN ALLTAG INTEGRIERT WERDEN KANN:
- Mit beiden Beinen im Leben stehen
- Stabilität, Sicherheit und Standfestigkeit
- Ausdauer, Geduld und Beharrlichkeit
- Eine starke Mitte hilft, den Anforderungen des Alltags mit mehr Gelassenheit zu begegnen.
ARCHETYPISCHES
Dem Bären ordnen wir den weiblichen Archetypus Mutter, das nährende und zuverlässige Prinzip, zu. Im Englischen heißt es „to bear a child“, ein Kind gebären. Im dunklen Aspekt ist es die „Glucke“, die bestimmende und übergriffige Mutter. Als männliches Prinzip gilt der König, der Beschützer und Bewahrer. Im dunklen Aspekt ist es der Tyrann. Im antiken Griechenland war die Frau die Hüterin von Haus und Herd und diesen Platz einzunehmen, galt als eine Ehre. Der Staatsherd war der Versammlungsplatz für die Würdenträger.
TECHNIKEN UND ÜBUNGEN:
Kraftvolle und weiche Techniken aus Kampfkunst können mit den Assoziationen zum Bären trainiert werden. Es sind Ringen und Boxen sowie Nachgeben und Stabilisieren.
EINE BÄRENGESCHICHTE
von Noah, 11 Jahre
Die kleinen Bärenkinder tollten auf der Wiese. Sie rollten mal nach links, mal nach rechts.
Plötzlich ertönte ein tiefes Grollen. Die Bärenkinder zuckten zusammen und versuchten, sich im Gras zu verstecken. Doch als sie sahen, wer da kam, wussten sie, dass es hoffnungslos war, sich zu verstecken. Es war ein ausgewachsenes Bärenmännchen. Die Bärenkinder wussten, wie gefährlich ausgewachsene Bärenmännchen für sie sind. Langsam schlichen sie rückwärts Richtung Höhle. Der Bär kam immer näher.
Plötzlich rannten die Bärenkinder zur Höhle, dicht gefolgt vom Bären. Eine seiner Pranken schoss hervor und verfehlte die Bärenjungen nur knapp.
Endlich kam die Mutter der Bärenkinder von der Nahrungssuche zurück. Als sie sah, welches Bild sich ihr bot, dachte sie nicht lange nach, sondern griff sofort ein. Sie stellte sich auf die Hinterbeine und schlug ein paar mal in die Luft. Das Bärenmännchen wich aus und griff von der Seite an. Doch die Mutter drehte sich mit und schlug auch hier in die Richtung des Bären.
Langsam wich das Männchen zurück. Doch einmal griff er noch auf der anderen Seite an. Auch diesmal drängte ihn die Mutter zurück. Nun wich der Bär wirklich aus. Er wich zwei Schritte nach hinten, sprang dann kurz wieder vor und verschwand darauf endgültig. Die Mutter bewies auch diesmal wieder Standhaftigkeit.
IMPULSE FÜR DIE INNENSCHAU:
Innere Ruhe - Stärke und Gelassenheit - gut für sich sorgen. Der Bär steht stabil. Er zeigt seine Kraft und weiß sich zu schützen. Das Vorstellungsbild des Bären hilft, den Boden unter den Füssen zu spüren. Was gibt mir Stabilität? Ich schaue mich um, in mir ruhend und begegne dem Leben würdevoll und mit Gelassenheit. Die Höhle des Bären symbolisiert eine Rückzugshöhle, in der ich es mir gemütlich mache, wohlwissend, daß Ausdauer zur Starre werden und Sicherheit zur Trägheit verführen kann.
ASSOZIIERTE THEMEN
DURCH DEN KÖRPER LERNEN
Unsere Lebenserfahrungen sind in unserem Leib verankert. Dies sind einerseits unsere Gewohnheiten, Erlerntes wie z.B. Fahrradfahren, das nicht mehr vergessen wird. Auch das Gedächtnis für Raum und Zeit, für Stimmungen und Begegnungen mit anderen Menschen ist in unserem Körper gespeichert. Der Neurowissenschaftler Antònio Damasio prägte den Begriff der somatischen Marker, körperliche Signale, die in uns gespeichert sind und ständig durch Reize ausgelöst werden. Diese sogenannten somatischen Marker können positiv und negativ sein. Wir können unsere Wahrnehmung auf diese Reize schulen und damit mehr Wahlmöglichkeiten für Entscheidungen haben. Wenn ich beispielsweise bei einer Verabredung lange warten muss und mich entscheide, die entstehenden Empfindungen bewusst und wertneutral zu erleben, kann ich verschiedene Körperreaktionen beobachten. Nach erstem Wahrnehmen von Unwohlsein, Anspannung und Ärger, kann ich mich selbst in einen anderen inneren Zustand versetzen, beispielsweise mit dem Bild des in sich ruhenden Bären. So kann ich autonom entscheiden, statt mich von den Umständen bestimmen zu lassen.
Körperzustände beeinflussen unsere Psyche. Von unseren Stimmungen hängt ab, was wir bevorzugt wahrnehmen und wie wir dies interpretieren, worauf wir unseren Blick lenken, was wir im Gedächtnis verankern und mit früher Erfahrenem verknüpfen. Wir fügen alles in unserem Denkgebäude zu einer eigenen Logik zusammen.
Die Werkzeuge hierzu sind im Qigong Dancing der eigene Körper, vorgegebene Haltungen und Bewegungen, Partnerübungen sowie das Gruppenerleben. Die bewegte Erfahrung wird im Anschluss der Übungen in Worte gefasst und somit bewusst und begreifbar. Durch die Analogiebildung werden die jeweiligen Fühl-, Denk- und Verhaltensmuster sichtbar, bewusst und somit veränderbar. Mit der Übertragung auf die spirituelle, kognitive und emotionale Ebene können „eingefleischte“ Verhaltensmuster überprüft und aufgebrochen werden. Der erste Schritt hierfür ist die Bereitschaft zur kritischen Selbstreflexion. Damit können Erkenntnisse über eigene, als unangenehm empfundene Verhaltensmuster verbunden sein. Hier gilt es eigenverantwortlich genau hinzuschauen. Die Trainerin kann auf diesen Begleiteffekt aufmerksam machen.
DIE ENTSTEHUNG VON GESUNDHEIT - SALUTOGENESE
Der salutogenetische Ansatz des amerikanisch-israelischen Medizinsoziologen Aaron Antonovsky ist eine Erweiterung und Ergänzung zum westlichen deduktiven Forschungsansatz, der unser westliches Weltbild über Jahrhunderte geprägt hat. Die Frage, warum ein Mensch erkrankt, wird durch die Fragestellung, was ihn gesund hält, erweitert. Dem Salutogenese-Modell entsprechend ist Gesundheit ein Prozess, in welchem der jeweiligen Persönlichkeit unterschiedliche Ressourcen zur Verfügung stehen. Das Augenmerk wird auf Fähigkeiten gerichtet, die uns helfen, gesund zu bleiben oder wieder gesund zu werden. Dies ist...