Gründe für ein großes Bedürfnis nach positiver Resonanz
Falls wir gegenwärtig besonders viel Anerkennung, Wertschätzung und dankbare Rückmeldung brauchen, liegt der Grund dafür fast immer in Erfahrungen aus unserer Kindheit. Während dieser sensiblen Phase unseres Lebens prägt das Verhalten der Menschen in unserer nächsten Umgebung unser Selbstbild und unser Wertgefühl. Wir nehmen gläubig auf, was uns unsere Bezugspersonen vermitteln. Weil wir dem noch nichts an Erfahrung oder Wissen entgegenzusetzen haben, halten wir die direkten und indirekten Botschaften über uns für die Wahrheit und verinnerlichen sie. Darunter sind auch solche, die sich negativ auswirken und später zu einem erhöhten Bedürfnis nach sozialer Anerkennung führen können. Ein Mangel an Liebe, Verständnis, Unterstützung oder Zuwendung in dieser Zeit wird vielleicht verdrängt, aber niemals vergessen. Er wirkt in unserem Unbewussten weiter, steuert unsere Gefühle und unser Verhalten noch als Erwachsene. Wenn wir also spüren, dass der Wunsch nach Anerkennung, Wertschätzung und Dankbarkeit uns gegenwärtig stärker bestimmt, als uns lieb ist, sollten wir uns zunächst mit möglichen Auslösern in unserer Lebensgeschichte befassen. Indem wir uns die frühen Ursachen bewusst machen, schaffen wir die Voraussetzung dafür, dass wir ihre heimliche Wirkung entkräften können. Die folgenden problematischen Ausgangssituationen kommen besonders häufig vor, in vielfältigen Variationen. Gewiss sind sie nicht die einzigen möglichen Ursachen. Aber es geht hier auch nicht um eine vollständige Aufzählung, sondern darum, uns dafür zu sensibilisieren, dass ein starkes Verlangen nach Aufmerksamkeit, Wertschätzung und Dankbarkeit nicht von ungefähr kommt.
Liebe für Leistung
Manche Kinder werden nur beachtet, wenn sie sich mit besonderen Leistungen hervortun – etwa in der Schule Bestnoten erreichen, ein Ass im Sport sind, auffällig gut aussehen oder Wettbewerbe gewinnen. Andernfalls zeigt sich die Umgebung enttäuscht und reagiert gar mit Liebesentzug. In der extrem ehrgeizigen Familie von John F. Kennedy galt die Regel: »Come in first, second place is failure.« Wer nicht als Erster durchs Ziel geht, hat schon versagt. Was dazu führte, dass ein von Schmerzen geplagter, mit Medikamenten vollgepumpter Mann das Präsidentenamt anstrebte und sein Bruder auch nach dem blutigen Attentat alles daransetzte, sein Nachfolger zu werden.
Von Klienten habe ich in meiner Praxis häufig gehört, dass ihre Eltern enttäuscht waren, wenn sie in der Klassenarbeit nur ein »Gut« mit nach Hause brachten. Erwartet wurde selbstverständlich ein »Sehr gut«. Ebba, eine 42-jährige Apothekerin, erinnert sich daran, dass sie nach einer Zwei in der Französischarbeit zur Strafe den ganzen Nachmittag lang Vokabeln lernen musste. Da ist es kaum verwunderlich, wenn ein Kind später selbst seinen Wert an Leistung koppelt und dafür die Zustimmung seiner Umgebung haben möchte.
Übermäßiges Verwöhnen
Ebenfalls kritisch, wenn auch nicht gleich als lieblos durchschaubar, ist es, wenn ein Kind zu sehr verhätschelt wird und man ihm keine Grenzen setzt. Wer so heranwächst, hält sich für den Nabel der Welt und erwartet auch später ständig Zustimmung für das, was er tut. Typisch für diesen Erziehungsstil erscheint mir eine Szene, die ich kürzlich in einem Modegeschäft beobachtete: Eine Mutter probiert ein Kleid an, ihr fünfjähriger Sohn schlägt derweil mit einer metallenen Gürtelschnalle auf den Spiegel ein. Die Verkäuferin weist sehr freundlich darauf hin, dass der Spiegel kaputtgehen könnte. Daraufhin sagt die Mutter empört: »Machen Sie sich lieber Gedanken darüber, dass sich mein Sohn verletzen könnte!«
Ähnlich fatale Folgen kann es haben, wenn Eltern fest von der Grandiosität ihrer Kinder überzeugt sind. Was immer die Kids vorzeigen, wird als großartig gelobt. Haben sie ein nettes Bild gemalt, verrät es gleich künstlerisches Genie, ein durchschnittlicher Schulaufsatz lässt zukünftigen Schriftstellerruhm ahnen. Die kleinen Prinzen und Prinzessinnen verinnerlichen, dass sie klüger, geschickter, talentierter oder hübscher sind als Gleichaltrige in ihrer Umgebung. Man sollte meinen, auf diese Weise würden sie genug Anerkennung bekommen, um später kaum darauf angewiesen zu sein. Doch die traurige Wahrheit ist, dass diese Kinder nicht wirklich gesehen werden und von daher kein realistisches Selbstbild aufbauen können. Als Erwachsene brauchen solche hochgelobten Sprösslinge weiterhin die Bestätigung, etwas Besonderes zu sein, und reagieren oft tödlich beleidigt, wenn nicht jeder fantastisch findet, was sie tun oder sagen.
Emotionaler Missbrauch
Emotional ausgenutzte Kinder können kein Gespür für ihre eigenen Bedürfnisse entwickeln, aber umso mehr für die ihrer Umgebung. Als Erwachsene tun sie dann meist zu viel für andere, um Anerkennung, Wertschätzung und Dankbarkeit zu bekommen. Das verursachen Eltern, die überwiegend mit sich selbst beschäftigt sind, etwa weil sie an einer körperlichen oder psychischen Krankheit leiden. Ein sensibles Kind erkennt schnell, dass es sich möglichst pflegeleicht verhalten muss. Oft übernimmt es die Aufgabe, die Eltern zu unterstützen. Wie Britta, eine 29-jährige Illustratorin, deren Mutter unter Depressionen litt. Wenn die kleine Britta aus der Schule kam, schaute sie schon auf dem Weg zum Haus ängstlich, ob die Vorhänge zugezogen waren. Das bedeutete nämlich, dass sich Mama wieder schlecht fühlte. Dann war es Brittas Aufgabe, sie aufzumuntern. Ihre eigenen Gefühle waren unwichtig.
Absolute Zuwendung verlangen auch Eltern, die in puncto Anerkennung selbst ein Defizit haben. Sie benutzen ihren Nachwuchs zur eigenen Bestätigung und verlangen von ihren Kindern, gelobt, umschmeichelt und getröstet zu werden. Die kleine Melanie, heute mit 48 Jahren eine engagierte Ärztin, lernte schon früh, dass die Augen ihrer Mutter aufleuchteten, wenn sie ihre Ärmchen um deren Hals schlang und sagte: »Mami, ich hab dich so lieb!« Nur war das kein Ausdruck eines echten Gefühls, sondern eine eingeforderte Formel. Timo, ein 36-jähriger Sozialpädagoge, musste sich bereits mit fünf Jahren anhören, wie unglücklich seine Mutter über die Affären seines Vaters war. Wenn sie weinte, kletterte er auf ihren Schoß und tröstete sie: »Nicht traurig sein, du hast doch mich.«
Einsame Kindheit
Einsame Kinder brauchen als Erwachsene oft viel soziale Bestätigung, um ihre innere Isolation zu überwinden und die Verbundenheit mit anderen Menschen zu spüren. Ein Kind, dessen Eltern kaum Zeit mit ihm verbringen, zweifelt an seiner Bedeutung. Es bezieht ihre häufige Abwesenheit auf sich und schließt daraus, dass es unwichtig oder nicht liebenswert genug ist. Natürlich hat der Zeitmangel nicht immer freiwillig gewählte Gründe. Oft müssen beide Eltern oder Alleinerziehende arbeiten, um es finanziell über die Runden zu schaffen. Das verstehen Kinder noch am ehesten, weil sie mitbekommen, dass ihre Erziehungsberechtigten selbst darunter leiden und gerne mehr Zeit mit ihnen verbringen würden. Doch häufig handelt es sich um Paare, die gemeinsam ein Geschäft führen, denen ihre Karriere wichtig ist oder die sich stark sozial engagieren. Um ein Kind als eigenständige Persönlichkeit wahrzunehmen, braucht es aber nun mal Zeit für Zuwendung. Erschöpfte oder desinteressierte Eltern sind dazu kaum in der Lage.
Vor einiger Zeit moderierte ich ein Treffen von inzwischen erwachsenen Pastorenkindern. Sämtliche TeilnehmerInnen berichteten, dass sie immer das Gefühl hatten, nur nebenher zu laufen. An erster Stelle standen die Mitglieder der Kirchengemeinde, für deren Ansprüche immer Zeit war. Eine Pastorentochter erzählte, wie der Heiligabend in ihrer Kindheit verlief. Nach der Christmette fuhr ihr Vater die älteren Besucher persönlich mit seinem Auto nach Hause, oft in weit entfernte Orte. Inzwischen kümmerte sich ihre Mutter liebevoll um die Obdachlosen, die bei ihnen im Wohnzimmer zu Gast waren. Sie selbst saß traurig in ihrem Zimmer. Kinder von Geschäftsleuten berichten von ähnlichen Erfahrungen, bei ihnen hatten die Wünsche der Kunden immer Vorrang. Ebenso haben es diejenigen erlebt, deren Eltern ihre eigene Karriere intensiv verfolgten. Der heute 36-jährige Sohn eines Professoren-Ehepaares erzählte mir, dass er als Kind hauptsächlich von Au-pair-Mädchen betreut wurde.
Übertriebene Anpassung
Bei Kindern von ängstlichen, angepassten Eltern besteht die Gefahr, dass sie als Erwachsene ihrerseits versuchen, möglichst viel Anerkennung über Wohlverhalten zu erreichen. Natürlich achten die meisten Eltern darauf, dass sich ihr Nachwuchs in die Umgebung einfügt. Kritisch wird es jedoch, wenn die Erziehung zu ausgeprägter Konformität führt und das Kind keine Eigenheit mehr zeigen darf. Die Überlegung »Was werden die anderen sagen?« bestimmt dann das gesamte Verhalten der Familie. Dahinter steckt die eigene Angst der Eltern, kritisiert und nicht akzeptiert zu werden. Diese Angst überträgt sich auf ihre Kinder, die dann als Erwachsene oft ihrerseits intensiv Anerkennung durch Übereinstimmung suchen. Wie Corinna, eine 41-jährige Lehrerin. Sie wuchs in einer süddeutschen Kleinstadt auf, in der jeder jeden kannte. Ihren streng katholischen Eltern war das Allerwichtigste, was die Nachbarn und der Herr Pfarrer sagten. Corinna erinnert sich an Sätze wie: »So gehst du mir nicht aus dem Haus, was sollen denn die Leute denken«, »Benimm dich bloß anständig, das...