1.Warum es schwer fällt, freundlich Nein zu sagen
Nein zu sagen, fällt vielen Menschen schwer. Ein Nein so zu verpacken, dass es den anderen nicht vor den Kopf stößt und dennoch klar und deutlich Nein bedeutet, scheint eine Kunst zu sein. Die Kunst ist, seine eigenen Ziele, Bedürfnisse und Wünsche durchzusetzen ohne dabei andere zu verletzen. Freundlich Nein sagen stellt hohe Anforderungen an die Kommunikationsbereitschaft des Einzelnen.
Wer hat überhaupt Schwierigkeiten ein »freundliches Nein« zu formulieren? Woran erkennen Sie, ob Sie diese Kunst beherrschen? Oder ob Ihr Gesprächspartner darin unsicher ist? Die Unfähigkeit ein Nein freundlich auszudrücken, liegt meist darin, dass viele von uns bereits Schwierigkeiten haben, überhaupt Nein zu sagen. Dies kann sich in unterschiedlichen Verhaltensweisen zeigen:
•Da ist der Mensch, der viel zu schnell und häufig Ja zu den Bitten anderer sagt, obwohl er sie gar nicht erfüllen will. Ein Mensch, auf den sich die anderen gern verlassen und dies auch ausnutzen.
•Der andere dagegen reagiert auf eine Bitte, der er nicht nachkommen möchte, häufig mit einer schroffen und ablehnenden Antwort. Diese Menschen werden von anderen, aufgrund ihrer unangenehmen Reaktion, nicht mehr gern gefragt und eher in Ruhe gelassen.
•Wieder ein anderer scheint sich nicht klar ausdrücken zu können. Bei jeder Bitte kämpft er einen inneren Kampf. Seine Antwort ist besonders lang und am Ende weiß niemand: »Hat er jetzt Ja oder Nein gesagt?«. Formulierungen wie: »Eigentlich nicht«, »Das ist ein bisschen ungünstig« und »Das passt mir jetzt nicht richtig«, lassen immer wieder Hintertürchen offen.
Es sind also nicht nur die Jasager, die Schwierigkeiten haben sich gegenüber anderen abzugrenzen. Gerade diejenigen, die sehr schnell, kurz und scharf eine Bitte ablehnen, haben ihre Probleme damit. Diese Reaktion kommt aus der Angst heraus, überredet zu werden. Es ist Unsicherheit, es fehlt an Selbstbewusstsein, das eigene Nein zu vertreten. Die Strategie ist: Schnell raus mit dem Nein, und so formulieren, dass der andere sich nicht mehr traut nachzuhaken. Auf diese Weise wird mit unfreundlichem Verhalten die eigene Unsicherheit überspielt.
Es muss nicht immer eine generelle Eigenschaft des Einzelnen sein, gut oder schlecht Nein sagen zu können. Wir alle kennen Situationen, in denen es uns leicht oder auch ganz besonders schwer fällt Nein zu sagen. Da gibt es Menschen, die sich beruflich hervorragend durchsetzen können, in ihrem Privatleben jedoch Schwierigkeiten haben sich abzugrenzen. Besonders auffällig ist es, wenn man nur bei bestimmten Personen nicht Nein sagen kann und sich immer wieder darüber ärgert.
Ob es sich nun um eine generelle Eigenschaft oder um eine situationsbedingte handelt, ist zweitrangig. Viel wichtiger ist es zu erkennen, wie man selbst reagiert und den Versuch startet, sein eigenes Neinsagen zu verbessern. Mit dem Ziel, sich ohne Schuldgefühle selbst zufriedenzustellen und den eigenen Wünschen nachzukommen – ohne dabei den anderen vor den Kopf zu stoßen.
Ein Nein hat Konsequenzen
»Wenn ich jetzt dem Kunden keine positive Zusage mache, wird er sich direkt bei meinem Vorgesetzten beschweren.«
»Wenn ich diese Aufgabe ablehne, wird mir bestimmt gekündigt.«
»Wenn ich heute Abend nicht mit ihr ausgehe, ist sie bestimmt enttäuscht.«
Es wäre falsch zu behaupten, ein »freundliches Nein« veranlasse Ihre Mitmenschen auf jeden Fall zu einer angenehmen Reaktion, und alle Ihre Befürchtungen lösten sich in Luft auf. Mit Ihrer deutlich geäußerten Ablehnung rufen Sie natürlich eine Reaktion hervor, der Sie sich stellen müssen. Eine freundliche Kommunikation Ihrerseits schafft jedoch eine bessere Ausgangsposition. Ihr Nein hat immer Konsequenzen. Für Sie selbst und für Ihr Gegenüber. Machen Sie sich über die Konsequenzen Ihres Neins realistisch Gedanken. Es liegt oft ein großer Unterschied dazwischen, wie Sie sich aufgrund Ihrer eigenen Situation die möglichen Folgen Ihres Neins vorstellen und wie Ihre Umwelt tatsächlich reagiert.
Für Menschen, die zu häufig Ja sagen, gilt: Je länger Sie vermeiden, sich in einer gewissen Situation abzugrenzen, umso weniger können Sie die tatsächlichen Reaktionen Ihrer Mitmenschen einschätzen. Statt konkrete Erfahrungen zu sammeln und sich den Reaktionen im Gespräch zu stellen, fangen die Gedanken an zu kreisen. Je nach Persönlichkeit oder lange zurückliegenden negativen Erlebnissen können diese Gedanken durchaus erschreckende Ausmaße annehmen. Mit solchen Gedanken gelangen Sie zum Schluss in einen Teufelskreis. Sie wissen nicht, wie Ihre Umwelt tatsächlich reagiert, haben aber mittlerweile so schlimme Befürchtungen, dass Sie sich nicht mehr trauen, ein Nein zu formulieren.
Betrachten wir das Beispiel von Anja. Sie ist als Sekretärin für drei Abteilungen zuständig. Alle drei Abteilungsleiter wenden sich mit ihren Aufträgen an sie. Das Aufgabengebiet ist umfangreich, aber zu bewältigen. Trotzdem häufen sich bei Anja die Schwierigkeiten, die jeweiligen Arbeiten pünktlich fertigzustellen. Heute hat es mit der pünktlichen Abgabe wieder einmal nicht geklappt. Zuerst kam Herr Müller: »Diesen Bericht benötige ich in fünffacher Ausfertigung für das Meeting heute Nachmittag. Klappt das bis 15.00 Uhr?« »Ja, natürlich. Bis 15.00 Uhr liegen die Kopien des Berichts auf Ihrem Tisch.« Herr Petersen hatte ein anderes Anliegen: »Schaffen Sie es bis heute Nachmittag, die Bestätigungen zu schreiben und zu versenden? Wir sind schon viel zu spät dran. Es müsste heute noch dringend rausgehen.« »Kein Problem, das schaffe ich schon.« Auch Frau Melzer hatte nebenbei etwas Dringendes: »Hallo Anja. Seien Sie doch bitte so gut und machen Sie die Rechnung für Herrn Schmidt fertig. Er kommt gleich vorbei, um sie abzuholen. Aber vergessen Sie es nicht, er ist schon ein wenig ärgerlich, weil wir so knapp dran sind.« Anja reagiert unsicher: »Ich habe da eigentlich noch was anderes auf Termin liegen ...« Frau Melzer leicht verärgert: »Es ist wirklich dringend, das müssen Sie schaffen.« »Gut. Ich werde mich sofort daran setzen.« Frau Melzer wieder beruhigt: »Anja, Sie sind wirklich ein Schatz!«
Anja weiß, dass es nicht zu schaffen sein wird, die Aufgaben zu den geforderten Zeiten fertigzustellen. Trotzdem versucht sie es, um nur ja keinen zu verärgern. Das Ergebnis ist allgemeiner Unmut. Die Unterlagen erreichen das Meeting verspätet. Die Bestätigungen gehen erst am nächsten Tag heraus und Herr Schmidt musste doch noch länger auf seine Rechnung warten. Als einer der drei Abteilungsleiter Anja am nächsten Tag auf die Verzögerungen anspricht, bekommt Anja Schweißausbrüche. »Ich habe es versucht. Es war einfach zu viel.« Darauf die berechtigte Antwort des Abteilungsleiters: »Warum haben Sie uns denn nicht vorher gesagt, dass es zuviel ist? Was nützt es uns, dass Sie es versucht haben?«
Was hat dazu geführt, dass die Situation am Ende eskalierte, obgleich Anja es ja nur gut gemeint hat? Welche Konsequenzen hat Anja erwartet? In dem Moment, als alle Abteilungsleiter ihre Aufgaben an Anja verteilten, sind verschiedene Gedanken bei ihr aufgekommen: »Es ist doch so dringend. Was ist, wenn ich sage, dass ich die Aufgaben nicht schaffe? Man hält mich dann doch für unfähig und für zu langsam. Werden sie sich dann eine andere Sekretärin suchen? Sie werden mir bestimmt irgendwann kündigen. Wie stehe ich dann da? Wer bezahlt dann meine Wohnung? Was werden die anderen dazu sagen? Alle werden mich für einen Versager halten. Ich muss das schaffen. Ich kann nicht ablehnen.«
Anja ist durch ihr Ja sagen in einen Teufelskreis geraten. Sie hat es aus Angst versäumt, frühzeitig die Abteilungsleiter mit einem Nein zu konfrontieren. Die gesamte Arbeit lag bei ihr. Und irgendwann war nur noch sie an den Versäumnissen schuld. Hätte sie direkt ihre Grenzen aufgezeigt, wäre wahrscheinlich keiner wirklich enttäuscht von ihr gewesen. Gemeinsam hätte man eine bessere Lösung suchen können. Die Verantwortung für das Gelingen der Aufgaben hätte nicht mehr nur bei Anja gelegen. Aber Anjas Gedanken spielten ihr einen Streich. Sie befürchtete Konsequenzen auf ihr Nein, die nicht realistisch waren. Hätte sie sich frühzeitig den Reaktionen darauf gestellt, hätte sie wahrscheinlich am Ende eine bessere Erfahrung gemacht.
Anjas Erlebnis ist ein Beispiel dafür, was in solchen Situationen passieren kann. Abhängig von der eigenen Persönlichkeit treten die unterschiedlichsten Ängste auf. In vielen Fällen können sie überzogen und unrealistisch sein. Ein solches »Katastrophendenken« führt dazu, jeder Bitte nachzukommen, sich jedes noch so unmögliche Verhalten gefallen zu lassen und die eigenen Bedürfnisse völlig hintanzustellen.
Wegen solcher und anderer Befürchtungen wird ein Nein nicht mehr ausgesprochen. Stattdessen reagieren viele mit einem raschen: »Ja, natürlich«. Als Folge davon kann die betreffende Person nie herausfinden, ob und welche Konsequenzen ihr Nein tatsächlich gehabt hätte. Sie bringt dann auch irgendwann nicht mehr den Mut und die Energie auf, ihr Nein zu ihrem Vorteil zu nutzen. Viele Chancen, eine Situation selbst in die Hand zu nehmen und für sich zu nutzen, bleiben verwehrt.
Man kann sich nicht »nicht verhalten«
Machen Sie sich bewusst, dass jedes Verhalten Konsequenzen mit sich bringt. Man kann sich nicht »nicht verhalten«. Egal, ob jemand in einer Situation mit einem Nein oder mit einem Ja reagiert, das...