3. Der Gedanke schafft Gesundheit und Krankheit.
„Der Geist ist es, der da lebendig macht, das Fleisch ist nichts nütze.“ Joh. 6, 63. Jede Willens- und Denktätigkeit des Menschen prägt sich dem Gehirn ein, denn beide haben dort ihren Ursprung: von dort aus werden sie zu den Teilen des Körpers geleitet, die ihr Ziel bilden. Was also im Geist ist, ist auch im Gehirn und von da aus auch im Körper. So schreibt ein Mann gleichsam sein Leben in seinem Körper nieder und die Engel könnten seine Lebensbeschreibung im Bau seines Körpers lesen.
Man braucht keine wissenschaftlichen Versuche anzustellen, um den Einfluss des Geistes auf Gesundheit und Krankheit zu beweisen: alltägliche Erfahrungen zeigen das ausgiebig. Schlagende und wunderbare Beispiele sind zu Tausenden von ärztlichen Beobachtern gesammelt und veröffentlicht worden; hier werden einige wenige genügen.
Wir sind an die tödlichen Wirkungen mancher Gedanken so gewöhnt, dass wir gar nicht darüber nachdenken, was es nun eigentlich ist, das die Krankheit und den Tod bewirkt. Es stirbt jemand an einem „Nervenschock“. Was bedeutet das? Ganz einfach, dass ein plötzlicher und mächtiger Gedanke die Maschine seines Körpers derartig in Unordnung gebracht hat, dass sie stillsteht. Furcht – das heißt ein Furchtgedanke – ließ die Herztätigkeit erst stillstehen und die Aufregung ließ sie dann so stürmisch werden, dass ein Blutgefäß im Kopf zersprang. Plötzliche Freude ließ einen so starken Blutstrom zum Gehirn strömen, dass die zarten Häute platzten. Ein sehr geliebter Freund oder Verwandter stirbt, der Gedanke oder das Gefühl des Kummers verhindert die Ernährung, den Ersatz der verbrauchten Stoffe und die übrigen körperlichen Tätigkeiten, die von dem ordnungsmäßigen Geisteszustand abhängen – und der Mensch siecht dahin und stirbt, an einer Krankheit, der der geschwächte Körper keinen Widerstand entgegensetzen konnte, oder an gar keiner Krankheit, bloß an den kranken und traurigen Gedanken. Ein bildschönes junges Mädchen wurde beim Golfspiel mit einem Stock ins Gesicht getroffen und ihr der Unterkiefer zerbrochen. Das war in einigen Wochen geheilt, aber eine Narbe blieb zurück, die ihrer Schönheit Eintrag tat. Der Gedanke, dass sie entstellt sei, drückte so schwer auf ihren Geist, dass sie niemand mehr sehen wollte und ganz schwermütig wurde. Eine Reise nach Europa, teure Behandlung bei besonderen Ärzten, nichts half. Der Gedanke, dass sie entstellt sei, nahm ihr alle Lebensfreude und alle Körperkraft, bald konnte sie das Bett nicht mehr verlassen – und doch konnte kein Arzt irgendeine körperliche Krankheit feststellen. Das ist gewiss sehr töricht, aber es zeigt, was kranke Gedanken ausrichten und wie sie über vollkommen gesunde körperliche Vorgänge Herr werden können.
Furcht und Kummer haben oft das Haar eines Menschen in wenig Stunden oder Tagen gebleicht. Ludwig von Bayern, Marie Antoinette, Karl I. von England und der Herzog von Braunschweig sind Beispiele aus der Geschichte, und noch heute ereignet sich alle Augenblicke ein solcher Fall. Dieser chemische Vorgang wird durch den Gedanken plötzlich hervorgebracht, statt wie sonst durch das Alter allmählich. Dr. Rogers sagt: „Manche Ursachen, die auf die Körperverfassung im Allgemeinen kaum Einfluss haben, beschleunigen das Absterben des Lebens in den Haaren, ganz besonders tun dies niederdrückende Gemütszustände, nagende Sorgen und starkes Denken.“
Es sind schon Menschen gestorben, weil sie dachten, sie seien schwer verwundet, ohne dass eine Wunde vorhanden war. Die Geschichte von dem Studenten, der von seinen Genossen so erschreckt wurde, dass er starb – sie hatten ihm weißgemacht, dass sie ihn ausbluten lassen – ist oft erzählt worden. Ein Mann, der dachte, er habe eine Zwecke verschluckt, bekam die größten Schmerzen und eine örtliche Anschwellung der Kehle, bis sich herausstellte, dass er sie gar nicht verschluckt hatte. Hunderte solcher Fälle sind vorhanden, wo der bloße Glaube genügte, große Schmerzen und sogar den Tod zu verursachen.
Auf der andern Seite sind oft genug Krankheiten durch die Wirkung starker Gedanken, wie Aufregung, Schreck oder große Freude verschwunden.
Als Benvenuto Cellini eben im Begriff war, seine berühmte Bildsäule des Perseus zu gießen, die jetzt in der Loggia dei Lanzi in Florenz steht, wurde er plötzlich von einem Fieber befallen und musste nach Hause gehen und sich zu Bett legen. Einer seiner Arbeiter kam in sein Zimmer und rief: „Armer Benvenuto, Euer Werk ist so verdorben, dass ihm in der Welt nicht mehr zu helfen ist.“ Er zog sich hastig an, eilte zu seinem Schmelzofen und fand das Metall stehend und zu einem Kuchen geronnen. Er befahl einen Stoß Holz von jungen Eichen zu bringen, die schon länger als ein Jahr ausgetrocknet waren, heizte den Ofen und arbeitete wie ein Wilder im strömenden Regen, betrieb die Kanäle und rettete sein Werk. Er schließt diese Geschichte mit folgenden Worten: „Als alles vorüber war, wendete ich mich zu der Schüssel, die nicht weit von mir auf einer Bank stand, aß und trank mit großem Appetit, und so auch der ganze Haufen. Dann ging ich froh und gesund zu Bett – es waren zwei Stunden vor Tag –, und als wenn ich nicht das mindeste Übel gehabt hätte, war meine Ruhe sanft und süß“. Der übermächtige Gedanke an die Rettung seines Werkes trieb nicht bloß den Gedanken an die Krankheit völlig aus, sondern veränderte mit seinem unausgesetzten Schaffen sogar die körperlichen Vorgänge und machte ihn gesund.
Von Muley Moluk, dem Führer der Mauren, wird erzählt, dass, während er krank und fast zerstört durch eine unheilbare Krankheit dalag, eine Schlacht zwischen seinen Kriegern und den Portugiesen stattfand. Im gefährlichsten Augenblick der Schlacht erhob er sich von seinem Lager, sammelte sein Heer, führte es zum Sieg, sank dann völlig erschöpft nieder und starb.
In der Lebensbeschreibung von Dr. Elisha Kane heißt es: „Ich fragte Dr. Kane, welche Tatsache ihm die Macht der Seele über den Körper am sichersten zu beweisen scheine. Er zögerte einen Augenblick, als ob er erst prüfen wollte, wie meine Frage gemeint sei, und antwortete dann rasch: Die Seele kann den Körper wirklich aus seinen Schuhen heben! Als unser Kapitän im Sterben lag – ich sage im Sterben, denn ich habe genug Sterbefälle gesehen, um das wissen zu können: jede alte Narbe an seinem Körper war ein offenes Geschwür; ich habe niemals einen so schlimmen Grad der Krankheit gesehen, die Leute sterben meist lange, ehe es so weit mit ihnen kommt, als es bei ihm gekommen war –, da herrschte Gefahr an Bord. Es drohte eine Meuterei auszubrechen und zwar in dem Augenblick, wo er seinen letzten Atemzug tun würde; wir waren im Begriff, über einander herzufallen. Ich hatte das Gefühl, er müsste um der Sache willen sein Sterben noch verschieben. Ich ging zu ihm hinunter und schrie ihm ins Ohr: ‚Meuterei, Kapitän, Meuterei!‘ Er schüttelte die todähnliche Betäubung ab und sagte: ‚Setze mich auf und schick mir die Kerle herunter.‘ Er hörte die Klagen an, ließ die Schuldigen bestrafen, und von dem Augenblick an wurde es besser mit ihm, bis er gesund wurde.“
Der Kaiser Don Pedro von Brasilien lag krank in Europa und wurde gesund durch eine Botschaft seiner Tochter, die die Regentschaft führte und ihm meldete, sie habe ein Gesetz unterschrieben, das die Sklaverei in seinem Land abschaffte, womit ein Lieblingsgedanke des kranken Kaisers ausgeführt war.
Woher kommt die Kraft, die eine schwache, zarte, seit Jahren gebrechliche Frau, nicht imstande, sich selbst allein zu versorgen, kaum stark genug, um über den Hausgang zu gehen, plötzlich in den Stand setzt, die Treppen hinaufzurennen und schlafende Kinder aus dem brennenden Haus zu tragen? Woher kommt die Kraft, die ein so schwaches Geschöpf stark genug macht, um Hausgeräte und Betten aus dem brennenden Haus zu schleppen? Sicher ist keine neue Kraft in die Muskeln oder in das Blut gekommen, und doch tut sie Dinge, die ihr unter gewöhnlichen Umständen unmöglich gewesen wären. In der Not vergisst sie ihre Schwäche, sie sieht nur noch die drohende Not, die Gefahr ihres geliebten Kindes, den Verlust ihres Heims: in diesem Augenblick glaubt sie fest daran, dass sie das tun kann, was sie jetzt versucht, und so tut sie es. Es ist ein veränderter Zustand des Geistes, nicht der Muskeln und des Blutes, und dieser gibt die notwendige Energie her. Gewiss hat der Muskel mit dieser Kraft den Arm bewegt, aber die Überzeugung, zu dieser Bewegung fähig zu sein, war zunächst notwendig. Das Feuer, die Gefahr, die Aufregung, die Notwendigkeit, Leben und Eigentum zu retten, das zeitweilige Vergessen der Schwäche – das war nötig, um den Geist in den richtigen Zustand zu versetzen.
Beweise von solcher Macht des Geistes über den Körper finden wir oft und viel. Es ist wunderbar, dass die Menschheit so lange gebraucht hat, diese Zeichen zu verstehen, die rechten Folgerungen zu ziehen und die richtige Anwendung davon zu machen. Wie die Kraft der Elektrizität, durch die Luft über ganze Meere zu dringen und menschliche Botschaften zu tragen, so war auch diese Kraft des Geistes schon längst vorhanden, aber erst jetzt fängt man an, sie zu erfassen.
Die Rolle, die der Geist bei der Heilung von Krankheiten spielt, ist den Ärzten wohlbekannt, und ganze Bücher sind gefüllt worden mit Beispielen von Fällen, wo der Geist mehr getan hat, als die gewöhnliche Heilkunde und Chirurgie. Einer der angesehensten ärztlichen Forscher, Dr. William Osler, den König Eduard VII. von der John-Hopkins-Hochschule weg zum Regius-Professor der Heilkunde nach Oxford berief, sagt in der amerikanischen Enzyklopädie: „Das seelische Verfahren hat immer eine wichtige, freilich oft...