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E-Book

Die Nonne und der Derwisch

Liebe - ein Gebet eint alle Religionen

AutorChristoph Quarch
VerlagChristoph Quarch
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl228 Seiten
ISBN9783958496248
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis7,99 EUR
Wer sich auf den Pilgerweg der liebenden Mystikerin Mechthild von Magdeburg und dem liebenden Sufi-Poet Rumi macht, wird staunen wie erotisch diese beiden Liebesmystiker dichteten. Eine Gebetsschule für heute, inspiriert durch die uralten Weisheit zweier großer Seelen.

Christoph Quarch (*1964) ist Philosoph, Autor, Redner und Dozent. Mit seinen Podcasts, Artikeln und Büchern erreicht er ein breites Publikum im gesamten deutschsprachigen Raum. Dabei aktualisiert er den reichen Schatz der europäischen Philosophie für die Welt von heute. Er lehrt Ethik und Wirtschaftsphilosophie an verschiedenen Hochschulen im In- und Ausland. Als Philosophiereiseleiter und Veranstalter bringt er seinen Teilnehmern den antiken Geist nah, vermehrt in der Welt der Unternehmen. Sein Buch über Begeisterung dreht an der geistigen Matrix der Wirtschaft. Christoph Quarch gilt als einer der wenigen Platon-Experten im deutschsprachigen Raum. Er ist Gründer der Akademie3 Stiftung Neue Platonische Akademie gGmbH | akademie-3.org zur Entwicklung eines geistigen Paradigmas für das digitale Zeitalter. | christophquarch.de

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Leseprobe

Zwei Leben

Nichts als die Liebe lieben und leben wir.

Die Liebe, nichts als die Liebe, pflanzen wir.

Trunken, wie trunken von jenem König sind wir.

Kommt her, kommt her,

unsere Hände zu Gott strecken wir.

Was wissen wir, was wir heute Nacht tranken,

was wissen wir?

(Rumi, Diwan 1475)

Achthundert Jahre nach beider Geburt wissen wir nicht viel über das Leben von Rumi und Mechthild. Das heißt: Von Mechthild wissen wir fast nichts, von Rumi etwas mehr. So auch sein Geburtsdatum im September 2007. Dass Mechthild am selben Tag geboren sein könnte, ist äußerst unwahrscheinlich. Selbst das Jahr ihrer Geburt ist nicht sicher verbürgt, doch geht die Mehrheit der Forscher davon aus, dass sie 1207 das Licht der Welt erblickte. Ihre Sprache und ihre Bildwelt, ebenso wie ihr hoher Bildungsstand verraten eine adlige Herkunft und höfische Erziehung. Mechthild kam aus gutem Hause, und umso mutiger – um nicht zu sagen: unerhörter – war es, dass sie im Alter von 23 Jahren ihre Eltern und Verwandten, denen sie, wie sie einmal erwähnt, „stets die Liebste war“ (IV 2), verlässt, um in der Fremde, in Magdeburg, ein neues Leben als Begine zu beginnen. Sie folgte damit einer Bewegung, die im ausgehenden 12. Jahrhundert in Flandern aufgekommen war und von dort aus ganz Europa eroberte: Spirituell bewegte Frauen schlossen sich zu geistlichen Lebensgemeinschaften zusammen, gaben sich eine Ordensregel und lebten in Askese, Keuschheit und Armut. Meist siedelten sie in den aufblühenden Städten und unterhielten dort mit Hingabe und Leidenschaft geführte Armenhäuser, Hospize und andere Einrichtungen für die Bedürftigen und Elenden. Getragen wurde diese Bewegung von einer tiefen mystischen Spiritualität im Geiste einer radikalen Nachfolge Jesu. Mechthild fühlte sich gewiss auch deshalb zu den Beginen hingezogen, weil sie nach eigenem Zeugnis schon in jungen Jahren eine ihr ganzes Leben durchwirkende spirituelle Erfahrung machte: Mit zwölf Jahren habe sie, als sie allein war, der Heilige Geist „gegrüßt“ – ein Ereignis, das sich fortan 31 Jahre lang Tag für Tag wiederholt habe (IV, 2)…

Was dann geschah, wissen wir nicht. Mechthilds spärliche Angaben über ihr Leben im Magdeburg geben lediglich zu erkennen, dass sie vierzig Jahre lang das Leben einer Begine führte. Das asketische Leben ebenso wie ihre lodernde Leidenschaft für Gott ließen sie oft erkranken. Und sie bekennt rückblickend, dass „die gewaltige Macht der Minne“ – also der Liebe – sie „all meiner Kräfte“ beraubt habe (IV, 2). Freundschaftlich verbunden war sie zu dieser Zeit ihrem Beichtvater, Heinrich von Halle, einem Dominikaner-Pater, der mit der seelsorgerlichen und geistlichen Aufsicht über die Beginen-Gemeinschaften beauftragt war. Dieser großherzige Mann ermutigte Mechthild um das Jahr 1250, ihre glühende Gottesliebe und die ihr darin zuteil gewordenen Erfahrungen niederzuschreiben. So entstand ihr Buch Das fließende Licht der Gottheit als erstes, volkssprachliches mystisches Werk der deutschen Literatur – und als bis heute bewegendes Zeugnis einer Gottesliebe, deren Leidenschaft zuweilen zwar ins Pathologische zu reichen scheint, die bei Lichte besehen aber immer fest verwurzelt und in einer wohltuenden Weise bodenständig ist.

Das fließende Licht der Gottheit entstand nicht in einem Zug. Die sieben Bücher der Schrift erschienen nach und nach, sodass sich Themen und Tonfall der ersten von den letzten Büchern fundamental unterscheiden. Es sind vor allem die ersten zwei Bücher, die voll sind von Mechthilds unvergleichlicher erotischer Mystik. Und es waren diese Texte, mit denen sie allem Anschein nach Aufsehen erregte. Wir wissen nicht genau, ob es im allgemeinen die um die Mitte des 13. Jahrhunderts europaweit einsetzende kirchliche Kampagne gegen das Beginentum war oder ihre Schriften im Besonderen: Fest steht, dass Mechthild sich um 1270 herum veranlasst sah, ihr Leben als Begine aufzugeben und um Aufnahme in das kurz zuvor gegründete Zisterzienserinnen-Kloster in Helfta bei Eisleben zu gesuchen. Unter der Leitung der Äbtissin Gertrud von Hackeborn (1250-1291) war Helfta damals eine Hochburg mystischer Frauenspiritualität, in der Mechthild auf zwei junge Nonnen stieß, die später ihr spirituelles Erbe fortführen sollten: Mechthild von Hackeborn und Gertrud, die später „die Große“ genannt wurde. In dieser inspirierenden Gemeinschaft verbrachte Mechthild die letzten Jahre ihres Lebens. Nahezu erblindet diktierte sie dort das letzte Buch vom Fließenden Licht der Gottheit, und dort starb sie hochverehrt und allseits geliebt. Wann sie genau diese Welt verließ, bleibt im Dunkeln. Einige Forscher datieren ihr Todesjahr auf 1294, andere auf 1282.

Rumi wurde nicht so alt. Aber weniger ärmer war sein Leben deswegen nicht. Im Gegenteil: Es war von langen Reisen, verzehrenden Leidenschaften und unermüdlicher Schaffenskraft erfüllt – ein extremes Leben, in dem strenge Askese und ausgelassene Lebenslust zusammengespannt waren. Schon kurz nach seiner Geburt kam erste Unruhe in sein Leben. Er war gerade zwölf Jahre alt (auch hier die zwölf!) als seine Heimat von den anrückenden Heeren des Dschingis Khan bedroht wurde. Weitblickend genug, erkannte sein Vater die drohende Gefahr und verließ 1219 mit seiner Familie und seinen Schülern Balch. Als die Mongolen ein Jahr später Balch dem Erdboden gleich machten, war die Familie längst in Sicherheit. Am Ziel aber war sie noch nicht. Zunächst trat sie die Pilgerreise nach Mekka an, dann blieb Baha’eddin Walad mit den Seinen für längere Zeit Syrien. Zuletzt führte ihr Weg sie in die heutige Türkei, nach Zentralanatolien, in die Stadt Larandra. Dort starb Rumis Mutter, dort heiratete er, und dort wurde im Jahr 1225 sein erster Sohn geboren. Auch Larandra blieb nur ein Durchgangsquartier: 1228 erhielt Rumis Vater einen Ruf an eine Koranschule im nahegelegenen Konya, der Hauptstadt des damaligen Seldschukenreichs – von altersher ein geistiges Zentrum, in dem Ströme des spätantiken Platonismus mit der mystischen Spiritualität des benachbarten Kappadozien und mit dem Islam zusammenflossen. Dies war der richtige Ort für Rumi. Hier entstanden seine Werke, hier ereignete sich die Begegnung mit dem Wanderderwisch Schamseddin i-Tabris, die sein gesamtes Leben von Grund auf verändern sollte.

Bevor diese schicksalhafte Stunde schlug, hatte Rumi als Koran-Lehrer und Wissenschaftler seinen Vater beerbt, nachdem dieser 1231 verstorben war. In dieser Zeit scheint Rumi ein eher konventioneller Denker gewesen zu sein – hoch gebildet, äußerst belesen und gern konsultiert in allen Fragen des Lebens. Von seiner späteren erotischen Mystik noch keine Spur. Sie trat erst mit Schamseddin in sein Leben – dies aber mit einer solchen Macht, dass selbst Rumis engste Vertraute ihren Meister fortan nicht mehr wiedererkannten. Die Begegnung mit diesem mysteriösen Wanderderwisch ereignete sich im Herbst des Jahres 1244. Rumi war 37 Jahre alt – und er wurde von der ersten Begegnung mit dem älteren Schamseddin mitten ins Herz getroffen. Er entbrannte in Leidenschaft, verbrachte Tage und Nächte mit dem Freund – und erregte damit langsam aber stetig den Unmut mancher Schüler und alten Vertrauten. Es ist nicht klar, wie wir uns den Umgang, den Rumi und Schameseddin pflegten, vorstellen müssen. Die Innigkeit und Leidenschaft der Gedichte und Aufzeichnungen Rumis lassen vermuten, dass es sich um eine handfeste Liebesbeziehung handelte, es gibt aber keine Hinweise auf eine sexuelle Verbindung. Vielmehr scheint Rumi von Anfang an die Erfahrung einer so umfassenden erotischen Liebe gemacht zu haben, dass er durch den Freund hindurch stets die Wirklichkeit und Präsenz Gottes gesehen und geliebt hat. Jedenfalls verschwimmen geliebter Freund und geliebter Gott in einem Maße, dass es zumeist überhaupt nicht gelingt, diese Dimensionen auseinander zu halten.

Nur zwei Jahre währte der Umgang der Freunde, dann sah sich Schamseddin genötigt, – gleichsam bei Nacht und Nebel – Konya zu verlassen. Rumi war untröstlich. In zahllosen Gedichten machte er seinem Trennungsschmerz Luft, überall ließ er den Verschwundenen suchen. Fündig wurde er zuletzt in Damaskus. Mit Gold und Silber schickte er seinen nunmehr 21jährigen Sohn nach Schamseddin aus, der ihn tatsächlich nach Konya zurückbrachte. Doch die Wiedersehensfreude währte nicht lange. Kaum dass Schamseddin zurückgekehrt und von Rumi mit einem Mädchen aus seinem Hause verheiratet war, wurde unter Beteiligung von Rumis zweiten Sohn Ala’eddin eine neuerliche Intrige gegen den Freund gesponnen. Im Winter des Jahres 1247 wurde Schamseddin ermordet. In Rumis Dichtung aber lebt er fort. Der Tod des Freundes bedeutete für ihn keine Trennung. Im Gegenteil: Getragen von den Flügeln des Eros fühlte er nunmehr in allem die Gegenwart des Freundes, in der sich ihm zugleich die Wirklichkeit Gottes erschloss – eine rätselhafte Verschmelzung, die für uns Nachgeborene kaum zu verstehen ist. Annemarie Schimmel, die wie wenige sonst Rumis Werk und Leben erforscht hat, erklärt das Rätsel seiner Liebe zu Schamseddin wie folgt: „Es war nicht die Liebe eines älteren Mannes zu einem schönen Jüngling, der als Epiphanie der Gottheit, als „Zeuge“ der göttlichen Schönheit verehrt und besungen wurde; es war die geistige Begegnung zweier gereifter Männer, die eine unvergleichliche Flut ekstatischer Gedichte hervorbrachte und Dschelaleddin in unerhörte Verzückung emporriss.“

Rumis Leidenschaft für Schamseddin...

Blick ins Buch

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