In der Ökonomie gibt es verschiedene Ansätze und Theorien, die sich mit Einkommen und Beschäftigung in einer Volkswirtschaft sowie deren Wirkungszusammenhängen befassen. Zu diesen makroökonomischen Theorien – der Marxismus bleibt hier unberücksichtigt - gehören, die Klassik–Neoklassik, der Keynesianismus, der Monetarismus, der Postkeynesianismus, die neue keynesianische Makroökonomik und die neue klassische Makroökonomik.[44] Da diese Theorien im Rahmen dieser Arbeit aber lediglich als theoretische Grundlage für die Darstellung der Problematik der Einführung eines Mindestlohns in Deutschland dienen, werden nicht alle Ansätze detailliert erläutert. Zwei entscheidende Sichtweisen, die Neoklassik und der Ansatz nach Keynes, sollen im Folgenden dargestellt werden, um eine problemorientierte Herangehensweise an das Thema zu ermöglichen.
Die Neoklassik, welcher die klassische Nationalökonomie zugrunde liegt, gibt es in verschiedenen Ausprägungen. Zunächst soll jedoch die erwähnte klassische Nationalökonomie, kurz dargestellt werden: Als Klassik werden die Theorien bezeichnet, die historisch betrachtet im Zeitraum zwischen dem endenden achtzehnten und dem ersten drittel des neunzehnten Jahrhunderts vertreten wurden[45]. Grundlegend beruht die Klassik auf dem wirtschaftlichen Individualprinzip, welches besagt, dass jedes Subjekt in der Wirtschaft stets sein Eigeninteresse verfolgt. Der Lohn als Preis für die Arbeit bildet sich, wie sämtliche Marktpreise andere Preise auch, nach dem Konkurrenzprinzip.[46] Durch das Verfolgen des Eigeninteresses der einzelnen Wirtschaftssubjekte und das Prinzip der Konkurrenz wird der Wohlstand des Volkes insgesamt positiv beeinflusst.[47] Die Neoklassik unterscheidet sich insofern von der Klassik, dass Wert und Preis eines Produktes über die Arbeitsmenge definiert werden, während im Falle des neoklassischen Ansatzes der Wert eines Produktes vom persönlichen Nutzen des Produktes im Gebrauch für das jeweilige Individuum abhängig ist.[48]
Das Say’sche Theorem bildet eine Grundlage der klassischen makroökonomischen Ansätze. Es besagt, dass sich jedes Angebot selbst seine Nachfrage schafft. Dieser Ansatz beruht auf der Annahme, dass niemand Güter anbieten würde, wenn er nicht auch nachfragen möchte.[49] Nach der klassischen Theorie hat das Geld ausschließlich eine Funktion als Tauschmittel. Es hat in seiner Form als solches keinen Einfluss auf das tatsächliche Wirtschaftsgeschehen. Dass Geld auch eine Funktion als Wertaufbewahrungsmittel haben kann, so wie es im Keynesianismus beschrieben wird, ist in der Klassik nicht berücksichtigt. „Nach klassischer Lehrmeinung ist es nicht rational, Geld als Vermögensaktivum zu halten, da das liquide Halten von Geld mit den Opportunitätskosten eines entgangenen Zinseinkommens belastet ist.“[50]
Die Neoklassik gibt es in verschiedenen Ausprägungen, und deren wesentliche Merkmale sollen hier aufgezeigt werden: Im Kern der Neoklassik befindet sich die mikroökonomische Analyse, die den Zusammenhang zwischen Angebot an und Nachfrage nach Gütern und den drei Produktionsfaktoren Boden, Arbeit, Kapital[51] zu erklären versucht. „Bei völlig freier Preis-, Lohn- und Zinsbildung tendieren […] die einzelnen Güter- Geld- und Arbeitsmärkte zum Gleichgewicht.“[52] Sollten Abweichungen vom Gleichgewicht auftreten, so kommt es bei flexiblen Preisen und Löhnen automatisch zu einem Ausgleich, da sich Anbieter und Nachfrager in diesen Fällen z. B. mit ihren Lohnforderungen unter- bzw. überbieten werden.[53] Wie bereits erwähnt, gibt es nicht eine einzige neoklassische Theorie, sondern viele Theorien die grundsätzlich der Neoklassik zuzuordnen sind. Dennoch gibt es inhaltlich drei gemeinsame grundlegende Charakteristika:
es gibt einen flexiblen Preis- Lohn- und Zinsmechanismus,
das Say’sche Theorem ist gültig,
es zählt die Quantitätstheorie des Geldes.[54]
Nach dem neoklassischen Ansatz wird zwischen Arbeitsmärkten und anderen Märkten, wie z.B. dem Gütermarkt nicht unterschieden. Dies impliziert, dass nicht Arbeitskräfte als solche, sondern die von ihnen, speziell charakterisierten Arbeitsleistungen gegen den Reallohn getauscht werden.[55] Der Reallohn beschreibt die Gütermenge, welche für einen bestimmten Nominallohn gekauft werden kann[56] und wird in folgender Abbildung des neoklassischen Arbeitsmarktes auch als Gleichgewichtsreallohn verstanden:
Abbildung 1: Neoklassischer Arbeitsmarkt
lr: Reallohn
B: Beschäftigung
A: Angebot an Arbeitskräften
N: Nachfrage nach Arbeitskräften[57]
Der Preismechanismus übt in der neoklassischen Sichtweise seine Funktion sowohl auf dem Gütermarkt, als auch auf dem Arbeits- und Kapitalmarkt aus. Die Funktionsweise soll anhand des Arbeitsmarkts veranschaulicht werden: Steigt der Reallohn, welcher sich als Quotient aus Nominallohn und Güterpreis errechnen lässt, nimmt das Arbeitskräfteangebot auf dem Arbeitsmarkt zu. Dieses Phänomen beruht auf der Annahme, dass bei einem höheren Lohn die Arbeitskräfte auf mehr Freizeit verzichten und mehr Arbeit anbieten.[58] Auf der anderen Seite fragen die Unternehmen jedoch nach mehr Arbeit wenn der Reallohn sinkt, da es für sie dann rentabler ist, Arbeitskräfte einzustellen. Auf diese Weise ergibt sich der Gleichgewichtslohn lr0 mit der Beschäftigungsmenge B0. Alle, die zum Reallohn lr0 bereit sind zu arbeiten, erhalten einen Arbeitsplatz. Diejenigen, welche sich rechts des Gleichgewichts B0 befinden, sind deshalb arbeitslos, weil sie ihre Arbeit nur zu einem höheren Lohn als dem Gleichgewichtsreallohn lr0 anbieten. Daher spricht man in der Neoklassik auch nur von freiwilliger Arbeitslosigkeit.[59]
Es herrscht in der neoklassischen Theorie die Tendenz zur Vollbeschäftigung, und all jene, die zum jeweiligen Reallohn bereit sind zu arbeiten, erhalten auch einen Arbeitsplatz. Als freiwillig arbeitslos werden die bezeichnet, die Arbeit zu einem Lohn anbieten, welcher höher ist als der Gleichgewichtslohn (vgl. 2.1.2.a).[60] Die Tendenz zur Vollbeschäftigung ist auf den Lohnmechanismus zurückzuführen. Folgendes Beispiel soll dies erklären: Ausgehend davon, dass aufgrund starker Zuwanderungszahlen in die Bundesrepublik sich das Angebot an Arbeitskraft erhöht, verschiebt sich die Arbeitsangebotskurve A nach A’. Sind nun die Löhne flexibel, wird aufgrund des Konkurrenzprinzips der (Real-) Lohn sinken, bis ein neuer Gleichgewichtslohn erreicht ist. Es werden nun mehr Arbeitskräfte zu einem geringeren Reallohn beschäftigt und infolgedessen wird wieder eine Vollbeschäftigung erreicht. Diese Tendenz zum Gleichgewicht lässt sich bei flexiblen Löhnen, Preisen und Zinsen auf alle Arbeits-, Güter- und Kapitalmärkte einzel- und gesamtwirtschaftlich übertragen. [61]
Die Neoklassik unterscheidet zwischen dem güterwirtschaftlichen und dem monetären Sektor und trennt diese somit voneinander. Im Vordergrund der Betrachtungsweise steht der reale Sektor, in welchem zwischen Produktion und Einkommen entschieden wird. Das Geld, das als reines Tausch- bzw. Zahlungsmittel angesehen wird, hat keinerlei Einfluss auf den realwirtschaftlichen Bereich. Die Geldmenge bestimmt lediglich die Höhe des Preisniveaus; die Höhe der Produktion oder der Beschäftigung bleiben hiervon unberührt.[62] Der Zusammenhang zwischen Geldmenge und Preisniveau ist in der Quantitätstheorie des Geldes erklärt. Aus dieser geht grundsätzlich hervor, dass bei einer Erhöhung der Geldmenge auch das Preisniveau ansteigt und bei einer Reduktion der Geldmenge sinkt dementsprechend das Preisniveau.[63]
Der Zinsmechanismus dient der Aufrechterhaltung, oder ggf. der Wiederherstellung des Gleichgewichts auf den einzelnen Märkten und des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts. Neben der Anreizfunktion zum Sparen von Vermögen, ist der Zinsmechanismus für Investitionen in Sachkapital der entscheidende Faktor. Wenn auf dem Kapitalmark Gleichgewicht...