Sehnsucht
Der Seelenplan
Solange ich zurückdenken kann, fühlte ich diese Sehnsucht. Eine Art Einsamkeit kam dazu, die ich als sehr schmerzlich empfand. Ich fühlte mich als Außenseiterin. Als nicht dazugehörig. Ich schaute hinein zu denen, die offensichtlich wussten, wie man hineinkam, und fühlte mich fremd. Das Glas, in dem ich saß, war dick.
Meine Geburt war schwer, so erzählte mir meine Mutter. Mein Vater hatte kurz vor meiner Geburt kalte Füße bekommen und sich nach Paris abgesetzt. Meine Mutter wurde krank, und sie boten ihr das Contergan-Mittel an, das sie ablehnte. Ich kam zwei Wochen zu spät zur Welt. Fast so, als ob ich mir noch ein bisschen Ruhe gönnen wollte. Die Nabelschnur hatte sich dreimal um den Hals gewickelt, und auf meiner Haut lag das abgesetzte Fruchtwasser, was meine Mutter eher an ein Rührei als an ein Baby erinnerte. Mein Vater war wieder zurück, und als meine Mutter einen verschreckten Blick auf ihr Kind geworfen hatte, forderte sie die Krankenschwester auf, es um Himmels willen nicht ihrem Mann zu zeigen.
Ich war ein braves Kind. Still. Gehorsam. Schüchtern. Fast so, als ob ich dem Drama, in dem unsere Familie lebte, nichts hinzufügen wollte. Ich bin mit Verboten, strengen Pfarrern und was man macht und nicht macht, groß geworden. Mein Vater, der mit seinem Dasein von Jahr zu Jahr unzufriedener wurde, fing zu trinken an. Da er mit Geld nicht umgehen konnte, gab es enorme finanzielle Probleme und den gelegentlichen Besuch des Gerichtsvollziehers. Meine Mutter bekam noch zwei Mädchen, meine Schwestern Susanne und Renate, und schaffte es vorbildlich, uns Kinder mit dem wenigen, was mein Vater ihr gab, zu ernähren.
Wir lebten in einer winzigen Sozialwohnung. Wir Kinder schliefen in der Küche, und da es wenig Platz für mich gab, flüchtete ich in die Fantasiewelt der Bücher. Gleichzeitig fing ich an zu lügen.
Zuerst eher harmlose Geschichten von einem Pferd, das wir im Keller hatten. Sprachen, die keiner kennt. Reisen, die wir angeblich machten. Ich gab niemals zu, geschwindelt zu haben. Ich dachte nicht, dass ich gut genug, nett genug, schön genug, klug genug und talentiert genug war, um ganz einfach so, wie ich war, gemocht zu werden.
Wenn ich meine kleine Welt beobachtete, dann sah ich zwei Arten von Menschen: diejenigen, die zu einer Gruppe gehörten, und die, die außen herum waren. Die in der Gruppe schienen mehr Freude zu haben. Selbstbewusster zu sein. Sich sicherer zu fühlen. Zwei Lehren zog ich aus diesen Beobachtungen. Eine war, dass ich eine Gruppe brauchte, und die andere, dass ich mich dazu anpassen musste. Ich war fünfzehn, bebrillt, flach und ungeküsst. Ein Zustand, für den es einfach keine Gruppe gab.
Meine Augen wurden immer schlechter: Es gab vieles, was ich nicht sehen wollte. Besonders die Ungerechtigkeit, mit der mein Vater meine Mutter behandelte, war mir unbegreiflich. Oft mischte ich mich ein, wenn ich den lauten Streit aus dem Wohnzimmer nicht mehr ertragen konnte. Meine Mutter bat mich, ihn sein zu lassen. »Du weißt doch, wie er ist.« Immer wieder dieses »Jetzt nicht, Kind, warte, bis ein besserer Zeitpunkt kommt«. Dieses Vorsichtig-sein-Müssen, weil man nicht weiß, wie der andere reagieren wird, prägte mich sehr. Obwohl ich selbst sehr viel log, sehnte ich mich nach Wahrheit und Offenheit. Ich weiß noch gut, wie meine Mutter nach einer besonders lauten Nacht am nächsten Morgen weinend am Bett saß.
»Lass dich doch scheiden«, schlug ich als Siebenjährige vor, und meine Mutter schaute mich mit traurigen Augen an und meinte: »Aber ich liebe ihn doch.« Mit solch einer Liebe wollte ich nichts zu tun haben. Ich erkannte in diesem Moment: Mit meinen Eltern stimmte was nicht. Ihr Benehmen ist nicht ideal. Es ist nicht meine Schuld (Kinder glauben das öfter), sondern ihre Wahl. Ich erkannte auch die Bereitschaft meiner Mutter, ein Opfer zu sein. Und dennoch wählte auch ich später häufiger die Opferrolle. Mein Vater verschwand oft für Tage. Und das waren die schönsten Zeiten meiner Kindheit. Zu Hause war Ruhe. Keine Stimmungsschwankungen. Keine überraschenden Dramen. Endlich der Frieden, nach dem ich mich so lange gesehnt hatte.
Als ich siebzehn war, warf mich mein Vater aus dem Haus. Er kam betrunken mit einem Freund von einer Reise zurück und schimpfte über meine Mutter. Ich wies ihn vor dem anderen zurecht, und als der sich verabschiedete, flog ich nach.
Ich musste die Schule aufgeben und fand einen Job als Sekretärin und ein kleines Ein-Zimmer-Apartment. Beim Auszug wog ich noch über achtzig Kilo, und da ich weder Geld für den Kauf eines Bestecks noch für ausreichend Lebensmittel hatte, fand ich mich nach Monaten plötzlich schlank wieder.
Ich heiratete mit neunzehn Jahren, ließ mich scheiden, hatte Beziehungen, wenig Affären, neue Berufe, neue Freunde, Kontaktlinsen, sogar Geld und irgendwann einmal Erfolg. Ich fand mich im Fernsehen und auf Titelseiten wieder, und trotzdem gehörte ich noch nicht dazu. Die Sehnsucht meiner Seele, mittlerweile verkümmert auf ein klitzekleines Flämmchen, fühlte ich kaum.
Meine Tage waren ausgefüllt. Ich war mit den täglichen Dramen in meinem Leben beschäftigt und fühlte mich wie eine Fahne im Wind. Durchgeschüttelt von einer Kraft, die für mich keinen Sinn ergab. Momentane Freuden, wenn mir eine Sendung angeboten wurde. Tränen, wenn sie jemand nicht mochte. Interviews, in denen ich gemocht werden wollte. Veranstaltungen, in denen ich Menschen überzeugen musste. Privat war es nicht anders. In meinen Liebesbeziehungen passte ich mich an nach dem Motto: »Was für eine Art Frau hättest du denn gern?«
Ich heiratete noch einmal. Zog nach Los Angeles zu einem Mann, dessen Sprache ich kaum verstand und dessen Kultur mir fremd war. Ich war beeindruckt von der Gewissheit, mit der er mir den Hof machte. Und ich dachte, vielleicht sei es dieser Mann, der mir meine Sehnsüchte erfüllen würde. Ein Jahr später glaubte ich, vielleicht sei es das Kind, das mir geboren wurde. Wieder später meinte ich, vielleicht die neue Sendung, die so wichtig ist …
Die Dramen wurden nicht weniger. Nun kam das Zusammenwachsen in einer Ehe hinzu. Nach dem ersten Verliebtsein begann das Aneinandergewöhnen. Ich hatte immer noch nicht gelernt, die Wahrheit zu sagen und Grenzen zu setzen. Hatte die Gene, die mir meine Eltern mitgegeben hatten, noch nicht »erweitert«. Ich ging immer noch Unannehmlichkeiten aus dem Weg.
Mein Selbstbewusstsein hing ausschließlich mit meinem Beruf zusammen. Dass mein Mann gut Geld verdiente, war mir eher unangenehm. Ich hatte zu lange an mir gearbeitet, um nicht von der Wichtigkeit meiner eigenen finanziellen Unabhängigkeit überzeugt zu sein. Wusste ich doch durch das Leben meiner Mutter, was passieren kann, wenn man als Frau kein eigenes Geld verdient. Die Angst davor saß mir im Nacken. Ich war gewöhnt, eigenes Geld großzügig zu verteilen. Sein Geld gehört nicht mir. Deshalb traf es mich umso härter, als ich mich durch eine berufliche Krise endlich der Frage stellen musste, die ich all die Jahre so erfolgreich ignoriert hatte: Wer bin ich? Ohne Karriere, ohne eigenes Geld, ohne den Erfolg, an den ich mich so gewöhnt hatte? Und endlich, endlich begann das Licht meiner Sehnsucht größer zu werden.
Jeder von uns kennt diesen Moment, in dem die Sehnsucht unserer Seele nicht mehr ignoriert werden kann. Wir spüren, wir müssen uns ändern. Wir spüren, so wollen wir nicht mehr weitermachen. Wir wissen nur nicht genau, wie es weitergeht. Aber wir ahnen, dass unsere Persönlichkeit nicht die Basis unseres Seins ist. Wir ahnen, dass es da mehr gibt.
Wir als Seele haben uns eine Persönlichkeit (Ego) erschaffen. Und damit beginnt eine unbewusste Entscheidung: Mit welchen Augen betrachten wir unser Leben? Mit den Augen der Persönlichkeit oder mit den Augen der Seele?
Betrachten wir unser Leben durch die Augen unserer Persönlichkeit, dann sehen wir Dramen, die keinen Sinn ergeben. Wir erleben uns im Mangel, denn andere haben mehr: mehr Erfolg, mehr Geld, mehr Schönheit, mehr Zufriedenheit, mehr Gesundheit, mehr Sex, mehr Glück. Wir machen uns Sorgen, dass uns oder unseren Liebsten etwas zustoßen könnte. Die Welt ist kein sicherer Platz. Da wir recht haben wollen, müssen die anderen unrecht haben. Da wir uns unsicher fühlen, erleben wir uns oft wie von äußeren Mächten durchgeschleudert.
Sehen wir hingegen die Welt durch die Augen unserer Seele, wissen wir, dass wir als Seele für immer sind. Wir wissen, dass jede Herausforderung unserem Wachstum dient, und sind dankbar für jede Schwierigkeit und jede Angst, denn dadurch entwickeln wir uns weiter. Wir erspüren, dass es uns tief im Innern an nichts mangelt. Wir machen die anderen nicht kleiner, damit wir besser dastehen. Wir machen uns aber auch selbst nicht kleiner. Denn wir wissen, dass wir alle aus der gleichen Quelle kommen und zurück zur gleichen Quelle gehen: Wir sind ein Tropfen im göttlichen Meer. Wir sind Seele. Nie getrennt und niemals allein. Nie geboren, nie sterbend, immer nur im Sein. Unser Leben, unsere Zeitabläufe haben wir uns erschaffen, damit wir uns gemeinsam im Wachstum unterstützen können. Wir leben im Meer der Schöpfung.
Wir haben uns für dieses Leben entschlossen, weil wir Erfahrungen sammeln wollten. Je mehr Erfahrungen wir sammeln, desto mehr Mitgefühl sammeln wir. Und eines wissen wir alle: Wenn wir etwas selbst erlebt haben – und die damit verbundenen Schwierigkeiten –, haben wir mehr Verständnis für diejenigen, die Ähnliches auch erleben. In der Summe entsteht daraus ein mitfühlender Mensch. Und so ein Mensch ist großzügig. So ein Mensch ist verständnisvoll. So ein...