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Die Sichtbarmachung des Unsichtbaren. Eine historisch-anthropologische Untersuchung zur Bedeutung der Farbe in der Medizin

Eine historisch-anthropologische Untersuchung zur Bedeutung der Farbe in der Medizin

AutorPetra Meedt
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2004
Seitenanzahl72 Seiten
ISBN9783638261487
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis20,99 EUR
Magisterarbeit aus dem Jahr 2003 im Fachbereich Medizin - Sonstiges, Note: 2,0, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg (Historische Anthropologie), Sprache: Deutsch, Abstract: Der Wecker klingelt und die roten Ziffern, die ihm aus der Zimmerecke entgegenleuchten, zeigen Herrn X an, daß es Zeit ist aufzustehen. Sein erster Weg führt ihn, wie jeden Tag, ins Badezimmer, wo er die grüne Zahnbürste aus dem Regal nimmt (die rote gehört seiner Ehefrau) und sich damit die Zähne putzt. Nach weiteren allmorgendlichen Tätigkeiten verläßt Herr X pünktlich seine Wohnung und macht sich mit seinem Auto auf den Weg zur Arbeit. Nach kurzer Autofahrt bezeichnet ihm ein blaues Schild, auf dem ein weißes 'P' abgebildet ist, daß er am Ziel der Fahrt angekommen ist und hier sein Auto abstellen kann. Gegen Nachmittag hat Herr X einen Termin in einem Teil der Stadt, der mit dem Auto nicht gut zu erreichen ist, weswegen er sich entschließt, in diesem Fall sein Auto stehen zu lassen und die öffentlichen Verkehrsmittel zu benutzen. Er verläßt also seinen Arbeitsplatz und macht sich auf den Weg zur nächsten U-Bahn-Haltestelle. Bei jeder Straßenüberquerung zeigt ihm ein rotes Männchen an, daß er seinen Weg an der bezeichneten Stelle unterbrechen muß, während ein grünes Männchen ihm jeweils bedeutet, daß er seinen Weg gefahrlos weiter fortsetzen kann. Das grüne 'U' auf gelbem Untergrund zeigt ihm schließlich an, daß er am ersten Etappenziel, der U-Bahn-Haltestelle, angekommen ist. Um sich weiter darüber zu orientieren, welche der zahlreichen U-Bahn-Linien ihn an das gewünschte Ziel bringen kann, wirft er einen Blick auf den Liniennetzplan und findet heraus, daß die gelbe Linie in die von ihm gewünschte Richtung fahren wird, woraufhin er den gelben Wegweisern zur bezeichneten U-Bahn-Station folgt. Er versichert sich kurz, ob die U-Bahn, die gerade auf dem Bahnsteig eingefahren ist, auch wirklich mit einem gelben Schild gekennzeichnet ist und nicht vielleicht doch in eine andere, als die von ihm gewünschte Richtung unterwegs ist, steigt ein und erreicht einige Minuten später das ersehnte Ziel.

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Leseprobe

A. Einleitung


 

„Denn immer, wenn wir irgend etwas sehen, sehen wir Farben.“[1]

 

Der Wecker klingelt und die roten Ziffern, die ihm aus der Zimmerecke entgegenleuchten, zeigen Herrn X an, daß es Zeit ist aufzustehen. Sein erster Weg führt ihn, wie jeden Tag, ins Badezimmer, wo er die grüne Zahnbürste aus dem Regal nimmt (die rote gehört seiner Ehefrau) und sich damit die Zähne putzt. Nach weiteren allmorgendlichen Tätigkeiten verläßt Herr X pünktlich seine Wohnung und macht sich mit seinem Auto auf den Weg zur Arbeit. Nach kurzer Autofahrt bezeichnet ihm ein blaues Schild, auf dem ein weißes „P“ abgebildet ist, daß er am Ziel der Fahrt angekommen ist und hier sein Auto abstellen kann.

 

Gegen Nachmittag hat Herr X einen Termin in einem Teil der Stadt, der mit dem Auto nicht gut zu erreichen ist, weswegen er sich entschließt, in diesem Fall sein Auto stehen zu lassen und die öffentlichen Verkehrsmittel zu benutzen. Er verläßt also seinen Arbeitsplatz und macht sich auf den Weg zur nächsten U-Bahn-Haltestelle. Bei jeder Straßenüberquerung zeigt ihm ein rotes Männchen an, daß er seinen Weg an der bezeichneten Stelle unterbrechen muß, während ein grünes Männchen ihm jeweils bedeutet, daß er seinen Weg gefahrlos weiter fortsetzen kann. Das grüne „U“ auf gelbem Untergrund zeigt ihm schließlich an, daß er am ersten Etappenziel, der U-Bahn-Haltestelle, angekommen ist. Um sich weiter darüber zu orientieren, welche der zahlreichen U-Bahn-Linien ihn an das gewünschte Ziel bringen kann, wirft er einen Blick auf den Liniennetzplan und findet heraus, daß die gelbe Linie in die von ihm gewünschte Richtung fahren wird, woraufhin er den gelben Wegweisern zur bezeichneten U-Bahn-Station folgt. Er versichert sich kurz, ob die U-Bahn, die gerade auf dem Bahnsteig eingefahren ist, auch wirklich mit einem gelben Schild gekennzeichnet ist und nicht vielleicht doch in eine andere, als die von ihm gewünschte Richtung unterwegs ist, steigt ein und erreicht einige Minuten später das ersehnte Ziel.

 

Dieser kurze hypothetische Einblick in den Alltag des ebenfalls hypothetischen Herr X zeigt, welch nützliches Instrument die Farbwahrnehmung für den Menschen zur Orientierung in seiner Umwelt darstellt. Dennoch, oder vielleicht gerade deswegen, erscheint diese Fähigkeit auf den ersten Blick eher banal und nebensächlich. So sind Farben für die meisten Menschen ein so selbstverständliches Merkmal der Umwelt, daß im Alltag in der Regel über sie „hinweggelesen“ [2] wird. Farben treten im Alltag des 21. Jahrhunderts fast immer dort in Erscheinung, wo innerhalb komplexer Zusammenhänge, wie beispielweise in einem Netz öffentlicher Verkehrsmittel (vgl. Abb. 1 im Anhang) bestimmte Elemente dieser Systeme besonders hervorgehoben oder von anderen Elementen unterschieden werden sollen. Dabei werden die einzelnen Farben als Markierungen genutzt, die auf den ersten Blick auf die durch sie „bezeichneten“ Sinnzusammenhänge verweisen sollen. Vorraussetzung für eine Orientierung anhand dieser Markierungen ist jedoch, daß eine Übereinkunft über die Deutung der einzelnen Markierungen besteht, da diese sonst vom Betrachter entweder überhaupt nicht wahrgenommen werden oder diesem vollkommen unverständlich erscheinen. (So würde beispielweise ein Mensch aus dem Mittelalter, dem Blau als wärmste Farbe unter den Farben bekannt ist, die Farbgebung der Wettervorschau im Fernsehen mit Sicherheit als vollkommen sinnlos empfinden, bei der kalte Bereiche in Blau gekennzeichnet werden, während Hitze durch Rot oder Orange dargestellt wird.)

 

Menschliches Erkennen geschieht also vor dem Hintergrund eines Netzwerkes von Symbolen, und jedes Individuum ist auf die „kulturelle Matrix“ der Gesellschaft angewiesen, in der es lebt.[3] Farben stellen in dieser „kulturellen Matrix“ ein wichtiges Symbolsystem dar, das der Mensch nutzt, seine Welt zu gliedern und, durch Codierung und Decodierung der Umwelt in das „...visuelle[..] Kommunikationsmittel...“ [4] Farbe, diese Umwelt berechenbar und erfassbar zu machen. Obwohl „Farbe“ durchaus nicht der einzige Zugang ist, durch den sich der Mensch die Welt erschließen kann, kann man feststellen, daß diesem Symbolsystem mit zunehmender Komplexität der menschlichen Erfahrungswelt eine besondere Bedeutung zukommt. (vgl. Punkt B.3.).

 

Dieser Gedankengang soll im Folgenden anhand der Bedeutung des Symbolsystems Farbe in dem begrenzten menschlichen Erfahrungsbereich der Medizin verfolgt werden. In diesem Zusammenhang wird besonders der Zusammenhang zwischen unterschiedlichen Wahrnehmungen über Ursprung und Wesen von Farbe und den jeweiligen Konzeptionen und Methoden der Medizin zu betrachten sein, und inwieweit beide Faktoren die Anwendung von Farbe und damit ihre Bedeutung beeinflussen.

 

Zur Bedeutung von Farbe in der Medizin

 

„Die Wahrnehmungs- und Wissensstruktur, welche [...] jede Medizin leitet, ist die der unsichtbaren Sichtbarkeit.“[5]

 

Mehr noch, als in vielen anderen Bereichen des menschlichen Lebens ist in der Medizin das Erkennen von Zusammenhängen an „Sehen“ gebunden. Farbe wiederum ist elementares Element des Sehens und Erkennens und spielt in vielen Medizinsystemen sowohl in der Erkennung, als auch in der Therapie verschiedenster Krankheiten eine wichtige Rolle.

 

Die „...normative Fundamenatalforderung“[6] an die Medizin als heilende Kunst, besteht darin, Krankheiten vorzubeugen, zu behandlen und zu erforschen. Um aber Krankheiten behandeln zu können, muß man eine Veränderung im Gegenüber zunächst wahrnehmen und als Erkrankung identifizieren können. Diese Wahrnehmung von Krankheiten beruht in erster Linie auf der sensuellen – nicht zuletzt optischen – Wahrnehmung des jeweiligen Patienten und orientiert sich an den an ihm beobachtbaren Veränderungen. Für den Arzt als außenstehenden Beobachter besteht also die Hauptaufgabe darin, Einsicht in die Vorgänge im Inneren des jeweiligen Patienten zu erlangen, die die Erkrankung hervorgerufen haben, um diese behandlen zu können und einer ähnlichen Erkrankung in Zukunft vorbeugen zu können.

 

Das Hauptproblem, mit dem sich die Medizin demnach seit ihren Anfängen auseinandersetzen mußte und aus dem sie in gewissem Sinne ihren Ausgang genommen hat, ist die Tatsache, daß Krankheit ein zunächst von Außen unsichtbarer Vorgang im Inneren des Körpers ist, der im Verborgenen des Körpers beginnt und für ein Gegenüber nur dann sichtbar wird, wenn sich pathologische Veränderungen am äußeren Erscheinungsbild des „Patienten“ zeigen.

 

Ein erster Zugang zu den Veränderungen im „fremden“ Körper des Patienten liegt für den behandelnden Arzt zunächst ausschließlich in den Schilderungen des Erkrankten über seine Beschwerden. Daneben ist es aber vor allem die sensuelle Wahrnehmung durch den Gehör-, Tast- und insbesondere Gesichtssinn, die dem Arzt Aufschluß über den Gesundheitszustand des Patienten und über die Art seiner Erkrankung geben können. Neben diesen beiden grundlegenden Methoden jeder Medizin, werden in vielen Kulturen übersinnliche Mächte über den Zustand des Patienten und die jeweiligen Möglichkeiten der Heilung befragt. Und schließlich besteht die Möglichkeit, direkt in den Körper des Patienten einzugreifen, um durch eine „Invasion“ in den Körper des Patienten diesem seine Geheimnisse zu entreißen.

 

Fragestellung und Zielsetzung der vorliegenden Arbeit

 

In der vorliegenden Arbeit soll versucht werden, den Zusammenhang zwischen „Farbe“ und Medizin[7] zu untersuchen, indem verschiedene Anwendungsbereiche von Farbe in verschiedenen Medizin- und Heilungssystemen dargestellt und in einen Zusammenhang mit kulturell-vorherrschenden Normen und Vorstellungen über „Farbe“ und „Medizin“ gestellt werden sollen.

 

Die Argumentation wird dabei auf verschiedenen Ebenen erfolgen und drei unterschiedliche Fragestellungen zu beleuchten versuchen. In einem ersten Schritt der Argumentation soll zunächst die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem „Alltagsphänomen Farbe“ aus Sicht verschiedener Wissenschaften dargestellt werden, um ein Bild von den verschiedenen Möglichkeiten einer Definition von Farbe zu vermitteln, die jeweils in Abhängigkeit zu der jeweilis verfolgten Fragestellung und dem – von den unterschiedlichen Wissenschaften eingenommenen Standpunkt gesehen werden kann. Im zweiten Schritt, wird der Frage nachgegangen werden, ob und in welchen Bereichen sich eine Bedeutung von Farbe in der Medizin belegen läßt und ob sich Unterschiede in dieser Bedeutung feststellen lassen, und worin eventuelle Unterschiede begründet sein könnten. In diesem Zusammenhang wird sich insbesondere die Frage nach einer möglichen geschichtlichen oder kulturellen Bedingtheit stellen und zu beantworten sein.

 

Der dritte Argumentationsstrang wird diesen Ansatz auf anderer Ebene weiterverfolgen, indem am Beispiel der Bedeutung von Farbe in der Medizin die Bedeutung von vorherrschenden Theorien und Vorstellungen für die Konzeption und Methodik von Medizin und Wissenschaft im Allgemeinen hinterfragt wird. Es stellt sich also die Frage, in welcher Verbindung gesellschaftliche Normen und Wissenschaft stehen, beziehungsweise inwiefern das Spektrum der, in einer bestimmten Kultur zur Erklärung der Welt zur...

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