I. Die Stewarts in Schottland
Von den Anfängen bis Flodden Field (1513)
Im Jahre 1136 finden wir in den Diensten des schottischen Königs David einen normannischen Adligen namens Walter Fitzalan (also Walter Sohn des Alan). Fitzalans Familie stammte nicht unmittelbar aus der Normandie, sondern aus der benachbarten Bretagne. Ihr Stammsitz lag in dem Ort Dol in der Nähe von St. Malo. Dol war seit dem 6. Jahrhundert ein eigener Bischofssitz und beanspruchte seit dem 9. Jahrhundert (bis ca. 1200) auch den Rang eines Erzbistums. Die Vorfahren Walter Fitzalans hatten in Dol schon im 11. Jahrhundert das Amt eines erzbischöflichen Truchsessen (lateinisch: Dapifer oder Senescalcus) bekleidet, eigentlich ein Hofamt, das aber hier vor allem einen hohen Rang innerhalb der weltlichen Verwaltung des Erzbistums bezeichnete, eine Position, die vermutlich mit der Vogtei über das Hochstift verbunden war. Mit hoher Wahrscheinlichkeit gehörten die Truchsessen von Dol ursprünglich zu jenen Wikingern, die sich im 10. Jahrhundert in der Normandie und der Bretagne niedergelassen hatten. Wie andere Familien aus dieser Region siedelte sich ein Zweig dieser Familie nach der normannischen Eroberung Englands (1066) in diesem Königreich an. Hier rekrutierte David I. von Schottland (reg. 1124–1153), der selber lange Jahre seines Lebens im englischen Exil zugebrachte hatte, Walter Fitzalan für seine eigenen Dienste, so wie andere normannische Adlige, die ihm dabei halfen, die Regierungsstrukturen seines Königreiches zu reformieren und zumindest teilweise an normannischen Verwaltungspraktiken (damals die modernsten in Europa) zu orientieren. Wenige Jahre später erhielt Walter in Schottland das Amt eines königlichen Truchsessen, also in größerem Maßstab das gleiche Amt, das seine Familie in Dol bekleidete. Auf englisch respektive Scots war die Bezeichnung für diese Position Steward und die Nachkommen sollten sich fortan nach diesem in der Hierarchie der höchsten Würdenträger des Reiches besonders bedeutenden Amt, das bald in der Familie erblich wurde, Stewart (also in einer etwas anderen Schreibweise) nennen. Erst im 16. Jahrhundert tritt neben die ältere die jüngere Namensform Stuart, die bis dahin in Frankreich von einer jüngeren Linie der Dynastie verwendet worden war, nun aber vor allem in England vorgezogen wurde.
Die Stewarts gehörten in Schottland bald zu den mächtigsten und am weitesten verzweigten Magnatengeschlechtern. Ihr eigentlicher Aufstieg begann aber erst Ende des 13. Jahrhunderts. 1290 war die schottische Königsdynastie der Dunkelds ausgestorben, ohne daß es erbrechtlich einen klar erkennbaren legitimen Thronprätendenten gab. Der damalige Senior des Hauses Stewart, James (gest. 1309), stellte sich auf die Seite eines der vielen Adligen, die den Thron beanspruchten, Robert de Brus (schottisch «the Bruce» oder einfach «Bruce»), dessen Familie so wie seine eigene ursprünglich aus der Bretagne stammte. Robert Bruce wurde bald zum Führer eines schottischen Abwehrkampfes gegen England, dessen König Eduard I. die Thronwirren im Norden auszunutzen suchte, um ganz Schottland von England abhängig zu machen oder sogar vollständig zu unterwerfen. James Stewart und sein Sohn Walter waren für Robert, der 1306 zum schottischen König gekrönt wurde, auch deshalb wichtig, weil die Bruce starke Interessen in Irland hatten, wo auch James Herrschaftsrechte besaß, die er durch die Heirat mit einer anglo-normannischen Adligen aus Irland, Egidia de Burgh, konsolidiert hatte. Die Stewarts waren daher auch hier bedeutende Verbündete der neuen Königsfamilie.
Die Familienallianz zwischen den Stewarts und Robert Bruce wurde 1315 besiegelt durch eine Heirat zwischen Walter Stewart, dem Sohn von James Stewart, und der Tochter Marjorie des neuen Königs. Aus dieser Ehe ging 1316 ein Sohn namens Robert hervor. Es war noch nicht absehbar, daß Robert eines Tages selber König werden würde, denn der neuen Dynastie gelang es, ihre Position in ständigen Auseinandersetzungen mit England, aber auch mit inneren Gegnern zumindest zeitweilig zu konsolidieren. Erst gegen Ende des 14. Jahrhunderts war überdies endgültig klar, daß es den englischen Königen nicht gelingen würde, Schottland oder zumindest große Teile der Lowlands zu unterwerfen. Der gleichzeitig stattfindende Krieg um die französische Königskrone absorbierte letzten Endes zu viele Kräfte. Aber noch Eduard III. (1327–77) hatte immer wieder Heere gegen Schottland geschickt und zeitweilig den schottischen König David II. in England gefangengesetzt. Als David im Februar 1371 kinderlos starb, befand sich das Land am Rande des Chaos. Robert Stewart, der als Enkel von Robert Bruce das Erbe antrat, hatte das Königreich während der englischen Gefangenschaft des Königs viele Jahre als Reichsverweser regiert. 1316 geboren, war er schon ein ziemlich alter Mann, als er die Herrschaft übernahm, und es gelang ihm nicht wirklich, das Königreich dauerhaft zu befrieden. Er war allerdings entschlossen, die Macht seiner Familie zu festigen, indem er umfangreichen Lehensbesitz, Jurisdiktionsrechte und Adelstitel an Mitglieder seines Familienverbandes vergab. In gewisser Weise handelte er immer noch wie ein hoher Adliger, nicht wie ein König. Die Stewarts konnten sich zwar dauerhaft im Besitz der Krone behaupten, aber die einzelnen Zweige der Familie befanden sich nach 1390, als Robert starb, oft im Konflikt miteinander und Könige, die nicht besonders rücksichtslos und tatkräftig waren, blieben in diesen Streitigkeiten oft nicht mehr als bloße Schachfiguren. Es war eine Konfliktform, die sich eigentlich bis zum Ende des 16. Jahrhunderts stets wiederholen sollte. Die wirkliche Macht wurde oft von Vormündern, Reichsverwesern (Lieutenants of the Realm) und Regenten ausgeübt, während der König beiseite geschoben wurde. Immerhin wurde Schottland zwischen 1400 und 1585 (als Jakob VI. selbständig die Regierung übernahm) fast so lange von Regenten regiert wie von erwachsenen Königen und Königinnen.
Es war Jakob I., der als erster Stewart nach dem schwachen Regiment Roberts III. (1390–1406) die Autorität der Krone wieder festigen sollte. Offiziell hatte er 1406 die Herrschaft angetreten, aber lange Jahre der Gefangenschaft in England verbracht. Immerhin verdankte er diesen Jahren eine relativ gute Erziehung, und vermutlich war er der erste schottische König, der lesen und schreiben konnte. Allerdings konnte er erst 1424 nach der Rückkehr aus England die Herrschaft übernehmen. Mit großer Rücksichtslosigkeit und nicht ohne List schaltete er seine aristokratischen Rivalen aus, unter ihnen viele seiner eigenen Verwandten. Die männlichen Mitglieder der Familie der Herzöge von Albany, einer jüngeren Linie der Stewarts, wurden fast alle hingerichtet, und ähnlich radikal verfuhr er mit vielen Highland Chiefs und dem mächtigen Lord of the Isles Alexander MacDonald (dem Herrscher über die Hebriden und Teilen der westlichen Highlands), der zwar als Gefangener des Königs überlebte, aber eine Einschränkung seiner Macht hinnehmen mußte. So hatte der König viele Feinde. Am Ende wurde er 1437 von einem Verwandten, der zugleich einer seiner Kammerherren war, Sir Robert Stewart, in Perth ermordet. Sein Versuch, durch einen Abflußkanal aus dem Kloster, in dem er übernachtete, zu entkommen, scheiterte. Er war nicht der letzte Stewart, der eines gewaltsamen Todes sterben sollte, aber auch nicht der letzte, der gegnerische Adelige mit großer Brutalität ausschaltete.
Die Haltung der meisten Stuart-Könige gegenüber ihrem Adel vor der Mitte des 16. Jahrhunderts läßt sich auf den Satz bringen: «Goodwill towards cooperative leading nobles, intense personal ferocity towards noble dissidence, and genial indifference to most of what the nobles got up to in their own localities.» (Goodare/Lynch, The Reign of James VI, S. 11) Dabei finden wir im Abstand von einigen Jahrzehnten immer wieder ähnliche politische Konstellationen. Ein energischer Herrscher stärkt die Macht der Krone, stirbt aber relativ jung, meist auf dem Schlachtfeld oder durch die Hand eines Mörders, und während der Minderjährigkeit seines Sohnes üben ein Regent oder ein Regentschaftsrat für den Adel die Herrschaft aus, mit den entsprechenden negativen Folgen für die Autorität des Königtums. Mußten die Stewart-Monarchen von seiten der regionalen Machthaber auch immer wieder mit Widerstand rechnen, so hatten doch wenige dieser mächtigen Adligen wirklich den Mut, einem gekrönten König im offenen Kampf auf dem Schlachtfeld entgegenzutreten, es sei denn, der Thronerbe (oder vielleicht der Bruder des Königs) – und sei er auch minderjährig – stand selber auf ihrer Seite. Das aber hieß, dort, wo ein erwachsener und einigermaßen tatkräftiger Herrscher persönlich präsent war und ihm kein Mitglied der eigenen engeren Familie gegenübergestellt werden konnte, vermochte er sich meist durchzusetzen. Konsolidieren ließ sich ein solcher Erfolg jedoch nur mit Hilfe königstreuer Adliger, die auf der regionalen Ebene einen dominierenden Einfluß besaßen oder erwarben, möglicherweise aber in späteren Jahren und...