TRENDIGE SUPPEN, HEUTE UND DAZUMAL
Knochenbrühe gehört zur Paleo-Diät wie das Meersalz in die Suppe. Auch Steinzeit-Diät genannt verzichtet sie auf alles, was unsere Vorfahren, die Jäger und Sammler, noch nicht hatten. Auf den Teller kommen Fleisch, Fisch, Gemüse, Früchte und Nüsse. Verboten sind Zucker, Hülsenfrüchte, Milch und Getreide, insbesondere weißes Mehl. Wir sollen essen, wie es in unseren Genen steht, wie es die Evolution in unserem Körper etabliert hat, schlicht weil uns das am besten bekommt. Zu getrockneten gemahlenen Grillen aus der Zoohandlung, Froschschenkeln, Biberschwänzen und so weiter sage ich allerdings eher: »Nö, Danke«. Ich finde, man muss gar nicht so weit zurückgehen und so viel vom Genießerplan streichen. 100 Jahre reichen. Auch meine Oma ist 99 geworden. Sie hat eben im Reformhaus eingekauft – pure. So manches aus dem Regelkanon der Paleo-Diät kann ich allerdings liebend gern unterschreiben: kaum Zucker, eher wenig Getreide und auch die Knochenbrühe, die nehme ich gern mit hinüber aus der Steinzeit ins Jetzt.
Vom Tiersack zur Tüte
Bereits in besagter Steinzeit, so ab 9000 vor Christus, wurde Breiartiges aus Innereien, Knochen und Wurzeln in Tierhaut-Säcken über dem Feuer zubereitet. Sozusagen als Ursuppe. Um 6000 vor Christus revolutionierten die ersten Tongefäße die Suppe aus Getreide und Gemüse, die 5000 vor Christus dann im ersten Suppenteller landete.
»Supen« bedeutet übrigens »saufen«, »saugen«, »schlürfen«, was man auch lange Zeit tat. Bis man à la Knigge ganz gesittet den Löffel eintauchte. Im Mittelalter gab’s dicke Suppe für Ritter und Bauern aus geschrotetem Getreide und Salz. Die kennen wir heute noch als Haferschleimsuppe.
Die erste Fertigsuppe
So richtig lecker wurde es aber erst im 16. Jahrhundert in den Töpfen der feinen Gesellschaft – mit Fleisch, Geflügel, Gemüse. Diese Suppe speckte dann französisch ab zur klaren Bouillon. Und sie formte sich 1908 zum Maggie-Brühwürfel. Die erste Fertigsuppe gab es 1880 mit dem ehrlichen Namen »Patentsparsuppe Victoria«. Ein Produkt von Knorr.
INFO
CHEMIE ODER HEILKRAFT?
Jeder Deutsche löffelt pro Jahr mehr als einhundert Teller Suppe. Leider kommt dabei mehr als die Hälfte aus der Tüte oder Plastikterrine. Schade, denn dieses aromatisierte chemische Pulver hat nie eine Tomate, nie einen Spargel, nie ein Huhn gesehen. Und ist freilich schlichtweg unfähig zu heilen siehe >.
Heilende Klostersuppe
Schon im Mittelalter kochten die Klöster Gemüsesuppe als kostenlose Mahlzeit für Kinder und Obdachlose. Rezepte gab es viele. Je nach Jahreszeit und was im Klostergarten wuchs, kam nur Gutes in die Fleischbrühe: Lauch, Karotten, Sellerie, Zwiebeln, Knoblauch und all die heilenden Kräuter wie Majoran, Liebstöckel, Petersilie, Pfefferminze … So manche dieser Suppen wirkte Wunder. Eine Klostersuppe heilt übrigens schon allein deshalb, weil sie im guten Glauben genossen wird. Kennen wir heute unter Placeboeffekt. Zu 40 Prozent wirksam.
Heilige Hildegard
Hildegard von Bingen (1098–1179), Benediktinerin und Universalgelehrte, spielt bis heute als Medizinerin und Heilkundige eine große Rolle. Sie schrieb Lebensmitteln Heilkräfte zu, teilte sie in gesund, schlecht und »Küchengift« (das trifft zum Beispiel auf Schweinefleisch zu) ein. Sie wählte Lebensmittel zwar noch nicht nach dem Vitalstoffgehalt aus, ihr ging es um die »Feinstofflichkeit«, die Subtilität, die den Heilwert bestimmt, und um die »Grünkraft«, die Viriditas, die Lebensenergie der Nahrung. Genau damit beschäftigt sich heute übrigens die wissenschaftliche Forschung.
»Eure Lebensmittel sollen eure Heilmittel sein.«
HIPPOKRATES
Dinkel war für Hildegard das wichtigste Grundnahrungsmittel, das sie täglich als Korn, Schrot, Grieß, Brot oder in der Suppe empfahl. Weitere Heilmittel: Kräuter wie Quendel, dazu viele Gemüsesorten wie Bohnen, Edelkastanien, Fenchel, Möhren, Sellerie, aber auch Galgant und über einhundert andere Lebensmittel. Man isst dies alles möglichst gedünstet, nicht roh, da Rohkost nach Hildegards Überzeugung das Blut verschlechtert und den Darm durch Gärung belastet. Salat empfahl sie mariniert mit Essig und Öl zu essen, Fisch und Fleisch sind nach ihrer Lehre in Maßen erlaubt.
HILDEGARDS REZEPT FÜR DIE FASTENSUPPE
Eine Tasse Dinkelkörner wurde mit drei Tassen Wasser und je einer Tasse fein gewürfelten Karotten, Fenchelgemüse, Sellerie, Bohnen und Kräutern gekocht. Nach 20 bis 30 Minuten wurde die Brühe nach dieser Empfehlung bereits abgeseit und mit Galgant und Quendel gewürzt.
Auch Kalbsfußknochenbrühe und klare Hühnerbrühe gehörten zum Heilrepertoire der Heiligen. Kalbsfüße kriegt man bei uns schon gar nicht mehr. Dafür den Galgant, der regt alle Verdauungsvorgänge an und stärkt Herz und Kreislauf. Quendel gehört zur Familie des Thymians und wird auch Feldthymian genannt.
Was rumliegt, muss ford
Die klassische Rumford-Suppe erfand ein Münchner Graf, der übrigens auch den Englischen Garten schuf. Dort kommt rein, was »rum« liegt und »ford« muss – also in die Suppe natürlich. Nomen est omen. So interpretieren das die Kenner unter den Suppenköchen übrigens noch heute. Man kann es frei übersetzen: In die gute Suppe kommt Saisonales und Regionales.
Rumford entwickelte seine Suppe für Soldaten und Arme und legte damit den Grundstein für die Suppenküchen. Übrigens wird die vegetarische Rumford-Suppe heute noch im Herbst auf der Historischen Wiesn in München serviert.
Die Charité-Suppe
Die heilende Suppe des niederländischen Arztes und Naturforschers Martinus van Marum, die man auch in der Berliner Charité den Kranken servierte, bestand aus acht Pfund Rindsgallert, die man aus zwei Pfund Knochen mit sechzig Gramm Salz auskochte. Dazu kamen acht Pfund Gerstenbrei und ebenso viel Karoffelbrei. Geschmack gaben Zwiebeln und in Knochenfett gebratene Brotschnitzchen. Alle, die von der Suppe gekostet haben, lobten deren Geschmack.
Der in etwa zeitgleich lebende Tübinger Arzt Wilhelm Gottfried Ploucquet lobte die Knochenbrühe folgendermaßen über den Klee (ich zitiere nach »Die Gelatine in der Medizin« von Jörg Liesegang): »Diese Gallerte ist dasjenige, was wir aus allen thierischen Speisen am nahrhaftesten befinden. Sie besteht aus völlig ausgearbeiteten thierischen Theilchen, welche kaum noch einiger Verdauung bedürfen, um gleich zur wirklichen Nahrung unsers Leibs angewandt zu werden. Sie nährt mehr als das beste Brod. Diese in den Knochen enthaltene Gallerte ist leichter zu verdauen als Fett, und kommt mit dem nahrhaften Eyerweiß überein.«
Pho, die vietnamesische Wundersuppe
Pho und Vietnam: Das gehört zusammen wie Frankreich und Crêpes. Neben einem großartigen Frühstück ist sie vor allem eines: ein Wunderheilmittel. Wer frühmorgens durch die Straßen von Hanoi läuft, sieht überall Menschen auf weißen Plastikstühlen sitzen und Pho löffeln. Eine Brühe mit Rindfleisch oder Hähnchen, Reisnudeln und Kräutern. Das Geheimnis ist Sternanis, den man mit einer Stange Zimt ein Stündchen in der Brühe mitkocht. Was sonst noch drin ist: Koriander für Magen und Darm, Vitamin C der Limette (gegen Erkältungen), im Fleisch steckt Zink für das Immunsystem. Ein Rezept gibt‘s auf >.
»Das Leben ist zu kurz, um schlechte Suppe zu essen.«
VIETNAMESISCHES SPRICHWORT
Die Buddhasuppe
Mit dieser Suppe möchte ich den kleinen Streifzug durch die Suppenhistorie abschließen, denn allein das Bild, das ihr Name im Kopf auslöst, ist es wert, an ihre Wirkung zu glauben: Energie in allen Lebenslagen. Die Suppe heißt »Buddha Jumps over the Wall« und muss 20 Stunden köcheln. Die Zutaten: Abalone (Delikatess-Schnecken aus dem Meer), Haifischmagen, Seegurke und Hian-Schinken. In Londons Nobel-China-Restaurant Kai kostet ein Teller 160 Euro. Das Rezept? Sorry, Martina streikt.
ZWEIMAL TOMATENSUPPE
Wir lieben Suppe. Allen voran Tomatensuppe. Nur gibt es da feine Unterschiede ...
Suppe ist hierzulande eine typische Vorspeise und dient auch oft als Hauptmahlzeit. Am liebsten allerdings aus der Tüte. Einfach ins Wasser rühren, fünf Minuten kochen und fertig. Diese Suppen sind in etwa so gesund, wie Schuhcreme schmeckt.
DIE TÜTEN-TOMATENSUPPE
Was steckt drin? Man muss wissen: Auf jedem Etikett stehen die Zutaten nach Mengen sortiert. An erster Stelle das, was am meisten vorkommt. In der Regel taucht Gemüse an dritter, vierter oder fünfter Stelle auf, oft sogar nur als »Aroma«. Davor steht: Modifizierte Stärke (macht die Suppe cremig, die Leber fett) und gehärtete Öle (macht die Suppe schmackhaft und uns krank mit ihren Transfettsäuren). Gut, in der Markensuppe, die ich hier gerade in der Hand halte, stecken noch 29 Prozent Tomatenpulver (in den meisten anderen Suppen findet man die Tomate nur als Tomatenaroma). Weitere Hauptzutat: Weizenmehl. Also, das würde ich in meine Suppe nicht tun. Dann folgt meist: Zucker. Unglaublich: Ein Drittel macht das oft aus! Gefolgt von Jodsalz und noch mehr Stärke. Nun kommt noch der Geschmacksverstärker Mononatriumglutamat (sehr ehrlich vom Hersteller, das versteckt sich woanders meistens unter »Würze« oder »Hefeextrakt«). Glutamat ist in der Tütensuppe natürlich wichtig, weil die Tomaten nach der intensiven Verarbeitungsprozedur nicht schmecken. Das Problem: Glutamat macht dick, denn es macht Appetit auf mehr.
Praktisch für den Hersteller: Die Suppe ist Jahre haltbar. Kein...