Repräsentation soll hier recht allgemein als ein Vorgang begriffen werden, in dem etwas (sinnlich) Abwesendes zur Präsenz gebracht wird. Repräsentieren bedeutet demnach „ein unsichtbares Sein durch ein öffentlich anwesendes Sein sichtbar machen und vergegenwärtigen.“[19]
Des Weiteren wird Repräsentation, wie bereits erwähnt, zweidimensional erklärt. Hierin folgt die Analyse den Ausführungen Gerhard Göhlers[20], der ausgehend von der Institutionenlehre Arnold Gehlens[21] zwischen der Willens- und der Symbolbeziehung von Repräsentation unterscheidet.
Diese Differenzierung legt auch die Geschichte des Begriffs Repräsentation nahe. So bezog sich das lateinische Wort representare oder representatio zuerst auf einen Vorgang der Symbolisierung im Sinne von Vergegenwärtigung/Darstellung, während im 14. Jahrhundert die heute noch geläufige juristische Bedeutung von Repräsentation im Sinne einer mandativen Vertretung hinzukam.
1.1 Repräsentation als Willensbeziehung
Mit Repräsentation im juristischen Sinne ist die „Übertragung des Willens der Repräsentierten auf die Repräsentanten in Form der Zurechnung des Willens der Repräsentanten auf die Repräsentierten“ [22] gemeint. Ein ausgewählter Repräsentant handelt also im Namen eines anderen, nämlich des Repräsentierten. Im Bereich des Politischen geht es hierbei um die Vertretung individueller oder kollektiver Interessen der Bürger als Repräsentierte durch die mit einem Mandat ausgestatteten Volksvertreter. Göhler bezeichnet Repräsentation im Sinne einer mandativen Vertretung deshalb auch als Willensbeziehung.
Die Notwendigkeit dieser Form der Repräsentation erschließt sich im Hinblick auf den neuzeitlichen Flächenstaat sofort. Aus rein technischen Gründen ist es in modernen Demokratien unmöglich, eine unmittelbare Beteiligung aller Bürger an politischen Entscheidungen zu ermöglichen. Repräsentation als Willensbeziehung ist für moderne demokratische Staatswesen deshalb ein unverzichtbarer Vorgang.[23]
1.2 Repräsentation als Symbolbeziehung
Die Notwendigkeit symbolischer Repräsentation ist im Gegensatz zur Repräsentation als Willensbeziehung weniger offensichtlich. Bei der Repräsentation als Symbolbeziehung geht es um Darstellung, und zwar in erster Linie um die Darstellung mittels Symbolen. Dargestellt wird, was zwar vorhanden und gegebenenfalls wirksam, jedoch nicht unmittelbar sinnlich erfahrbar, weil abstrakt ist – wie etwa die grundlegenden Werte und Ordnungsprinzipien einer Gesellschaft.[24]
Die Sichtbarmachung der normativen Struktur einer Gesellschaft ist von großer Bedeutung, weil sie die sozialen und politischen Leitideen in der Wahrnehmung der Bürger präsent hält. Das Bewusstsein um die Existenz kollektiv geteilter Werte und Prinzipien ist wiederum Voraussetzung für die Herstellung und Erhaltung eines gesellschaftlichen Grundkonsenses, der das Auseinanderbrechen der Gemeinschaft auf Grund divergierender Interessen der Bürger verhindert.[25] Symbolische Repräsentation ist somit „die Darstellung der grundlegenden politischen Wertvorstellungen und Ordnungsprinzipien eines Gemeinwesens. Sie ist Darstellung der politischen Einheit insofern, als sie sichtbar macht, was diese in ihrer Vielheit zusammenhält.“[26]
Die Erfahrung normativer Kongruenzen ermöglicht den Menschen eine soziale Zuordnung bzw. Kategorisierung und damit die Wahrnehmung ihrer eigenen Person als Teil einer bestimmten sozialen Einheit. Durch Symbole, so Eric Voegelin, „erfahren die Menschen die Gesellschaft, deren Glieder sie sind, als mehr denn eine bloße Zufälligkeit oder Annehmlichkeit; sie erfahren sie als Teil ihres menschlichen Wesens. Symbole drücken das Erlebnis aus, dass der Mensch voll und ganz Mensch ist kraft seiner Teilnahme an einem Ganzen, das über seine gesonderte Existenz hinausgreift.“[27]
Nach Rudolf Smend entspricht der Vorgang stetiger Vergegenwärtigung gesellschaftlicher Normen deshalb einem laufenden Prozess der Integration: „Der Staat ist nur, weil und sofern er sich dauernd integriert, in und aus dem Einzelnen aufbaut – dieser Vorgang ist sein Dasein als geistig-soziale Wirklichkeit.“[28] Für Smend ist der Staat nicht bloß die Einheit von Staatsgebiet, Staatsvolk und Staatsgewalt. Er ist keine „statisch daseiende Substanz", sondern „Teil der geistigen Wirklichkeit“[29] und damit ein abstraktes und wandelbares Gebilde, das der stetigen Erneuerung und Sichtbarmachung bedarf.
Soziale Werte und politische Gemeinschaft bedingen sich gegenseitig. Ohne allgemein anerkannte Prinzipien können Staaten nicht bestehen sowie andererseits soziale Werte erst existent werden, wenn sie durch eine Gemeinschaft artikuliert und getragen werden: „Die Realisierung aller ideellen Sinngehalte setzt Gemeinschaft voraus, und wiederum steigert, bereichert, festigt, ja begründet sie diese Gemeinschaft. […] Die Werte führen ein reales Leben nur vermöge der sie erlebenden und verwirklichenden Gemeinschaft.“[30]
Es handelt sich bei der symbolischen Repräsentation somit um eine existentielle Form der Repräsentation, die jeder Repräsentation als Willensbeziehung vorausgehen muss, weil sie die „Steigerung und Grundierung rechtlicher Stellvertretung zum Ziel hat.“[31] Trotz ihrer enormen soziopolitischen Bedeutung ist die Symbolbeziehung der Repräsentation nach wie vor als Stiefkind der Politikwissenschaft zu bezeichnen, da sie zumeist bestenfalls als Randgebiet im Kontext der „Politischen Kultur-Forschung“ bearbeitet wird.[32] Sofern Symbole einmal im Mittelpunkt der politikwissenschaftlichen Untersuchung stehen, dann vornehmlich unter dem Aspekt der Manipulation der Bürger durch die „symbolische Politik“ gesellschaftlicher Eliten.[33] Dieser ideologiekritische Ansatz, wie er insbesondere von Murray Edelman vertreten wird, zielt in erster Linie darauf, Symbole als „Rationalitätsersatz“[34] und Verschleierung politischer Realität zu entlarven. Diese Problematik soll im Folgenden kurz skizziert werden, weil sich die vorliegende Arbeit als analytische Distanzierung von dieser Interpretationslinie versteht.
In der deutschen Politikwissenschaft hat das Konzept der „symbolischen Politik“ erst durch die Übersetzung der Schriften Murray Edelmans im Jahre 1976 Aufmerksamkeit erfahren.
Das 1964 erschienene Werk „The Symbolic Uses of Politics“ war eine scharfe Kritik Edelmans an der Selbstwahrnehmung der amerikanischen Gesellschaft als einer Musterdemokratie.[35] Das demokratische Ideal sei längst zu Gunsten einer reinen Interessenpolitik verraten worden, die durch eine gesellschaftliche Elite gezielt verschleiert wurde.[36] Der Rezeptionsschub, der den Begriff der „symbolischen Politik“ in Deutschland zur Alltagsformel in der öffentlichen Diskussion über das politische Geschehen machte, erfolgte erst 1987 mit dem Erscheinen von Ulrich Sarcinellis Werk „Symbolische Politik. Zur Bedeutung symbolischen Handelns in der Wahlkampfkommunikation der Bundesrepublik Deutschland“[37].
Der Terminus des „Symbolischen“ wird in der Tradition Murray Edelmans als Mittel der Täuschung und Manipulation verstanden, Symbolpolitik wird als reines Medienspektakel und substanzlose Ersatzhandlung für fehlende sachpolitische Maßnahmen begriffen. Es existieren also zwei Realitäten der Politik: zum einen die für den Bürger medial zugängliche und inszenierte Scheinwelt des Politischen und zum anderen die im Stillen sich vollziehende Welt reiner Interessenpolitik, in der Eliten sachpolitische Entscheidungen treffen, deren Grundlagen dem Rest der Bürger für gewöhnlich verborgen bleiben.[38] Wird in diesem Zusammenhang also von symbolischer Politik gesprochen, so ist damit entweder gemeint, dass nichts sachpolitisch Bedeutungsvolles stattfindet, es sich also gleichsam um eine „Oberflächenbewegung ohne Substanz“[39] handelt, oder aber, dass etwas vom äußeren Anschein Abweichendes geschieht und im Verborgenen Entscheidungen getroffen werden, die letztlich nur der Befriedigung partikularer Interessen dienen. Symbolische Politik zielt demnach also stets auf die Stabilisierung des politischen Führungsanspruches einer gesellschaftlichen Elite, sie ist diesem Ansatz zu Folge „auf jeden Fall ein Weg der intentionalen oder nicht-intentionalen Herrschaftssicherung, der auf dem Fehlen von Transparenz, auf der Schaffung einer neuen Wirklichkeit, der Inszenierung beruht.“[40]
Dieses dichotomische Modell politischer Wirklichkeit wird hingegen von wenigen anderen Autoren[41], für die stellvertretend Gerhard Göhler genannt sein soll, als vereinfachend und „völlig unterkomplex“[42]...