1975-1978: Von der Unabhängigkeit Angolas bis zur
Verabschiedung der UN-Resolution 435
1919 wurde Grossbritannien das von südafrikanischen Truppen im 1.Weltkrieg besetzte Deutsch-Südwestafrika (SWA) als Völkerbundsmandat zugesprochen. Grossbritannien übertrug das Mandat auf die Südafrikanische Union. Bei Auflösung des Völkerbundes 1946 und der Gründung der Vereinten Nationen (UNO) weigerte sich Südafrika, SWA der UNO zu unterstellen. Ab 1949 lehnte es Südafrika ab, den Vereinten Nationen weiterhin Rechenschaft über seine Verwaltung abzulegen. In den fünfziger Jahren traten neben der RSA in zunehmendem Masse Vertreter der schwarzen Bevölkerung SWAs vor der UNO auf, deren Klagen über die südafrikanische Verwaltung und Vorschläge zu der Zukunft SWAs auch zunehmend Gehör fanden. 1961 bezeichnete die UN-Generalversammlung die Situation in Südwestafrika als Bedrohung für den internationalen Frieden.[44] Im gleichen Jahr suchten Mitglieder der 1958 gegründeten South West African People’s Organization (SWAPO) Unterstützung für ihre Forderung nach Selbstbestimmung und Unabhängigkeit Südwestafrikas, zuerst bei den westlichen Staaten. Die SWAPO fand bei ihnen kein Gehör, weil sie, wie Andreas Shipanga, der ehemalige Informationssekretär der SWAPO, vor einem Unterausschuss des US-Senats aussagte, beeinflusst durch Südafrika, jede Opposition zur Apartheidspolitik für kommunistisch hielten. Darauf wandten sie sich ebenfalls vergeblich an die Vertretungen der ersten unabhängigen afrikanischen Staaten[45] und letztlich mit Erfolg an die Botschaften der DDR und der UdSSR.[46] Diese Verbindungen hielten bis zur endgültigen Unabhängigkeit Namibias. Im Nachhinein kann man sagen, dass sie nur durch eine Fehleinschätzung des Westens zustande kamen, denn 1961 galt die SWAPO auch in Ostberlin und Moskau noch als eine Organisation ohne klare Zielsetzung.[47] In den Veröffentlichungen der SWAPO wird auf diese Episode ihrer Geschichte nicht eingegangen. Sie scheint aber recht glaubwürdig, da auch dem Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der DDR (MfAA) bekannt war, dass es „innerhalb der SWAPO einen relativ starken proamerikanischen Flügel gibt.“[48]
Zur Klärung des Rechtsstatus SWAs wurden vor dem Internationalen Gerichtshof (IOC) ver-
schiedene Prozesse geführt. In den Prozessen ging es vorrangig um die Frage, ob die UNO für das Mandatsgebiet des aufgelösten Völkerbundes zuständig sei. 1966 erklärte der IOC die Vereinten Nationen für Südwestafrika verantwortlich, hatte aber keine Handhabe, die südafrikanische Verwaltung zu beenden.[49] Otto Winter, Minister für Auswärtige Angelegenheiten der DDR, äusserte sich empört über das Urteil, weil „ Südwestafrika weiterhin dem Apartheidregime der Republik Südafrika unterworfen “[50] sei.
Am 21.06.1971 erstellte der IOC ein Gutachten, wonach Südafrika verpflichtet war, seine Präsenz in Namibia zu beenden.[51] Seit diesem Datum konnten die SWAPO und ihre Unterstützer jeden Vorschlag Südafrikas zu Namibia, unabhängig von seinem Inhalt, als irrelevant zurückweisen. Zu diesem Zeitpunkt ging es schon nicht mehr um den Rechtsstatus Namibias, sondern um die Bedingungen, unter denen Namibia unabhängig werden sollte. Die Vorstellungen Südafrikas und der UNO lagen so weit auseinander, dass die Verhandlungen über die Gewährung von „Selbstbestimmung und Unabhängigkeit für das Volk von ganz Namibia“ im Dezember 1973 eingestellt wurden.[52] Die Vorstellungen Südafrikas, das an der Politik der getrennten Entwicklung festhielt, und der UNO, die laut ihrer Charter Selbständigkeit und Unabhängigkeit aller Völker forderte und den Kampf gegen Fremdherrschaft und Kolonialismus unterstützte[53], waren unvereinbar. So schrieb Booysen, Senior Lecture am Department für Internationales und Verfassungsrecht an der University of South Africa, 1975, dass wegen der fehlenden Eindeutigkeit der UN-Charta und der UN-Resolutionen eine weitreichende Interpretation möglich sei und sich auch die südafrikanische Politik mit ihnen rechtfertigen lasse:
“ In the South African context „ peoples “ and “ self-determination “ will mean that every ethnical and cultural group must be given the opportunity of developing according to their own traditions and must be given the right to speak their own language etc. … the white Afrikaners could claim for themselves the right to self-determination (especially in view of the fact that they were among the first to have fought against “colonial and alien occupation in Africa”) “[54]
Die Vorstellungen, wie die Selbstbestimmung und Unabhängigkeit der Völker verwirklicht werden sollten, waren also sehr weit voneinander entfernt.
Bis in die siebziger Jahre hinein blieben die Aktivitäten der SWAPO eher gering. Es kam zwar schon 1966 zu den ersten bewaffneten Auseinandersetzungen mit der südafrikanischen Polizei, und es wurde das Liberation Center in Lusaka, der Hauptstadt Sambias, gegründet, aber es gibt keine verlässlichen Angaben über die Anzahl der Mitglieder oder der ausgebildeten Kämpfer der Organisation. Auch war der Aktionsradius der Exilführung der SWAPO, die in Sambia Asyl fand, sehr begrenzt, da der Präsident Sambias Kaunda Wert darauf legte, die Widerstandsbewegungen aus den Nachbarländern zu kontrollieren. Erst mit Ab-erkennung Südafrikas UNO-Mandat über Namibia, der Überwindung der Hallsteindoktrin[55], der Aufnahme der DDR und der BRD in die UNO 1973 konnte die DDR für die SWAPO bei den Vereinten Nationen um Unterstützung werben. Im gleichen Jahr verabschiedete die UN-Generalversammlung die UN-Resolution 3111/28[56], in der die SWAPO als „ authentic representative of the Namibian People “ anerkannt wurde. Die Bezeichnung „ sole and authentic representative of the Namibian People “ in der UN-Resolution 31/146[57] vom 20.12.1976 liess die SWAPO an weiterem politischen Gewicht gewinnen[58].
Aber aus einem anderen Grund trat Afrika in das Licht der Weltöffentlichkeit. In Portugal wurde 1974 die Regierung durch einen Militärputsch gestürzt. Dieser Putsch hatte seinen Ursprung in den Unabhängigkeitsbestrebungen der portugiesischen Kolonien. 40% des Staatshaushaltes flossen in die Überseegebiete, und es starben junge Soldaten für eine Sache, die nicht mehr vor der portugiesischen Bevölkerung zu rechtfertigen war. Es stürzte mit Portugal ein NATO-Staat über seine Kolonialpolitik, der von seinen Bündnispartnern kaum kritisiert worden war. Viele junge afrikanische Staaten orientierten sich stärker zur DDR als zur BRD. Einmal bestanden schon lange Verbindungen zwischen der DDR und den Unabhängigkeitsbewegungen, die meistens nach Erlangung der Unabhängigkeit auch die Regierungen der jungen Staaten stellten, und ausserdem hatte der Westen in ihren Augen die Politik Südafrikas zu lange toleriert und sich dadurch diskreditiert. Der westliche Kapitalismus galt als überholt und nicht mehr entwicklungsfähig, auch weil ihm eine grosse Nähe zum Faschismus nachgesagt wurde. Die entwicklungspolitischen Erfolge, die auf der Basis des westlichen Modells erzielt wurden, waren wenig überzeugend, und die Zusammenarbeit zwischen Afrika und dem Ostblock wurde durch das vorherrschende oder angestrebte Einparteiensystem gefördert. In Staatswirtschaften Ansprechpartner zu erkennen und zu finden, war leichter als in privatwirtschaftlich organisierten Staaten. Zusammen mit der internationalen staatlichen Anerkennung öffneten sich der DDR grosse Möglichkeiten für ihre Südpolitik, unter der die Beziehungen der DDR zu den Staaten Afrikas, Asiens und des arabischen Raumes verstanden wurden.[59]
Wie weit aber war die DDR in der Lage, diese Möglichkeiten auch nach eigenen Vorstellungen zu nutzen, oder war sie in ihren Entscheidungen an die Hegemonie der UdSSR gebunden? In der DDR war diese Frage ein Tabuthema und wurde wissenschaftlich nicht bearbeitet. An der Freundschaft zur Sowjetunion als Existenzgrundlage sollten keine Zweifel aufkommen.[60] Die offizielle Version der Ziele ihrer Aussenpolitik lässt sich in der Verfassung der DDR nachlesen. Im Artikel 6 Abschnitt 1 heisst es: „ Die Deutsche Demokratische Republik ...betreibt eine dem Sozialismus und dem Frieden, der Völkerverständigung und der Sicherheit dienende Aussenpolitik “. In Artikel 6 Abschnitt 3 wird die Unterstützung der „Völker, die gegen den Imperialismus und seine Kolonialregime ... kämpfen “ bekräftigt. Im Freundschaftsvertrag mit der UdSSR von 1953 wurde vereinbart, „ sich gegenseitig über alle wichtigen internationalen Fragen [zu] beraten, die das Interesse beider Staaten berühren.“[61]. Im Freundschaftsvertrag von 1975 wird diese Zusammenarbeit noch einmal bekräftigt und beschlossen, dass die DDR und die UdSSR „stets im Geiste ihrer Einheit und Geschlossenheit handeln“[62] werden. In beiden Verträgen wird die Gleichberechtigung beider Vertragsparteien betont. Wie sah das aber in der Praxis aus? Der aussenpolitische Handlungsspielraum Ostdeutschlands wurde im Westen sehr unterschiedlich beurteilt. Die Thesen reichen von der vollständigen Abhängigkeit, als Marionette der Sowjetunion, bis hin...